„Ich bin weder Ritchie noch Steve, ich denke anders, ich fühle anders, ich spiele anders …“

Simon McBride rockt jetzt in Lila: Der Deep-Purple-Gitarrist im Interview

Anzeige
(Bild: Frank Witzelmaier)

Knapp drei Jahre ist es her, dass Steve Morse seinen Ausstieg bei Deep Purple bekanntgegeben hat und übergangslos vom Nordiren Simon McBride beerbt wurde. Zunächst absolvierte der 45-jährige McBride mit der englischen Hardrock-Legende eine beachtliche Anzahl an Konzerten, dann traf er sich mit den Bandmitgliedern Ian Gillan (Gesang), Roger Glover (Bass), Ian Paice (Schlagzeug) und Don Airey (Keyboards) sowie Produzent Bob Ezrin in einem Studio, um Ideen für ein neues Album zu sammeln. Die daraus resultierende Scheibe liegt nun vor: Sie trägt den kryptischen Titel ‚=1‘ und erweist sich nach genauerer Bestandsaufnahme als weiteres typisches Purple-Werk. Wie es dazu kam und wie McBride an seinen Gitarrenparts gearbeitet hat, erzählt er in einem langen, spannenden Interview.

INTERVIEW

Simon, wann, wie und wo hast du begonnen, mit deinen neuen Bandkollegen an Songs fürs aktuelle Album zu arbeiten?

Anzeige

Wir haben uns erstmals im Dezember 2022 in Nashville und Toronto getroffen, um Ideen zu sammeln. Es war mein Einstand als Komponist für Deep Purple. Wenn man neu in einer Band ist, fühlt man sich zunächst natürlich ein wenig unsicher. Ich spürte einen großen Druck auf meinen Schultern, zumal es sich für mich ein wenig surreal anfühlte, mit solchen Legenden im gleichen Raum zu sitzen und tatsächlich Deep-Purple-Songs zu schreiben. Ich saß da und dachte mitunter: Eigentlich müsste man mich jetzt mal zwicken, damit ich weiß, dass das hier Wirklichkeit ist. Zum Glück lief alles wie am Schnürchen: Don hatte ein paar Ideen in petto, ich konnte etwas anbieten, wir alle hatten bereits zuhause ein paar Dinge vorbereitet. Wenn ich es aus heutiger Sicht betrachte, so sind vermutlich etwa 50 Prozent der neuen Scheibe bei diesen zwei ersten Sessions entstanden.

In welcher Form und Ausprägung lagen deine Ideen vor? Nur Riffs und Hooks, oder bereits vollständige Songs?

Natürlich hätte ich komplette Songs anliefern und die Jungs bitten können, sie zu spielen. Konkrete Vorlagen anzufertigen ist in meinem eigenen Homestudio problemlos möglich. Aber genau das tat ich nicht, denn das Spannende am Songwriting ist ja, die Einflüsse und Ideen aller Beteiligten zuzulassen. Jeder hört Musik ein wenig anders, jeder interpretiert Dinge unterschiedlich. Und genau darum geht es bei Deep Purple. Deshalb brachte ich Riffs und Hooks und Ideen mit, aber keine vollständigen Songs.

Hattest du den typischen Deep-Purple-Sound schon beim Ideensammeln in deinem Homestudio im Hinterkopf. Oder waren es lediglich Songfragmente, die theoretisch auch für ein eigenes Soloalbum funktioniert hätten?

Diese Frage wird mir natürlich oft gestellt, und ich kann dazu nur sagen: Es gibt keinen einzigen Moment in meiner noch jungen Deep-Purple-Mitgliedschaft, in der ich beim Songwriting Ritchie Blackmore oder Steve Morse im Hinterkopf hatte. Ich bin weder Ritchie noch Steve, ich denke anders, ich fühle anders, ich spiele anders und ich komponiere auch andere Songs. Jeder Künstler ist das Produkt seiner Einflüsse, und im Unterschied zu Ritchie und Steve bin ich in den Achtzigern großgeworden, mit Bands wie Thin Lizzy, Gary Moore, Aerosmith, der typische Hardrock jener Tage also. Und immer dann, wenn ich komponiere, kommen diese Inspirationen zum Vorschein. Das unterscheidet mich von Ritchie und Steve.

Aber das ist das Besondere an Deep Purple: Sie schreiben einfach Musik, unabhängig davon, ob es gerade ein Hardrock-Song, eine bluesige Nummer oder was auch immer ist. Auf eine ähnliche Art sind Deep Purple wie damals die Beatles ihr eigenes Genre. Ritchie kam aus der klassischen Ecke, John Lord und Don Airey ebenso, während Roger Glover eher der Singer/ Songwriter-Typ ist. Für mich wäre es undenkbar, etwas im Stil von ‚Machine Head‘ zu schreiben. Es gibt ein paar richtig harte Riffs, die ich mit einer Baritone-Gitarre geschrieben habe und die für Deep Purple eigentlich zu heavy sind. Trotzdem habe ich sie ihnen vorgespielt, denn man weiß nie, was sich daraus entwickelt.

Nenn mal ein konkretes Beispiel!

Es gibt auf dem Album einen Song namens ‚Sharp Shooter‘, bei dem ich dachte, dass der Band mein Riff zu hart sein könnte. Aber die Jungs fanden es cool, und so ist daraus ein Song entstanden. Allerdings wurde so manch anderes meiner Riffs nicht weiterverfolgt. Deep Purple fordern nie: „Wir brauchen diese oder jene Art Song.“ Sie sagen ebenso wenig: „Wir brauchen ein neues ‚Smoke On The Water‘“, denn sie erinnern sich noch zu genau daran, dass ‚Smoke On The Water‘ ein reines Zufallsprodukt war. Gleiches gilt für ‚Black Night‘, auch diese Nummer entstand eher zufällig, ohne konkrete Planung. Natürlich kann man Songs auch am Reißbrett entwerfen, und in der Filmbranche, sprich: bei Soundtracks, wird das ja auch häufig gemacht. Aber dann reden wir von einem anderen Genre und nicht von Rockmusik. In einer Rockband heißt es stattdessen: „Lasst uns ein paar Ideen sammeln und schauen, was am Ende dabei herauskommt.“

Roger Glover, Ian Gillan & Simon McBride (Bild: Frank Witzelmaier)

Die für mich größte Überraschung ist, dass Deep Purple trotz des einschneidenden Personalwechsels immer noch zu 100% nach Deep Purple klingen.

Weißt du, woran dies liegt?

Bitte kläre uns auf!

Manche Fans erinnern sich nur an die Albumklassiker der Siebziger und denken, dass Deep Purple vor allem Ritchie Blackmore war. Aber das stimmt nicht. Es gibt einen großartigen Ian Gillan, der fantastische Texte schreibt. Wir haben mit ihm, mit Roger und Ian Paice immerhin drei Originalmitglieder in der Band. Don Airey ist ebenfalls schon lange dabei. Auch das hört man! Deep Purple waren noch nie nur Ritchie. Für mich bedeutet das, dass ich einfach dort weitermache, wo die Band zuletzt mit Steve Morse aufgehört hat. Bei der neuen Scheibe hat mich der Gesang von Ian Gillan einfach umgehauen. Deep Purple haben eine eigene Art zu arbeiten: Sie komponieren die Musik zuerst ohne Gesang, gleichzeitig ist Ian trotzdem immer anwesend. Er sitzt mit Bleistift und Papier in einer Ecke des Raumes und macht sich Notizen.

Seinen Gesang bekommt man aber erst dann zu hören, wenn der Produzent die ersten Mixes schickt. Das Ergebnis ist auch diesmal großartig, denn Ian Gillan weiß genau, was er tut, er kennt seine Stimme und setzt sie wie ein Instrument ein. Keiner singt wie er, und keiner könnte beispielsweise ‚Child In Time‘ so singen, wie er es damals getan hat. Ian ist ein Geschichtenerzähler, die Storys auf dem neuen Album sind einfach grandios. Ich erinnere mich noch an die Tour im vergangenen Jahr durch Südamerika. Vor der Bühne standen bis zu 70.000 Leute, und das gesamte Publikum sang alle Texte mit, und zwar während der kompletten Show. Natürlich sind es auch die Riffs und Akkorde, die einen Deep Purple-Song auszeichnen, aber obendrüber rangiert immer der Gesang. Es macht riesigen Spaß mit den Jungs zu arbeiten, und ich bin sehr stolz darauf.

Kannst du bitte mal aufzählen, mit welchem Equipment du das neue Album eingespielt hast?

Die Grundlage ist das gleiche Gear wie bei den Live-Shows. Denn ich setze auch im Studio nicht allzu viele Amps ein, damit die klangliche Homogenität gewährleistet ist. Da gibt es also vor allem meine Engl-Artist-Edition-Tops, sie sind Custom Made, also direkt auf mich zugeschnitten. Allzu viel im Vergleich zum Serienmodell wurde allerdings nicht geändert, nur ein paar Dinge im Mittenbereich. Hinzu kam hier und da ein Vox AC30, aber nur für einige wenige Overdubs. Effektpedale kamen nur sehr wenige zum Einsatz, das meiste überlasse ich der Postproduktion, daher habe ich fast alles trocken eingespielt, mit Ausnahme einiger Digitech-Pedale, wie etwa ein Wah-Wah oder ein Rotary, die besser klingen, wenn man sie vor den Amp schaltet. Andere Effekte wie Reverb oder Delay fügt man besser beim Mix hinzu, denn dann klingen sie klarer und transparenter. An Gitarren habe ich überwiegend auf PRS-Instrumente zurückgegriffen, vor allem natürlich auf mein Signature-Modell mit dem fetten Humbucker-Sound, sowie auf eine Smitty-Custom-Tele, die als Gegenpol untendrunter gemischt wurde. Beide Gitarren zusammen funktionieren einfach prächtig.

PRS Simon McBride Signature
McBrides Ersatz-PRS

Hast du sämtliche Gitarrenparts in deinem eigenen Studio aufgenommen?

Nein. Etwa 40% wurden bereits während der Songwriting-Sessions in Toronto aufgenommen. Zuhause habe ich dann nur noch den Rest ergänzt, ein paar Sachen ausgetauscht und die Overdubs eingespielt. Ich habe einen Two Notes Captor Speaker-Simulator und einen Neural DSP Quad Cortex für ein paar Spezialeffekte eingesetzt, die Grundlage ist jedoch immer meine Gitarre und der Engl-Head.

Das Rack mit den modifizierten ENGL Artist Edition Custom
Die ENGL-Boxen

Hast du dich bei den Soli an Blackmore oder Morse orientiert, oder zumindest Zitate von ihnen eingebaut?

Ich respektiere Ritchie und Steve, sie sind Ikonen des Gitarrenspielens. Aber um ehrlich zu sein: Keiner von beiden war für mich ein großer Einfluss. Ich bin mit Gary Moore, Steve Lukather oder Jimi Hendrix aufgewachsen. Und wie schon gesagt: Wir alle sind Produkte unserer Einflüsse, und weder Steve noch Ritchie gehören in meinem Fall dazu. Ich spiele einfach das, was auf ganz natürliche Weise entsteht.

Sind deine Soli mehr oder minder first takes? Oder wie hast du bei den Leadgitarren gearbeitet?

Bei acht der 13 Songs des neuen Albums sind es tatsächlich first takes. Das Motto lautete: system on, guitars go! Bei manchen Nummern war ein wenig mehr – wie soll ich sagen? – Kreativität gefordert und unser Produzent Bob Ezrin bat mich, drei verschiedene Soli anzuliefern. Diese Songs forderten tatsächlich stärker ausgearbeitete Parts, wie etwa das Solo in ‚Pictures Of You‘, das ich vorher sorgsam vorbereitet hatte. Natürlich hätte ich auch hier einfach eine Shred-Gitarre spielen können, aber das wäre für diesen Song unpassend gewesen. Auch bei den Balladen bat mich Bob um alternative Soli als weitere Optionen für den Endmix, es sei denn ich antwortete: „Nein, besser als diese Version kriege ich es nicht hin!“ Dann akzeptierte er es. Die meisten Soli wurden sowieso schon in Toronto aufgenommen, mit allen Bandmitgliedern im gleichen Raum. Oftmals ist es ja besonders inspirierend, wenn alle Musiker gemeinsam an einem Stück arbeiten.

Letzte Frage: Sind bei den Sessions mehr Songs entstanden als auf dem neuen Album zu finden sind? Falls ja, was geschieht mit dem nicht verwendeten Material? Konkret: Wird es irgendwann ein weiteres Deep-Purple-Album mit dir geben?

Ja, es gab tatsächlich weitaus mehr Stücke als wir aufgenommen haben. Aber die Plattenfirma wünschte eine Scheibe mit 13 Songs, und somit mussten wir irgendwann eine Auswahl treffen. Was mit dem übrigen Material geschieht? Nun, vielleicht werden sie tatsächlich bei einem weiteren Album berücksichtigt, wer weiß das schon? Immer dann, wenn man eine neue Scheibe in Angriff nimmt, wertet man auch ältere Ideen aus, die vorher nicht berücksichtigt wurden. So war es ja auch beim aktuellen Album. Roger hatte ein paar Ideen, die er vor drei Jahren mit Steve aufgenommen hatte, und die wir natürlich getestet haben. Aber sie funktionierten nicht, weil ich nun einmal nicht Steve Morse bin. Ich erinnere mich an meinen Solo-Song ‚Don‘t Dare‘, dessen Grundidee ich 20 Jahre vorher festgehalten hatte, aber nie dazu kam, ihn fertigzustellen. Irgendwann saß ich mit meinem Co-Writer im Studio, spielte ihm das Riff vor, und er hatte sofort eine Vision, wie die Nummer laufen könnte. Ich dachte: „Halleluja, aus dieser alten Idee wird tatsächlich noch mal ein richtiger Song!“ Manche Dinge brauchen halt ihre Zeit und ihre eigene Umgebung.


(erschienen in Gitarre & Bass 08/2024)

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hier stimmt aber etwas nicht. McBride sagt “Black Night” wäre ein Zufallsprodukt gewesen, Hier in diesem Interview erzählt Richie Blackmore dass er das Riff von dem Song “Summertime” von Rick Nelson von 1962 geklaut hat. Das würde ich nicht als Zufall bezeichnen.
    https://www.youtube.com/watch?v=z7r_4CijBWk

    Auf diesen Kommentar antworten
  2. Wieso wird hier mein Kommentar nicht gezeigt?

    Auf diesen Kommentar antworten

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.