Im Interview

Rune Eriksen & Vltimas: Geschmackvoll extrem

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(Bild: Mara D'Eleán)

Rune „Blasphemer“ Eriksen war von 1994 bis 2008 als Gitarrist der skandalträchtigen norwegischen Black-Metal-Pioniere Mayhem auf einigen der extremsten Alben aller Zeiten zu hören und ist seitdem kaum zahmer, sondern nur noch versierter im Ausloten musikalischer Grenzen geworden.

Um seine Thrash-Band Aura Noir ist es in letzter Zeit ruhiger geworden, dafür veröffentlichte der 49-Jährige im vergangenen Jahr das Debüt seines avantgardistischen Soloprojekts Ruïm und brachte jüngst die zweite LP von Vltimas an den Start, wo er mit dem früheren Morbid-Angel-Frontmann David Vincent zusammenarbeitet. Im Gespräch entpuppt sich der Wahlportugiese als das genaue Gegenteil seiner Musik – umgänglich, positiv – und gibt Einblicke in sowohl seinen Schaffensprozess als auch sein künstlerisches Selbstverständnis.

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Rune, du hast schon früh mit dem Gitarrenspiel angefangen, erzähl mal.

Wenn man so will, ist mein Vater schuld. Er spielte Ende der 1970er, Anfang der 1980er in einer The-Shadows-Coverband und diente mir gewissermaßen als Vorbild. Ich wurde aber nicht gezwungen, ein Instrument zu erlernen. Die Gitarre war eben immer im Haus, also habe ich mich schon als kleiner Junge daran versucht. Wichtig für meinen späteren Werdegang war aber auch meine ältere Schwester, deren Freunde härtere Musik hörten und mich sozusagen einweihten.

Erinnerst du dich noch an deine erste eigene Gitarre?

Ich spielte recht lange auf der akustischen Gitarre meines Vaters und bekam schließlich eine elektrische zu Weihnachten, als ich zehn oder elf war. Es handelte sich um eine schwarze Marlin.

Du meinst die günstigen Strat-Kopien von Hohner?

Ja, und ich hatte einen winzigen Boss-Verstärker mit zehn oder 15 Watt Leistung, der furchtbar klang – den hätten Darkthrone glatt für die Aufnahmen ihrer frühen Alben verwenden können. Wenn ich mich richtig erinnere, war ‚Creeping Death‘ von Metallica der erste Song, den ich spielen konnte.

Hattest du Unterricht, oder bist du Autodidakt?

Ich habe mir alles selbst beigebracht und nicht einmal Literatur dazu verwendet. Mein Vater hat mir ein paar Ratschläge gegeben, aber ansonsten habe ich auf eigene Faust versucht, mir einen Reim auf alles zu machen. Das hat mir auch sicherlich dabei geholfen, meinen eigenen Stil zu finden. Aus diesem Grund wirkt mein Spiel wohl ziemlich verrückt auf manche gelernte Musiker.

Von Metallica zu Mayhem ist es ein weiter Weg, und anders als jüngere Extrem-Metal-Bands konntet ihr euch schwerlich an Vorbildern orientieren, weil es noch keine gab. Wie kam es, dass in Skandinavien ab Ende der 1980er so viel innovative wie brutale Musik entstand?

Ich kann nur für mich sprechen, doch vielleicht ging es damals vielen Heranwachsenden so. In dem kleinen Dorf, aus dem ich stamme, gab es nur zwei, drei Jugendliche, die Metal hörten, und sie waren ungefähr fünf Jahre älter als ich. Man hing also gemeinsam herum und entdeckte diese Musik. Dann wollte man den Bands nacheifern, einfach weil man sonst nichts zu tun hatte. Langeweile spielte eine große Rolle dabei – und natürlich der Antrieb, immer härteres Zeug zu hören und selbst zu spielen.

Hattest du seinerzeit Gitarrenhelden, zu denen du aufgeschaut hast?

Nicht direkt, und mittlerweile höre ich richtig derben Metal selten bis gar nicht mehr, weil ich sehr breite musikalische Interessen habe. Wenn, dann ist es alter Kram wie Black Sabbath, insbesondere die Tony-Martin-Ära. Da mich meine Schwester und ihre Freunde mit zu allen Konzerten in Oslo nahmen, sah ich Motörhead, Judas Priest auf ihrer ‚Turbo‘-Tour, Iron Maiden zur Zeit von ‚Somewhere In Time‘, Dio mit ‚Sacred Heart‘ oder auch Mötley Crüe. Das war ein Riesenglück und logischerweise sehr einflussreich.

Heute sagen mir Leute, dass viel klassischer Metal in meinen Kompositionen steckt, und meine Solos würden sie an Ace Frehley von Kiss erinnern, was durchaus Sinn ergibt, weil ich auch ein großer Fan der Band bin. Im Wesentlichen sind meine Riffs der Soundtrack zu meinem Leben, aber um zwei Namen zu nennen: Gary Moore und Michael Schenker. Traditionelles Hardrock-Songwriting ist auch etwas, wozu mich David Vincent bei der Arbeit am neuen Vltimas Album ‚Epic‘ ermutigt hat.

Was bist du also in erster Linie, Gitarrist oder Komponist?

Ich würde schon sagen, dass ich eher letzteres bin, weil ich immer das große Ganze im Blick habe und gerne das perfekte Frankensteins Monster schaffen würde, einfach lebendige Musik. Das war immer mein Ziel.

Wie hast du dir das rasante Tremolo-Picking angeeignet, das im Black Metal unerlässlich ist.

Das ist wirklich harte Arbeit, denn du brauchst Ausdauer und musst selbstverständlich sauber spielen – das ist auch bei hohem Tempo entscheidend. Es gibt dafür eigentlich keine konkrete Methode, man muss einfach viel Zeit investieren. Ich habe als Jugendlicher wie verrückt geübt und konnte bald ganze Alben von vorne bis hinten durchspielen, etwa Sepulturas ‚Beneath the Remains‘.

Der Sage nach hat Snorre Ruch von Thorns die andere Black-Metal-typische Spielweise „erfunden“, bei der Akkorde über alle oder fast alle Saiten gegriffen und angeschlagen werden, wie siehst du das?

Ich denke, auch wenn er in mancher Hinsicht ein Vorreiter war, kamen dabei viele Faktoren zusammen, die diese neuen Techniken notwendig machten. Zum Beispiel musste man als Gitarrist mit den wahnsinnig schnellen Drums mithalten, und so hat sich das vermutlich alles gegenseitig hochgeschaukelt. Einige wenige haben es vorgemacht, anschließend wurde es von etlichen Bands aufgegriffen. Das an einer Person festzumachen wäre unsinnig, genauso wenig kann man die Wurzeln des Heavy Metal bei einer einzigen Band finden.

Findest du es eigentlich widersprüchlich, dass ein ursprünglich so radikales und gegen alles gerichtetes Genre wie Black Metal in einer Musikfachzeitschrift stattfindet?

Ach, ich weiß nicht, seit den Anfängen sind mehr als 30 Jahre vergangen, und Menschen, die sich aufrichtig für Musik interessieren, wissen schon lange, dass extremer Metal viel mehr ist als Krach. Natürlich hat sich alles aus dem Underground herausbewegt und Anerkennung auf breiter Ebene gefunden, niemand fürchtet sich mehr vor schwarzweiß geschminkten Bands. Man kann den Fortschritt nicht aufhalten, und sowieso wird alles immer krasser, wenn du etwa auch an Horrorfilme denkst, deren heutige Brutalität früher unvorstellbar gewesen wäre.

Liegt es auch daran, dass du dich kaum mehr mit zeitgenössischen Bands beschäftigst?

Auf die 1980er lasse ich nichts kommen, doch heute scheint es vielen eher darum zu gehen, möglichst kompliziertes und virtuoses Zeug zu spielen, wobei leider das Songwriting auf der Strecke bleibt. Alles klingt perfekt, hat aber keine Seele, darum habe ich den Progressive Rock der 1970er für mich wiederentdeckt. Das sind zwar auch vertrackte Strukturen und Spitzeninstrumentalisten, allerdings geschah bei diesen Bands nichts zum Selbstzweck, es ging immer um große Melodien und den Song an sich.

Rune live mit Vltimas und seiner E-II Eclipse DB VB. (Bild: Stolpe)

Du hast schon angesprochen, dass die neue Vltimas Songorientierter ausgefallen ist. ‚Epic‘ klingt ausgesprochen organisch; wie gelingt einem das, wenn die Mitglieder auf der Welt verstreut leben?

Alles beginnt bei mir, und ich darf mich glücklich schätzen, eine regelrechte Riff-Fabrik zu sein – mir gehen die Ideen nie aus. Ich schicke sie David und unserem Drummer Flo Mounier, denen das Meiste auch gefällt, und so sammeln wir einfach. Schließlich fliegen wir nach Texas zu David und arbeiten die Sachen in seinem Studio aus. Das geschieht ganz traditionell beim Jammen – wir starten mit einem Riff und schauen, wo es uns hinführt.

Das Feeling, das entsteht, wenn man gemeinsam in einem Raum ist, lässt sich durch nichts ersetzen, und ich bin froh, dass die anderen beiden ein gutes Händchen für Arrangements haben – das ergibt zusammen mit meinem Einfallsreichtum eine ideale Kombination. Nur wenn ich Gitarrenspuren aufnehme, schmeiße ich alle raus, dazu muss ich ganz allein sein.

Wird dabei noch viel improvisiert, oder sind die Tracks mehr oder weniger in Stein gemeißelt?

Wir improvisieren viel. Die Strukturen stehen grob fest, doch das, was beim Einspielen spontan entsteht, macht den eigentlichen Zauber aus.

Wenn du Ideen sammelst, programmierst du provisorische Drums dazu?

Ich lasse alles offen und füge höchstens eine Snare zur Orientierung hinzu. Auf ‚Epic‘ spielt Flo sowieso geradliniger als auf unserem ersten Album ‚Something Wicked Marches In‘.

Dein Soloprojekt Ruïm ist im Gegensatz dazu beinahe avantgardistisch. Wie gehst du dort im Vergleich zu Vltimas vor?

Ruïm hat eine ganz andere Energie. Ich setze mich dazu an den Computer, aktiviere in Cubase die Aufnahme und spiele einfach drauflos, was auch schon mal mitten in der Nacht passieren kann, wenn mir etwas im Bett einfällt, das ich nicht vergessen will. Würde ich diese Tracks Flo geben, käme etwas klar Strukturiertes heraus, weil er wie gesagt ein besonderes Talent dafür hat.

In diesem Fall arbeite ich allerdings mit dem französischen Drummer César Vesvre, der erst 27 und besessen vom Black Metal der alten Schule ist. Er verleiht dem Material etwas Manisches, Chaotisches. Ich sehe mich generell als Medium, durch das die Musik fließen kann, und bei Ruïm ist es ein bisschen wie mit einem Fischernetz: Du wirfst es aus, und wenn du es wieder einholst, hat sich alles Mögliche darin verfangen.

Verwendest du unterschiedliche Stimmungen?

Bei Vltimas gehen wir einen Halbton tiefer, bei Ruïm einen Ganzton, sonst nichts.

Alle Amp-Sounds und Effekte kommen von einem Fractal Audio AX8, als Sender kommt ein Line 6 Relay G50 zum Einsatz (Bild: Stolpe)

Wie hat sich dein Equipment mit der Zeit verändert? Früher sah man dich mit Ibanez-Gitarren.

Ich bin jetzt schon relativ lange ESP-Endorser und glücklich mit ihren Instrumenten, der Eclipsed und der V. An Verstärkern kommen in den letzten Jahren vor allem ein Marshall JMP und ein Diezel VH4 zum Einsatz, live greife ich auf Modeller von Fractal Audio zurück. Das hat sich bewährt und ist einfach praktisch, weil man sich damit unabhängig von den unterschiedlichen Bedingungen in den jeweiligen Clubs macht. Dennoch bin ich der Meinung, dass das Setup klanglich nicht an einen echten Amp mit Boxen heranreicht.

Das Marshall JCM-900-Topteil mit zugehöriger Box dient nur als Röhrenendstufe für das Fractal Audio AX8. (Bild: Stolpe)

Hast du irgendwelche Vorlieben, was Saiten angeht?

Ernie Ball habe ich oft im Studio benutzt, am liebsten sind mir aber 009er-Saiten von D’Addario.

Zum Abschluss würde ich noch gerne wissen, inwieweit sich dein Umzug von Norwegen nach Portugal auf deine Musik ausgewirkt hat?

Ich halte nicht viel von der klischeehaften Vorstellung, Künstler müssten leiden, um etwas Großes zu vollbringen. Im Allgemeinen schreibe ich die beste Musik, wenn ich mich wohlfühle. Ich lebe bereits seit 20 Jahren in Portugal und bin insgesamt ein glücklicherer Mensch. Daher glaube ich nicht, dass ich je wieder nach Norwegen ziehen werde, denn dieses Land bringt mich einfach schlecht drauf, nicht nur weil es dort sehr kalt werden kann.

Danke für das nette Gespräch.

(erschienen in Gitarre & Bass 05/2024)

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