Im Interview

Soccer Mommy: Die Gitarre ist tot, lang lebe die Gitarre

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(Bild: Sophie Hur)

Aus der nach wie vor unfassbar spannenden Emobeeinflussten Singer-Songwriter-Szene der USA entsprungen, der auch Phoebe Bridgers oder Julien Baker angehören, wurde Sophie Allisons Projekt Soccer Mommy mit jedem Album immer besser und besser. Bis sie 2022 mit ‚Sometimes, Forever‘ ein kleines Meisterwerk veröffentlichte: Soccer Mommy klingt frisch und dennoch melancholisch, eine Reflektion zwischen 90s-Revival und dem Blick nach vorn, gleichermaßen geprägt von Midwest Emo, Grunge und Shoegaze und dabei doch so aufregend klingend wie nur wenige Bands dieses Genres.

Wir haben uns im Vorfeld ihrer Australien-Tour (mit Band, selbstverständlich) über Sound-Philosophien, musikalische Nostalgie und die Relevanz der Gitarre unterhalten.

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Sophie, du brichst morgen zu deiner Australien-Tour auf. Bist du aufgeregt?

Ja, ich freue mich sehr. Jedes Mal, wenn wir in Australien waren, war das großartig. Im Winter ist es außerdem immer toll, irgendwo hin zu gehen, wo es warm ist. (lacht)

Dein aktuelles Album zieht klanglich viele neue Register. Wie gehst du an Sounds heran, und sind die Songs auch direkt mit dieser Klangwelt geschrieben worden?

Es sind immer nur die Akustik-Gitarre und ich beim Schreiben der Songs. Ich mag aber sehr viele unterschiedliche Musikstile und bin mittlerweile auch sehr involviert in den Aufnahme- und Produktionsprozess. Es macht also Spaß, da verschiedene, abgefahrene Dinge auszuprobieren. Was die Gitarren angeht, bin ich weniger an Shredding oder so etwas interessiert, sondern eher daran, coole Sounds und komische Geräusche zu erzeugen. Pedale zu benutzen, die es überhaupt nicht mehr nach einer Gitarre klingen lassen. Und tolle Akkorde sind mir einfach sehr wichtig.

Auf diesem Album haben wir sehr viel mehr verschiedene Klänge mit den Gitarren erkundet als auf den beiden Alben davor. Beim vorherigen Album ‚Color Theory‘ war das auch der Fall, aber dieses Mal sind wirklich interessante Sounds dabei: Sehr trockenes Zeug, gemixt mit Linien, die etwas abgefahrener sind und verwaschene Shoegaze-Töne oder fuzzy Sounds. Aber auch Klassisches, einfach Indierock.

In deiner Liveband sind es drei Gitarrist:innen inklusive dir. Habt ihr dementsprechend viele Gitarrentakes gemacht?

Ja, auf dem Album haben wir sehr viel Stimmung durch Overdubs erzeugt. Live wüsste ich daher wirklich nicht, wie ich es mit nur zwei Gitarristen machen sollte. (lacht)

Du sagst, du interessierst dich immer mehr für den Studioprozess. Wie sehr warst du in diese Produktion involviert?

Ich bin natürlich kein Engineer und brauche immer Hilfe dabei, ein Album aufzunehmen. Aber ich bin sehr interessiert. Und ich glaube, viele vergessen, wie wichtig es ist, dass die Songwriterin in die klangliche Gestaltung des Albums eingebunden ist. Die Produktion kann vollständig ändern, wie sich ein Song anfühlt. Auch, wenn dein Song immer noch der Kern des Ganzen ist, ist es für mich sehr wichtig, dafür zu sorgen, dass auch das ganze klangliche Bild richtig gemalt ist.

Entstanden die Sounds alle während der Aufnahme?

Ja, meistens entstehen die Sounds im Studio. Ich schreibe viele Gitarrenparts im Vorfeld, ein Main-Riff oder Melodien. Aber die sonstige klangliche Kulisse entsteht, wenn ich mit Pedalen im Studio bin. Ich schaue mir vorher Videos von Effekten auf YouTube an und denke mir: „Dieses Reverb-Pedal ist wirklich cool, oder ich mag diese Drum Machine.“ Wenn man dann ins Studio kommt, kann man einfach herumexperimentieren. So bekommt man die wirklich coolen Layer, die meiner Meinung nach ein Album ausmachen. Diese atmosphärischen Sounds, die zusammenkommen.

Wie wichtig ist dir als moderner Indie-Artist noch die Gitarre?

Ich könnte nichts ohne die Gitarre tun. Wenn ich einen Song schreibe, entstehen zuerst die Akkorde. Kein Text, keine Melodie, immer die Akkordfolge oder ein Riff. Was mich inspiriert, Melodien zu schreiben, sind eben Akkorde. Und nicht nur I-IV-V oder ein paar Powerchords. Aus all den kleinen Töne in speziellen Voicings höre ich Melodien heraus. Viele Leute schreiben heute Melodien zu einem fertigen Track oder Beat. Das könnte ich nicht.

Deine Musik atmet zu jeder Sekunde Emo, ist dabei aber nie unfreiwillig peinlich, wie bei vielen Genre-Bands.

Ja, ich versuche es. (lacht) Ich meine, ich liebe Emo. Ich liebe Pop-Punk, besonders Blink-182, das habe ich schon immer. Es ist ein sehr schmaler Grat dazwischen, etwas zu schreiben, das sehr emotional ist, so ein Blutendes-Herz-Moment, und etwas, das unangenehm oder peinlich wird.

Hat eine klassische Rockband-Besetzung wie in deinem Fall für dich immer etwas von einer Renaissance angesichts der Möglichkeiten des Computers, oder siehst du darin Potenzial, Neues entstehen zu lassen?

Es ist beides! Wenn ich mit Freunden Musik mache, die älter oder jünger sind, sind die auch mit anderer Rockmusik als ich aufgewachsen. Selbst wenn das nicht mehr die Haupt-Inspiration ist, war es trotzdem die Musik, die einen geprägt hat, als man angefangen hat, einen kreativen Geist zu entwickeln. Gerade gibt es eine große 90s-Renaissance. Alle finden Indierock und Post-Punk super. Da drin steckt viel Revival, aber nur teilweise. Denn es kommt auch von neuen Inspirationen und modernen Einflüssen. Ich bin 1997 geboren und kann Musik machen, die sehr nach 90s klingt, aber auch von aktueller Musik inspiriert ist. Es entsteht also etwas völlig Neues. Ein sehr besonderer Sound, eine Mixtur aus 90s mit LoFi, Bedroom-Pop und vielen elektronischen Elementen. Es ist wirklich etwas völlig Eigenständiges.

Was ist aktuell deine Lieblings-Gitarre?

Mein all time favorite ist meine violette Novo Serus J. Es ist einfach mein Baby. Ich liebe sie so sehr, dass ich eine zweite, baugleiche habe machen lassen. Damit spiele ich verschiedene Tunings. Es ist die beste Gitarre der Welt: Sehr leicht, verstimmt sich nie, auch wenn ich wie verrückt mit dem Vibrato spiele.

Gerade habe ich eine Fender Lead III gekauft, auch in violettem Glitzer. Unter anderem deshalb habe ich mich für die Gitarre entschieden. Dann habe ich sie aber stark gemoddet: Die Pickups für P90s in Humbuckergröße von Lindy Fralin ausgetauscht, außerdem Tuner, Schlagbrett und ein paar andere Dinge. Ich habe die Gitarre vergangenen Herbst mit auf Tour genommen und war fast schon schockiert, wie sie mit meinen anderen beiden Novos mithalten konnte, die ich so sehr liebe.

Sophies Lieblingsgitarre: Novo Serus J
Gemoddete Fender Lead III

 

Hast du die Gitarren auch auf dem Album gespielt?

Es gibt auch einige andere Gitarren auf dem Album, aber ich habe sehr viel die Novo benutzt. Die Fender Lead hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Dazu kam eine Fender Custom Shop Strat von 1994, die die andere Hauptgitarre für das Album war. Eine Jaguar habe ich für ein paar Songs auch benutzt, und für die Akustik-Parts meine Gibson LG-1. Diese hat einen guten Tonabnehmer, also haben wir sie durch einen Jazz Chorus geschickt, den abgenommen und die Gitarre selbst auch mikrofoniert. Das hat einen schönen, verschwommenen Klang ergeben.

Hast du auch einen Lieblings-Amp?

Für die letzte Tour habe ich einen Marshall JCM800 aus den 80ern gespielt, der ein bisschen gemoddet wurde. Den liebe ich auch. Ich glaube aber, mein Lieblings-Amp ist einfach ein Jazz Chorus, besonders der von 1977. Den habe ich auch lange mit auf Tour genommen, er war sehr zuverlässig und klang fantastisch. Irgendwann haben wir dann aber alle in der Band Jazz Chorus gespielt. Das war ein bisschen zu viel, dachte ich mir. (lacht) Also änderte ich meinen Amp. Außerdem noch der Fender Twin. Nicht der Reverb, sondern einfach der „Twin“, ein Vintage-Modell. Den nehme ich aber nicht mehr mit auf Tour, weil er direkt anfängt, irgendwelche Probleme zu machen. In Australien miete ich mir einen Amp, wahrscheinlich einen Fender Deluxe. Auch zuverlässig, und macht einen schönen cleanen Tube-Amp-Sound.

Gemieteter Fender Deluxe auf der Australien-Tour
Gemieteter Fender Deluxe auf der Australien-Tour (Bild: Soccer Mommy)

Wie sah es im Studio aus?

Wir hatten zwei Jazz Chorus, einen Fender Deluxe oder Twin und einen Princeton, dazu einen kleinen alten Silvertone, den wir viel benutzt haben.

Welche Pedale nimmst du mit auf Tour?

Für Australien habe ich ein kleines Baby-Board mit dabei. Ich habe gerade ein neues Pedal ausprobiert, von Earthquaker. Ich bin durch eine Shirt-Kollaboration mit der Marke Brain Dead darauf gekommen. Der Ghost Echo, ein Reverb, der mir sehr gefällt und den ich definitiv mitnehme. Dazu habe ich einen Tube Screamer und einen Blues Driver, den ich immer auf niedriger Stufe angeschaltet habe, um ein bisschen Dreck hinzuzufügen. Und ich nehme immer noch einen zweiten Reverb mit, einen sehr weirden von Chase Bliss, der Dark World. Ein Dual-Pedal mit Hall und Delay, das sehr viele komische Möglichkeiten für Reverb-Sounds bietet.

Dann ein Fuzz: Gerade benutze ich das Death Drive von Intensive Care Audio. Ein dunkler Fuzz/Overdrive-Effekt. Mehr nehme ich nicht nach Australien mit. Wenn wir in den USA unterwegs sind, habe ich noch das Ambience von Mr. Black dabei. Ich glaube, technisch gesehen ist es ein Echoverb, aber wenn man Release und Feedback runterdreht, klingt es sehr Chorus-mäßig. Dann noch den Fathom von Walrus Audio, ein Reverb, das sehr lange nachhallen kann.

„Baby-Board“ für die Australien-Tour (Bild: Soccer Mommy)

Hast du eine bestimmte Philosophie für Gitarrensounds? Experimentierst du viel oder bist du eher der Plug-And-Play-Typ?

Ich halte es gerne einfach und stelle sicher, dass ich über einen Amp spiele, den ich mag und eine Gitarre, die immer gut klingt. Mein Grundton ist dann meistens ein winziges Bisschen an Amp-Reverb – so, dass man es kaum wahrnimmt – und ein bisschen Blues Driver. Mit P90s klingt das schon so perfekt, dass man eigentlich nichts anderes mehr braucht. Bei Reverbs habe ich immer zwei dabei: Ein kurzer, um den Akkorden etwas Glitzer zu geben. Und dann habe ich gerne einen verrückten, verwaschenen Hall. In vielen Songs gibt es Parts, wie ein Outro oder ein abgefahrener Aufbau-Part, wo ich dann nicht nur Akkorde spielen, sondern richtig Atmosphäre erzeugen kann.


equipment

 

Drei Gitarrist:innen in der Band brauchen viele Gitarren (Bild: Soccer Mommy)

Gitarren

● Novo Serus J
● Fender Lead III
● Fender Custom Shop 94 Stratocaster
● Fender Jaguar
● Gibson LG-1

Amps

● Roland JC-77
● Marshall JCM800
● Fender Twin
● Silvertone

Pedals

● Ibanez Tube Screamer
● Boss BD-2
● Intensive Care Audio Death Drive
● EarthQuaker Devices Ghost Echo
● Chase Bliss Dark World
● Mr. Black Ambience
● Walrus Fathom
● Walrus Slötva
● Caroline Meteore

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2023)

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