Zur Neuauflage seines Debütalbums ‚Back To The Light‘
Musikalische Selbsttherapie: Brian May im Interview
von Marcel Anders,
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(Bild: Richard Gray)
Der Queen-Gitarrist nutzt die Corona-Zwangspause zur Neuauflage seines ambitionierten, aber vergriffenen 92er-Solo-Debüts ‚Back To The Light‘. Für GITARRE & BASS ein willkommener Anlass, um mit dem 74-Jährigen über Fingerpicking, Gear, Freddie Mercury und den mitunter therapeutischen Effekt von guter Musik zu fachsimpeln.
Beim Blick auf den Computerbildschirm stockt einem zunächst der Atem: Die Haarpracht des Mannes, der einem aus London zuwinkt, ist nicht nur schneeweiß, sie besitzt auch die Form einer britischen Aristokratenperücke. Ein älterer Herr, der ruhig, sachlich und im besten Oxford-Englisch spricht. Der zwar noch gerne Rock’n’Roll spielt, ihn als Professor der Astrophysik aber längst nicht mehr lebt. Und der sich 30 Jahre nach dem Tod von Freddie Mercury auf die reine Erbverwaltung von Queen beschränkt – wohlwissend, dass seine Solo-Aktivitäten nicht dieselbe Aufmerksamkeit erfahren wie der gruppendynamische Output. Deshalb hat er in seiner langen Karriere gerade einmal zwei Alleingänge veröffentlicht. Das erste davon, ‚Back To The Light‘, wird nun neu aufgelegt – und geht einher mit Erinnerungen, die May bis heute belasten.
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INTERVIEW
Brian, Anlass dieses Gesprächs ist ein Album, mit dem du Anfang der 90er-Jahre versucht hast, den Tod von Freddie und deine damalige Scheidung zu verarbeiten. Klingt nach einer heftigen Zeit …
Definitiv. Und ich weiß noch, was ich gedacht habe, als die Arbeiten zu ‚Back In The Light‘ abgeschlossen waren. Nämlich, dass ich jetzt gerne das exakte Gegenteil von dem erleben würde, was ich beim Schreiben der Songs durchgemacht habe – dass ich einen Weg aus diesem Schlamassel finden möchte. Also so etwas wie die Wegbeschreibung zu diesem Plateau, auf dem man sitzt und alles ist ok. Doch leider, so viel ist mittlerweile klar, existiert das nicht. Und ich denke nicht, dass ich es je erreichen werde oder das Leben je ohne Probleme verlaufen wird, sondern es ist eine fortlaufende Reise, ein ewiges Streben nach einem Ideal, das sich wohl nie realisieren lässt. Es wird immer neue Herausforderungen geben, und es wird dir ständig ein Eimer voller Mist über den Kopf gekippt, wenn du dich zu weit aus dem Fenster lehnst und dir zu viel erhoffst. Und ich finde es einfach wichtig, dass auch Leute unter 50 endlich eine Chance bekommen, dieses Album zu hören.
Wie meinst du das?
Ganz einfach: Hier ist dasselbe passiert, wie bei vielen Solo-Projekten von Mitgliedern bekannter Bands – es ist in Vergessenheit geraten und auch von Anfang an ein bisschen durchs System gerutscht. Eben weil es kein Queen-Album war, sondern ein Alleingang von mir. Zudem hatte es nicht denselben Erfolg wie der Output der Band und es wurde wegen der ganzen Übernahmen und Zusammenlegungen in der Musikindustrie nie neu aufgelegt. Das war zunächst nicht tragisch, weil ja davon auszugehen war, dass alle, die das Album hören wollten, es auch getan haben. Doch in den letzten 15 Jahren haben Queen ein neues, junges Publikum erreicht. Insofern bin ich froh, das endlich nachholen zu können. Es wurde höchste Zeit.
Wobei das Album allein stilistisch so ambitioniert anmutet, dass die Vermutung naheliegt, du hättest hier etwas beweisen wollen. War das so? Wolltest du Kritikern und Fans zeigen, wie wichtig du für den Sound von Queen bist?
Vielleicht unterbewusst. Also vielleicht hatte ich wirklich das Gefühl, mich beweisen zu müssen. Aber in erster Linie ging es mir darum, das loszuwerden, was mir auf dem Herzen lag und darum, etwas Wunderbares daraus zu machen – mit den Fähigkeiten, die ich mit Queen entwickelt hatte. Deshalb ist auf dem Album auch eine Menge Multitracking am Start. Gerade der Song ‚Resurrection‘ weist Millionen von Overdubs auf. Wahrscheinlich sogar mehr als es bei ‚Bohemian Rhapsody‘ der Fall ist. Einfach, weil ich das alleine angegangen bin – während wir bei ‚Bohemian Rhapsody‘ zu viert waren. Und diese Größe, diesen immensen Chor zu kreieren, war viel Arbeit. Trotzdem habe ich es geliebt.
Eben dieses Gefühl, endlich mein eigenes Vehikel zu sein. Ich war es ja gewohnt, für Freddie zu schreiben, was auch ein ungeheures Privileg war. Ich wusste: Wenn ich ihm meine Musik und Texte gebe, macht er etwas Besseres daraus. Aber diesmal war ich auf mich allein gestellt. Ich war hier in meinem Studio und habe ausgelotet, was ich mit dem, was ich im Arsenal habe, alles anstellen könnte. Ich habe versucht, höher zu singen – und gleichzeitig tiefer und breiter, um mehr Ausdruck in die Musik hineinzulegen. Um mit meiner Stimme genauso stark zu kommunizieren, wie mit meiner Gitarre.
Die meisten Soloalben erfolgreicher Bandmitglieder dienen dazu, sich vom kollektiven Output abzugrenzen und andere, eigene Wege zu beschreiten. Das ist bei dir nicht der Fall: Du bleibst im Queen-Fahrwasser und bei deinen bewährten Waffen, um es bildlich zu formulieren.
Musikalisch schon. Textlich habe ich mich aber sehr wohl abzugrenzen versucht, denn ich war wirklich in Trauer. Und als es darum ging, Interviews für dieses Album zu geben, wollte ich über alles reden – nur nicht über Queen. Sobald Leute das Thema angeschnitten haben, war meine Reaktion: „Das ist vorbei. Das ist passé. Ich möchte nur über das Hier und Jetzt reden.“ Was eindeutig eine Überreaktion war. Und: Ich habe eine Weile gebraucht, um darüber hinwegzukommmen. Ich habe diese Einstellung sogar auf die Bühne gebracht, indem ich John Lennons ‚God‘ gecovert habe, in dem es heißt: „I don‘t believe in Queen anymore“.
Insofern: Ja, ich habe verzweifelt versucht, den Schmerz in mir loszuwerden. Das war die Intention der Musik – das war es, was ich erreichen wollte. Gleichzeitig – und da liegt die Ironie – hatte die Musik aber so viel von Queen, dass es nicht funktionieren konnte. Deswegen musste ich irgendwann zugeben: Queen ist tief in mir verwurzelt, ich bin ein Teil davon und werde es immer sein. Schließlich haben wir die Gruppe zusammen entwickelt und sind eine richtige Familie geworden. Von daher war es Blödsinn von mir, so zu tun, als würde ich nicht mehr dazugehören.
Hand aufs Herz: Wie viele Songs auf dem Album handeln von Freddie? Inwieweit hat sein damaliger Zustand Stücke wie ‚Too Much Love Will Kill You‘ oder ‚Nothin’ But Blue‘ geprägt?
Das sind zwei Songs, die unterschiedlicher kaum sein könnten. ‚Too Much Love Will Kill You‘ hatte ursprünglich nichts mit Freddie zu tun. Ich habe es während meiner Ehekrise geschrieben – lange bevor klar war, dass wir Freddie verlieren würden. Es handelt von dieser Situation, mit der ich nicht umzugehen wusste: Ich habe zwei Menschen gleichzeitig geliebt, was aus heutiger Sicht trivial klingt, also eher nach einer netten Fantasie. (lacht) Doch damals hat mich das komplett zerstört, weil ich extreme Schuldgefühle hatte.
Das Bemerkenswerte an dem Song ist allerdings seine Geschichte: Zuerst war es ein Solo-Stück, das gar nicht zu Queen zu passen schien. Aber als es Freddie gehört hat, mochte er es so sehr, dass er meinte: „Das könnte ein guter Track für Queen sein.“ Also haben wir noch eine Band-Version davon aufgenommen und so ist es zu etwas völlig anderem geworden. Ich meine, ich habe keine Ahnung, was in seinem Kopf vorging, als er die Worte gesungen hat, aber offensichtlich hat er sie ganz anders interpretiert als sie gedacht waren. Und auch die Kritiker und Fans haben etwas anderes darin gesehen. Das ging so weit, dass ich den Song dann beim Tribute-Konzert als Hommage an Freddie gesungen habe.
Doch die Wahrheit ist: Er war völlig anders gemeint – im Gegensatz zu ‚Nothin’ But Blue‘. Das entstand als ich hier im Studio saß und wusste, dass es nur eine Frage von Stunden sein würde, ehe uns Freddie verlässt. Da habe ich dieses wunderbare Stück von Cozy und Don Airey gehört, das mich sofort gepackt hat. Den Text dazu habe ich in knapp zehn Minuten geschrieben und es ging wirklich um Freddie – um meine Gefühle für ihn.
Stimmt es, dass du ihn noch am Tag vor seinem Tod besucht hattest?
Das ist richtig, und es war ein bewegender Moment, weil er so schwach war. Es war klar, dass er nicht mehr lange unter uns weilen würde, und das wusste er selbst am besten. Aber er hat wie immer versucht, das zu überspielen und betont witzig zu sein. Dabei war er seit 18 Monaten ans Bett gefesselt und konnte das Haus nicht mehr verlassen. Es war schlimm, ihn so zu sehen. Doch als Band haben wir ihn trotzdem so oft wie möglich besucht. Wir haben uns als Familie verstanden und dafür gesorgt, dass er alles hatte, was er brauchte und dass er von Menschen umgeben war, die ihn liebten und sich um ihn gekümmert haben. Das war alles, was wir für ihn tun konnten.
Hast du den Song ‚I’m Scared‘ über deine Besuche bei Freddie geschrieben – oder über die Angst, was danach kommt: Über das nahende Ende eines wichtigen Lebensabschnitts?
Es war beides: Die Angst um ihn und seinen Zustand – und um mich und meine Karriere. Eben, ob wir mit seinem Tod alles verlieren würden, was wir uns aufgebaut hatten. Klar, hat mich das belastet. Und ja, es hat mir Angst gemacht. Aber: Wenn du dich deiner Angst stellst, verliert sie etwas von ihrem Schrecken. Deshalb hat der Song einen gewissen Humor, der mir sehr geholfen hat. Er ist so angelegt wie die Stücke von Steven Berkoff. Ein Schriftsteller, der gerne die Ebene zwischen gesellschaftlicher Fassade und echten, offenen Gefühlen wechselt – wodurch er seine Charaktere entlarvt. Das hat mich inspiriert, mein Herz zu öffnen und ganz ehrlich zu sein. Außerdem hat das Album einen Humor, der für eine gewisse Leichtigkeit sorgt. Das wiederum führt zu ‚Resurrection‘, das ein extrem positives Statement ist. Nach dem Motto: „Ja, ich kriege das hin.“ Insofern ist da eine Menge düsterer Kram, aber auch die Erkenntnis, dass wir nur eine kurze Zeit auf diesem Planten haben – und das Beste daraus machen müssen.
Was hat dich damals veranlasst, ‚Rollin’ Over‘ von den Small Faces zu covern – eine Band, die gerade ihr erstes Album seit 1978 aufnimmt?
Ist das nicht toll? Ich freue mich schon wahnsinnig darauf, das zu hören. Gerade mit Roddie am Gesang. Ich habe sie immer geliebt – insbesondere diesen Song und das Album dazu, ‚Ogden’s Nut Gone Flake‘. Es ist das mit Abstand Hirnrissigste, was ich je gehört habe – nicht zuletzt wegen der merkwürdigen Licks, die Stanley Unwin beigesteuert hat und die so gar keinen Sinn machen. (lacht) Das Riff in dem Song ist zwar von ‚Foxy Lady‘ geprägt, aber ich finde es trotzdem toll. Damals passte es hervorragend zu meinem Gitarrenspiel, meiner Stimme und meiner Stimmung. Denn da heißt es: „Goodbye sunshine, I’m on my way.“ Das war genau das, was ich brauchte. Alles andere auf dem Album hatte ich selbst geschrieben, und das war auch wichtig, um dazu ein enges Verhältnis zu haben. Aber: Befasst du dich mit einem Song, den jemand anderes geschrieben hat, kannst du ihn mit einer gewissen Respektlosigkeit angehen. Du kannst alle Vorsicht über Bord werfen und damit anstellen, was du willst. Auch das mag ich.
Was hast du damals für die Aufnahmen zu ‚Back To The Light‘ verwendet – und wie unterscheidet sich das von deinem heutigen Gear?
Ganz ehrlich? Mein Equipment hat sich nie groß verändert. Es ist wie ich – in dem Sinne, dass es einfach nur älter wird. (lacht) Und manchmal muss es halt gewartet und notfalls auch repariert werden. Wie bei einer kleinen Knieoperation. Aber im Grunde ist es 2021 dasselbe wie immer: Meine Red Special, ein Vox AC30 und ein Treble Booster, der nach Vorbild der Rangemaster Treble Booster aus den 1950er-Jahren gebaut wurde. Es ist alles davon mehrfach modifiziert worden und ich benutze jetzt auch ein Wireless-System, im Studio wie auf der Bühne. Einfach, weil ich den Sound damit etwas mehr boosten kann. Ich schätze, da bin ich durchs Touren verwöhnt, von daher greife ich oft darauf zurück. Und für ‚Back To The Light‘ habe ich dasselbe verwendet wie immer – inklusive des kleinen Deacy-Amps, den ich immer dabei habe. Es ist das umwerfendste Teil auf Erden.
Das du mittlerweile selbst produzieren lässt – unter dem Markennamen The Brian May Deacy Amp Replica. Dabei ist es eigentlich die Erfindung von Queen-Bassist John Deacon …
Stimmt, aber John hat sich komplett aus der Musik und allem, was damit zu tun hat, zurückgezogen. Außerdem ist der Deacy-Amp auch zu meinem Markenzeichen geworden, weil ich ihn seit fast 50 Jahren für alles verwende, was nur annähernd mit Musik zu tun hat. (lacht) Es ist ein großartiges Teil – ein Verstärker mit einem irren Sound, der unglaublich flexibel und vor allem eigenständig ist. Der ganz anders klingt als alles, was auf dem Markt ist.
Greg Fryer von Fryer Guitars und ich bauen ihn seit ein paar Jahren nach und haben verschiedene Modelle und Konfigurationen durchlaufen. Einige von ihnen kommen dem Original von 1972, das John aus den Resten eines Transistorradios angefertigt hatte, verdammt nahe. Trotzdem gibt es nichts Besseres als den Original-Amp. Er besitzt eine regelrechte Magie und kann wie eine Violine oder ein Holzblasinstrument klingen. Ich verwende ihn für alles Mögliche, weil er mich immer wieder mit einem völlig unerwarteten Sound überrascht – je nachdem, in welchem Kontext ich ihn benutze. Zuletzt habe ich ihn verwendet, um die Eröffnungsfanfare von Twentieth Century Fox für den ‚Bohemian Rhapsody‘-Film einzuspielen, und das hat wunderbar geklappt. Er sorgt dafür, dass ich wie ein ganzes Orchester klinge, so lange ich ihm gut zurede. (lacht) Es ist ein Riesenspaß, mit dem Teil zu arbeiten.
Stimmt es, dass du inzwischen lieber mit den Fingern spielst statt auf ein Plektrum zurückzugreifen? Wie kommt’s?
Das ist tatsächlich eine Sache, zu der ich immer mehr tendiere. Einfach, weil ich das Gefühl habe, dass ich dadurch mehr Ausdruck habe. Und dieser Tage drehe ich das Gain ja auch so weit auf, dass ich die Saiten gar nicht mehr so hart anschlagen muss, wie früher. Ich muss sie im Grunde nur noch sanft berühren. Einer der wenigen Anlässe, für die ich noch ein Plektrum benutze, ist das Riff in ‚Tie Your Mother Down‘, um da noch mehr Power und Schärfe einzubringen. Aber für die meisten Solo-Sachen greife ich inzwischen lieber auf die Finger zurück, weil mir das mehr Optionen gibt. Ich meine, es gibt so viele Arten, eine Saite zu berühren und in Schwingung zu versetzen. Die Finger geben dir wahnsinnig viele Ausdrucksmöglichkeiten.
Brian May ist ja bekannterwaßen ein hervorragender Gitarrist und Musiker. Er scheint aber deshalb nicht eingebildet durch die Musik.und Showwelt zu stolzieren, sondern macht einen sympatischen und vor allem bescheidenen Eindruck. Ich mag den Mann.
Wer hat denn den Artikel geschrieben?
Marcel Anders
Brian May ist ja bekannterwaßen ein hervorragender Gitarrist und Musiker. Er scheint aber deshalb nicht eingebildet durch die Musik.und Showwelt zu stolzieren, sondern macht einen sympatischen und vor allem bescheidenen Eindruck. Ich mag den Mann.