1974 erschien mit ,Irish Tour‘ das sechste Solo-Album des Blues-Rockers Rory Gallagher. Der Sänger & Gitarrist spielte hierauf vor seinen Landsleuten, im geteilten Irland sicher eine besondere Situation: Denn Gallagher, der in Ballyshannon, nahe der nordirischen Grenze, geboren wurde, trat nicht nur in der Republik Irland auf, sondern auch im zum Vereinigten Königreich Großbritannien gehörenden Nordirland.
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Die Mitschnitte stammen von verschiedenen Konzerten aus den Städten Belfast (Ulster Hall), Dublin (Carlton Cinema) und Cork (City Hall). Der kurzen Ansage im breiten irischen Akzent „And now, ladies and gentleman: Rory Gallagher“ folgt tosender Applaus. Dann stimmt der Chef noch mal schnell seine Stratocaster, und los geht’s mit einem knackigen Gitarrensolo, das überleitet zu ,Cradle Rock‘. Gallagher, Gerry McAvoy (b), Rod de’Ath (dr) und Lou Martin (kb) rocken deftig nach vorne.
Beeindruckend, was für ein virtuoses Slide-Solo Rory gleich zu Konzertbeginn abfeuert. Mit ,I Wonder Who‘ folgt eine langsamere Blues-Nummer von Muddy Waters, und hier spielt Gallagher unglaublich dynamisch mit einem ausgeprägten Fingervibrato, wechselt spannend zwischen lauten und leiseren LeadParts. Die beiden Eröffnungsnummern geben die weitere stilistische Richtung des Albums zwischen Blues und Rock vor, wobei die Songs insgesamt so etwas wie eine Live-Best-OfCompilation darstellen. Mit zahlreichen Höhepunkten, wie Tony Joe Whites ,As The Crow Flies‘, das solo nur auf der Akustischen (teilweise mit Bottleneck) mit Harp-Einlagen interpretiert wird. Sehr beeindruckend, was für eine brillante Fingerstyle-Technik gepaart mit Intensität Mr. Gallagher an den Tag legte.
An dieser Stelle wird auch der lebendige Gesamt-Sound des Albums deutlich. Plastisch ist jeder Ton abgebildet, zugleich wirkt alles organisch, so als stünde man 10 Meter von der Bühne weg (wobei hier angemerkt werden muss, dass dieser Artikel unter dem Eindruck der digital remasterten Version von 1998 entstand). Schließlich steuert die Scheibe ihrem Höhepunkt entgegen: Das epische ,A Million Miles Away‘ ist ein für die 70er-Jahre typischer Rock-Song. Beeindruckend sind hier diverse Trademark-Licks von Rory, vor allem die mit der Anschlaghand erzeugten Obertöne (engl.: Pinch Harmonics). Rory holte aus seiner bereits damals runtergerockten und ehemals sunburst lackierten ’61er Fender Strat viele Nuancen und sehr plastische Töne heraus. Dieses Instrument, von dem auch ein „Rory Gallagher Tribute“- Modell existiert, ist unter Strat-Fans legendär; daneben hat Rory u. a. auch eine Silvertone eingesetzt.
In seiner Vorgänger-Band Taste (s. G&B 04/2003) verstärkte er mit einem VoxAC30, vor den er einen Dallas Rangemaster Treble Booster schaltete. Mitte der 70er kamen dann Fender-Amps (u. a. die Modelle Bassman oder Twin) in Kombination mit einem Hawk-Booster zum Einsatz (das Pedal wurde mittlerweile wieder neu aufgelegt, www.flynnamps.co.uk/hawk.html). Letztlich spiegelt sich auch in der Wahl des Equipments die Bodenständigkeit Gallaghers wieder, die seine Fans an ihm schätzten. Das Album-Cover fasst es zusammen: lange Haare, Koteletten, Jeans-Jacke, rot kariertes Hemd und die Strat im Anschlag – dies war alles typisch für ihn. Er war ein Star auf der grünen Insel, gab sich aber immer geerdet, was sich auch zeigte, als er 1975 ein Angebot der Rolling Stones ablehnte, die damals nach einem Ersatz für Mick Taylor suchten.
Eine gute Entscheidung, denn Gallaghers virtuose Spielweise und sein eigenständiges Songwriting waren und sind für Classic-Rock-Fans ein Leckerbissen. ,Irish Tour‘ zählt zu den großen Live-Alben der 70er-Jahre, der Intensität der Aufnahmen kann man sich auch 35 Jahre später kaum entziehen. Die Eingespieltheit der Band war zu jener Zeit hervorragend, was sich im fast elfminütigen ,Walk On Hot Coals‘ zeigt, wie auch an daran, dass der einzige nicht echte Live-Mitschnitt ,Back On My Stompin’ Ground (After Hours)‘ während einer Jam-Session der laufenden Tour entstand – quasi nebenbei.
Seine letzten Auftritte spielte Gallagher 1995 in den Niederlanden. Aufgrund von Krankheit musste er die Tour abbrechen und sich einer Lebertransplantation unterziehen. Nach Komplikationen infolge des Eingriffs starb Rory Gallagher am 14 Juni des Jahres in London im Alter von 47 Jahren.