Mitte der Achtzigerjahre formierte sich in den USA eine Riege ultraschneller Griffbrettakrobaten, die das Gitarrenspiel fast als olympische Disziplin begriffen. Ebenso flott machte fortan der Begriff der „Shredder“ die Runde.
Wir haben geschaut, was die einstigen Talente heute so machen. Ein Visionär gab den „jungen Wilden“ ein Forum: Der Gitarrenenthusiast Mike Varney gründete das Label Shrapnel Records, dessen Talent- Scout und Produzent er ist und so für Aufstieg und Popularität virtuoser Gitarrenmusik sorgte. Shrapnel etablierte sich schnell als Sammelbecken einer Gitarren-Superhelden-Liga. Varney ruft – und so ziemlich alle jungen Talente folgen.
Anzeige
Mit Sub-Labels wie Blues Bureau International nimmt Varney später auch gestandene Gitarristen wie Neal Schon, Leslie West, Rick Derringer und Pat Travers unter Vertrag. Mit einem weiteren Ableger namens Tone Center legt Varney dann auch einen Schwerpunkt auf Fusion- und Jazz-Rock mit u. a. Larry Coryell, Frank Gambale und Scott Henderson. Hier widmen wir uns den „Shreddern“, von denen einige das Shrapnel- Sprungbrett nutzten und eine erfolgreiche Karriere starteten – andere wiederum nicht. Hier zwei Gitarristen mit unterschiedlichen Lebensläufen – und was sie im Hier und Jetzt machen.
Tony MacAlpine
T-Mac nennen ihn seine Freunde. Eine adäquate Kurzform für jemanden, dessen Musik derart rasant ist, dass kaum Zeit für den vollständigen Namen zu bleiben scheint. Die Songs der Karrierefrühzeit des Wahlkaliforniers, geboren am 29. August 1960, bedeuteten vor allem eins: Eine Menge Noten! MacAlpines ‚Edge Of Insanity‘ gilt für viele Gitarren-Fans als Referenzwerk in Sachen Fingerfertigkeit mit dramatischen Bendings, Single-Note-Licks und vielen Mätzchen und Tricks, inklusive böser Whammy-Bar-Attacken. Die zeigt der Mann aus Massachusetts auch in Projekten wie Planet X mit Derek Sherinian oder bei CAB mit Bassist Bunny Brunell und Drummer Dennis Chambers.
Anfangs spielte MacAlpine Kramer- und BC-Rich- Gitarren, dann 6- und 7-saitige Signature- Modelle von Carvin, (TMAC-VI und TMAC-VII). Heute ist er Ibanez-Endorser, spielt aktuell Ibanez Custom 7- und 8-string Gitarren mit EMG 707- und 808-Pickups und Hughes & Kettner Coreblade Amps und Speakern. Bei den Pedalen setzt er auf das Source Audio Soundblox Pro Multiwave Distortion, Voodoo Labs Giggity und Sparkle Drive MOD, Ernie Ball Volume-Pedale und Dunlop Cry Baby Wah Pedale.
MacAlpine lebt heute in Pasadena, Kalifornien, und ist gut im Business. Er ist seit Jahren Gitarrist und Keyboarder der Steve-Vai- Band, veröffentlicht Soloalben und gibt regelmäßig Workshops.
Der junge Mann aus Richmond, geboren am 22. Juli 1969, galt als einer der talentiertesten Shredder. Seine Alben mit Marty Friedman gelten als legendär. Nachdem sich die Wege der beiden Ausnahmetalente getrennt hatten, veröffentlichte Becker Soloalben bei denen er deutliche Bezüge zur klassischen Musik und Komponisten wie Paganini und Bach zeigt.
Sein ultraschnelles Spiel, sein Sweep-Picking und sein außergewöhnliches Vibrato in Verbindung mit ungewöhnlichen Rock-Sounds weckten die Neugier von David Lee Roth, der ihn als Nachfolger von Steve Vai in seine Band und für ‚A Little Ain’t Enough‘ ins Studio holte. Eine Karriere scheint die logische Folge. Doch Becker erhält die niederschmetternde Diagnose an ALS zu leiden, einer degenerativen Erkrankung von Hirn und Rückenmark. Sein körperlicher Verfall ist dramatisch, sodass er seit einiger Zeit nicht mehr ohne Hilfe und häusliche Pflege leben kann. Marty Friedman über seinen Freund: „Jasons Verstand ist wach und völlig normal, aber sein Körper ist ein Wrack. Er kann nur noch durch Augenbewegungen kommunizieren. Seine Familie hat mit ihm ein System erarbeitet, durch das er sich verständlich machen kann. Es ist unglaublich traurig.“
Zahlreiche Musiker spielen inzwischen jährlich Benefiz-Konzerte und nahmen zwei Tribute- Alben für Becker auf. Die Firma Carvin widmete ihm im vergangenen Jahr das Signature Model JB 200C. Schön, dass der tragische Gitarrenheld nicht vergessen ist.