Punkrock aus Deutschland: Muff Potter – Thorsten Nagelschmidt
von Martin Schmidt, Artikel aus dem Archiv
Anzeige
(Bild: Yannic Bill)
Mit einer Mischung aus Punk, Alternative-Rock und cleveren deutschen Texten waren Muff Potter in den Nullerjahren ein gern gesehener Gast im deutschen Live-Geschäft und schafften es sogar bis zum Major Universal. 2009 löste sich die Band auf und Thorsten Nagelschmidt, Sänger, Gitarrist und Texter, widmete sich erst einmal dem Literaturbetrieb. Ein paar Jahre und Romane später war die Lust auf Musik wieder da und Muff Potter zurück auf der Bühne.
der weg zur musik
Ab wann hat Musik in deinem Leben eine Rolle gespielt?
Anzeige
Schon sehr, sehr früh. Ich kann mich daran erinnern, dass ich Formel Eins geguckt habe, und da lief ein Video von ‚Neverending Story‘ von Limahl. Ich bin 1976 geboren und habe 1984 angefangen Schallplatten zu kaufen. Ich bin auf jeden Fall ein 80er-Jahre-Pop-Kind und Bands wie The Cure, Talk Talk und Depeche Mode sind Konstanten in meinem Leben.
Wann hast du selbst angefangen Musik zu machen?
Ich hatte Gitarrenunterricht in der Schule, habe aber nichts dabei gelernt. Ich bin Autodidakt, bei mir funktioniert es nicht über das klassische Lernen. Das erste Mal Musik gemacht habe ich mit 14, als ein drei Jahre älterer Punk in meine Klasse kam. Der hatte eine Band und die brauchten einen Bassisten. Ich habe behauptet, ich könne Bass spielen, bin zur ersten Probe gegangen und habe gefragt, warum der Bass nur vier Saiten hat. Statt mich rauszuschmeißen, haben sie gelacht und mir eine Chance gegeben. Das war ein Erweckungserlebnis.
Das heißt, du hast das eher optisch gelernt?
Genau. Ich habe eine Tabulatur und ein Tape bekommen und einen Zettel, auf dem stand, welche Töne bei welchem Song drankamen. Vorher hatte ich auf einer alten Akustik-Gitarre das klassische Punkrock-Erlebnis. Es gibt ja diesen Comicstrip, hier ist ein Akkord, da ist noch einer und hier ein dritter Akkord, jetzt gründe eine Band. So war das bei mir tatsächlich. Es war der Song ‚Mother‘ von Danzig. Ich habe herausgefunden, dass es in der Strophe nur drei Akkorde sind und im Refrain dieselben, nur umgedreht. Ich dachte, wenn das so einfach ist und ich dieses Lied spielen kann, dann kann ich ja jetzt auch Songs schreiben.
Dieser Punkrock-Zugang hat mein ganzes Leben geprägt. Zu merken: Wenn man sich genug für etwas interessiert, kann man es machen, man muss sich nicht lange damit aufhalten, etwas zu lernen oder in irgendetwas richtig gut zu sein. Mit Interesse und Enthusiasmus kann man auch mit rudimentären technischen Fähigkeiten kreativ sein.
Hast du dann im Laufe der Jahre etwas Handwerkzeug gelernt?
Ich hatte irgendwann die Lagerfeuerakkorde drauf. Ich weiß, was ein C-Dur ist, aber das ist eher das Rudimentäre, was man im Laufe der Jahre so nebenbei mitbekommt. Ich will da auch gar keine Religion draus machen, aber es ist für mich eben der einzige Weg, wie es funktioniert.
Wie stehst du zu Virtuosität und Gitarrenheldentum?
Wenn etwas Selbstzweck wird, ist es für mich uninteressant oder sogar abstoßend. Was mich aber beeindruckt, ist Energie, und das geht manchmal mit einer gewissen Virtuosität einher. Was mich an Rockmusik immer noch kickt, ist der physische Aspekt, dieser Arbeitsethos. Ich schaue mir gerne Bands an, die arbeiten und möchte auch selbst in einer Band spielen, in der geschuftet wird.
Gibt es Sachen, die du gerne noch lernen würdest?
Ich würde gerne Klavier spielen können, und es könnte auch nicht schaden, meine Fähigkeiten an der Gitarre zu erweitern, aber dazu müsste ich natürlich üben. Vor zwei Jahren habe ich Fleetwood Mac gesehen mit Lindsey Buckingham und das ist natürlich der Wahnsinn, was er alleine mit der Gitarre macht. Ich kann das goutieren, aber auf der anderen Seite habe ich mich damit abgefunden, dass das für mich nicht der Zugang ist, Musik oder Kunst zu machen. Damit habe ich meinen Frieden gemacht, meine Stärken sind halt andere.
(Bild: Yannic Bill)
reunion
Nach neun Jahren habt ihr Muff Potter wiedervereinigt. Gab es dafür einen speziellen Anlass?
Wir wollten einfach wieder zusammen Musik machen, das ist alles. Das war ein Prozess, der eine Weile gedauert hat. Aber ich habe gemerkt, wie viel es wert ist, so etwas zu haben. Ich habe Freunde, die super Musiker und Songschreiber sind, aber nie diese Konstellation gefunden haben, die als Band funktioniert. Diese Band ist mehr als die Summe ihrer einzelnen Teile, und es ist nicht selbstverständlich, so etwas zu haben.
Gibt es eine feste Aufteilung zwischen den Gitarren?
Nein. Bei den Songs, die ich geschrieben habe, sind oft beide Gitarrenparts von mir. Da sind wir dann pragmatisch. Derjenige der singt, muss nicht das dem Gesang entgegenlaufende Gitarrenpicking spielen. Uns geht es um den Song und die Performance und nicht um die Autorenschaft einzelner Parts.
Schreibst du zuerst die Musik oder die Texte?
Immer zuerst die Musik. Texte schreiben ist eine wahnsinnige Arbeit. Ich habe nie für die Schublade geschrieben. Ich brauchte immer konkrete Akkorde, um darauf einen Text zu schreiben.
Wie habt ihr euch auf die Reunion-Konzerte vorbereitet?
Alle mussten sich erst mal zu Hause wieder reinhören. Bei mir war das meiste noch da, das scheint elementar verankert zu sein. Dann haben wir uns zu dreitägigen Sessions getroffen, da wir nicht alle in einer Stadt leben. Das waren dann drei mal drei Tage für die Tour, in denen wir uns 25 Songs draufgeschafft haben. Wir standen täglich 8 bis 10 Stunden im Proberaum. Harte Tage, aber ich war überrascht, wie gut das noch saß, auch was die Kondition angeht. Unser Schlagzeuger spielt eher untechnisch, sehr laut, körperlich und geil. Ich dachte, dass es dauern würde, bis er wieder auf dem Level ist. Aber er hat sich hingesetzt und gespielt wie immer.
punk
Du bist in Rheine aufgewachsen. Wie bist du da zum Punk/Underground gekommen?
Das war durch meinen Freund Gerrit, der aussah wie Sid Vicious. Ich habe damals Metal und Hardrock gehört – Guns N’ Roses, Slayer, Suicidal Tendencies. Dann hörte ich zum ersten Mal die Sex Pistols und merkte, dass das ja viel besser, aggressiver und energiegeladener ist, obwohl es langsamer ist.
Hast du eine eigene Definition, was Punk ist – philosophisch und musikalisch?
Nein, das hat 2019 keine Relevanz mehr. Als ich Punk wurde, stand überall dieser Exploited-Slogan „Punx Not Dead“. Ich habe mir schon damals gedacht, dass eine Sache wohl sehr tot sein muss, wenn ständig behauptet werden muss, dass sie es nicht ist. Die späten 80er waren ja auch nicht gerade die Blütezeit des Punkrock. Dafür bin ich zu spät geboren. Was für mich das Wichtigste war und bis heute wichtig geblieben ist, ist dieser DIY-Aspekt: Man kann alles machen, was man möchte. Dafür braucht man nicht unbedingt Punkrock, das geht bestimmt auch mit HipHop oder Techno, aber diese Herangehensweise ist für mich wichtig geblieben bei allem was ich mache.
Wie wichtig ist für dich der klassische Punk von Bands wie Sex Pistols, The Clash oder The Ramones?
Ich habe alles gehört und mich, wie viele andere Leute auch, von dem Zeitpunkt, wo man damit anfängt, nach hinten durchgehört. Dadurch entdeckt man, was in den 70ern und 60ern noch so los war. Die Dead Kennedys z. B. haben für mich ganz neue Türen aufgemacht, wie man politische Texte schreiben kann. Der Humor und der Sarkasmus, der ganze Kunstaspekt bei dieser Band, die Plattencover, die Collagen. Und auch musikalisch – eine lupenreine Hardcore-Platte, und dann wieder diese Surf-Gitarren und Jazz-Anleihen und Spoken-Word-Sachen. Ein riesiger Kosmos, den es da zu entdecken gab, nur in dieser einen Band.
Nach der Auflösung von Muff Potter hast du mehr als Schriftsteller gearbeitet. Wie sehr unterscheidet sich das vom Musikmachen?
Es gibt Ähnlichkeiten, denn mir war immer der Umgang mit Sprache wichtig. Ich wollte nicht unbedingt Sänger sein. Ich wollte Songtexte schreiben und die selbst performen. Ich wollte mich mit Sprache auseinandersetzen und gucken, was man damit machen kann. Das ist als Schriftsteller ähnlich. Der große Unterschied ist, dass man beim Schreiben alleine ist. Songs habe ich auch meistens alleine geschrieben, aber dann ist man damit in den Proberaum gegangen und es gab eine unmittelbare Reaktion darauf. Jetzt sitze ich teilweise anderthalb Jahre an meinen Sachen und dann liest es mein Lektor und sagt etwas dazu. Musik funktioniert eben anders als alle anderen Kunstformen.
instrumente
Welche Gitarren spielst du bei Muff Potter?
Ich spiele live abwechselnd Gibson SG und ES-335. Die 335 klingt irgendwie immer gut. Die SG ist ein komplett vermacktes Hackbrett, aber ich habe einen emotionalen Bezug zu ihr, man kann sie gut spielen, sie ist leicht, das reicht mir schon. Dann habe ich noch eine Martin Akustik-Gitarre, die mein Vater mir gekauft hat.
Bild: Martin Schmidt
Die „bequeme“ SG
Bild: Martin Schmidt
Gibson ES-335
Bild: Martin Schmidt
Fender Blacktop Bariton Tele
Über welchen Amp spielst du?
Über einen Vox AC30 aus den 90ern oder Nuller-Jahren. Ich habe auch noch einen schönen alten Music-Man-Combo, den wir bei Aufnahmen für cleane Picking-Gitarren benutzt haben. Früher habe ich unzählige JCM 800 gespielt, bis ich einen gefunden hatte, der mir gefiel, denn ich brauchte einen zweikanaligen Amp.
In unserer Band gab es von Anfang an so eine Art Bandsozialismus: Von der ersten Sekunde an haben wir alles, was reinkam, in die Bandkasse gesteckt und dann als Band entschieden, wie wir es ausgeben. Dann war mal ein Becken kaputt und die eine Gitarrenbox war scheiße, und man hat entschieden: Zuerst ein neues Becken, und dann mal sehen, wann Geld für eine Box da ist. Ganz lange hat diese Band so funktioniert. Wir waren arm und da war nichts mit Ich-will-jetzt-diese-tolle-Vintage-Gitarre.
Bild: Martin Schmidt
Music Man RD 115
Bild: Martin Schmidt
Nagels VOX AC30
Hast du auch ein Pedalboard?
Ja. Bei den Proben zur Tour habe ich festgestellt, dass ich viel Spaß daran habe, mein Board neu zu organisieren. Ich habe einen Distortion von Z.Vex, eine RAT und einen Electro-Booster von Orion. Der hat einen Regler und einen An/Aus-Knopf, das ist für mich das perfekte Pedal. Dann findet sich da noch ein altes Boss Delay und ein El Capistan von Strymon. Außerdem ein billiger Chorus/Flanger und die Pedale für Reverb und Tremolo am Amp. Damit ist das Brett auch voll genug.
Da ich ja auch singe, ist es ein schmaler Grat, was man da so an Fußtretern bedienen kann oder bedienen möchte. Es bringt dem Konzert überhaupt nichts, wenn ich zwar immer den genau richtigen Gitarren-Sound habe, aber meine Gesamtperformance darunter leidet, dass ich die ganze Zeit mit meinem Equipment beschäftigt bin. Ich will nicht ständig auf’s Pedalboard starren, sondern mit meiner Band zusammenspielen.