(Bild: Ismael Quintanilla)
Die Covid-Pandemie hat auch vor Son Volt nicht Halt gemacht und Jay Farrar und seinen Mannen eine neue Arbeitsweise geradezu aufgezwungen. ‚Electro Melodier‘ entstand ganz anders als die vorherigen Alben der Band, die im vergangenen Jahr ihr 25-jähriges Bestehen zelebrieren wollte. Dass die Aufnahmen schon etwas länger zurückliegen und die Gruppe seitdem kaum miteinander gespielt hat, merkt man einigen von Jays Antworten deutlich an.
interview
Jay, die erste Frage liegt bei einem Gitarrenmagazin auf der Hand: Was hat es mit dem Titel auf sich? Ich habe gelesen, dass ‚Electro Melodier‘ sich auf zwei alte Gitarrenamps bezieht. Stimmt das?
Ja. Ich hatte während der Pandemie viel Zeit, mich durch das Internet zu klicken. Dabei stieß ich auf zwei alte Verstärker namens Electro und Melodier. Ich mag diese Namen, die alte Amps häufig haben – ausgedachte Begriffe, die nicht im Lexikon stehen. So etwas wie Melodier eben. Ich fand, das war ein guter, repräsentativer Titel für diese Aufnahmen, denn ich wollte mich wieder mehr auf melodische Songs konzentrieren.
Melodier ist der Typenname eines alten Magnatone-Verstärkers. Was hat es mit dem anderen auf sich?
Das kann ich dir nicht mehr sagen. Aber es hörte sich nach einem guten Titel an. Das passte einfach. Und es traf die Ästhetik, die ich anstrebte – auf der einen Seite das Elektrische, und dazu die Melodien.
Du hast diese Amps aber nicht wirklich verwendet?
Nein. Aber wenn es stimmt, dass der Melodier von Magnatone ist – einen Amp dieser Firma habe ich in der Tat mal verwendet. Nicht auf diesem Album, sondern auf ‚Notes Of Blue‘, dem Vor-Vorgänger aus dem Jahr 2017. Der stand damals im Studio.
Welche Zutaten kamen auf ‚Electro Melodier‘ zum Einsatz?
In erster Linie habe ich dieses Mal Akustikgitarre gespielt. Dafür habe ich überwiegend eine alte Gibson Country Western aus dem Jahr 1959 verwendet. Dazu kam eine Gretsch-Broadkaster-Elektrik. Ich hatte vor einiger Zeit eine Operation an der Schulter – meine Rotatorenmanschette hatte mir zuvor größere Probleme bereitet. Das kam wohl dadurch, dass ich seit 40 Jahren Akustikgitarren spiele. Nach diesem Vorfall habe ich mir eine alte Kay Speed Demon Thinline Semi-Hollowbody aus den späten 1950ern oder frühen 1960ern zugelegt. Sie hat einen kleineren Korpus als eine normale Akustik. Die spiele ich jetzt live, wenn ich akustische Sounds haben will.
Die Probleme machte demnach der rechte, also dein Anschlagsarm?
Stimmt, aber das ist mittlerweile wieder besser. So oder so will ich keine Gitarren mit großem Korpus und breiten Zargen mehr spielen. Bei diesen Typen musst du den Arm immer nach vorne schieben, wenn du anschlägst. Die Ärzte haben mir gesagt, dass dies zu den Problemen führte. Mit E-Gitarren habe ich generell keine Schwierigkeiten.
Wo du das erwähnst: Du hast bereits eine lange Jahre Karriere als Musiker hinter dir. Letztes Jahr hätten Son Volt ihr 25. Jubiläum feiern können. Wird das nachgeholt?
Unbedingt. Nachdem wegen der Pandemie alles zumachen musste, müssen wir jetzt halt bis zum 30. warten. Ich habe versucht, das Beste draus zu machen – und komponierte Songs, aus denen dann ‚Electro Melodier‘ wurde. Es gibt wohl zwei Elemente, die dieses Album von seinen Vorgängern unterscheiden: Zum einen gab es mehr Zeit, daran zu arbeiten. Normalerweise nehmen wir auf, wenn wir zwischen unseren Konzerten ein paar Tage frei haben. Jetzt konnten wir uns komplett auf die Aufnahmen konzentrieren.
Der zweite Punkt war die Interaktion. Wir haben zunächst versucht, via Zoom von verschiedenen Orten aus aufzunehmen – und das bei der Nummer ‚These Are The Times‘ auch tatsächlich durchgezogen. Aber schlussendlich war das keine inspirierende Erfahrung. Wir fanden schnell heraus, dass es einen besseren Weg geben muss. Also sind wir schließlich doch gemeinsam zum Aufnehmen ins Studio gegangen – natürlich mit Masken.
Auf ein Bandmitglied musstet ihr dabei allerdings verzichten.
Mark Spencer, der Steel Guitar, Keyboard und Baritongitarre spielt, war nicht dabei. Er hat seine Parts von seinem Haus in Brooklyn beigesteuert. Anstatt sich wie sonst im Studio auszutauschen, hat er seine Ideen dieses Mal in seinem eigenen Tempo entwickelt und ausgearbeitet. Ich denke, das hat ein neues Element hinzugefügt, das wir auf früheren Son-Volt-Alben nicht hatten.
Wie empfandest und empfindest du die aktuelle Situation?
Irgendwann werden wir alle auf diese Zeit als eine eigenartige und seltsame Erfahrung zurückblicken. In der ersten Phase der Pandemie war es wirklich befremdlich. Es gab nur wenig Autoverkehr, die Läden waren geschlossen, einige Züge sind nicht gefahren. Das war schon eine Art existenzieller Abrechnung. Einige der Songs auf ‚Electro Melodier‘ reflektieren das vielleicht ein bisschen.
Es gibt ein Zitat von dir im Anschreiben zum Album: „Es war ein hartes Jahr, aber als Songwriter war ich in der Lage, das Beste daraus zu machen.“ Kannst du das etwas näher erläutern?
Das hat mit den bereits erwähnten Veränderungen zu tun. Normalerweise spielen wir ein Album in maximal drei Wochen ein, dieses Mal zog es sich ab März 2020 über mehrere Monate hin, wir haben es in kleinen Stücken aufgenommen, das meiste davon im Red Pill Studio in St. Louis. Das war also ein komplett anderer Ansatz. Dadurch hatte ich sehr viel mehr Zeit, mich auf das Songwriting zu fokussieren. Ich machte komplette Demo-Aufnahmen, habe diesen Schritt also auch durchlaufen. All das hat sich auf das Endresultat ausgewirkt, für mich hört sich ‚Electro Melodier‘ anders an als unsere Werke davor.
Mit all diesen Veränderungen in Sachen Produktion – wie würdest du die Stimmung des fertigen Albums beschreiben?
Ich finde, dass es positiv ist – zumindest basierend auf der Idee, dass es sich von dem unterscheidet, was wir vorher gemacht haben. Wann immer du etwas Neues versuchst, eröffnet das neue Möglichkeiten.
Als wir seinerzeit über ‚Notes of Blue‘ sprachen, sagtest du, die Grundidee sei gewesen, englische Folkmusik mit amerikanischem Blues zu verbinden. Gibt es einen vergleichbaren Ansatz bei ‚Electro Melodier‘?
Dem Titel entsprechend, Melodien und Elektrik, kam die Inspiration dieses Mal eher von Bands wie Badfinger oder Big Star. Das stand mehr im Fokus als Folk- oder Country-Elemente – auch wenn einige davon natürlich dennoch auch auf diesem Album zu hören sind.
Die meisten Songs sind zwar elektrisch, aber es gibt auch akustisch geprägte Nummern wie ‚The Levee On Down‘ oder ‚Rebetika‘, dazu das bluesige ‚War On Mysery‘. Welche Gitarre ist darauf zu hören?
Auf ‚War On Misery‘ kam eine Alvarez-Bariton-Akustikgitarre zum Einsatz. Alvarez ist meines Wissens nach der einzige Hersteller, der solche Gitarren anbietet – zumindest ist er der einzige, den ich finden konnte. Ich habe sie auch schon auf ‚Notes Of Blue‘ verwendet. Sie funktioniert immer noch gut und klingt ebenso.
Der Song hat einen sehr speziellen Vibe.
Die Inspiration, der ich bei diesem Song musikalisch folgte, war Lightnin’ Hopkins. Er hat einige Songs aufgenommen, bei denen er seine normale Gitarre ein paar Töne tiefer stimmte. Mir gefiel dieser besondere Sound. Anstatt runterzustimmen habe ich einfach die Bariton genommen.
Du arbeitest dazu immer wieder mit verschiedenen Tunings. Was gibt es in dieser Hinsicht zu ‚Electro Melodier‘ zu sagen?
Der Fokus lag dieses Mal eher auf Standard Tunings, offene Stimmungen habe ich seltener verwendet, etwa auf ‚Sweet Refrain‘. Wenn ich mich recht entsinne, müsste das ein Open G sein.
Und wie sieht es auf ‚The Levee On Down‘ mit der Slide-Gitarre aus? Das ist doch sicher ein Open Tuning?
Stimmt. Das ist eins. Es könnte ein C-Tuning sein.
Das Nick-Drake-Tuning, Cadd4, also C-G-C-F-C-E?
Ich glaube schon. Die Aufnahmen sind schon etwas her und geprobt haben wir zuletzt auch nicht. Aber das müsste sein ‚Pink Moon‘-Tuning sein.
Das bringt mich zu einer weiteren Frage. Neben dem Multi-Instrumentalisten Mark Spencer habt ihr mit Chris Frame einen weiteren Gitarristen in der Band. Wie teilt ihr euch generell die Parts auf?
Das ist nicht festgelegt und kommt auch auf meine Inspiration beim entsprechenden Part an. Auf der Nummer ‚The Globe‘ spielte ich E-Gitarre, und zwar die erwähnte Gretsch Broadkaster. Der Amp war, wenn ich mich richtig erinnere, ein Fender Deluxe Reverb. Fast alle anderen Elektrik-Parts hat Chris übernommen – meist mit einer Gretsch Duo Jet und ebenfalls über den Deluxe. Seine Interpretationen meiner Ideen waren toll. Häufig dekonstruierte er sie und machte sie dadurch irgendwie zugänglicher. Der Fender-Amp war übrigens ein Blackface-Reissue.
Ist es für dich als Songwriter nach all den Jahren noch immer interessant, wenn du siehst, wie Bandmitglieder ihre Ideen in deine Lieder einbringen?
Absolut. Für mich ist das ein wesentlicher Teil der Idee, in einer Band zu sein – zu hören, was die anderen Bandmitglieder in die Songs einbringen. Das ist immer der aufregende Part, deswegen wollten wir auch zusammen im Studio arbeiten.
Normalerweise verbindet man dich in Sachen Elektrik in erster Linie mit einer Gretsch Pro Jet. Ist sie ebenfalls auf ‚Electric Melodier‘ zu hören?
Dieses Mal nicht. Für die Aufnahmen bin ich komplett zur Broadkaster gewechselt.
Schauen wir nach vorne. Irgendwann wird es wieder Konzerte geben. Kannst du dich noch an dein Live-Setup erinnern?
(lacht) Ob ich mich noch erinnern kann? In etwa einer Woche werde ich es abstauben. Dann fangen wir mit den Proben an. Aber die Frage ist gut.
Welcher Amp steht dann hinter euch? Bleibt ihr beim Deluxe Reverb oder wird es eher etwas anderes sein?
Das kann ich natürlich noch nicht genau sagen, aber die letzten beiden Jahre habe ich überwiegend einen Fender Vibrolux aus der Silverface-Reissue-Serie gespielt. Den mag ich ziemlich gerne.
Schließen wir die Equipmentliste mit den Effekten ab. Gibt es Pedale, auf die du dich regelmäßig verlässt, wenn du auf der Bühne stehst?
Da habe ich nicht viel. Die einzige Besonderheit ist wohl ein Pedal namens Earth Drive. Es stammt von der Firma Sarno Music Solutions. Brad Sarno, der Mann dahinter, ist ein Freund von mir, er hat auch die aktuelle Platte sowie weitere Alben von uns gemastert. Ansonsten halte ich es sehr einfach, ich verwende noch ein Boost-Pedal, aber das ist es auch schon.
Kannst du mir den Modellnamen nennen?
Da muss ich überlegen. Wer macht den Dyna Comp?
MXR.
Richtig. Ein MXR. Es ist weiß.
Ein MXR Micro Amp?
Wenn du das sagst … Es wird echt Zeit, dass wir mal wieder spielen. (lacht)
equipment
- Gitarren: Gibson Country Western Akustik, Alvarez Bariton-Akustikgitarre, Gretsch Duo Jet
- Amps: Fender Deluxe Reverb Blackface-Reissue
- Effekte: Sarno Music Solutions Earth Drive Overdrive, MXR Micro Amp Boost
(erschienen in Gitarre & Bass 09/2021)