(Bild: WDR/Thomas von der Heiden)
Da sitzt man abends vor dem Bildschirm, zappt sich etwas gelangweilt durchs lineare TV-Programm und plötzlich ein Sound, der einen von der Couch haut. Sofort stellt dieser epische, instrumentale Heavy-Rock die Aufmerksamkeit wieder her. In einer Art Stahlgerüst rocken drei headbangende Gitarristen und schwingen Gibson SG und Les Paul Goldtop, dahinter ein Drummer, der das Klanggewitter mit virtuosen Breaks befeuert.
Etwas stimmt nicht: Da ist ein dicker Bass-Sound, aber wo ist eigentlich der Bassist? Egal, die Musik nimmt einen sofort ein, und hinter dem Bombast zeigt sich nach und nach viel Tiefe.
Neànder sind Jan Korbach (g), Michael Zolkiewicz (g), Patrick Zahn (g) und Sebastian Grimberg (dr). Die Berliner spielten 2020 live in der Zeche Zollverein in Essen, inmitten eines Kühlturms, von dem nur noch das Metall-Gerüst existiert. Eine passende Kulisse für ihren Mix aus massiven Riffs, groß angelegten Melodien und transzendenten Sounds. Der WDR-Mitschnitt fand im Rahmen der Rockpalast/Offstage-Reihe statt – pandemiebedingt natürlich ohne Publikum.
Stoner Rock, Doom/Black Metal, Progrock und moderner Postrock kommen einem in den Sinn, hört man sich durch das aktuelle Album ,Eremit‘. Die Instrumentals haben schon mal eine Länge von über acht Minuten und beeindrucken durch ihre Dynamik. Heftigere Passagen mit schnellen Gitarrenkaskaden atmen den Geist von Wolves In The Throne Room.
Die langsamen, hypnotischen wie düsteren Passagen verbreiten eine Atmosphäre im Stile von Black Sabbath. Letzteres spiegelt auch das getragene Album-Artwork wider: In der weiten Küstenlandschaft übersieht man fast die kleine dunkle Gestalt, die aufs Meer blickt. Die Band hat einen sehr eigenen Heavy-Stil kreiert, mit dem sie genauso gut im kleinsten Underground-Club auftreten können wie auf dem Wacken Open Air. Wie geht sowas? Gitarrist Jan Korbach antwortete.
Hallo Jan, was machst du im Moment?
Ich arbeite noch für Glitterhouse Records und schreibe gerade an einem Instrumental-Album. Das ist nicht für Neànder, sondern es wird eine Verbindung aus Doom und Americana, bei der Bariton-Akustikgitarren zum Einsatz kommen. Du merkst, das läuft eher unter „Special Interest“.
Was ja auch auf Neànder zuzutreffen scheint. Euer Instrumental-Rock wirkt im ersten Moment alles andere als massenkompatibel.
Schon, aber ich habe das Gefühl, dass wir für harte Musik noch relativ easy listening sind, auch wenn die Stücke sehr lang ausfallen. Uns hören, meiner Meinung nach, auch viele Leute, die sonst nur auf Doom Metal stehen, also extrem harte Musik. Und wir erreichen auch Leute, die sonst so etwas nicht hören.
Also Musik-Fans, die gar keinen Metal hören.
Ja, weil wir keine Vocals haben und niemand schreit herum oder so. So können sich da auch andere Leute in unserer Musik verlieren.
Seit wann gibt es Neànder?
2016/17 haben unser Drummer Basti und ich angefangen zu zweit ein bisschen zu jammen. Wir hatten eigentlich den Plan, eine Metalband zu gründen. Irgendwann ist das erste Demo zu dem Song ,Moder‘ entstanden. Das haben wir Freunden gezeigt und die haben uns darauf aufmerksam gemacht, dass der Song eine geile Atmosphäre hat und keinen Gesang mehr braucht. Wir wollten damit ursprünglich einen Sänger suchen. Das ist ja eine gute Idee, dachten wir, dann machen wir eben eine Instrumentalband.
Wir haben fleißig weitergeschrieben, dann sind Patrick und Michael eingestiegen und 2019 ist das erste Album ,Neànder‘ rausgekommen. Aufgrund der guten Presseresonanz haben wir auch gleich eine Booking-Agentur gefunden, und nach einem ersten Konzert sind wir gleich drei Wochen auf Tour gewesen. Jetzt warten wir natürlich darauf, dass wir irgendwann wieder auftreten können.
Wie sehen eure musikalischen Einflüsse aus?
Wir kommen alle eher aus der Punk-/Hardcore-Ecke und haben früher in solchen Bands gespielt. Daneben haben wir viel Metal gehört und sind oft auf Metal-Konzerte gegangen. Ich persönlich bin in den letzten zehn Jahren eher in der Zeit zurückgegangen und habe viel Mercyful Fate, Thin Lizzy und eine meiner Lieblingsbands, Blue Öyster Cult gehört. Irgendein englischer Journalist hat gesagt, dass wir eine ähnlich düstere Atmosphäre hätten wie Blue Öyster Cult. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber ich habe das als großes Kompliment aufgefasst.
Du benutzt ja ein sehr umfangreiches und ungewöhnliches Setup. So spielst du etwa eine selten anzutreffende weiße Gibson SG Baritone. Wo hast du sie gefunden?
Die habe ich direkt von Gibson bekommen. Michael und ich spielen ja noch in der Band von Indie-Rapper Casper – das ist ein Freund von mir, den kenne ich seit ich vierzehn bin. Darüber habe ich irgendwann ein Gibson-Endorsement bekommen. Und die hatten auch die Baritone im Angebot, die ich dann direkt gekauft habe. Um so eine Gitarre spielen zu können, musst du auch über 1,90 m sein wie ich.
Wegen der vergleichsweise längeren Mensur.
Genau. Bei mir sieht sie ja schon fast normal aus, aber die Gitarre ist echt groß!
Wie wird die Baritone gestimmt?
Wir bewegen uns alle drei im Drop-A-Tuning, also A-E-A-D-F#-B
Das ist also ein Drop-D-Tuning (D-A-D-G-B-E), das nochmal um eine Quarte runtergestimmt wird.
Exakt, das ist schon sehr tief. Deswegen brauchst du dicke Saiten, um die Spannung zu erhalten. Sie reichen von der dicksten Saite .072 bis .013. Und das ist echt fett.
Ist so ein Saitensatz für dich gut zu spielen?
Man gewöhnt sich recht schnell daran. Man muss ein bisschen vorsichtig sein, wenn man auf eine normale Gitarre wechselt und versucht, sie wie eine Bariton zu bearbeiten. Wenn man Soli spielen will, ist das mit einer Bariton natürlich mehr Arbeit, das muss man trainieren.
Mit deiner Baritone SG übernimmst du auch die Bass-Sounds. Wie machst du das genau?
Indem ich mein Gitarrensignal splitte. Das Signal geht zum einen in zwei Gitarrenverstärker, die parallel laufen, einen Fender-Amp und einen Marshall Plexi mit Orange-4x12er-Box. Zum anderen läuft das Signal in einen Orange-OB1-500-Bassverstärker mit Marshall-4×15- Cabinet. Um noch mehr tiefe Frequenzen rauszubekommen, schalte ich vor den Bass-Amp einen Bass-Equalizer und einen Octaver. Und dann habe ich noch einen Zerrer damit das Bass-Signal ordentlich verschwimmt. So lässt sich ganz gut ein Bass-Sound nachahmen.
Schaltest du zwischen dem Gitarren- und dem Bass-Sound um oder laufen beide parallel?
Das kommt drauf an. Wenn wir ein Intro nur mit Gitarren spielen, schalte ich per Splitter den Bass-Amp aus. Wenn die Drums dazukommen, schalte ich auf der 1 den Bass dazu und es rummst ordentlich. Da muss man sich schon konzentrieren.
Ihr habt alle drei sehr viele Effekte am Start.
Jeder von uns setzt andere Sachen ein. Patrick hat zum Beispiel weniger analoge Pedale, benutzt aber ein Line-6-Board, sodass er weniger schalten muss. Aber ich bin da irgendwie sehr old school. Ein Amp muss schwer sein, so blöd das auch klingt.
Wie läuft bei euch das Songwriting ab?
Wir sind ja alle Mitte 30 und haben viele Erfahrungen in anderen Bands gesammelt. Wir sind keine Band, die alles komplett gemeinsam im Proberaum ausbaldowert. Wenn ich eine Idee habe, gehe ich mit Basti in den Proberaum und dann wird relativ schnell klar, ob ein Riff etwas taugt oder nicht. Wenn etwas gut ist, nehmen wir die Drums gleich auf.
Ich arbeite zu Hause am Rechner daran weiter, gehe damit zu Pat, der ein kleines Studio hat, und wir spielen über die Drum-Spur. Das schicken wir dann rum, es wird darüber diskutiert, und der Song nimmt meist neue Wendungen. Schließlich wird alles zusammen eingeprobt und als Demo aufgenommen. Dabei muss man sich noch ein bisschen Luft lassen, um später im Studio noch einen draufsetzen zu können. Diese Vorgehensweise hat sich für uns bewährt.
,Eremit‘ wurde vergangenes Jahr aufgenommen. Wie lief das ab?
Wir haben innerhalb von drei Monaten die Songs geschrieben und dann das Album in einer Woche aufgenommen. Als erstes spiele ich mit Schlagzeuger Basti ein, so dass er dieses Live-Feeling hat. Wir spielen mit Click, aber achten darauf, dass es fließt und nicht zu digital oder zu bearbeitet klingt. Innerhalb von zwei Tagen haben wir alle Drums im Studio von Kadavar-Schlagzeuger Christoph Bartelt aufgenommen. Später erst wurden im Hidden Planet Studio die Gitarren, ein richtiger Bass und Sound-Flächen aufgenommen.
Im Studio nutzten wir auch eine akustische Zwölfsaiter-Gitarre – in Standard-Stimmung – um gewisse Lead-Gitarren zu doppeln. Bei ,Eremit‘ kann man das gut hören. Im Refrain ist dieser hohe Triller immer mit der 12-String gedoppelt. Man hört sie auch im ruhigen Outro von ,Atlas‘. Und dazu kommen schöne, lang ausgehaltene Noten von den E-Gitarren. An der Stelle haben wir über die Acoustic eine Slide-Gitarre gelegt. Wir haben uns zwar für das Album den Rahmen relativ eng gesteckt, haben jedoch durch kleine Nuancen wie eben den Bottleneck oder auch mal eine Double-Bassdrum unseren Sound erweitert.
Eure größtenteils recht komplexen Stücke spielt man live vermutlich nicht so einfach runter, oder?
Das stimmt, aber das Schöne ist: Wenn man sie oft genug gespielt hat, kann man sich selbst darin verlieren und so ein bisschen in Trance geraten. Aber man muss vor dem Gig ein bisschen mit dem Bier aufpassen. Für uns ist es sehr wichtig, dass wir das richtige Tempo haben. Wir spielen live nicht nach Click. Und da auf der Bühne die Gefahr besteht, durch zu viel Adrenalin ein bisschen schneller zu sein, als es für die jeweilige Nummer gut ist, muss man sich dann immer etwas ausbremsen. Denn wenn man zu schnell in einen Song reinbrettert, dann funktioniert er nicht mehr.
NEÀNDER GEAR
Jan Korbach
Gitarren: Gibson SG Baritone AW, Gibson Les Paul Studio, Ibanez Acoustic 12-String
Amps & Boxen: Fender Hot Rod Deluxe Black, Marshall Plexi 1959 SLP 100W, Tube Amp Doctor Silencer, Orange 4×12 Cabinet, Orange OB1 500, Marshall 4×15 Cabinet
Effekte: Boss Tuner oder Polytune, Lehle P-Split, Lehle Dual Split, Electro Harmonix Bass Big Muff, KHDK Clean Boost, TC Electronic Hall of Fame, Mooer Slow Engine Swell, Digitech The Drop, TC Electronic ND-1 Nova Delay, Lehle Little Dual II Splitter, JPTR FX Gainsaw Fuzz, ProCo The RAT, Boss Super Octave OC-3, Boss Bass Equalizer, Electro Harmonix Bass Big Muff PI
Zubehör: Ernie-Ball-Saiten 6String Baritone Slinky .013 – .072, Dunlop-Plektren 88mm
Patrick Zahn
Gitarren: Ibanez PF-150 L mit Häussel-P90-PUs, Nik Huber Dolphin Bolt On
Effekte: Korg Pitchblack, Fulltone OCD, Digitech DOD Carcosa Fuzz, Line 6 HX Stomp
Amps & Boxen: DV Mark Little 40 II, DV Mark CMT 50, Marshall 4×12, DV Mark 212 Neoclassic V
Zubehör: Saiten .014 – .070, Dunlop-Plektren Nylon Max Grip 0.73mm
Michael Zolkiewicz
Gitarren: Gibson Les Paul Studio, Gibson ES-335 Dot Vintage Ebony, Fender SQ Classic Vibe Jazzmaster
Amps & Boxen: Fender Hot Rod Deluxe White Lightning, Orange Rockerverb 100 MKII, Marshall 4×12 Cabinet
Effekte: Fulltone OCD Overdrive, JPTR FX Gainsaw Fuzz, MXR Super Comp M132, Electro Harmonix Neo Clone Chorus, TC Electronic Hall Of Fame, Boss Digital Reverb RV-5, Digitech The Drop, TC Electronic ND-1 Nova Delay, Lehle Little Dual II Splitter, T-Rex Fuel Tank Classic
Zubehör: Ernie-Ball-Saiten Baritone Slinky .013 – .072, Dunlop-Plektren 0.73 mm, Monster Cable
(erschienen in Gitarre & Bass 07/2021)