(Bild: Jackes Douglas)
Der E-Bass hat in seiner vergleichsweise kurzen Geschichte eine atemberaubende Entwicklung durchlaufen. War der Fender Precision Bass zunächst nur eine kompakte, laute und intonationssichere Alternative zum Kontrabass, emanzipierte sich der E-Bass durch die Einführung von ungeschliffenen Saiten, durch aktive Elektronik und innovative Musiker bald von seinem Ursprung aus der Welt der Geigen. Spieltechniken wie Slapping, Tapping, Double Thumbing und Plektrum erweiterten das Repertoire enorm.
Anthony Jackson stellte mit dem von ihm erfundenen Sechssaiter ein in Tonumfang wie Größe neues Instrument vor, das vor allem durch John Patitucci, dem Bassisten von Chick Coreas Elektric Band ab Mitte der 80er-Jahre populär wurde und die Welt im Sturm eroberte. Der brasilianische Bassist Filipe Moreno fügt dem Universum der Virtuosen auf dem Sechssaiter noch einen hellen Fixstern hinzu. Mit einer ganz eigenen Anschlagstechnik, die den Daumen und alle vier anderen Finger der rechten Hand einsetzt, spielt er polyphone Solo-Stücke, in denen er Melodien, Akkorde und Bass-Linien in spektakulärer Weise kombiniert. Kein Wunder also, dass der legendäre US-Bassist Lee Sklar sein vielleicht populärster Fan wurde.
INTERVIEW
Filipe, du hast schon mit fünf Jahren mit dem Piano angefangen, und der E-Bass folgte, als du dreizehn warst. Kannst du dich an deinen ersten E-Bass erinnern, den dir, soweit ich weiß, dein Vater geschenkt hat?
Klar, mein erster Bass war ein aktiver Ibanez-Fünfsaiter. Mir wurde schnell bewusst, welch enorme Wirkung die ultratiefen Frequenzen in der Musik haben können.
Wann bekamst du deinen ersten Sechssaiter? Und stimmst du deine Instrumente in Standard-Tuning?
Da war ich 19. M Laghus baute für mich ein Instrument nach meinen Wünschen. Ich stimme meine Bässe immer im Standard-Tuning, also mit tiefer H- und hoher C-Saite. Dieses Tuning lässt meine Musik so entstehen, wie ich sie innerlich höre. Wenn ich daran etwas ändern würde, wäre der Zauber des Instruments verschwunden.
Du spielst den Sechssaiter in einer gitarristisch anmutenden Art und Weise. Wie hast du deine phänomenalen harmonischen Kenntnisse und dein reiches Repertoire an Chord-Voicings entwickelt?
Meine Art zu spielen war nie ein Versuch, wie eine Gitarre zu klingen. Vielmehr basiert sie auf Klangwolken, Orchestern, Frequenzen und melodischen Pfaden, die nach dem tiefen musikalischen Ausdruck suchen. Vielleicht kommt von allen Instrumenten das Klavier meinem musikalischen Denken am nächsten. Ich komme aus einer Musiker-Familie, und ich hörte immer meinen Eltern zu, die komplexe und gute Musik spielten und hörten. Mein Ohr wurde so geschult, verschiedene Frequenzen zu kombinieren, um Kompositionen, Akkorde, Melodien und Arrangements zu entwickeln.
Ich habe einige sehr gute Transkriptionen deiner Musik gefunden, die du offensichtlich selbst geschrieben hast. Schreibst du deine Musik schon beim Komponieren auf, oder entwickelst du diese am Instrument und notierst sie später?
Meine Kompositionen entstehen in meinem Kopf, dann spiele ich sie auf dem Instrument, um die Dynamik, die Frequenzen und Lagen zu spüren und zu verstehen. Erst danach notiere ich die Musik aus.
Du bist Fodera-Endorser, und die Firma baute dir einen Bass nach deinen spezifischen Wünschen und Vorgaben. Kannst du beschreiben, welche Eigenschaften dein Traum-Bass haben muss? Dein Fodera z. B. hat 24 Bünde und keine Bundmarkierungen auf dem Griffbrett.
Mein Traum-Instrument soll so natürlich wie möglich und durch den gesamten Tonumfang hindurch in allen Frequenzen und Tönen ausgeglichen klingen. Der Bass muss leicht bespielbar sein und dabei Spielfreude vermitteln. Mein Favorit ist der Sechssaiter mit 24 Bünden.
Wie kam der Kontakt zu Fodera zustande?
Ich schickte ihnen ein E-Mail mit einigen Videos von mir, und eine meiner Platten. Die Antwort kam prompt, und sie waren sehr hilfsbereit. Ich bin sehr glücklich über unsere Partnerschaft.
(Bild: Rafaela Pessoa)
Dein Fokus scheint vor allem auf das Spiel von Solo-Stücken auf dem Bass gerichtet zu sein. Aber die traditionelle Rolle des Basses interessiert dich schon auch?
Ich liebe die Freiheit, zu komponieren und zu spielen, und meine Kompositionen und Arrangements auf Sechs-Saitern sind die authentische Manifestation meiner Kunst. Aber ich liebe es auch, den Bass auf traditionelle Art zu spielen. Die ist auch auf meinen eigenen Platten und auf tausenden von Aufnahmen zu hören, für die ich als Sideman eingeladen wurde. Meine Art, Solo-Stücke auf dem Bass zu spielen, ist das eine. Wenn ich aber in einer Band spiele, muss ich mein Spiel so anpassen, dass es der Musik am besten dient.
Ich habe auf YouTube eine Aufnahme deines Trios mit dem Keyboarder Sam Watts und dem Schlagzeuger Marius Rodrigues angehört („Filipe Moreno Trio At Ninety One Living Room“). Auch da ist deine Interpretation der Bassisten-Rolle sehr solistisch geprägt. Du spielst das Thema, solierst und baust eine Menge Akkorde ein. Gibt es auch Videos oder Aufnahmen, die dich in einer eher traditionellen Rolle zeigen?
Im Filipe Moreno Trio ist das Ziel, von allem, was ich musikalisch mache, ein wenig zu zeigen. Oft denke ich beim Komponieren eines Themas an die Besetzung. Ich übernehme das Thema nur dann selbst, wenn es wirklich gut klingt. Bei anderen Stücken übernimmt das Piano das Thema, manchmal teilen wir es auch auf. Ich glaube, es gibt auf YouTube kein Video, das mich nur in der klassischen Bassisten-Rolle zeigt. Es gibt aber Audios meiner Platten mit Stücken, wo ich wie ein Sideman agiere.
Hast du andere Bassisten ausgecheckt? Und kannst du uns einige nennen, die für dich besonders wichtig waren?
Ja, ich habe andere Bassisten studiert. Da muss ich folgende Namen nennen: Luciano Calazans, Ivan Bastos, Gigi Cerqueira, Nico Assumpção, Ney Conceição, Sizão Machado. Meine Liste ist noch viel größer, aber diesen Musikern habe ich besonders intensiv zugehört.
Lee Sklar ist ein sehr prominenter Fan deiner Musik. Erzähl uns doch, wie es dazu kam?
Wir kennen uns nicht persönlich. Er sah ein Video von mir, das mich noch als Kind zeigte. Er wünschte mir viel Glück für meine Karriere, und sein Lob bestärkte mich in meiner Musik, die ich produzierte. Das war für mich natürlich wunderbar, aber wir haben seither keinen Kontakt mehr.
Der deutsche Bassbauer Jens Schönitz hat dir einen sechssaitigen Akustikbass gebaut, der dir offensichtlich sehr gefällt. Du hast in letzter Zeit einige YouTube-Videos veröffentlicht, in denen du Kompositionen von dir auf diesem Bass spielst. Wie habt ihr euch kennengelernt, und was fasziniert dich so an diesem wirklich einzigartigen Instrument?
Ja, das stimmt, und der Bass macht mich glücklich. Ich träumte schon immer davon, einen akustischen Bass zu spielen, der leicht ist und trotzdem einen konkret ortbaren und ausbalancierten Ton durch alle Lagen hindurch produziert. Allerdings glaubte ich nicht wirklich daran, dass ein solches Instrument überhaupt existierte. 2019 aber entdeckte ich Videos, die den Bass zeigten, und ich war total erstaunt und erfreut, dass es so einen Bass, wie ich ihn mir in meinen kühnsten Träumen vorgestellt hatte, tatsächlich gab.
Ich suchte also nach der Website von Jens, um mit ihm in Verbindung zu treten und mehr zu erfahren. Jens war extrem aufmerksam und hilfsbereit und stellte mir einen seiner Bässe zur Verfügung. Ich liebe die Bässe von Jens Schönitz, sie sind in ästhetischer wie klanglicher Hinsicht absolute Meisterwerke. Das erkennt man an dem total ausgewogenen Klang und in jedem baulichen Detail. Dieses Instrument eröffnet mir ungeahnte musikalische Möglichkeiten, die ich noch längst nicht alle entdeckt und erforscht habe, weil es in seinem Klang komplett eigenständig und mit nichts anderem vergleichbar ist.
(erschienen in Gitarre & Bass 04/2022)