Interview

Muskelmasse vs. Punkrock-Klasse: Doyle Wolfgang von Frankenstein

Anzeige
(Bild: Ingrid Iversion / Doyle / KHDK)

Doyle Wolfgang von Frankenstein aka. Paul Doyle Caiafa gehört nicht gerade zu den redseligsten Musikern unter der Sonne. Der 58-jährige Amerikaner, dessen ungewöhnlicher Künstlername eher eine sperrig-skurrile Persönlichkeit suggeriert, ist zwar ein ausgesprochen höflicher Zeitgenosse, seine Antworten sind jedoch zumeist knapp gehalten. Vor allem über die Misfits, also die Band, mit der er in den 1980ern und 1990ern weltweit berühmt wurde, spricht er derzeit nur höchst ungern. Der langjährige Streit mit seinem Bruder und Misfits-Sänger Jerry Only (bürgerlich: Gerald Caiafa Jr.) wird in der Presse immer wieder genüsslich breitgetreten. Aber weshalb sollte Doyle Wolfgang von Frankenstein über eine mehr als nur unklare Situation sprechen wollen? Immerhin gibt es in seinem Leben als Musiker, Solokünstler und Instrumentenentwickler genügend erfreulichere Themen.

Zu den bislang spektakulärsten Coups seiner Karriere gehören die von ihm selbstgebaute Annihilator-Graphitgitarre und die daraus resultierende, wenn auch nur temporäre und wohl eher durchwachsene Zusammenarbeit mit Oktober Guitars. Deutlich vielversprechender scheint da der aktuelle Deal mit Dean Guitars zu sein, die das kantige Instrument in Serie produzieren wollen. Zudem ist seine Zusammenarbeit mit dem FX-Hersteller KHDK (wir haben den Eigentümer David Karon in G&B 03/23 ausführlich vorgestellt) schon jetzt ein absolutes Erfolgsmodell, mit den begehrten Octaver-Pedalen Annihilator und Annihilator II, die beide derzeit ausverkauft sind. Wir haben uns mit dem vielseitigen Musiker zu einem Gespräch verabredet, um ihn noch genauer kennenzulernen.

Anzeige

INTERVIEW

Hallo Doyle, mit welchen Idolen, mit welchen Songs bist du aufgewachsen? Wer war der Grund, dass du mit dem Gitarrespielen angefangen hast?

Wie du sicherlich weißt, bin ich schon sehr früh zur Musik gekommen, da ich sie von klein auf geliebt habe. Es fing bei uns zuhause in der Garage an, wo mein älterer Bruder Jerry Only mit den Misfits probte. Mit 13 kaufte ich mir meine erste Gitarre. Mein Bruder zeigte mir zunächst die ersten Töne auf der tiefen E- und der A-Seite. Dann folgten die ersten Akkorde, die ersten Barré-Griffe. Beeinflusst bin ich von einer Vielzahl an tollen Bands und Musikern, darunter Joe Perry, Ace Frehley, Tony Iommi, die Band von Alice Cooper, ich liebte Steve Jones von den Sex Pistols, Johnny Ramone, ich fand Generation X super, aber natürlich auch Jimmy Page. Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen und aufhören soll. Es waren wirklich unzählige Musiker, die mich damals inspiriert haben.

Du bist also unverkennbar in den späten 1970ern musikalisch sozialisiert.

Ich bin 1964 geboren und war dementsprechend Ende der 70er in meinem einflussreichsten Teenager-Alter. In dieser Phase öffnen sich einem Jugendlichen unendlich viele faszinierende Welten.

Bist du dementsprechend auch mit den typischen Instrumenten der Siebziger aufgewachsen?

Ja, vermutlich. Meine erste wichtige Gitarre war eine 55er Gibson Les Paul Junior, wie sie klassischer für diese Ära wohl kaum sein könnte. Ursprünglich hatte sie ein Finish in Tobacco Sunburst, doch ich schmirgelte die Farbe komplett ab und lackierte die Gitarre neu, natürlich in Schwarz. (lacht) Hinzu kamen ein AmpegV4-Amp und eine selbstgebaute Lautsprecherbox. Eine recht ungewöhnliche Zusammenstellung, nicht wahr?

Besitzt du all diese Instrumente noch?

Die Les Paul Junior nicht mehr, die hatte mir mein Bruder nur geliehen und sie dann später jemand anderem gegeben. Aber der Ampeg V4 und die Custom-Box sind noch immer in meinem Besitz.

Warst du damals ein fleißiger Gitarrist, hast du viel geübt?

Na ja, wie man’s nimmt. Ich war vor allem eines: ungeschult. (lacht) Alles das, was ich heute kann und weiß, habe ich mir selbst beigebracht. Pentatonik? Lernte ich, ohne zu wissen, was es ist. Niemand zeigte mir Palm-Muting, ich fand es selbst heraus und übte es so gut es ging. Ich konnte zunächst auch nur ein paar Coversongs spielen, lediglich drei, vier Nummern von den Ramones, viel mehr gab es da nicht. Alles andere habe ich mir selbst erarbeitet. Ich wusste nichts über Arpeggios, kannte keine Jazz-Harmonien und all diesen Mist.

Du hast also nur wenig gecovert und stattdessen lieber deine eigenen Songs gespielt, richtig?

Wie gesagt: Außer ein paar Ramones-Nummern, die wir bei unseren Proben nur so zum Spaß geübt haben, habe ich nie fremde Songs gespielt.

Alles zu Doyles Annihilator-Gitarre auf Seite 2

Die von Doyle gebaute Annihilator-Gitarre

Wann hast du gespürt, dass Standardgitarren nicht dein Ding sind und du stattdessen dein eigenes Instrument entwerfen und bauen möchtest?

Wir hatten 1986/1987 bei den Misfits eine Ibanez-Iceman-Gitarre und einen Rickenbacker-4001-Bass, sowie eine Cort-Gitarre, die eine ähnliche Form wie die Iceman hatte. Wir schraubten ständig an ihnen herum, bauten sie auseinander und setzten sie wie eine Art Puzzle wieder zusammen. Sie bekamen neue Potis, wir gingen in unsere Maschinenfabrik und bauten stabilere Brücken, damit die Instrumente noch robuster werden. So kam ich dann auf die Idee, mir mit einer der Fräsen eine komplett eigene Gitarre zu bauen.

Wie lange hat es von der ersten Idee bis zur ersten Gitarre gedauert, mit der du rundum zufrieden warst?

Früher bekam man in Amerika als Schüler sein Unterrichtsmaterial vom Staat ausgeliehen. Man musste die Bücher natürlich sorgfältig behandeln, da man sie irgendwann zurückgeben musste. Also kaufte meine Mutter in einem Schreibwarengeschäft Bögen aus Pappe, um die Bücher darin einzuschlagen. Auf einer dieser Pappen zeichnete ich die Form einer Gitarre, so wie ich sie mir vorstellte. Ich liebte diese Zeichnung, und als wir die Bücher nach dem Ende meiner Highschool-Zeit zurückgeben mussten, behielt ich die Pappe und schnitt die Zeichnung aus. Das war quasi die Vorlage für meine erste Annihilator-Gitarre.

Eines Tages kamen ein paar Typen in unser Maschinengeschäft und wollten, dass ich ihnen bei ihrer Gitarre helfe. Sie hatten nur den Hals, und wir konzipierten dazu einen Korpus. Das war eine völlig neue Erfahrung für uns, wir lernten den Gitarrenbau quasi beim Ausprobieren. So kam ich auf die Idee, mir selbst auch eine Gitarre nach meinen eigenen Vorstellungen zu bauen. Also kramte ich das Stück Pappe aus der Schublade hervor, legte meine Iceman daneben und stellte fest, dass die Proportionen meiner Vorlage mit der Iceman fast identisch waren. So ist meine erste Annihilator entstanden.

(Bild: Ingrid Iversion / Doyle / KHDK)

Was sind aus deiner Sicht die signifikantesten Unterschiede zwischen einer Standardgitarre und deiner Annihilator?

Zunächst einmal: Das erste Modell besaß noch einen Korpus aus Mahagoni-Holz, das ich von Paul Reed Smith gekauft hatte, und ein Griffbrett aus Palisander, das ich von einem Typen bekam, der in den 1950ern Gitarren für Gibson und Fender gebaut hat. Erst später entschied ich, die nächste Gitarre aus Graphit zu bauen.

Ist das Graphit-Modell besonders schwer?

Na ja, vielleicht ein wenig schwerer als Standardgitarren, aber immer noch akzeptabel.

Gab es Anfragen von großen Herstellern, dein Konzept zu lizensieren und die Annihilator in Serie zu produzieren?

Nein, es gab keinerlei Interessenten.

Unfassbar!

Wir schickten meine Gitarre und die meines Bruders zu Bernie Rico von BC Rich. Für uns war es offensichtlich, dass BC Rich sie eigentlich bauen müssten. Zunächst reagierte die Firma überhaupt nicht, dann bekam ich einen Anruf mit der Frage: „Wie kommst du ausgerechnet auf uns?“ Ich sagte: „Wovon sprecht ihr? Dies ist doch genau die Art Gitarren, die ihr auch selbst baut!“ (lacht) Aber sie waren nicht interessiert und schickten uns unsere beiden Gitarren zurück. In den zurückliegenden fünf oder sechs Jahren habe ich mich unter anderem an ESP und Schecter gewandt, ohne Ergebnis.

(Bild: Ingrid Iversion / Doyle / KHDK)

2017 lernte ich auf Tour jemanden von Dean Guitars kennen und gab ihm die originale Annihilator, die ich vor Jahren gebaut hatte. Wir telefonierten vier bis fünf Mal, unterhielten uns über die Specs, über die Form, ich schickte ihnen Fotos und weitere Vorschläge. Das alles zog sich über mehr als vier Jahre hin, bis seit etwa 2021 so richtig Schwung in die Sache gekommen ist. Es existieren bereits zwei Prototypen, einen davon habe ich kürzlich auf der Bühne gespielt, der andere wird gerade lackiert. Anschließend sollen die Planungen für ein Produktionsmodell beginnen.

Gibt es bereits einen Veröffentlichungstermin?

Nun, ich erwarte den lackierten Prototypen in den nächsten zwei, drei Wochen zurück, und wenn der okay ist, müssen sie bei Dean natürlich noch ihre Maschinen auf die Produktion einrichten. Einige Exemplare sollen per Hand gefertigt werden, die anderen werden dann als Serienmodell erhältlich sein.

Sollen es denn vorrangig exklusive Boutique-Gitarren werden? Oder hättest du gerne auch eine Art „Jedermanns-Modell“ zu einem kleinen Preis?

Ich hätte gerne, dass jeder, der sich diese Gitarre kaufen möchte, sie sich auch leisten kann. Meine Instrumente sollen gespielt werden, und nicht, womöglich handsigniert, an irgendeiner Wand hängen. Deshalb wird es garantiert auch günstigere Modelle geben. Ich habe vor einiger Zeit herausgefunden, dass es in China oder so eine Firma gibt, die billige Kopien meiner Gitarre anbietet, für unter 300 Dollar. Ich wusste zunächst nicht, was ich davon halten soll, doch dann sah ich, dass sie darüber hinaus auch Kopien von Instrumenten von Eddie Van Halen, Dimebag Darrell oder Gene Simmons herstellen, und ich dachte: „Wisst ihr was? Ich fühle mich geehrt, verdammt noch mal!“ (lacht)

Zusammenarbeit mit KHDK Pedals auf Seite 3

(Bild: Ingrid Iversion / Doyle / KHDK)

Wie ist deine Zusammenarbeit mit David Karon von KHDK zustande gekommen?

Irgendwann rief mich Scott Ian von Anthrax an und sagte: „Hör mal, Doyle, es gibt da eine kleine Company, die würde gerne ein Signature-Overdrive-Pedal mit dir entwickeln. Hast du Interesse?“ Ich antworte: „Ja natürlich!“ Scott gab mir Davids Nummer, ich rief ihn an und er fragte mich: „Was genau stellst du dir vor?“ Ich antwortete: „Ich hätte gerne ein Octave-Pedal, denn ich stehe auf diesen brutalen Sound!“ Immer wenn ich mit einem Octaver spiele, klingt es nach einer zweiten Gitarre oder nach einem zusätzlichen Bass und somit super heavy.

Seit Kurzem gibt es die zweite Neuauflage der Weiterentwicklung Annihilator II. Was sind die Unterschiede zur Erstauflage?

Annihilator II hat einen noch fetteren Ton als Annihilator I und unterstützt den Amp daher noch stärker. Das Feature nennt sich „Octatone“ und kann auch als Einzeleffekt aktiviert werden. Natürlich kann man auch nur den Boost verwenden oder sich mehr Gain abholen. Das geht entweder zusammen oder getrennt voneinander. Jeder Gitarrist sollte dieses Pedal mal testen!

(Bild: Dieter Stork)

Der Erfolg spricht für dich: Die kleinen Tretminen sind weitestgehend ausverkauft.

Das stimmt, aber ehrlich gesagt wundert es mich nicht, denn alles, was irgendwie mit den Misfits zusammenhängt, wird sowieso wie verrückt gesammelt. Wenn wir Kaugummi anbieten würden, wären auch die in Windeseile ausverkauft und man würde halb Amerika kauen sehen.

Kommen wir zum Ende unseres Gesprächs zu deinen Zukunftsplänen: Was steht bei dir an? Auch Konzerte mit den Misfits?

Zurzeit buche ich nur meine Soloshows, für die Misfits gibt es im Moment keine konkreten Pläne. Ich habe während der Pandemie Songs für zwei neue Alben geschrieben, habe versucht meinen Gesang zu verbessern und auch die Texte immer wieder überarbeitet. Ob und wann das alles erscheint, steht noch in den Sternen. Ich würde am liebsten erst einmal ein paar Singles veröffentlichen, anschließend touren und gleichzeitig weitere Singles auf den Markt werfen. Wenn dann elf oder zwölf zusammengekommen sind, könnte man vielleicht das Album herausbringen.


(erschienen in Gitarre & Bass 04/2023)

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.