(Bild: Thomas Kruesselmann)
Vor 15 Jahren sagte Philipp van Endert in einem G&B-Interview: „Wenn ich alt bin, möchte ich wissen, dass ich den besten Musiker herausgeholt habe, der in mir steckt.“ Nun ist der 49-jährige Düsseldorfer gerade einmal in seinen besten Jahren, macht aber mit seiner neuen Veröffentlichung einen großen Schritt zum Erreichen dieses selbst gesteckten Ziels. ,Cartouche‘ ist zwar ein verhaltenes Album, aber auch eines auf das er in 30 Jahren noch zufrieden zurückschauen können wird.
Fünf Jahre ist die Veröffentlichung seines letzten Albums als Bandleader schon her. Damals noch im klassischen Gitarrentrio mit seinem langjährigen Partner André Nendza am Bass und Kurt Billker am Schlagzeug, hat er sich für das aktuelle Werk eine kammermusikalischere Trio-Besetzung ausgesucht: André Nendza ist geblieben, lediglich das Schlagzeug wurde im Vergleich zu 2014 gegen den Trompeter und Flügelhornspieler Christian Kappe eingetauscht. Geblieben sind van Enderts spannende, aber zurückhaltende Kompositionen, sein lyrisches, abwechslungsreiches Spiel und ein wunderbar entspannter Sound.
Interview
Dein neues Album lebt von einer sehr dichten Atmosphäre der Kompositionen. Wie läuft das Schreiben bei dir ab?
Ich bin kein wahnsinnig schneller Schreiber und ich habe kein Konzept. Das kommt immer wie es eben kommt. Mal kommt mir eine Melodie, mal eine Akkordverbindung, mal eine Basslinie in den Sinn und dann baue ich von da aus ein Stück auf. Meistens passiert das während des Übens oder Spielens. Beim Komponieren für ,Cartouche‘ musste ich aber besonderes Augenmerk auf die Arrangements legen, denn bei dieser speziellen Besetzung ohne ein Schlagzeug, das rhythmisch für Zusammenhalt sorgt, muss man sich genau überlegen, wie man die Stimmen verteilt. Teilweise arbeiten wir ja sogar dreistimmig.
Es geht also darum, verschiedene Rollenverteilungen innerhalb der Besetzung auszuprobieren, und dann auch in diese Richtung zu komponieren.
Hattest du die Stücke alle schon fertig geschrieben, bevor ihr sie aufgenommen habt, oder sind Teile auch aus der Improvisation heraus im Studio entstanden?
Meistens sind die Stücke, was Melodie und Akkorde betrifft, schon relativ fertig, wobei sich in den Proben und bei Konzerten auch viele Sachen entwickeln. Und natürlich kommen auch Ideen von Christian oder André dazu, die ich meistens sehr gerne mit aufnehme. Ich bin kein Despot, der sagt, die Komposition muss so umgesetzt werden, wie ich sie geschrieben habe. Es gibt ein paar Stellen, bei denen es wichtig ist, dass sie so gespielt werden, wie sie notiert sind, weil sie sonst vom Arrangement her nicht funktionieren. Andererseits gibt es aber auch viele Stellen, die frei sind.
Wie habt ihr aufgenommen?
Aufgenommen haben wir die Platte im Frühjahr letzten Jahres und zum größten Teil live eingespielt. Bei einem schwierigeren Stück im 7/4-Takt haben wir einen Click verwendet. Ansonsten mussten wir hier und da nochmal etwas reparieren und bei einem Stück habe ich nachträglich noch eine Akustikgitarre eingespielt. Wir hatten vor den Aufnahmen fünf Konzerte hintereinander gespielt und sind dann direkt in dieses alte CMP-Studio in der Eifel gegangen. Da standen Christian und ich in einem Raum und mein Amp und André waren jeweils in einem Nebenraum. Aber wir hatten durch ein Fenster Sichtkontakt. So konnten wir live einspielen, während die einzelnen Signale trotzdem separiert genug waren.
Was hast du auf der Platte für Verstärker benutzt?
Ich spiele schon seit Jahren einen MESA/Boogie Studio 22+. Das ist eigentlich ein recht kleiner, gar nicht so schwerer Röhren-Amp. Von dem habe ich vor ein paar Jahren noch einen zweiten ergattert, sodass ich Stereo spielen kann. Meistens habe ich zusätzlich zu meinem Cathedral-Hall noch ein Boss-Delay-Pedal mitlaufen, auf dem ein Reverse-Delay eingestellt ist, das dann auf die beiden Verstärker aufgeteilt ist. Das ergibt in diesem Setting einen vollen Sound. Ich arbeite auch gerne mit einem Volume-Pedal und Flächen, bei denen eine Stereo-Verteilung einfach schön ist. In einer großen Band würde ich das allerdings nicht machen, weil zu wenig Platz dafür wäre. Aber in dieser kleinen Besetzung funktioniert dieser breite Sound sehr gut.
(Bild: Philipp van Endert )
In ,Fantasy Return Date‘ klingt dein Sound nach einer Mischung aus Verzerrung und Ringmodulator. Wie hast du das gemacht?
Für die Verzerrung benutze ich seit Jahren gerne den BB Preamp von Xotic. Und den habe ich in diesem Stück mit dem Ringmodulator von Moog gemischt. So einen Sound kann man natürlich nicht ständig verwenden, aber in diesem kammermusikalischen Setting passte das.
Du spielst ja immer schon eine Ibanez AS200. Was ist für dich das Besondere an dieser Gitarre?
Ich habe dieses Instrument seit ich 16 Jahre alt bin. Das war meine erste richtige Gitarre und deswegen fühle ich mich auf ihr unheimlich zu Hause. Ich habe mir die damals geholt, da wusste ich noch gar nicht, wer John Scofield ist. Ich fand einfach, sie sah schön aus und klang gut. Was mir an ihr gut gefällt, ist, dass der Hals einigermaßen dünn ist. Dadurch sind die ganzen Akkordsachen die ich mache sehr angenehm zu spielen. Was ich auch sehr an ihr mag, ist dieser Schalter, mit dem man die Humbucker auf Singlecoils umschalten kann. Das mache ich sehr oft beim Begleiten.
(Bild: Philipp van Endert )
Lass uns mal ein bisschen zurückgehen. Du hast in Berklee studiert. Warum bist du in die USA gegangen?
Es war natürlich immer ein Traum dort hinzugehen, weil viele meiner Helden da herkamen. Mick Goodrick, John Abercrombie, Pat Metheny, John Scofield, Mike Stern. All diese Leute, die ich damals gerne gehört habe und nach wie vor gerne höre. Und abgesehen von den Gitarristen waren da ja auch Musiker wie Keith Jarrett oder Branford Marsalis. Ich habe vier Jahre an der Uni verbracht und hatte ab dem dritten Semester auch ein Stipendium. Allerdings muss man dazusagen, dass das damals, Anfang der 90er-Jahre, noch einigermaßen zu finanzieren war.
Mit dem Stipendium und etwas Hilfe von zu Hause kam ich ganz gut zurecht. Diese vier Jahre waren für mich total wichtig. Einfach in diesem Strom zu sein, von Musikern umgeben und konzentriert zu lernen. Ich konnte zwar schon spielen, als ich dort angefangen habe, war aber kein Überflieger. Also brauchte ich diese vier Jahre, in denen ich abgetaucht bin und nur geübt, gejammt und gespielt habe – auch, um danach als Musiker überhaupt loslegen zu können.
Inzwischen bist du selbst an zwei Hochschulen als Dozent tätig. Ist denn ein Jazz-Gitarren-Studium heute überhaupt noch zeitgemäß?
Das ist schwer zu sagen. Es gibt viel coole Musik, sowohl von Leuten, die studiert haben, als auch von welchen, die nicht an einer Uni waren. Ich würde also niemals sagen, dass man studieren muss, wenn man Musik machen und damit sein Leben bestreiten will. Aber ich glaube, es kann helfen, um heutzutage mit der Musik zu überleben. Man braucht diese Zeit des Studiums, um vielseitig aufgestellt zu sein, um seinen Interessen nachgehen zu können und seinen Sound zu finden.
Die Kehrseite ist allerdings, dass es dadurch immer mehr Musiker gibt. Wir bilden mehr und mehr Musiker aus und da stellt sich natürlich die Frage, ob die auch alle unterkommen. Schon als ich Mitte der 90er aus Boston zurückkam, war es nicht leicht, und es wurde über die Jahre immer schwieriger. Ich hatte den Vorteil, dass ich mir irgendwann einen Namen erspielt hatte und die Gagen OK waren. Aber es ist schon erschreckend, für wie wenig Geld junge, tolle Musiker heute teilweise spielen müssen. Da bin ich froh, dass ich schon eine Generation weiter bin. Andererseits, wenn du an dem Punkt bist, dass du diesen Weg gehen willst, dann gibt es auch kein Zurück. Dann musst du es machen.
(Bild: Philipp van Endert )
Wie siehst du denn momentan die deutsche Jazz-Szene – und wo ist dein Platz darin?
Ich glaube, dass ich inzwischen meinen Platz gefunden habe und dass die Leute, wenn sie mein Spiel hören, das auch mit mir verbinden. Im besten Falle ist das dann der Philipp-van-Endert-Sound, auch wenn meine Sound-Ästhetik sicherlich durch meinen Mentor in Berklee Bret Willmott und die Ära um John Abercrombie, Mick Goodrick und Jim Hall geprägt ist. Man hört diese Einflüsse, aber ich glaube, dass ich in den letzten zehn Jahren mehr und mehr nach mir klinge. Das ist ein wichtiger Punkt, um in der Musikwelt zu bestehen: Du musst deinen Sound finden.
Ich glaube, dass es ein sehr breites Spektrum gibt und für jeden Sound ein Platz, eine Nische in der Szene zu finden ist. Unabhängig davon, wie virtuos du bist. Die Szene ist sehr lebendig und gesund, man müsste halt nur dafür sorgen, dass sich die Spielmöglichkeiten verbessern.
equipment
Gitarre:
Ibanez AS200
Verstärker:
MESA/Boogie Studio 22+
Pedalboard:
Morley Pro Series Volume-Pedal
Boss Super Octave OC-3
Xotic BB Preamp
Boss DD-5
Boss DD-3
Electro Harmonix Freeze Sound Retainer
Moog MF-102
Electro Harmonix Cathedral Reverb
T.C. Electronic Ditto X2 Looper
Boss RC-20XL
(Bild: Thomas Kruesselmann)
(erschienen in Gitarre & Bass 07/2019)