Im Interview

Peter Hook: Das Triple

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(Bild: Julien Lachaussée)

2020 war für Ex-Joy-Division-Bassist Peter Hook das Jahr der Jahrestage: Der 40. Geburtstag von ‚Closer‘, der 40. Todestag von Sänger Ian Curtis und nicht zuletzt das 40. Dienstjubiläum von New Order. Nur: So richtig genießen kann der Mann aus Manchester das Jubiläum nicht – Covid-19 macht ihm einen fiesen Strich durch die Rechnung.

Eigentlich wäre ich gerade auf Tour und würde jede Menge Festivals spielen. Stattdessen sitze ich zu Hause auf der Couch und weiß nicht, was ich anfangen soll“, so der 65-Jährige per Skype-Schalte von besagtem Möbelstück. „Gut, zumindest kann man wieder Fußball gucken, aber ich wäre lieber draußen, und würde das machen, was ich am besten kann: Live spielen und den Leuten eine tolle Zeit bescheren.“ Dazu hat er 2010 Peter Hook & The Light gegründet, eine Band, die kein anderes Ziel verfolgt als das Ansehen und Erbe von New Order und Joy Division aufzupolieren. Zwei Formationen, die für Hook weit mehr als nur Musik gemacht haben. Die ein Lebensgefühl einfingen, für eine bestimmte Zeit standen und bis heute nichts an Relevanz verloren haben.

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„Joy Division ist für mich die wichtigste Post-Punk-Band aller Zeiten“, sagt er im Brustton der Überzeugung. „Die beiden Alben, die wir damals aufgenommen haben, sind Meilensteine.“ Das gilt insbesondere für ‚Closer‘, das zweite und zugleich letzte Joy-Division-Werk, das am 18. Juli 1980 erschien – zwei Monate nach dem Freitod von Sänger Ian Curtis. Davon zeigt sich Hooky, wie er von seinen Freunden genannt wird, immer noch tief bewegt.

Peter, 2020 ist das Jahr der Jubiläen – positiv wie negativ. Welche Gefühle löst das in dir aus?

Es ist irgendwie verrückt. Ich meine, wenn du älter wirst, tauchen nach und nach all diese Jahrestage auf und du denkst dir: „Wo ist die Zeit geblieben – wie konnte sie so schnell vergehen?“ Das ist ein wirklich merkwürdiges Gefühl. Zumal Joy Division für mich immer noch sehr aktuell ist. Ich hatte eigentlich vor, den 40. von ‚Closer‘ mit einer ausführlichen Tour zu begehen. Das hat Corona verhindert, aber das Album an sich ist für mich noch sehr aktuell – losgelöst von seiner Geschichte und der merkwürdigen Situation, die ich gerade mit den anderen beiden Ex-Mitgliedern von Joy Division erlebe. Ich habe ein ganz fürchterliches Verhältnis zu Bernard Sumner und Stephen Morris. Das spielt da natürlich auch mit rein. Gleichzeitig bin ich aber wahnsinnig stolz, dass Joy Division nach 40 Jahren noch so einen nachhaltigen Einfluss auf die Musikwelt hat.

Also ein ziemliches Gefühlstorso?

Ja, ‚Closer‘ in seiner Gesamtheit zu spielen, was ich zum ersten Mal vor zehn Jahren getan habe, war einer der glücklichsten Momente, die ich als Musiker hatte. Ich wusste, dass ich es nicht mit den anderen beiden Idioten spielen konnte, also habe ich meine Freunde von Monaco verhaftet, die genauso viel Spaß dabei hatten wie ich. Im Ernst: Es war fabelhaft, dieses Album, das uns 1980 auf tragische Weise gestohlen wurde, endlich live zu bringen. Also es neu zu lernen und dann regelrecht zu genießen.

Das war noch besser und schöner, weil mein Sohn dabei war. Er hat die Bass-Riffs gelernt, damit ich den Gesang übernehmen konnte. Es war ein massives Déjà-vu und gab mir das Gefühl, endlich umzusetzen, wozu ich nie gekommen bin – nämlich diese Stücke auf die Bühne zu bringen. Wir sind schließlich schon drei Wochen nach Ians Tod zu New Order geworden und haben ‚Closer‘ regelrecht verbannt. Ich selbst habe es nie wieder gehört. Es war lange so, als ob es nichts mit mir zu tun hätte.

Angesichts der Tatsache, dass ‚Closer‘ als solcher Meilenstein gefeiert wird und viele Bands geprägt hat: Fragst du dich manchmal, was passiert wäre, wenn ihr hättet weitermachen können?

Oh ja, klar. Ich denke oft darüber nach, wie wohl unser drittes Album geklungen hätte. Denn angesichts von Stücken wie ‚Ceremony‘ oder ‚In A Lonely Place‘ tendierten wir in eine fantastische Richtung. Trotz aller Probleme, die Ian hatte, waren wir extrem produktiv. Und ich bin mir sicher: Wir hätten noch etwas Umwerfendes bewerkstelligt. Aber ich bin dankbar für das, was wir erreicht haben. Die letzten zehn Jahre, in denen ich diese Musik wiederentdeckt habe, waren wahrscheinlich die besten meines Lebens. Und ich habe ja auch die anderen beiden dahingehend inspiriert, diese Stücke wieder aufzugreifen, was in den 30 Jahren, die ich bei New Order war, undenkbar erschien.

Angeblich warst du mit dem Sound von ‚Closer‘ nie wirklich zufrieden. Deinen Gitarrensound beim Opening-Track ‚Atrocity Exhibition‘ hast du mal mit einer erdrosselten Katze verglichen. Was hat dich an der Produktion von Martin Hannett so gestört?

Na ja, als ich bei Joy Division war, war mir die Produktion sehr wichtig – und ich war wirklich enttäuscht von dem, was Martin daraus gemacht hat. Es hat mich Jahre gekostet, um zu begreifen, dass er Recht hatte – und ich komplett daneben lag. Ich war ein verdammter Idiot: Er hatte einen viel tieferen, gebildeteren und besseren Blick, was Joy Division betrifft, als ich. Ich war viel zu nah dran und wollte wie die Sex Pistols klingen – zumal sie es ja auch waren, die mich inspiriert hatten, die Gruppe zu gründen. Schließlich war ich in meinem Kopf ein Punk-Rocker, der gegen die Welt rebellierte. Nur, dass meine Songs ganz anders klangen. Sie waren Rock, aber kein Punk. Der existierte nur in meiner Fantasie.

Meilenstein von 1980: Joy Divisions ‚Closer‘ (Bild: Warner Music)

Zumal du einen Bass-Sound entwickelt hast, der bis heute jede Menge Nachahmer findet, weil du ihn wie eine Gitarre spielst. Wie bist du dazu gekommen?

In erster Linie war es eine Reaktion auf Ian, der mochte, was ich getan habe, und mich dahingehend ermutigt hat, es in all unseren Stücken einzusetzen. Das war ein großes Kompliment von ihm und es hat dafür gesorgt, dass ich tatsächlich so etwas wie einen einmaligen Sound entwickelt habe – einen, den kein anderer hatte. Und diese Bassriffs, die Joy Division angetrieben haben, sind wirklich umwerfend. Mit New Order hatte ich auch noch ein paar davon, aber es war einfach wunderbar, so etwas Eigenständiges vorweisen zu können.

Und das Verrückte an New Order war: Als es in eine elektronischere Richtung ging, hat man mir nahegelegt, doch aufs Bassspielen zu verzichten – was die größte Herausforderung war, mit der ich mich je konfrontiert gesehen habe. Ich meine, bei Joy Division konnten sie gar nicht genug davon kriegen und ich war wie das Rückgrat der Band. Doch plötzlich wirst du gebeten, die Finger davon zu lassen. (lacht) Insofern war meine Karriere schon ziemlich interessant.

Auf deiner Homepage findet sich ein Foto von dem Shergold-Marathon-Bass, den du bis heute verwendest. Ein Sechssaiter – wie bist da dazu gekommen?

Was den betrifft, bin ich Bernard zu ewigem Dank verpflichtet. Er hat damals in einem Musikgeschäft im Zentrum von Manchester gearbeitet – einem wunderbaren Laden namens Mazel‘s, in dem alle Angestellten Anzug und Krawatte tragen mussten. Also ein sehr formeller Shop. Aber aus irgendeinem Grund hatten sie auch das neueste Gear. Sie waren die einzigen in der Stadt, die Shergold im Programm hatten.

Und nachdem Bernard in der Mittagspause damit herumspielen konnte und ihn für völlig verrückt hielt, meinte er zu mir: „Weißt du was, Hooky, dieser sechssaitige Bass würde perfekt zu deinem Spiel passen.“ Also habe ich ihn ausprobiert und mein Gott, so ein Teil in Händen zu halten, war schon ein bisschen beängstigend. Aber ich mochte den Hals und das Gefühl, das ich beim Spielen hatte. Ich mochte den Sound, den man erzielt, wenn man ihn anschlägt, denn er ist genauso gestimmt wie eine Gitarre: E, A, D, G, B, E. Ich habe ihn auf nahezu jedem Stück auf ‚Closer‘ verwendet.

Insofern finde ich es witzig, dass bis heute viele Leute meinen, ich würde auf dem Album Gitarre spielen. Tatsächlich hat es dafür gesorgt, dass ich einen Großteil von Bernards Arbeit übernommen und ihm somit den Freiraum verschafft habe, andere Sachen auszuprobieren, für die er sonst keine Luft gehabt hätte. Ganz nebenbei ist es mein Lieblingsbass geworden. Ich kenne niemanden, der einen sechssaitigen Shergold-Marathon-Bass spielt – und schon gar nicht auf die Art und Weise, wie ich das tue.

In den 90ern, auf dem kommerziellen Höhepunkt von New Order, hast du live wie im Studio Unmengen von Equipment aufgefahren. Es war dezent verrückt, um es mal milde zu formulieren.

Und auch das verdanke ich Martin Hannett. Er hat mich überredet, einen Alembic-Vorverstärker zu benutzen, einen mit Ventil und zwei Kanälen. Dadurch war ich in der Lage, den sechssaitigen Bass über einen Kanal laufen zu lassen, weil er passiv war. Und ihn dann aufzudrehen – während ich den aktiven viersaitigen Bass über den zweiten Kanal laufen ließ und ihn leise drehte. Außerbrachte mich Martin dazu, einen DC-300-Amcron-Stereo-Verstärker mit 1000 Watt zu benutzen. Und die Kombination aus diesen Bässen mit dem Preamp und dem Verstärker, der ein wunderbares, warmes Low End hatte, ergab einen umwerfenden Sound. Wenn ich mir Videos auf YouTube von unseren alten Gigs anschaue, bei denen wir uns einen Scheiß um die Lautstärke gekümmert haben, dann klingt der Bass einfach unglaublich.

Peter Hook mit Joy Division … (Bild: Pennie Smith)

Aber inzwischen hast du das alles ein ganzes Stück zurückgeschraubt, oder?

Das musste ich, weil mittlerweile jeder Tinnitus hat. Mich eingeschlossen … (lacht) Und die Art, wie ich das zurückgefahren habe, war im Grunde ganz einfach. Denn was mich in Sachen Equipment immer verblüfft hat, war: Jeder hat erst einmal einen Kompressor für seinen Bass verwendet. Das habe ich nie getan. Einfach, weil ich das nicht brauche. Ich prügele die Scheiße aus meinem Instrument. Deshalb benötige ich keinen Kompressor. Ich komme schließlich aus der Mark-Ronson-Gitarrenschule, die besagt: Je härter du die Saiten anschlägst, desto besser klingt es auch. Und ich musste nie viele Tricks einsetzen, weil ich so viel Input habe.

… und mit New Order (Bild: Pennie Smith)

Wie ist der Rechtsstreit zwischen New Order und dir eigentlich ausgegangen – also was die Namensrechte und ausstehende Tantiemen betrifft? Habt ihr euch wieder vertragen?

Leider nicht. Ich habe erst vor ein paar Tagen wieder einen fürchterlichen Brief von ihnen bekommen. Was zeigt: Wir haben die Gerichtsverfahren hinter uns gebracht, aber mehr auch nicht. Privat kommunizieren wir immer noch lediglich über unsere Anwälte. Das bricht mir wirklich das Herz, und es macht mir – wie uns allen – das Leben unnötig schwer. Aber ich muss da durch, weil ich im Recht bin. Und ich darf nicht zulassen, dass mich das aufhält oder mir den Spaß an der Musik und meiner aktuellen Band zerstört.

Es ist wie in jeder Beziehung: Leute ändern sich, Leute streiten sich und es funktioniert irgendwann zwischenmenschlich nicht mehr. Das erlebt jeder in seinem Leben von Zeit zu Zeit, und ich habe es leider besonders oft mitmachen müssen. Zum Glück waren meine privaten Scheidungen nicht so blutig und teuer wie es bei New Order der Fall ist, aber so ist es nunmal. Ich war auch mehr als einmal am Grab von Ian und habe versucht, dort Antworten auf meine Fragen zu finden. Leider hat er mir nie geantwortet… (lacht)

(erschienen in Gitarre & Bass 12/2020)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Ach Hooky, das ist so traurig. Seit Vierzig Jahren begleitet ihr mich. Mann, holt euch n Kasten Bier, setzt euch zusammen und macht n Strich unter eurem Zoff. Ihr habt zusammen soetwas Einzigartiges geschaffen. Ich liebe Euch alle Mann. Dirk aus Augburg

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