Der gute Ton

Nile Rodgers: Nutten, Koks und Disco

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Nile Rodgers(Bild: Jill Furmanovsky)

Nutten, Koks und Disco – als Mastermind von Chic sowie als Superstar-Produzent der 80er hat Nile Rodgers nichts anbrennen lassen. Mehr noch: Gegen ihn wirken selbst „bad boys“ wie Lemmy Kilmister, Keith Richards oder Little Richard wie Chorknaben. Und: Mit ‚It’s About Time‘ beweist er, dass er noch immer ein Gespür für den guten Ton hat.

Eigentlich sollte dieses Album schon 2015 erscheinen. Doch Nile Rodgers hat sich mit seinem Label überworfen und zuletzt mehr Gefallen am Touren als an der Studio-Arbeit gefunden. Am Konzept änderte das indes wenig: ‚It‘s About Time‘ ist das Comeback der legendären Disco-Truppe und besteht jeweils zur Hälfte aus neuen Stücken und unveröffentlichten Outtakes aus den 70ern. Wobei das neue Material aus Kollaborationen mit Kollegen wie Elton John, Emeli Sandé, Lady Gaga, Craig David, Mura Masa und Vic Mensa besteht.

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Das Ergebnis: Eine Zeitreise in die späten 70er: Funkiges mit Streichern, soulige Vocals, spacige Vocoder-Effekte und treibende Beats. Wobei allein die Titel Bände sprechen: ,Boogie All Night‘, ,Do You Wanna Party?‘, ,Dance With Me‘ oder ,I Dance My Dance‘ sind hedonistische Dancefloor-Hymnen, die zum Tanzen und Spaß haben bitten.

Nile Rodgers(Bild: Drew de F Fawkes)

interview

Nile, warum nach 25 Jahren mal wieder ein neues Chic-Album?

Nun, ich arbeite schon seit 1997 – seit einer Tribute-Show für meinen verstorbenen Partner Bernard Edwards – wieder unter dieser Flagge. Aber ein Grund, warum ich jetzt einen neuen Plattenvertrag als Chic unterschrieben habe, ist, dass es momentan nur ganz wenige schwarze Bands in Amerika gibt, die überhaupt einen Major-Deal haben. Deshalb ist es wichtig, da ein Zeichen zu setzen und ein Umdenken einzuleiten. Ganz abgesehen davon, dass ich das Gefühl habe, dass wieder Bedarf an Musik besteht, die dem Hörer ein gutes Gefühl vermittelt, ihn zum Mitsingen und Mittanzen animiert und ihn die triste Wirklichkeit für ein paar Minuten vergessen lässt.

Wann warst du das erste Mal in einer Disco?

Das muss Ende 1974 gewesen sein. Ich spielte damals in einer Rockband. Eines Abends landete ich mit einer Lady in diesem Club, wo eine frühe Version von ,Love To Love You Baby‘ lief. Es war etwas völlig anderes, das mich geradezu aus den Socken gehauen und in mir den Wunsch ausgelöst hat, etwas Ähnliches zu machen. Ich wollte ein Teil dieser aufregenden Welt sein, in der die Musik niemals zu enden schien, sondern immer weiter und weiter ging.

Der DJ ist von einem Stück ins nächste übergegangen, und zwar fließend. Das hatte ich noch nie zuvor gehört. Bis dahin war es immer so, dass ein Song endete, es eine kurze Pause gab, und dann fing der nächste an. Ich fand das irre. Nämlich, dass es nie einen Moment der Stille gab, sondern nur einen endlosen, anhaltenden Beat.

Du selbst hast dann zwischen 1976 und 1980 mehrere Millionen Singles verkauft – von ,Le Freak‘ über ,Everybody Dance‘ bis ,Good Times‘. Du hattest einen richtigen Lauf …

Wobei der wichtigste Song, den Bernard und ich je geschrieben haben, wahrscheinlich ,Good Times‘ war, weil es eine Nummer 1 nach dieser „Disco Sucks“-Bewegung war. Also nachdem die Leute ihre Disco-Platten verbrannt hatten, was für mich nichts anderes als ein Akt von Rassismus war. Denn es waren Weiße aus dem Bible Belt der USA, für die diese Musik nie bestimmt war. Wir haben sie in erster Linie für Menschen wie uns selbst kreiert – zum Tanzen, Spaß haben und allem, was dazugehört. Aber nicht für ein paar Landeier aus Wisconsin, die mit einem Journey-T-Shirt durch die Gegend liefen. Das war nicht unsere Zielgruppe. Und deshalb war es ein Witz, dass ausgerechnet die gegen uns protestierten und für so viel negative Presse und schlechte öffentliche Stimmung sorgten, dass es über Nacht geradezu verpönt war, eine Chic-Platte zu kaufen.

Ist das Comeback von Chic auch ein Indiz dafür, dass du das Liberale, Offene und Lebenslustige der Disco-Ära vermisst?

Und wie! Das ist ein weiterer Grund, warum ich diese Platte unter dem Bandnamen Chic veröffentliche. Und ich mag es, ein möglichst großes Statement abzugeben. Deswegen habe ich meinen neuen Vertrag auch nicht als „Nile Rodgers feat. Chic“, sondern als „Chic feat. Nile Rodgers“ unterschrieben. Denn: Ich wollte keine Verwirrung im Hinblick auf die Urbesetzung der Band aufkommen lassen, die ja aus Bernard Edwards und mir bestand. Nur: Ich bin nicht vor 25 Jahren gestorben. Was auch heißt, dass sich meine Musik weiterentwickelt und verändert hat.

Fragst du dich manchmal, wie es kommt, dass du der letzte Überlebende deiner „Gang“ bist, obwohl du es scheinbar am wildesten getrieben hast? Ist das die Ironie des Lebens?

Das könnte man so sagen. (lacht) Ich war der Draufgänger, der wilde Typ in der Band – und ich bin wirklich geschockt, dass ausgerechnet ich der letzte bin, der noch übrig ist. Denn im Ernst: Ich wurde so oft angezählt, bin aber immer noch hier. Aber ich weiß es zu schätzen und ich habe das Gefühl, dass ich unsere Fackel noch ein bisschen weitertragen kann. Wo ich doch schon so viel weiter gekommen bin, als ich es je für möglich gehalten hätte.

Laut deiner Autobiographie „Le Freak“ von Ende 2011 hast du es richtig krachen lassen – mit Kokain-Orgien in den Toiletten des Studio 54 …

Die wurden eigentlich für nichts anderes benutzt. Also ich kenne niemanden, der da wirklich auf Toilette gegangen wäre, sondern da haben sich alle nur die Nase gepudert. Und zwar Männer wie Frauen. Es war eine Sache, von der jeder wusste und die quasi Teil des gesellschaftlichen Events war – wie sich die Hand zu geben oder gemeinsam anzustoßen. Deswegen haben es auch alle getan. Wobei ich vorher nur LSD genommen hatte …

Angeblich schon seit deinem 13. Lebensjahr. Stimmt das?

Oh ja! Ich war mit meinen Eltern bei einem dieser Timothy-Leary-Events, die er Ende der 60er überall in den USA organisiert hat, und bei denen es um gezielte Bewusstseinserweiterung durch LSD ging. Das war wunderbar. Ich meine, ich hatte damals keine Ahnung, was LSD war, aber weil es alle genommen haben, habe ich es natürlich auch probiert. Was soll ich sagen: Es war eine seismische Veränderung in meinem Leben. Wie das Tor zu einer anderen Welt. Danach bin ich von der klassischen Musik zu Jazz und R&B und später zu Rock gewechselt.

Nile Rodgers(Bild: Majk Zanqrelle)

Wobei du den Missbrauch so auf die Spitze getrieben hast, dass du nach einem Abend mit Mickey Rourke in die Notaufnahme musstest und für klinisch tot erklärt wurdest …

Mein Totenschein war schon ausgestellt – weil sie achtmal versucht hatten, mich wiederzubeleben, und es nie geklappt hat. Bis zum neunten und letzten Versuch, auf den ich angesprungen bin. Ich meine, ich war zwar dabei, aber was die Details betrifft, kann ich mich nur auf den Arzt berufen. Und das ist es, was er mir erzählt hat.

Danach hattest du noch eine Kokain-Psychose auf einer Party von Madonna, was damit endete, dass du dich mit einem Samurai-Schwert im Wandschrank versteckt hast?

Das ist wirklich passiert. Also ich übertreibe hier kein bisschen. Es war in den Mittneunzigern, als ich auf eine Party in Madonnas Haus eingeladen war. Und da hatte ich drei Tage lang hintereinander durchgemacht, mir so viel Zeug reingepfiffen wie möglich und fing an, Stimmen in meinem Kopf zu hören. Was angsteinflößend war. Zumal sie mir einredeten, dass die Mafia eine Prämie auf meinen Kopf ausgesetzt hätte. Also rief ich einen Laden für fernöstliche Waffen an und bestellte ein Samurai-Schwert, das auch prompt geliefert wurde. Dann habe ich noch ein paar schwere Jungs kontaktiert, die ich kannte. Sie haben mir einen 45er-Revolver vorbeigebracht. Alles zu dieser Party. Damit habe ich mich im Wandschrank zwischen Madonnas Kleidern versteckt. Wobei die Stimmen einfach nicht aufhörten.

Und danach hast du Schluss mit den Drogen gemacht?

Mit den harten Sachen, ja. Ich habe in einem Magazin gelesen, dass Keith Richards damit aufgehört hätte und dachte mir: „Wenn er das hinkriegt, gelingt mir das schon lange.“ Weshalb ich in eine Entzugsklinik eingecheckt habe. Und am Tag nach meiner Entlassung bekomme ich tatsächlich einen Anruf von Keith, ob ich ihn mit Koks versorgen könnte. (lacht) Das ist kein Witz, Mann, sondern die Wahrheit. Was dir zeigt: Glaube nie, was du in einem Magazin liest.

Wobei du dich aber nicht auf Drogen beschränkt hast, sondern auch gerne ausschweifende Orgien mit Groupies, Prostituierten und Stewardessen gefeiert hast …

Ja. Ich habe nichts anbrennen lassen, sondern alles mitgenommen, was sich mir geboten hat. Einfach, weil ich neugierig war, weil ich das spannend fand und auch nicht unhöflich sein wollte. Also wenn sich dir eine Lady anbietet, darfst du sie nicht zurückweisen.

Letzte Frage: Was macht „The Hitmaker“, also die Fender Stratocaster, auf der du all deine Hits geschrieben hast, so besonders? Spielst du sie immer noch?

Ja, und ich werde nie eine andere anfassen! Ich meine, es mag abergläubisch klingen, aber ich denke, dass es diese eine Gitarre ist, der ich alles zu verdanken habe. Also die meinen Sound geprägt hat, die mich diese Songs hat schreiben lassen und die einfach ein wichtiger Teil von mir ist. Insofern: Warum sollte ich daran etwas ändern? Ich habe mittlerweile ein paar Replikate, die ich mit auf Tour nehme – damit dem Original nichts passiert. Aber: Wenn ich schreibe oder im Studio aufnehme, dann mit dieser Gitarre von 1960.

Ich habe sie Anfang der 70er in einem Laden in Miami gekauft, als Bernard und ich im Vorprogramm der Jackson 5 unterwegs waren. Wir hießen damals noch die Big Apple Band und waren nur moderat erfolgreich. Wir waren eigentlich ganz gut. Bis auf meinen Gitarrensound, der nicht wirklich funky war. Er klang zwar gut, aber eher in der Art von George Benson. Irgendwann meinte Bernard: „Hör mal, leg die Jazz-Gitarre weg und probier mal eine Strat.“ Ich war erst nicht sonderlich begeistert von der Idee, aber dann bin ich mit meinem Acoustic-Verstärker und meiner alten Gitarre in diesen Laden. Der Verkäufer nahm die Strat, stöpselte sie in meinen Verstärker und es klang verdammt funky – es war mein neuer Sound. Den hege und pflege ich seit 45 Jahren. Einfach, weil das mein Ding ist. Und ich wäre schön blöd, wenn ich daran etwas ändern würde.

Nile Rodgers(Bild: Jill Furmanovsky Archive JFA)

Diskografie

Mit Chic:
Chic (Atlantic, 11/1977)
C‘est Chic (Atlantic, 8/1978)
Risqué (Atlantic, 7/1979)
Real People (Atlantic, 6/1980)
Take It Off (Atlantic, 11/1981)
Tongue In Chic (Atlantic, 11/1982)
Believer (Atlantic, 11/1983)
Chic-ism (Warner, 3/1992)
It‘s About Time (Virgin/Universal, 9/2018)
Solo:
Adventures In The Land Of The Good Groove (Mirage, 3/1983)
B-Movie Matinee (Warner, 6/1985)
Outloud (Warner, 1987)
Chic Freak And More Treats (A440 Music Group, 1996)

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2019)

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