Musikalische Schmerztherapie: Bill Kelliher von Mastodon im Interview
von Marcel Anders,
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(Bild: Clay McBride)
In den USA sind Mastodon längst Rockstars, die Arenen füllen, Platin-Alben horten und in Musikfachpublikationen wie Helden gefeiert werden. Aus gutem Grund: Sie machen nicht einfach nur infernalen Krach mit rebellischer Attitüde, sondern Lautes mit Herz und Hirn: Ihre Songs sind spannende Klanghybride, die in keine Schublade passen, eine wahnsinnige Intensität besitzen bzw. eine missionarische Intention verfolgen. Nachzuhören auf dem aktuellen Album ‚Hushed & Grim‘.
Immer dieser Stress am frühen Morgen: Erst die Kinder zur Schule bringen, die Hunde Gassi führen, anschließend Einkäufe erledigen, mit der Kaffeemaschine kämpfen und dann noch Interviews via Zoom geben. Hightech-Kommunikation, die Bill Kelliher so gar nicht mag – und erst einmal minutenlang mit der Mikro- und Bildeinstellung kämpft, ehe es endlich losgehen kann. Das nervt – und dem 50-Jährigen sieht man seinen Missmut an. Der Schnauzbartträger mit Holzfällerfigur lauert nur auf unliebsame Fragen nach persönlicher Schuhgröße, Trump oder Spotify – dabei will GITARRE & BASS tatsächlich über sein neues Album und sein musikalisches Handwerkszeug reden.
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Das entspannt und sorgt letztlich für einen netten Plausch über das, was sich als das Opus Magnum des Quartetts aus Atlanta, Georgia, erweisen könnte: Ein Doppelalbum mit 15 Stücken und rund 86 Minuten Gesamtspielzeit, auf dem Brann Dailor (dr), Brent Hinds (git), Troy Sanders (bs) und Bill Kelliher (git) ihren eigenwilligen Ansatz der musikalischen Schmerztherapie so weit perfektionieren, dass sie Kollegen wie Tool, Korn oder Slipknot glatt in den Schatten stellen. Aber lassen wir den Künstler sprechen…
INTERVIEW
Bill, euer letztes Album ‚Emperor Of Sand‘ war eine sehr emotionale Auseinandersetzung mit einer Reihe von Todesfällen im Band-Umfeld. Da ‚Hushed & Grim‘ in eine ähnliche Richtung geht: Handelt es sich um eine Fortsetzung?
Na ja, es geht auch diesmal darum, wie wir als Band damit klarkommen, Freunde und Familienmitglieder zu Grabe zu tragen. Keine Ahnung, ob das eine altersbedingte Sache ist, also ob es mit Ende 40 oder Anfang 50 normal ist, Menschen zu verlieren. Auf ‚Emperor Of Sand‘ war es meine Mutter, die an einem Gehirntumor gestorben ist, und das war eine fürchterliche Erfahrung. Ich habe Tage an ihrer Seite verbracht, um sie nicht alleine im Hospiz zu lassen. Gleichzeitig hat mich das zu so vielen Riffs und Songideen inspiriert, dass es der Wahnsinn war. Und mit ‚Hushed & Grim‘ war es ähnlich: Wir haben Nick John verloren, der nicht nur der Manager der Band war, sondern auch ein sehr guter Freund von uns allen. Sein Tod hat uns hart getroffen. Sogar so hart, dass wir es unmöglich fanden, auch nur einen Song zu schreiben, ohne ihn darin zu erwähnen. Jedes einzelne Stück auf diesem Album handelt von ihm bzw. ist für ihn.
Und ich für meinen Teil hatte nicht damit gerechnet, dass es so weit kommen könnte. Das ist mir erst kurz vor seinem Tod bewusst geworden, als ich ihn im Krankenhaus besucht habe und erkannte, wie schlimm es um ihn stand. Also, dass er das nicht überleben wird. Davor dachte ich: „Er ist jung und stark – er wird es schaffen.“ Doch das war nicht der Fall, und das zu akzeptieren, war schlimm. Ich habe dann diese ganze negative Energie genommen und sie in wirklich heftigen, emotionalen Stücken verarbeitet.
Also Musik als Selbsttherapie?
Im Grunde finde ich es eher therapeutisch für die Hörer, die ja wissen, dass es von einem schmerzhaften Ort kommt. Und ich erhalte durchschnittlich zehn E-Mails pro Tag, in denen es heißt: „Ich habe meine Schwester durch Selbstmord verloren. Und obwohl ihr Jungs in dieser erfolgreichen Metal-Band spielt, gebt ihr mir das Gefühl, dass ihr alles, was ich gerade durchmache, selbst erlebt habt.“ Das haben wir. Denn: Wir sind Menschen – und dass wir in einer erfolgreichen Band spielen, ändert rein gar nichts daran. Wir spüren immer noch Trauer und Schmerz – das macht uns immer noch fertig.
Wobei es manchmal so rüberkommt, als würdet ihr auch praktische Lebenshilfe erteilen wollen. Also als wären eure Songs eine Art Betriebsanleitung für den Umgang mit fiesen Nackenschlägen. Sind sie das – oder ist das zu hochgegriffen?
Ganz ehrlich? Eine der größten Errungenschaften dieser Band sind die Texte. Aus dem einfachen Grund, weil sich da so viel reininterpretieren lässt. Mich erinnert das daran, wie ich in den 70ern und 80ern Bands gehört und gedacht habe: „Klarer Fall, die singen über dies und das.“ Dabei ging es eigentlich um etwas ganz anderes. Doch die Art und Weise der Formulierungen und die Anmutung des Vortrags haben in der Fantasie des Hörers für bestimmte Bilder und Assoziationen gesorgt. Genauso ist es bei Mastodon: Es ist das, was jeder für sich darin zu erkennen glaubt.
Wenn man seine Kopfhörer aufhat, seine Augen schließt und die Texte im Verbund mit der Musik auf sich wirken lässt, sorgt das für alle möglichen Stimmungen und Emotionen. Sprich: Es bedeutet das, was du darin erkennen möchtest. Aber es ist nicht: „Hi, ich bin so und so und erzähle hier, wie mein Vater mich als Kind misshandelt hat.“ Nein! Die Texte von Mastodon sind viel eher… (überlegt)
Ambivalent?
Genau. Und wenn die Leute sie hören, haben sie ein ähnliches Erlebnis wie ich bei einem Album der Melvins, eine meiner absoluten Lieblingsbands. Da sind die Texte ähnlich konzipiert, aber ich kann sie hervorragend auf meine täglichen Erlebnisse übertragen. Das ist es, worum es geht.
Stilistisch sind die neuen Songs nicht greifbar, sondern decken schlichtweg alles ab: Hardrock, Punk, Prog, Folk, Country, Weltmusik. Eine Verweigerung gegen das Schubladendenken?
Es ist nicht so, als ob wir uns hinsetzen und einen Schlachtplan entwickeln. Nach dem Motto: „Wir sollten diesen oder jenen Aspekt unseres Sounds mehr hervorheben und da auch ein bisschen Country oder Folk einbauen.“ So ticken wir nicht. Bei uns heißt es: „Ich habe diese Songs. Sind die cool? Mögt ihr sie? Dann lasst sie uns angehen.“ Das ist das Kriterium, nach dem wir uns richten: Eben wie etwas klingt. Ist es spannend, setzen wir es um. Aber wir haben uns nie darum gekümmert, ob etwas in eine Schublade oder Sparte passt – oder dem bewusst entgegenwirkt. Wir versuchen, das zu machen, was wir für richtig halten, und lassen uns da von niemandem reinreden. Das hat und wird es bei uns nicht geben. Wir machen, was wir wollen.
Was hat euch veranlasst, Marcus King und Kim Thayil (ehemals Soundgarden) als Gastgitarristen aufzubieten? Sind euch bei 15 Stücken dann doch die Ideen für coole Soli ausgegangen?
(lacht) Das könnte tatsächlich einer der Gründe gewesen sein – also um für ein bisschen mehr Abwechslung zu sorgen und sich eben nicht zu wiederholen. Schließlich ist es viel Musik, und sie soll – das ist das Ziel – so facettenreich wie möglich sein. Aber warum wir Kim und Marcus gefragt haben – da kann ich im Grunde nur für Kim sprechen. In seinem Fall ist es so, dass er schon immer einen großen Einfluss auf mein Gitarrenspiel hatte. Als es dann um dieses Album ging und mir klar wurde, wie viel Material sich da angehäuft hatte, habe ich ihn halt gefragt, ob er etwas beisteuern könnte – was er gerne getan hat.
Und Marcus?
Zu ihm kann ich leider nicht viel sagen. Ich schätze, er ist ein Freund von Brent. Aber was er auf dem Song ‚The Beast‘ gemacht hat, ist ziemlich cool, keine Frage.
Wie funktioniert das Zusammenspiel zwischen Brent und dir? Nach welchen Kriterien entscheidet ihr, wer wo ein Solo oder den Lead- bzw. den Rhythmus-Part übernimmt?
Das ist eine schwierige Frage, weil es darauf keine allgemeingültige Antwort gibt. OK, für gewöhnlich ist es schon so, dass ich Brent die Lead-Parts und die meisten Soli überlasse. Nur: Da ist nichts in Stein gemeißelt und es gibt keine festen Richtlinien, was unser Vorgehen betrifft. Es ist einfach so, dass die meisten Songs halt von mir stammen und dass Brann und ich da die Rhythmussektion bilden. Wenn Brent hinzustößt, sagen wir so etwas wie: „Hey, wir denken, du könntest vielleicht hier und da ein Solo beisteuern. Was meinst du?“ Aber da existiert kein festes Schema, sondern es kann sich ständig ändern. Was auch bedeutet: Es wird nie langweilig, sondern es herrscht immer Bewegung.
Du hast jahrelang Gibson-Gitarren gespielt, ehe du zu ESP gewechselt bist. Wieso?
Ich schätze, Gibson ist zu so einer gigantisch-großen Firma geworden, dass sie zwischenzeitlich ihr Kerngeschäft aus den Augen verloren haben – nämlich gute Gitarren zu bauen. Stattdessen haben sie sich an Plattenspielern und Lifestyle-Accessoires versucht und sind damit kräftig auf die Nase gefallen. Was wiederum zur Folge hatte, dass alle Leute, die ich dort kannte, gefeuert wurden und sie schlichtweg aufgehört haben, meine Mails zu beantworten. Da konnte ich nur sagen: „OK, wenn das so ist, ist das so. Lebt wohl.“
Bei ESP hast du jetzt dein eigenes Signature-Modell namens Sparrowhawk, also den Sperber. Was verbirgt sich dahinter?
Nachdem ich von Gibson nichts mehr gehört habe, habe ich bei ESP angerufen, die mir schon vor Jahren eine Zusammenarbeit angeboten hatten. Ich meinte: „Ich würde gerne mein eigenes Modell mit euch entwickeln. Also mit meinen Ideen hinsichtlich Form und all dem anderen Kram.“ Und sie: „Na klar, das kriegen wir hin.“ Was eine ganz andere, viel enthusiastischere Art der Kooperation ist. Ich habe dann zunächst einmal den Korpus gezeichnet, denn die Form ist mir wichtig. Und ich war schon immer ein Gibson-Typ. Ich meine, es hat ja einen Grund, warum die Les Paul von so vielen Firmen kopiert wird – weil sie so gut ist.
Und die Eclipse von ESP kommt ihr optisch sehr nahe, aber genau deshalb fällt es mir schwer, mich wirklich dafür zu begeistern, selbst wenn es eine tolle Gitarre ist. Da bevorzuge ich eher die Explorer – für mich schlichtweg die beste Form, die es gibt. Die ESPs stehen dagegen zu sehr für 90s-Metal. Das ist das erste, was mir da durch den Kopf schießt. Also sehr scharf, sehr spitz zulaufend. Wie eine neue Flying V mit gezackten Kanten und solchen Sachen, die ich nicht besonders mag. Ich bin schließlich kein Metaller. Ich mag die Musik, aber das war’s auch.
Hat sich deine Gitarrensammlung seit unserem letzten Gespräch von 2017 noch vergrößert?
Ich fürchte schon. Ganz zum Unmut meiner Frau, die mich für verrückt hält. Ich sage dann immer, dass man halt unterschiedliche Modelle für unterschiedliche Sounds braucht, aber das nimmt sie mir nicht ab. Und sie hat Recht: Viele meiner Gitarren haben tatsächlich denselben Klang. Was nicht weiter verwunderlich ist, weil ich alle Les Paul Customs kaufe, die mir in die Finger kommen. Davon habe ich Dutzende und kriege nicht genug. Keine Ahnung, warum. Wahrscheinlich, weil sie wunderschön sind.
Also echte Kunstwerke?
Das sind sie wirklich. Ich habe zum Beispiel gerade eine Pelham Blue gekauft. Ein wunderbares Teil. Es ist ein Reissue der 68er Les Paul Custom, die 2007 erschienen ist und von denen nur 50 gebaut wurden. Das Faszinierende daran ist allein dieser starke Grünton, diese Farbe, die die Gitarre nach etwa zehn Jahren annimmt. Von daher ist sie quasi pre-aged. (kichert) Sie ist schon bei der Auslieferung so, was verdammt cool ist. Und ich habe noch nie eine Les Paul in dieser Farbe gesehen. Insofern musste ich sie haben – selbst, wenn sie 3700 Dollar gekostet hat. Jetzt verstecke ich sie hinter den anderen, damit meine Frau nicht mitbekommt, dass ich schon wieder so etwas Teures gekauft habe. (lacht)