Gary Rossington ist tot. Das letzte verbliebene Gründungsmitglied der US-Südstaaten-Rockband Lynyrd Skynyrd starb am Montag, den 5. März 2023, im Alter von 71 Jahren. Der berühmte Gitarrist litt seit längerem unter gesundheitlichen Problemen, musste sich mehreren Herzoperationen unterziehen und konnte zuletzt nur noch eingeschränkt auftreten.
Der aus Jacksonville in Florida stammende Musiker komponierte in der von zahlreichen Unglücks- und Todesfällen geprägten Lynyrd-Skynyrd-Laufbahn viele großartige Songs, darunter den größten Hit ‚Sweet Home Alabama‘ und weitere Klassiker wie ‚Gimme Back My Bullets‘, ‚Simple Man‘, ‚I Need You‘, ‚I Ain‘t The One‘ oder ‚Am I Losin‘. Berühmt wurde er ebenso für sein markantes Gitarrenspiel, zumeist auf einer Gibson Les Paul Sunburst, gelegentlich auch mit einer schwarzen Les Paul, noch seltener und überwiegend in seiner Frühphase mit einer Gibson SG in Cherry.
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„Gelernt habe ich von Duane Allman und Ry Cooder, von Chuck Berry, Muddy Waters und Spencer Davis. Mann, sie haben mir mein Herz gestohlen!“ erzählte Rossington vor einigen Jahren Gitarre & Bass und fügte hinzu: „Ich habe immer mit vollem Herzen und für mich selbst gespielt. So entstand mein eigener Stil und damit eine echte Nische, wenn man es so nennen will.“
Gemeinsam mit seinen Schulfreunden Ronnie Van Zant (Gesang), Allen Collins (Gitarre) Larry Junstrom (Bass) und Bob Burns (Schlagzeug) gründete er 1964 jene Band, aus der wenig später Lynyrd Skynyrd hervorging. 1967 erschien auf einem kleinen US-Plattenlabel die erste Single ‚Need All My Friends‘. Der Name Lynyrd Skynyrd ist eine Anspielung auf ihren Sportlehrer Leonard Skinner, der mit besonderer Vorliebe langhaarige Schüler schikanierte.
Entdeckt wurde die Gruppe 1972 nach der Veröffentlichung ihrer zweiten Single ‚I‘ve Been Your Fool‘ in einer kleinen Kneipe in Atlanta: Al Kooper, Produzent und Keyboarder der Jazzrocker Blood, Sweat & Tears, war auf der Suche nach talentierten Gruppen für das neu gegründete Plattenlabel Sound Of The South und sah Lynyrd Skynyrd als Opening-Act der seinerzeit angesagten Badfinger. Noch vor Beginn der Aufnahmen ihres Debütalbums stieß mit Ed King ein dritter Gitarrist zur Gruppe und schuf damit die Grundlage für die legendäre „Three Guitar Army“.
Lynyrd Skynyrd erwiesen sich für ihre Plattenfirma als Glücksgriff. Gleich mit ihrem Erstwerk ‚Pronounced Leh-nerd Skin-erd‘ landete die Band ein mit Gold prämiertes Top-30-Album. Höhepunkt der Scheibe ist das fast zehnminütige Stück ‚Freebird‘, eine Hommage an den im Oktober 1971 bei einem Motorradunfall tödlich verunglückten Duane Allman von den Allman Brothers. Der Song mit seinem schwermütigen, bluesigen Gesang kulminiert in einem furiosen Gitarrenfinale und offenbarte die größte Stärke der Band: drei gleichberechtigte Lead-Gitarren, die sich im ständigen Wechsel zwischen Rhythmus-Licks und singenden Soli gegenseitig anspornen.
„In Bandkreisen heißt Gary aufgrund seines unnachahmlichen Slide-Spiels nur ‚The Siren Serpentine‘“, erzählte später der 2001 verstorbene Bassist Leon Wilkeson über Rossington. „Mal klingt es wie ein zwitschernder Vogel, dann wiederum – wie zum Beispiel in ‚Saturday Night Special‘ – wie eine Polizeisirene. Gitarristen voneinander zu unterscheiden ist nicht immer ganz einfach, Gary jedoch hört man aus Tausenden heraus.“
Mit der Single ‚Sweet Home Alabama‘ vom zweiten Album ‚Second Helping‘ gelang Lynyrd Skynyrd 1974 der internationale Durchbruch. Die berühmten Textzeilen „Well, I heard Mister Young sing about her, I heard ole Neil put her down, well I hope Neil Young will remember, a southern man don‘t need him around anyhow“ beantworten mit spitzer Zunge Neil Youngs ‚Southern Man‘, in dem sich Young erdreistet hatte, den amerikanischen Süden zu kritisieren. „Die Gitarren-Solo-Süchtigen kommen hier ganz groß auf ihre Kosten“, schrieb das deutsche Rockmagazin Sounds. „Die Band spielt mit sage und schreibe 3 (in Worten: drei) Leadgitarristen. Beachtlich, nicht wahr?“ Auch das nachfolgende Album ‚Nuthin Fancy‘ (1975) kommentierte Sounds wohlwollend: „Die anheimelnde Behäbigkeit des Atlanta-Bluesrocks, die einfachen, hörerfreundlichen Songstrukturen und der satte, fruchtige Klang der drei Leadgitarren machen seinen besonderen Reiz aus.“
Zwei Jahre später jedoch wendete sich das Blatt für Lynyrd Skynyrd abrupt: Am 20. Oktober 1977 stürzte die komplette Band auf einem Flug von Greenville, South Carolina nach Baton Rouge, Louisiana mit einem gemieteten Convair-Jet aufgrund Treibstoffmangels in ein Sumpfgebiet bei Gillburg, Mississippi. Die Folgen waren verheerend: Sänger Ronnie Van Zant, Gitarrist Steve Gaines und seine Schwester, die Background-Sängerin Cassie Gaines, sowie Manager Dean Kilpatrick waren sofort tot. Die übrigen Musiker Rossington, Collins, Billy Powell und Leon Wilkeson überlebten schwerverletzt.
„Es war dramatisch: Ich hatte viele Knochenbrüche, mein Unterarm war komplett durchgeschlagen. Meine Arme, meine Beine, mein Rücken, mein Becken, alles war betroffen“, erinnerte sich später Rossington, der gerade mal ein Jahr zuvor mit seinem brandneuen Ford Torino unter Alkoholeinfluss und mit erhöhter Geschwindigkeit gegen einen Baum geprallt war und den Unfall glimpflich überstanden hatte, an den schwärzesten Tag seines Lebens. „Das Schlimmste aber: Mein Herz war gebrochen. Wenn man 25 oder 26 ist, sich auf dem Höhepunkt seiner Karriere befindet, in einer Band spielt, lange Haare hat, viel Geld verdient, Unmengen an Alben verkauft, und – von einer Sekunde auf die nächste – plötzlich alles vorbei ist.“
Zum Glück endete die Karriere von Lynyrd Skynyrd mit dieser Tragödie nicht. Nach einer längeren Rekonvaleszenz spielten einige der überlebenden Musiker 1980 auf dem ‚Daniels Volunteer Jam V‘ erstmals wieder eine Instrumentalversion von ‚Free Bird‘. „Nach dem Flugzeugabsturz war ich eine lange Zeit ziemlich desillusioniert“, blickte Rossington später auf für ihn äußerst schwierige Jahre zurück. „Irgendwann traf ich Alan Price von den Animals und sagte ihm: „Alan, ich habe hingeschmissen, ich will nicht mehr.“ Alan und ich waren ziemlich betrunken, er entgegnete: „Aufgeben? Quatsch! Lass uns mal jammen!“ Also nahm ich eine Gitarre und tat das, was ich lange Zeit nicht getan hatte. Es machte sofort wieder einen höllischen Spaß.“
Daraufhin formierte Gary Rossington zunächst die Rossington Collins Band und stellte 1987, zehn Jahre nach der Flugzeugkatastrophe, eine Lynyrd-Skynyrd-Tribute-Formation zusammen. Auf einer großen US-Tour wurde daraus fast folgerichtig wieder eine feste Lynyrd-Skynyrd-Besetzung, die ab Mitte der 1990er dann auch wieder neue Studio- und Live-Alben produzierte, mit vielen fabelhaften Rossington-Kompositionen wie unter anderem die programmatischen Nummern ‚Still Unbroken‘, ‚Ready To Fly‘ oder ‚Last Of A Dyin‘ Breed‘.
Allerdings hatte Rossington im fortgeschrittenen Alter verstärkt mit Herzproblemen zu kämpfen. Die vielen Schmerzmittel nach dem Flugzeugabsturz und das harte, oft hochprozentige Leben on the road forderten immer offensichtlicher ihren Tribut. 2003 bekam er einen fünffachen Bypass gelegt, erlitt 2015 einen Herzinfarkt, musste 2019 eine undichte Herzklappe behandeln lassen und sich im Juli 2021 einer weiteren Herzoperation unterziehen. Bereits 2018 hatten ihm seine Ärzte dringend empfohlen, nicht mehr auf die Bühne zu gehen.
Rossington, der über viele Jahre seine private Gitarrensammlung in einem mit schwarzem Samt ausstaffierten Zimmer aufbewahrte („Von innen sieht der Raum wie ein Gitarrenkoffer aus. Ich lagere dort ein paar für mich sehr wichtige Exemplare, etwa eine Gitarre von Steve Gaines, die mir seine Ehefrau nach dem Flugzeugunglück geschenkt hat“), bekam im Jahr 2003 von Gitarrenhersteller Gibson ein eigenes Signature-Modell angeboten.
„Es gab eine Anfrage der Firma an Billy Gibbons, Keith Richards und an mich, ob Gibson ein paar Reissue-Modelle mit unseren Namen herstellen dürfe“, erzählte Rossington im März 2010 unserem Magazin. „Die Verantwortlichen baten mich, eine Art Replika meiner Bernice-Gitarre, einer 1959er Les Paul Standard, die nach meiner Mutter benannt ist, bauen zu dürfen. Als kleiner Junge, der in einer schmuddeligen Garage mit seiner Band probte, hätte ich nicht davon zu träumen gewagt, irgendwann mit einer solchen Gitarre geehrt zu werden.“
Gary Rossington ist tot, aber sein emotionales Gitarrenspiel, die grandiose Mischung aus rauen Rockriffs mit bluesiger Färbung und lässigen Country-Einflüssen, speziell seine fabelhaften Slide-Soli werden für immer in Erinnerung bleiben. Rossington war das letzte noch lebende Gründungsmitglied der legendären Südstaaten-Rockgruppe. In der ersten offiziellen Mitteilung der Band heißt es: „Gary ist jetzt mit seinen Skynyrd-Brüdern und seiner Familie im Himmel und spielt dort schön auf, so wie er es immer tut.“ Ein in der Tat tröstlicher Gedanke. Rest In Peace, Gary Rossington!