Im Interview

Robert Smith & The Cure: Der Verkannte

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(Bild: Universal Music)

Mastermind Robert Smith ist einer der einflussreichsten Sänger, Gitarristen und Songwriter unserer Zeit – davon zeugen eine fast 50jährige Karriere, zig Welttourneen sowie 14 Studio-Alben. ‚Songs Of A Lost World‘, das neuste und erste seit 16 Jahren, ist sogar ein globaler Bestseller, der Platz 1 der Charts in Deutschland, Großbritannien und den USA belegt. Trotzdem werden Smith und seine Mitstreiter immer nur auf ihr Düsterimage sowie handelsübliche Gothic-Klischees reduziert. Ein törichter Fehler: Der Mann mit der zerzausten Strubbelfrisur ist ein verkanntes Genie. Das beweist er auch im Interview.

Interview

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Robert, auf dem Papier war das Album fast 16 Jahre in Arbeit – wie lange hast du tatsächlich daran gebastelt?

Da muss ich ein bisschen weiter ausholen: Als Band haben wir uns über Jahrzehnte hinweg in diesem Hamsterrad aus Albumproduktionen und Tournee bewegt. Einfach, weil wir das Gefühl hatten: Das muss halt so sein, weil es das ist, was Bands tun. Aber in diesem Fall gab es keinen offiziellen Termin, an dem wir mit dem Album angefangen hätten, sondern es war eher eine Sache, die ich fürchterlich lange mit mir herumgetragen habe. Was nicht bedeutet, dass ich irgendetwas bedaure – außer dass ich mich schon 2019 dazu geäußert habe, was ich nie hätte tun dürfen.

Denn: Damals hatten wir gerade erst mit den Aufnahmen begonnen. Und das nicht zum ersten Mal. In den letzten 16 Jahren gab es mehrere Momente, in denen ich dachte: Wir sind so weit – gehen wir es an. Aber es ist immer etwas dazwischen gekommen – und das Ganze wurde wieder zurückgestellt. Letztlich lief es nur darauf hinaus, endlich den ersten Song, also den Startpunkt, zu haben. Denn bei uns ist es immer so: Wenn ich den Opener und den letzten Song, also das Ende, habe, ist das Album im Grunde halbwegs fertig. Diese beiden Fixpunkte muss ich dann nur noch verbinden. Und die hatte ich 2019.

Da war mir klar: Wir machen definitiv ein neues Album. 2016/2017 hatte ich das 40. Jubiläum der Band vorbereitet und gedacht, dass ein neues Album prima dazu passen würde. Doch dann ist wieder etwas dazwischen gekommen. Wobei ich im Nachhinein sagen muss, dass das wahrscheinlich auch gut so war, denn die Songs, die wir 2017 aufgenommen hätten, sind nicht dieselben, die wir 2019 eingespielt haben. Von daher … eine verdammt lange Antwort.

Wie unterscheidet sich das Material von 2017 und 2019?

2017 dachte ich halt an unser 40. Jubiläum – und den 40. Geburtstag unseres ersten Albums. Von daher war die Idee, etwas zu machen, das uns als Band zusammenfasst, und wie wir uns über die Jahre entwickelt haben. Ein großer, maßlos übertriebener Plan – und wie alle großen Pläne hat er nicht funktioniert. Deshalb war auch die Musik nicht richtig bzw. verfolgte nicht den richtigen Ansatz.

Im Rückblick würde ich sagen, sie war eine Spur zu triumphal. Der Ton war einfach falsch. Und als wir 2018 ohne neues Album auf Jubiläumstour gegangen sind, hat mir das Zeit zum Nachdenken und Umdenken gegeben. Was dann 2019 dabei rumgekommen ist, war viel natürlicher – und daraus hat sich alles andere entwickelt.

Das heißt, die Stücke sind alle erst ab 2019 entstanden?

Nein, einige sind sogar richtig alt. Das älteste auf dem Album war schon 2010 als Demo fertig. Ein anderes ist von 2011, noch eines von 2013 oder 2014. Aber die meisten, also etwa fünf, sind tatsächlich 2019 entstanden. Und ich hatte noch so viele auf Halde, dass es echt schwer war, da eine Auswahl zu treffen. Wir haben insgesamt 26 Stücke aufgenommen – was fast drei Alben entspricht. Und daraus resultierte das Problem, dass ich auch drei Alben gleichzeitig fertigstellen wollte.

Meine Idee war: Nach der langen Wartezeit, sollten wir ein Cure-Album nach dem anderen raushauen – im Abstand von wenigen Monaten. Und wenn ich ein bisschen härter daran gearbeitet hätte, hätte es vielleicht auch geklappt. Ich versuche jedenfalls weiter, dass irgendwie hinzubekommen. Denn: Das zweite Album ist bereits fertig, während das dritte ein bisschen schwieriger ist. Wir werden sehen, was passiert – und wann.

(Bild: Universal Music)

Wie geht es mit The Cure weiter? Hattest du nicht zwischenzeitlich laut darüber nachgedacht, die Band in Rente zu schicken?

Stimmt. Das sollte eigentlich 2018 passieren – in unserem Jubiläumsjahr. Doch die damalige Tour war ein derart positives Erlebnis, dass ich meine Meinung noch einmal geändert habe. Dabei bin ich wirklich davon ausgegangen, dass unser Auftritt im Londoner Hyde Park der letzte sein würde. Also das Ende von The Cure – in einem Moment, wenn es nicht mehr schöner werden kann. Ich hatte es zwar nicht so geplant und auch nicht so kommuniziert, aber ich hatte das Gefühl, dass es wirklich das Ende ist. Und ich habe den Tag sehr genossen – er war toll, das Feedback war fantastisch und es war alles wunderbar.

Als Reaktion darauf haben wir eine wahre Flut von Anfragen bekommen – wir sollten Headliner jedes nur erdenklichen Festivals in Europa sein und sogar in Glastonbury spielen. Ich meine, wer will das nicht? Und da dämmerte mir, dass es vielleicht doch nicht der richtige Zeitpunkt sei, um aufzuhören. Zumal ich auch nicht aufhören wollte, weil ich keine Lust mehr auf die Band hatte, sondern ich dachte, wir hätten unseren Zenit überschritten und vielleicht wäre es nett, in den Jahren, die mir noch bleiben, etwas ganz anderes zu machen. Aber als alles vorbei war, hatte es etwas von: „OK, sollen wir es noch mal probieren?“

Es war also eine andere Herangehensweise als in den Jahren zuvor – und durch Covid hat es sich noch einmal verändert. Nach dem Motto: Ich muss einfach das Beste daraus machen. Das gilt auch fürs neue Album, das ich in Abbey Road gemixt habe und für das ich noch einen Atmos-Mix angefertigt habe. Ich bin froh, dass ich flexibel genug war, um zwischendurch noch ein paar Sachen zu ändern. So ist es etwas viel Stärkeres geworden. Und ich denke es ist so angelegt, dass es den Hörer mit auf eine Reise nimmt.

Ich meine, der größte Fehler, den man als Musiker begehen kann, ist doch, zu denken: „Ich mache das hier nur für mich.“ Sorry, aber das ist Blödsinn. Man macht kein Album für sich selbst, sondern wenn man so denkt, setzt man sich besser zu Hause hin und schrammelt ein bisschen auf der Gitarre herum. Fertig aus. Aber man gibt sich nicht so viel Mühe und investiert so viel Zeit, es sei denn, man will, dass es den Leuten gefällt. Zum Glück hat das in diesem Fall gut funktioniert.

Wann gehen The Cure wieder auf Tour?

Nicht vor Ende 2025. Zunächst einmal muss ich das zweite Album beenden. Wir hatten zwar erst vor, ein paar Festivals zu spielen, aber letztlich habe ich mich entschieden, den nächsten Sommer komplett auszusetzen. Von daher wird es wohl erst Herbst – und dann richtig lange. Also bis zum nächsten Jubiläum, das sich auch schon am Horizont abzeichnet: 2028. Beim 40., also 2018, habe ich zwei Jahre vorher angefangen, mir Gedanken darüber zu machen.

Ich dachte: „Da habe ich noch jede Menge Zeit – easy.“ Doch natürlich war es nicht genug, um wirklich alles hinzukriegen. Deshalb fange ich schon jetzt mit 2028 an – damit es diesmal besser wird. Aber: 2028 werde ich 70 und es ist das 50. Jubiläum des ersten Cure-Albums. Sprich: Sollte ich es tatsächlich soweit schaffen, ist es das. Bis dahin, würde ich aber gerne noch einige Konzerte spielen – weil ich das wirklich gerne tue und die Gigs der letzten zehn Jahre unsere besten waren.

Im Ernst: Sie waren einfach toll. Also ohne neues Album, aber mit dem Einstieg von Reeves und einem Repertoire von 130-140 verschiedenen Songs. Dadurch sind wir eine richtige Live-Band geworden, die sich auf ihren Katalog verlässt. Wir können einfach mal zwei Abende lang eine dreistündige Show spielen und dabei völlig verschiedene Songs bringen – woraus eine wunderbare Freiheit resultiert, die man sich nur erlauben kann, wenn man einen guten Katalog hat.

Trotzdem – und das darf man nicht vergessen – herrscht da immer noch ein gewisser Druck. Deshalb waren wir 2008, nach dem letzten Album, zum ersten Mal ohne Plattenvertrag – weil ich aus dieser Tretmühle rauswollte. Ich habe bewusst nirgendwo unterschrieben. Und bis zu einem gewissen Grad habe ich es genossen, zehn Jahre lang morgens aufzuwachen und zu denken: Ich tue, was mir Spaß macht – und nichts anderes. Ich muss mich niemandem erklären. Ich sage einfach dem Rest der Band: „Wir machen jetzt dies oder das.“ Was mir eine enorme Freiheit und jede Menge Spaß beschert hat – da einfach raus zu gehen und Musik zu spielen.

(Bild: Universal Music)

Was verwendest du überhaupt für Gitarren? Dein Signature-Modell von Schecter?

Am häufigsten meine Chet Atkins Semi-Akustik. Es ist die erste Gitarre seit meiner frühen Jazzmaster, die genauso klingt, wie ich mir das vorstelle. Also ganz ähnlich wie die Jazzmaster mit dem Pick-Up aus der Woolworth Top20. Das war meine allererste E-Gitarre, mit der ich auch unser erstes Album aufgenommen habe.

Was ich aber ebenfalls sehr gerne spiele, sind meine National und eine Nylon-Gibson Chet Atkins. Ich habe schließlich mit klassischer Konzertgitarre angefangen – und hatte als neunjähriger Unterricht bei einem Studenten von John Williams, einem wirklich außergewöhnlichen Gitarristen. Da habe ich zwar viel gelernt, aber es hat mir auf Dauer halt nicht wirklich Spaß gemacht. Deshalb habe ich das nicht durchgezogen, kann aber zumindest Noten lesen.

Wer hat dich als Gitarrist bzw. Songwriter am meisten geprägt?

Wahrscheinlich Nick Drake – vor allem sein Song ‚Time Has Told Me‘, der auf einem Sampler namens ‚Nice Enough To Eat‘ erschienen ist. Das war das erste Mal, dass ich etwas von ihm gehört hatte – und es hat mich mein gesamtes Leben lang begleitet. Eben seine Stimme, die Art, wie er gespielt hat und die Simplizität seines Vorgehens. Dabei ist das alles unglaublich kompliziert – und unmöglich zu replizieren. Selbst wenn du noch so gut Gitarre spielst, kannst du ihn nie übertreffen. Denn die Art, wie er seine Stücke rüberbringt, ist einzigartig. Eben so aufrichtig, so emotional, dass er eine direkte Verbindung zum Publikum aufbaut. Dafür habe ich ihn immer geliebt.

Genau wie Jimi Hendrix, der in allem steckt, was ich je getan habe. Aus dem einfachen Grund, weil ich als Kind immer er sein wollte. Ich wusste zwar nichts über ihn und kannte ihn nur von einem Poster, das mein älterer Bruder an der Wand hängen hatte. Doch ich fand ihn, wie er da posierte, so cool, dass ich dachte: „Ich möchte wie Jimi sein.“ Das schien mir ein großer Spaß zu sein. Ich meine, ich bin schließlich in eine Schule gegangen, die mir vorgeschrieben hat, eine Uniform zu tragen. Von daher war Hendrix zu sein, eine großartige Option.

Und wen ich ebenfalls immer toll fand, war Janis Ian – vor allem ihr Album ‚The Routine Sympathy‘. Ihre Songs entsprechen genau der Stimmung und den Gefühlen, die ich mit meinem neuen Album festzuhalten versuche. Dasselbe gilt für Joan Armatrading mit ‚Love And Affection‘. Das ist ebenfalls mein „Lost World“-Kram. Genau wie David Bowie, der einen riesigen Einfluss auf mich hatte. Ich frage mich z.B. oft: „Was würde David tun?“ (kichert) Und mein Lieblingssong von ihm ist ‚Life On Mars‘ – eines der besten Stücke aller Zeiten. Was seine Arrangements, seine Performance und seine Aufnahme betrifft, ist es perfekt.

Und wenn ich mich erst einmal warm geredet habe, könnte ich immer weiter machen. Denn es ist doch so: Die Musik, die du mit 13, 14 gehört hast, wird dich ein Leben lang begleiten und sie ist es auch, die dich als Künstler am meisten prägt – wenn du dich denn für eine solche Laufbahn entscheidest.

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2024)

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