(Bild: Dove Shore)
Sie ist eine der erfolgreichsten Rock/Pop-Musikerinnen aller Zeiten − mit Welthits wie ‚All I Wanna Do‘ oder ‚Soak Up The Sun‘, über 50 Millionen verkauften Tonträgern und einem Platz in der Rock‘n‘Roll Hall Of Fame. Trotzdem hat Sheryl Crow 2019 ihren Rückzug aus dem Musikgeschäft erklärt – nur um jetzt, mit ihrem zwölften Album ‚Evolution‘, rückfällig zu werden. Grund genug für ein ausführliches GITARRE-&-BASS-Gespräch mit der 62-Jährigen – in ihrer Wahlheimat Nashville, Tennessee.
Interview
Guten Morgen, Sheryl. In Nashville ist es gerade mal 9 Uhr – wann hat dein Wecker geklingelt, den du auch in deiner aktuellen Single ‚Alarm Clock‘ besingst?
Um 6.15 Uhr – und das jeden Morgen. Es ist für mich ganz normal, und mein Tag ist schon ein paar Stunden alt. Von daher: 9 Uhr ist – für meine Verhältnisse – nicht früh.
Wie hast du Tom Morello für einen Gastauftritt im Titelstück ‚Evolution‘ gewonnen?
Ich habe ihm einfach eine SMS geschickt. (lacht)
Hattest du keine Bedenken, dass sein Spiel vielleicht etwas zu progressiv für deine Musik sein könnte?
Wenn ich so darüber nachdenke, ist das schon eine verrückte Geschichte – aus mehreren Gründen. Zum einen wurden Rage Against The Machine und ich beide letztes Jahr in die Rock‘n‘Roll Hall Of Fame aufgenommen. Und als Mike mich fragte: „Wer soll denn das Solo in dem Song spielen?“, hatte ich zunächst keine Antwort. Also meinte er: „Was hältst du von Tom Morello? Schließlich steht ihr bald zusammen auf einer Bühne.“
Das war die naheliegendste, aber auch umwerfendste Wahl. Ich kenne Tom seit Jahren und niemand geht Musik so an, wie er das tut. Es ist wirklich einmalig – expressiv, unkonventionell und unglaublich mutig. Er hat diesem Stück ein Element verpasst, das etwas Sci-Fimäßiges hat; also wirklich ausgeprägt futuristisch.
Und ich habe bis heute nicht verstanden, wie er das hinbekommen hat – also wie man das überhaupt spielt. Da sind so viele Pedals und Effekte am Start, wie sie nur richtige Gitarren-Cracks einzusetzen wissen. Und da ist er ganz weit vorne. Jedenfalls fand ich es toll, dass er zugesagt und diesem Song etwas derart Spannendes hinzugefügt hat.
Darf man fragen, wie du das live zu reproduzieren gedenkst?
Nun, mein Gitarrist Peter Stroud, der schon seit Jahren mit mir spielt, tickt ähnlich. Er ist ebenfalls ein Gear-Head, der gerne mit irgendwelchen verrückten Sounds aufwartet. Und er ist sehr gut darin, Sachen zu replizieren. Insofern bin ich mir sicher, dass er das irgendwie hinbekommt, und da besonders ehrgeizig ist. Denn natürlich wollen wir nichts machen, wofür Tom oder wir uns schämen müssen. Das ist nicht unsere Absicht.
Selbst, wenn es im Grunde unmöglich ist, die Individualität eines Künstlers authentisch abzubilden. Aber ich bin mir nicht sicher, ob wir das überhaupt wollen. Was wir definitiv wollen, ist seine Genialität und seinen Geist hochleben zu lassen.
Und wenn du selbst zur Gitarre greifst, was spielst du dann?
Na ja, ich habe ein ganzes Studio voller Gitarren. Und jede einzelne von ihnen habe ich gekauft, weil ich beim Spielen das Gefühl hatte: „Was für ein wunderbares Instrument. All die Leute, die es vor mir verwendet haben, sorgten dafür, dass es etwas Spirituelles an sich hat.“
Ich habe zum Beispiel eine 1964 Gibson Country Western, die ich als „little moneymaker“, also meinen „kleinen Goldesel“ bezeichne. Einfach, weil ich das Meiste von meinen frühen Sachen darauf geschrieben habe – also die Songs, mit denen ich richtig Geld verdient habe, sind darauf entstanden. Und ich spiele sie immer noch, weil ich weiß, dass darin nach wie vor gute Songs für mich stecken.
Hat Gibson nicht mal eine Signature-Serie dieses Modells aufgelegt?
Das haben sie. Und es sind wirklich gute Gitarren, die wir auch mit auf Tour nehmen – also im Gegensatz zum Original. Diese Replika sind sogar so gut, dass sie selbst Lenny Kravitz und Jackson Browne verwenden. Gibson hat da einen wirklich tollen Job geleistet.
Wie gehst du beim Schreiben vor?
Ich ziehe mich zurück ins Studio, das sich in einem Nebengebäude auf meinem Anwesen in Nashville befindet, und versuche zunächst einmal einen Groove, also ein bestimmtes Gefühl, zu erzeugen. Dann stelle ich ein Mikrofon auf, greife mir einen Bass und ziehe Jeff Trott an der Gitarre hinzu, um daraus etwas zu entwickeln.
Aber bei diesem Album war es anders: Entweder habe ich zu Hause am Klavier oder hier im Studio geschrieben. Manchmal habe ich mich auch einfach mit „little moneymaker“ auf die Veranda gesetzt und Ideen entwickelt, die ich mit dem Mobiltelefon festgehalten habe.
Dann verwendest du größtenteils akustische Gitarren?
Das stimmt.
Darf man fragen, warum?
Wenn ich mich hinsetze, um an Ideen zu arbeiten, würde es mich zu sehr ablenken, wenn ich zunächst einmal in einen Amp einstöpseln und da alles genau so einstellen müsste, wie ich es gerne hätte. Außerdem wäre ich dann zu sehr auf Sounds fixiert, wenn ich doch viel lieber auf Worte und Melodie achte. Das ist mein Hauptfokus, und da finde ich die akustische Gitarre inspirierender.
Ich möchte mich nicht erst länger mit einem Amp befassen, dessen Klang mir nicht gefällt, oder mit irgendwelchen Pedals herumexperimentieren, bis ich so viel oder so wenig Fuzz habe, wie ich gerade möchte. So etwas in der Art. Für mich ist das Teil des Aufnehmens und Produzierens – das ist das i-Tüpfelchen auf dem Ganzen, und um das kümmere ich mich später.
Zunächst einmal ist es für mich einfacher, ein akustisches Instrument in die Hand zu nehmen und darauf Worte und Melodien zu entwickeln. Danach greife ich gerne auf einen Bass zurück, um Melodien auszuprobieren.
(Bild: Adam McCullough/Shutterstock)
Wann und warum hast du mit dem Bass angefangen?
Das muss etwa 1996 gewesen sein. Der allererste Song, bei dem ich das je probiert habe, war ‚My Favorite Mistake‘ vom Album ‚The Globe Sessions‘. Einfach, weil ich das Gefühl hatte, mit meiner üblichen Vorgehensweise nicht richtig weiter zu kommen. Also habe ich versucht, die Melodie in meinem Kopf einfach mit einem Bass umzusetzen. Das hat funktioniert und für einen wirklich tollen, tiefen Groove gesorgt.
Was mich wiederum davon befreit hat, über Akkorde und Akkordfolgen nachdenken zu müssen. Es war wie ein beflügelnder neuer Ansatz. Deswegen halte ich daran fest. Sobald ich einen Bass-Groove habe und eine Melodie singen kann, ziehe ich Jeff hinzu, der mit den Akkorden aufwartet.
Aber das Entscheidende ist immer die Melodie. Und ganz am Anfang, als ich an dem Instrument noch etwas eingeschränkt war, hatte ich all diese tollen Bassisten, die ins Studio kamen und meine DemoParts für die Album-Produktionen eingespielt haben.
Nur: Mit einigen davon war ich nicht wirklich glücklich, weil ich da ein bestimmtes Gefühl oder eine gewisse Leidenschaft vermisst habe. Oder weil es letztlich nicht so gut in das jeweilige Stück gepasst hat, wie ich mir das vorgestellt habe. Also habe ich doch wieder meinen eigenen Bass hinzugefügt, um das exakt so klingen zu lassen, wie ich es mir ursprünglich vorgestellt hatte.
Demnach bist du zwangsläufig besser an dem Instrument geworden?
Ganz genau. Am wichtigsten ist aber: Je besser ich geworden bin, desto mehr habe ich es geliebt, dieses Instrument zu spielen. Deshalb fing ich irgendwann an, Bass bei meinen Konzerten zu spielen. Denn live – das ist zumindest meine Meinung – muss ja nicht alles absolut perfekt sein. Es ist doch nur Rock‘n‘Roll.
Und ich habe wirklich Spaß dabei, den Bass zu spielen. Vielleicht bin ich mittlerweile sogar ein bisschen besessen von dem Instrument. (lacht) Einfach, weil es mir so leichtgefallen ist, es zu lernen und weil ich spüre, dass ich da immer besser werde. Das ist das Wichtigste: Das Gefühl, dass etwas passiert. Dass man weiterkommt.
Auf was greifst du zurück?
Angefangen habe ich mit einem alten Kay-Bass, der ein bisschen wie ein Kontrabass geklungen hat. Weil er aber sehr schwer zu spielen war, habe ich mir einen 1972 Guild M-85 II zugelegt, einen Solidbody. Damit bin ich überglücklich: Ich mag den Sound, die Form und das Gefühl, das dieses wunderbare Teil vermittelt. Es hat ein wunderbares Sustain im „low end“, was meinem Spiel sehr entgegenkommt. Außerdem habe ich noch einen 1959 Fender Precision Bass – ebenfalls ein großartiges Instrument.
Wer sind deine Vorbilder, wenn es um Bassisten geht?
Oh, es gibt viel tolle Bassisten: Lee Sklar, Jimmy Johnson, Neil Stubenhaus, James Jamerson, Nate Watts, Anthony Jackson oder auch Pino Palladino, der auf meinem Debüt mitgewirkt hat. Die meisten von ihnen habe ich beim Spielen beobachtet und so viel wie möglich davon aufgesaugt. Für mich sind es diese großartigen Musiker, die einen Songwriter tragen – die ihm erst die Möglichkeit geben, richtig zu glänzen.
Und hey, es gibt auch wahnsinnig tolle Bassistinnen – Tal Wilkenfeld, Esperanza Spalding, Gail Anne Dorsey oder Meshell Ndegeocello sind nur einige von ihnen. Nicht, dass ich mich auf eine Stufe mit ihnen stellen würde – aber es gibt sie. Es ist längst keine Männerdomäne mehr.
Benutzt du ein Plektrum oder bist du eine Verfechterin des Fingerpickings?
Ich versuche, all meine Finger einzusetzen. Wobei ich meinen Zeige- und Mittelfinger dazu nutze, um gedämpfte und anhaltende Noten zu spielen. Aber ab und zu nutze ich auch nur meinen Daumen.
Hast du eine tägliche Arbeitsroutine? Zwingst du dich dazu, eine bestimmte Zeit mit Schreiben oder Üben zu verbringen?
Nein, aber ich wünschte, es wäre so. Und ich habe mich tatsächlich jahrelang dazu gezwungen. Nach dem Motto: „Du musst das angehen wie ein Athlet – wenn du jeden Tag trainierst, wirst du besser und besser. Wenn du dich hinsetzt und schreibst, ist es genauso.“ Aber leider funktioniert das in der Musik nicht – zumindest nicht für mich.
Ich habe mich regelrecht dazu gezwungen und mir große Vorwürfe gemacht, wenn ich etwas nicht beenden konnte. Aber irgendwann musste ich halt erkennen: Ich bin nur dann in der Lage, mit einem vollständigen und vor allem richtig guten Song aufzuwarten, wenn ich ein brennendes Verlangen spüre, das zu tun.
Momentan habe ich über 60 Stücke, mit denen ich angefangen habe, und die ich sehr mag, aber längst nicht vollendet habe. Ich hole sie immer mal wieder hervor, höre sie mir an und denke: „Daran muss ich noch ein bisschen feilen.“ Nur: Wenn ich mich intensiver damit beschäftige und sie trotzdem nach ein oder zwei Wochen nicht zu Ende führen kann, wird daraus wahrscheinlich nie etwas richtig Gutes.
Du gehst in diesem Sommer auf Europa-Tournee. Allerdings nicht in Deutschland – was haben wir dir getan?
Ich wüsste selbst gerne, was da schiefgelaufen ist. Ich fürchte, es ist der Agent, der sich in Übersee um Angebote, Ablaufpläne, Hallen und solche Sachen kümmert. Vielleicht hat es aber auch damit zu tun, dass ich in meinen jungen Jahren nicht mehr länger als drei Wochen am Stück unterwegs sein möchte. (lacht) Aber ich hoffe, dass sich bald eine Gelegenheit ergibt, denn Deutschland ist mir wichtig.
Ich habe in den letzten 30 Jahren, in denen ich das Land besucht habe, tolle Erfahrungen gemacht. Ich habe miterlebt, wie es sich verändert hat. Und es war immer ein sehr inspirierender Ort, an den ich tolle Erinnerungen habe. Etwa in Hamburg mit den Rolling Stones zu spielen und in West-Berlin – vor dem Mauerfall – mit Michael Jackson zu singen.
Oder auch mein erster Solo-Auftritt im ehemaligen Ost-Berlin bzw. einfach nur durch den Kölner Dom zu laufen. Eben als junge Künstlerin, die noch nichts von der Welt gesehen hatte – es war Wahnsinn, von all den Eindrücken und dieser Geschichte überwältigt zu werden. Insofern: Ich will unbedingt wieder an diesen Orten auftreten, die ich in der Vergangenheit kennen und lieben gelernt habe. Es ist nur eine Frage der Zeit.
(erschienen in Gitarre & Bass 10/2024)