(Bild: Bryson Roatch)
Während Rammstein zurzeit den finalen Mix am für Frühjahr 2019 angekündigten neuen Album vornehmen lassen und ihr Gitarrist Paul Landers mit dem Tech 21 PL-1 FlyRig vor Kurzem sein erstes Signature-Pedal vorgestellt hat – das große Interview mit ihm konnte man in unserer Novemberausgabe lesen –, präsentiert sein Kollege Richard Kruspe nun das dritte Album seines Soloprojektes Emigrate.
Das verfolgt andere, eher britisch beeinflusste Wave- und Gothic-Direktiven und zeichnet sich durch ein abermals tadelloses Songwriting und eine exquisite Produktion aus. Schon zwischen dem selbstbetitelten Debüt (2007) und dem Nachfolger ‚Silent So Long‘ (2014) strichen sieben lange Jahre ins Land. Dass es diesmal nur vier Jahre dauerte, bis die nächste Platte fertig war, klingt da zunächst mal nicht weiter spektakulär, allerdings waren die Arbeiten an ‚A Million Degrees‘ (so der Titel der Scheibe) laut Augenzeugen bereits im Jahre 2015 abgeschlossen. Warum es erst jetzt veröffentlicht wird und was es von seiner Hauptband Rammstein neues gibt, erzählte uns der Berliner in einem offenen und ehrlichen Gespräch.
(Bild: Mineur)
interview
Richard, die Produktion von ‚A Million Degrees‘ war offenbar von einigen Hindernissen begleitet. Kannst du kurz beschreiben, weshalb die Arbeiten so lange gedauert haben?
Eigentlich war ‚A Million Degrees‘ als eine Art ‚Silent So Long Part II‘ gedacht, mit einigen Überbleibseln und ein paar neuen Songs, die ich danach geschrieben hatte. 2015 wurden diese Stücke mit der gleichen Crew aufgenommen und anschließend in Los Angeles von Ben Grosse gemischt. Doch bereits während des Mischens merkte ich, dass ich mich ziemlich ausgebrannt fühlte und mit dem Material nicht 100%ig zufrieden war. Die Scheibe wurde zwar trotzdem fertig gemischt, für mich stand anschließend jedoch fest, dass ich das Material erst einmal liegen lasse.
Es gab zu der Zeit bei mir sowieso einige andere Dinge, um die ich mich kümmern musste – ich hatte gerade damit begonnen, ein Haus zu bauen und hatte zudem ein paar persönliche Probleme. Jeder der schon mal ein Haus gebaut hat, weiß, wie viel Kraft und Nerven so etwas kosten kann. Der Hausbau war wirklich die größte Herausforderung meines Lebens, dagegen sind Albumproduktionen das reinste Kinderspiel.
Zu allem – im wahrsten Sinne des Wortes – Überfluss hatte ich dann 2017 auch noch einen Wasserschaden in meinem Berliner Studio, bei dem ein Großteil der Festplatten mit den neuen Songs verloren ging. Natürlich war ich zunächst ziemlich frustriert, betrachtete es dann aber als Herausforderung, aus der Erinnerung heraus noch einmal ganz von vorne anzufangen. Diese Arbeit war natürlich unglaublich spannend und hat ein neues Feuer in mir entfacht, das ich kaum löschen konnte. Zumal bei der Gelegenheit auch das Team verändert wurde: Ich engagierte mit Sky van Hoff aus Düsseldorf einen neuen Produzenten und habe dann die Aufnahmen in meinem neuen Studio hier in Berlin gemischt.
Wodurch genau ist der Wasserschaden entstanden?
Ich habe mir einen Traum erfüllt und auf einem Haus ein zweites obendrauf gebaut, inklusive eines großen Swimming Pools. Der Pool-Bauer hatte irgendeine Dichtung zu stark angezogen, wodurch 1600 Liter durch die Decke sickerten und sich über mein Studio ergossen. Wir waren zu dem Zeitpunkt gerade mit Rammstein auf Tour, sodass ich den Vorfall zunächst gar nicht bemerkt hatte.
(Bild: Mineur)
Wie dicht dran an der ersten, zerstörten Version des Albums sind aus deiner Erinnerung heraus die Neuaufnahmen?
Ganz ehrlich? Ich weiß es nicht. Textlich hat vieles überlebt, auch die Grundsubstanz ist erhalten geblieben. Im Detail dagegen hat sich sicherlich vieles verändert. Aber es interessiert mich auch nicht mehr, denn für mich stand von vornherein fest, dass es die ersten Aufnahmen noch nicht wert waren, das Licht der Öffentlichkeit zu erblicken.
Jede Produktion hat bekanntlich ihre magischen Momente, die nicht reproduzierbar sind. Trauerst du denen ein wenig nach?
Nein, weil ich mich daran gar nicht erinnern kann. Vielleicht würde ich es bedauern, wenn ich die ersten Aufnahmen noch mal hören könnte. Aber das geht nun einmal nicht, zumal ich mit dem Thema wirklich abgeschlossen habe. Außerdem weiß ich noch, wie ich mich gefühlt habe, als wir die ersten Aufnahmen machten. Für Emigrate brauche ich einfach meine komplette Motivation, Energie und Leidenschaft, weil hier meine innersten Dinge einfließen, ganz im Gegenteil zu Rammstein. Emigrate ist kein wirtschaftliches Projekt, an dem mein Leben hängt, sondern eine reine Herzensangelegenheit.
Wie hast du die Gitarren aufgenommen, mit welchen Modellen, welchen Amps, welchen Effekten?
Zunächst einmal habe ich in meinem Studio einen neuen Aufnahmeraum gebaut, der ziemlich geil klingt. Die Distortion-Sounds kommen aus meinen Rectifiers, die ich schon seit vielen Jahren spiele. Die Hauptgitarre war natürlich meine ESP RKZ1, die Mikrofone waren ein Neumann M149, zusammen mit einem U47.
Ich habe mir einen selbst entworfenen Mikrofon-Roboter bauen lassen, den ich vom Kontrollraum aus steuern und damit die Mikrofone in die optimale Position bringen kann. Mit dem Roboter kann ich vom Mischpult aus die Mikros höher oder tiefer positionieren, den Winkel verändern und so den Sweetspot finden. Das erleichtert die Arbeit natürlich enorm, zumal sich jedes Mal, wenn man den Kontrollraum verlässt, das Gehör ein klein wenig verändert.
Ich habe im Studio eine ganz spezielle 4x12er-Box von Mesa Boogie, dazu kommt bereits seit Jahren mein Neve 1081 Preamp. Bei cleanen Gitarren arbeite ich seit einiger Zeit häufig mit einem Kemper, für den ich meine Profiles selbst programmiert habe und mit dem alles sehr viel schneller geht.
Effekte?
Ja, allerdings weniger Fußpedale, eher Plug-Ins. Außerdem nehme ich immer auch eine zusätzliche D.I.-Spur auf, um bei Bedarf Re-ampen zu können.
Wie viele Rhythmusgitarrenspuren pro Song gibt es auf ‚A Million Degrees‘?
Vier. Ich mag es, wenn links/rechts das Gleiche zu hören ist und eine Einheit bildet. Wir haben die Scheibe in meinem eigenen Studio ja auch gemischt, was für mich eine neue Erfahrung war. Sky van Hoff wollte eigentlich lieber „in the box“ mischen, während ich es lieber „out of the box“ machen wollte, da ich so viel Outboard-Gear besitze, das ich gerne mitnehmen wollte. Aber da wir innerhalb einer Woche nicht das von mir gewünschte Resultat bekamen, wurde dann doch alles „in the box“ gemischt, worüber ich heute total glücklich bin, weil man „in the box“ schnell und unkompliziert Dinge wieder verändern kann, was im Außenbereich in dieser Form nicht funktioniert. Für den Gesang habe ich übrigens ein Neumann U47 verwendet, das Wagner-Modell.
Wurde das Schlagzeug live eingespielt oder habt ihr es programmiert?
Die Drums hat Mikko Sirén von Apocalyptica live eingespielt, und zwar im alten DDR-Rundfunkgebäude in der Nalepastraße. Das ging in meinem Studio noch nicht, denn dafür braucht man einen wirklich großen Raum. Alles andere wurde in meinem Studio eingespielt.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit Gastsängern wie Benjamin Kowalewicz von Billy Talent und Tobias Forge aka. Cardinal Copia von Ghost?
Ganz unterschiedlich. Bei ‚1234‘ hatte ich eigentlich nicht das Gefühl, dass man einen externen Sänger hinzuziehen sollte. Aber dann gab es eine Anfrage meines Managements, ob ich Lust hätte, etwas mit Billy Talent zu machen. Bei Billy Talent fuhr ich vorher allerdings eher auf den Gitarrensound von Ian D’Sa ab und nicht so sehr auf Bens Gesang. Aber da ich bei Emigrate immer offen für neue Ideen bin, haben wir es ausprobiert. Ben hat Feuer in die Nummer gebracht und das Gefühl einer richtigen Band-Live-Nummer noch verstärkt.
Bei ‚War‘ dachte ich sofort an Serj Tankian von System Of A Down, der auch spontan zusagte. Aber nachdem ich ihm die Version mit meinem Pilotgesang geschickt hatte, rief er zurück und meinte: „Hey Mann, die Nummer ist super, so wie sie ist. Ich wüsste nicht, was ich da besser machen könnte.“
Bei ‚I´m Not Afraid‘ hatte ich ständig den Ghost-Sänger im Hinterkopf, kannte ihn aber nicht persönlich. Zwischenzeitlich hatte ich die Idee dann auch schon wieder vergessen, aber als wir mit Rammstein auf der Suche nach einem Produzenten für die kommende Scheibe waren – es gab drei zur Auswahl, die alle mit Ghost gearbeitet hatten – verabredete ich mich mit Tobias Forge in Berlin auf einen Kaffee und fragte ihn, ob er einen Emigrate-Song einsingen würde. Zunächst wollte er das nicht, aber nachdem ich ihm im Studio die Nummer vorgespielt hatte, änderte er spontan seine Meinung und hat darauf gesungen.
Wie kam es zur Kooperation mit deinem Bandkollegen Till Lindemann?
Die Nummer mit Till stammt eigentlich noch aus den Überbleibseln des ersten Emigrate-Albums und dreht sich um unsere Freundschaft vor dem Beginn von Rammstein. Beim Emigrate-Debüt wollte ich mich aber nicht mit seinem Namen brüsten.
Apropos: Was gibt es inhaltlich vom kommenden Rammstein-Album zu berichten? Und auch über dein mittlerweile offenkundig wieder befriedetes Verhältnis zur Band.
Es ist ja bekannt, dass ich immer schon versucht habe, möglichst viel Musikalität in die Band zu bringen. Zugegebenermaßen war ich hinsichtlich eines neuen Rammstein-Albums anfangs sehr skeptisch. Jetzt allerdings bin ich froh, dass wir es in den letzten drei Jahren geschafft haben, uns untereinander wieder zu respektieren und ein Gefühl von Zusammengehörigkeit zu entwickeln, was eine zeitlang verloren gegangen war. Ich habe den Eindruck, dass wir jetzt wieder da ankommen, wo wir zu Beginn der Neunziger angefangen haben.
Bei Rammstein scheint sich gerade ein Kreis zu schließen. Ich finde, dass wir uns kompositorisch weiterentwickelt haben und viel musikalischer geworden sind. Mir war immer wichtig, dass man abseits des Bühnenspektakels auch die Musik der Band ehrt, und ich glaube, dass wir es diesmal wirklich geschafft haben. Ich bin sehr stolz auf die neuen Songs und habe meinen Frieden mit Rammstein gefunden, weil die Akzeptanz wieder da ist. Ich wurde einfach wieder angenommen … ein wenig wie das Gefühl vom verlorenen Sohn, der wieder in die Familie kommt. (lacht)
Wirst du – und damit meine letzte Frage – mit Emigrate auch Konzerte geben?
Nein, das wäre vermutlich zu gefährlich für mich, weil ich dann eventuell merken würde, wie viel Spaß es mir macht und damit die Balance zwischen Rammstein und Emigrate möglicherweise verlorengehen würde.
Danke Richard, für das offene Gespräch. Ich wünsche dir alles Gute!
(erschienen in Gitarre & Bass 01/2019)