Ein Album noch mit anschließender Tour, dann war Schluss. Mit ,Dissociation‘ brachten The Dillinger Escape Plan 2016 ihr finales Album raus und verwüsteten noch ein letztes Mal die Stereoanlagen dieser Welt. Grund genug, zurückzublicken und sich ihr Meilenstein-Album ,Miss Machine‘ noch mal genauer anzuhören.
Wer zu einem Konzert von The Dillinger Escape Plan geht, muss damit rechnen, dass es rau wird. Da springt Sänger Greg Puciato schon mal mit blutüberströmtem Gesicht aus fünf Metern Höhe ins Publikum, Gitarrist Ben Weinman hängt kopfüber unter der Hallendecke und gegen Ende der Show wird das Schlagzeug in bester The-Who-Manier über die Bühne verteilt. Platzwunden und Knochenbrüche sind den Band-Mitgliedern bei dieser Bühnen- Show weiß Gott nicht unbekannt. Alles nur Show und Blendung? Weit gefehlt. Die Musik hat unfassbar viel Substanz.
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Miss Machine
Obwohl die Band bis dahin bereits eine handvoll Alben und EPs veröffentlicht hatte, markiert das 2004 erschienene ,Miss Machine‘ zweifelsohne den bis dato wichtigsten Punkt in der Karriere der Jungs um Mastermind Ben Weinman. Zum einen war es das erste Album mit Sänger Greg Puciato, welcher mit seiner enorm vielseitigen Stimme die Songs prägte, zum anderen schaffte es die Band erstmals – mit Hilfe von Produzent Steve Evetts – ihren Stil wirklich zu definieren und alle Elemente der vorherigen Alben zu vereinen. Bis heute ist ,Miss Machine‘ für unzählige Mathcore/Extreme-Metal-Bands eine unersetzliche Inspirationsquelle, wenn es um wütende, chaotische und trotzdem spannend arrangierte Song-Strukturen geht. ,Miss Machine‘ ist ein von vorne bis hinten extrem durchdachtes und absolut klug arrangiertes Album geworden – es braucht nur ein wenig Geduld und Zeit, um sich diese unkonventionellen Strukturen zu erschließen.
Im Jahre 2004 jedenfalls, sorgte dieses Album für reichlich Gesprächsstoff in den diversen Musikmagazinen – so etwas gab es in dieser Form bis dato einfach noch nicht. Sicher hatten Bands wie Converge, Botch oder auch Coalesce den Weg für chaotische Musik und unkonventionelle Song-Strukturen bereits geebnet – The Dillinger Escape Plan hoben diese Herangehensweise auf ,Miss Machine‘ jedoch auf ein völlig neues Niveau. Schon der erste Song ,Panasonic Youth‘ ist ein dermaßen harter Schuss vor den Bug, dass ich mich gut erinnern kann, wie ich damals beim ersten Hören, schmerzhaft das Gesicht verzog. Nahezu unüberwindbar scheint die Härte und die fast schon spastisch wirkende Rhythmik des Songs.
Das Martyrium nimmt auch im zweiten Stück ,Sunshine The Werewolf‘ zunächst kein Ende, bis dann nach dem ersten Drittel des Songs endlich die Erlösung in Form einer ruhigen und getragenen Passage eintritt. Lange lassen sich die Jungs aber nicht bitten und ziehen schnell wieder die Intensität an um den Song dann im hinteren Teil vollkommen explodieren zu lassen. Da schreit Puciato, als ginge es um sein Leben und auf einmal mischen sich Bläser und Streicher unter das ohnehin schon gewaltig klingende Sound-Konstrukt. Spätestens hier dürfte einem klar sein, dass diese Band im Prinzip vollkommen unberechenbar ist. Ob nun diverse Faith-No-More-Anleihen wie beispielsweise in ,Highway Robbery‘, das brutal straighte ,Van Damsel‘, oder das ab der Hälfte ins fragil-gespenstisch kippende ,We Are The Storm‘ – The Dillinger Escape Plan wüten sich mit einer Leichtigkeit durch die verschiedenen Musikgenres, die fast schon beängstigend ist.
Ob es sich dabei um Frank-Zappa-Zitate, smoothe Jazz-Parts oder wüstes Power- Violence-Geknüppel handelt, scheint die Band nicht im Geringsten zu interessieren. Besonders hervorheben möchte ich die zwei Überraschungs-Songs dieses Albums. Da wäre zum einen das unglaublich nach vorne stürmende ,Setting Fire To Sleeping Giants‘, welches bis heute mühelos die Tanzflächen jeder Alternative-Disco in ein Schlachtfeld verwandelt. Hier treffen fast schon ironisch anmutende Orgel-Sounds auf einen Refrain, wie ihn Billy Talent nicht schöner hätten schreiben können. Die zweite große Überraschung stellt das stark Nine-Inch-Nails-inspirierte ,Unretrofied‘ dar. Hier zeigt die Band zum einen, dass sie auch gegenüber elektronischen Sound-Experimenten absolut aufgeschlossen ist, zum anderen spielt Greg Puciato das volle Potenzial seiner Stimme aus und liefert einen herrlich schmachtenden Refrain, der vor Emotionen nur so strotzt und Faith-No-More-Sänger Mike Patton vor Stolz die Tränen in die Augen getrieben haben dürfte. Ganz großes Kino!
Produzent Steve Evetts – welcher die Band noch zehn Jahre begleiten sollte – schaffte es im Übrigen, eine zeitlose aber trotzdem unfassbar aggressiv und kraftvoll klingende Produktion zu liefern, welche den vielen musikalischen Facetten absolut Rechnung trägt. Schlussendlich bleibt ,Miss Machine‘ ein Album, das aus der Geschichte und Entwicklung des extremen Metal & Hardcore nicht mehr wegzudenken ist.