Mr. Kilmister & Motörhead: OverNight Sensation

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„Blah Blah Woof Woofa…“? So drückt sich Motörhead Lemmy Kilmister im Booklet zu seinem neuen Album um die immer wieder lesenswerte Rubrik „Thank You“ herum. Und wenn Mr. Rock ’n’ Roll, der Engländer in L.A., der Ex-Roadie und frühere Hawkwind-Bassist 1996 ein Album ,OverNight Sensation‘ betitelt, ist das natürlich mehr als ironisch gemeint. Gut zwei Jahrzehnte und diverse modische Hard-, Heavy- und Metal-Varianten hat das Power-Projekt überlebt – nicht zuletzt durch harte Arbeit. Und es ist kein Ende abzusehen. Warum auch… 

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(Bild: Archiv)

1996 sind Motörhead wieder ein Trio – in dieser Besetzung hat übrigens 1975 alles angefangen. Zusammen mit seinen langjährigen Mitarbeitern, dem Gitarristen Phil Campbell (Zööööööm!) und Drummer Mikkey Dee, beweist Lemmy als Sänger, Songwriter, Bassist, Acoustic-Gitarrist (!) und Harmonica-Spieler was er so alles draufhat, und was er unter straightem Rock ’n’ Roll versteht… Und was kann man sonst noch zu einem guten Album sagen?

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,OverNight Sensation‘ bringt nichts Neues, aber das Alte und Bewährte einfach noch besser. Bevor Lemmy zu Wort kommt, noch ein Hinweis für Fans: Auf dem neuen Album der Berliner Band Skew Siskin (,Electric Chair Music‘) ist, natürlich in „limited edition“, eine EP mit neun Titeln beigepackt – bei einem Song ist Lemmy im Duett mit Sängerin Nina C. Alice zu genießen. Feines Album… Zurück zur Werbung: Ein erster Blick aufs CD-Booklet und dem Motor-Fan-Kopf fällt die Kinnlade runter: Lemmy hat sich seinen markanten Gesichtspullover entfernen lassen! Ein ungewohntes Bild; aber schnell stellt man dann beruhigend fest, daß er kein bißchen schöner geworden ist. Gut so. Als ich Lemmys Hotelzimmer in der Kölner Innenstadt betrete, ist der Meister selbst nicht zu sehen, nur dicker Rauch, ein Eisbehälter, eine Flasche, ein seltsames Tier mit langen Haaren… – ach, das is’ er ja!

Der Marlboro- und Jim-Beam-Endorser hat sich die Bude so zugenebelt, daß er sogar den Griff zum Fensteröffnen nicht mehr findet. Freundlich grinsend brummelt er irgendwas, während er mir die Hand schüttelt – Lemmy spricht noch etwas undeutlicher als er singt, mit einem Sound wie Joe Cocker (plus eine Stange Camel & einen halben Liter Crown Royal und Husten…) über ein Marshall-Türmchen: „Let’s lis&%)$§!^…“ Aha, schon verstanden: zuerst etwas Musik hören.

Die nächste halbe Stunde sitzen wir nun also vor einem Ghettoblaster aus ärmeren Wohngegenden und hören ein paar neue Motörhead-Songs. Lemmy hat das Band alleine an diesem Tag schon einer Menge Leute vorgespielt, aber er ist immer noch mit sichtlichem Spaß bei der Sache. Und als ich ab und zu mal staunend bis grinsend zu ihm rüberschaue, merke ich, daß er genau beobachtet, um Reaktionen abzuchecken. Lemmy lacht… –  demnach war ich mit Sicherheit nicht der erste, der auf die neuen Songs von ,OverNight Sensation‘ abgefahren ist. Ein Knaller-Album.

 

G&B: Was ich nicht verstehe ist, daß Motörhead immer moderner und jünger klingen…

Lemmy: Hohoho, ja, das ist paradox.

G&B: …aber dabei trotzdem ihren Sound nicht verlieren.

Lemmy: Wir kennen eben das Wort „alt“ nicht. Wenn ich spiele, bin ich 18.

G&B: Kontrollierst du, was im Studio mit dem Sound der Band passiert?

Lemmy: Ich achte da immer sehr drauf, und das muß man auch. Die ersten rough mixes die ich bekam, als Vorab-Tapes für die Presse, waren absoluter Müll. Ich habe sie zurückgeschickt. Wenn ich im Studio bin, um den Gesang aufzunehmen, dann sind meine eigenen Monitor-Mixe besser als das, was ich da bekam. Und so etwas geht nicht. (grinst) Du warst ganz schön beeindruckt von den Songs, was?

G&B: (grinst auch) Stimmt. Du bist vom Major Sony Music zum deutschen Label CBH gewechselt. Wie kam es dazu?

Lemmy: Das war ein ständiger Kampf mit Sony; wir machen eben nicht diese üblichen Industrie-Spielchen mit. Viele Bands in Amerika bekommen einen Vertrag, werden dann aber schon wieder rausgeschmissen, bevor sie überhaupt ein erstes Album fertig aufgenommen haben. Warum gibt es so etwas? Wie kann man so etwas tun? Wo liegt der Sinn? „Steuerabschreibung“ heißt die Antwort!

G&B: Das gibt’s hier natürlich auch. Oder ein Album ist draußen, aber niemand fühlt sich dafür verantwortlich, den Rest der Welt darüber zu informieren. Und ohne Werbung läuft nun mal nichts…

Lemmy: Das verstehen leider viele junge Musiker nicht. Sie wollen einen Deal und glauben an fair play. Vergiß es! Im Regelfall ist ein Plattenvertrag der Beginn von Problemen. Wenn man einfach nur seine Musik spielt und sich um Gigs kümmert, dann hat man mehr Freiheit…

G&B: Und wenn man seine selbstproduzierten CDs dann auch noch selbst verkauft, kann man sogar relativ sicher Geld damit verdienen.

Lemmy: Klar! Du hast dein Geld dann auch wirklich in der Hand und mußt nicht noch andere Leute durchfüttern. Die Plattenfirmen verdienen ja auch immer noch an allem mit, was ich vor 20 Jahren gemacht habe… (Lemmy grinst und versucht seriös zu sprechen) Oh, für alle die es noch nicht wissen: Heavy Metal ist tot! Wir spielen aber zum Glück keinen Heavy Metal – das ist Rock ’n’ Roll Music, kein Heavy Metal, damit hat das gar nichts zu tun. (grinst dreckigst) Klar, wir haben auch lange Haare, und da denken die Leute natürlich immer „Klar, Heavy Metal.“ Es geht ihnen wirklich immer nur um Kategorisierung…

G&B: Alternative, Crossover, Grunge, Seattle…

Lemmy: Jeder ist aus Seattle, jeder ist Seattle; dabei kommen so viele verschiedene Sachen aus dieser Stadt, nicht nur Grunge.

G&B: Steve Lukather meinte mal, es reiche aus, um Erfolg zu haben, wenn man zwei Akkorde kennt, ein Heroin-Problem hat und aus Seattle kommt.

Lemmy: (regt sich auf) Das stimmt doch nicht! Er ist ein Idiot, wenn er so was sagt! Man kann einfach nicht so verallgemeinernd über etwas urteilen. Ich behaupte ja auch nicht, daß nur ein toter Journalist ein guter Journalist ist (grinst). „Alle Deutschen waren Nazis, niemand hat etwas gegen Hitler gemacht“ – verstehst du? Man kann nicht verallgemeinern. Aber die Industrie will natürlich allem einen Namen geben, dich in eine Schublade oder in eine bestimmte Kiste stecken. Aber mich kriegt man in keine Kiste. Hahaha!

G&B: Sehr gerne wird auch an einem bestimmten verkaufbaren Image oder Persönlichkeitsprofil gearbeitet. Es stimmt doch, daß eigentlich alle bekannten Musiker irgendwie extrem, schwierig oder verrückt sind…

Lemmy: Sie sind langweilig, das weißt du doch aus deinen Interviews. (grinst) Langweilig! (überlegt kurz) Nein, sie sind einfach nur Menschen, Persönlichkeiten. Wir versuchen doch alle nur unsere ganz persönliche Vision von Rock ’n’ Roll zu realisieren, einfach die Musik zu machen, die wir lieben. Ich denke nicht in Kategorien über meine Musik, das machen die Medien, die Plattenfirmen. Ich kenne auch keine Rock-’n’-Roll Band, die sich selbst jemals in eine Schublade gesteckt hat – sie spielen doch alle nur ihre Musik… Ich spiele meine ganz eigene Version von dem, was Elvis gemacht hat.

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(Bild: Mineur; Archiv)

G&B: Was kannst du denn selbst zur Musik des neuen Albums sagen? Lemmy: Es geht alles eher in die Richtung von ,Bastards‘ als in die von unserem letzten Album ,Sacrifice‘. Das Wichtigste ist: Jetzt hörst du nur noch eine Gitarre und zwar die von Phil Zööömer.

Lemmy blättert in der mitgebrachten G&B Ausgabe 7/93 und entdeckt das Interview mit ihm und Phil, der auf einem Foto extrem nach trauriger kleiner Hund aussieht.

Lemmy: Jeeeesus, wie guckt er denn?!

G&B: Ich glaube, da ging es ihm nicht so gut…

Lemmy: Alle drei Tage fühlt er sich so richtig schlecht, aber die anderen beiden Tage sind erträglich. Hahaha!

Es klopft an der Tür, und Lemmys nächster Interview-Partner steht schon im Rahmen. „Guten Abend“, sagt Mr. Kilmister um 15:30 Uhr bei strahlendem Sommersonnenwetter. „Give us 10 minutes!“

G&B: Was hältst du vom neuen Metallica-Album?

Lemmy: Ich habe es noch nicht richtig gehört, und viele Leute erzählen mir, es sei schlecht. Ihr schwarzes Album fand ich genial. Und ich weiß auch, wie ich solche Urteile einschätzen muß; ich habe schon oft genug über meine eigenen Platten gehört, die eine oder andere sei ja absolut schlecht, auch wenn es einfach gute Alben waren. Solche Statements sagen mehr über die Stimmung aus, in der sich Leute befinden, als über die Musik an sich. In den Köpfen mancher Leute ist es jetzt einfach an der Zeit, Metallica zu hassen – sie sind zu erfolgreich geworden. So sind die Menschen…

G&B: Wie oft hat man dich gehaßt?

Lemmy: Zwanzig Mal. Das ist eine psychologische Geschichte, es geht um Mode. Manchmal ist es eben angesagt, etwas zu mögen oder es zu hassen. Das sind alles unwichtige Dinge.

G&B: Was hast du sonst noch in diesem Business gelernt?

Lemmy: Dem Business nicht zu trauen! Das einzige Motto, was ich habe, ist: So lange man nicht aufgibt, so lange stirbt man auch nicht. Wenn du aufgibst, dann stirbst du – oder stimmt das etwa nicht? Hahaha!! Ich gebe jedenfalls nicht auf. Warum auch? Das Leben ist ein einziger großer Kreislauf, und alles kommt irgendwann wieder zurück. Wenn man älter als dreißig ist, wird einem das klarer, denn dann hat man die meisten Sachen schon zweimal miterlebt: Plötzlich kommt die Heavy-Musik wieder, anschlie- ßend verschwindet sie und taucht dann irgendwann aber wieder auf.

G&B: Dann hast du ja auch den Brit-Pop schon mal erlebt…

Lemmy: Klar, die Beatles; aber die kann heute niemand mehr schlagen. Sie waren mehr als nur eine Band. Die 60er Jahre waren die Zeit der Beatles, ihre Zeit! That was the biggest fuckin’ thing! Um das zu verstehen, mußt du dabeigewesen sein, wirklich. So groß wie sie kann heute niemand mehr werden. Der Daily Mirror, eine wirklich große englische Zeitung, hatte eine Beatles-Seite – jeden Tag! Das ist Größe! In den amerikanischen Top 100 aller Zeiten sind die ersten fünf Positionen von den Beatles besetzt, und sie haben noch sechs weitere Alben auf dieser Liste. Eines ihrer Alben hat in den USA so viel verkauft, daß es sogar Nummer 1 der Single-Charts wurde…

G&B: …ähh?

Lemmy: !%&%“$&hahahaaarrrhrrrrr!

 

TECHNO!

„Es hat sich nicht viel verändert“, meint Lemmy zu diesem Thema. Seit neuestem hat er ein Rickenbacker-Signature-Modell bekommen, einen „Lemmy Rickenbacker Bass“ also, auf den er sichtlich stolz ist: „Den habe ich designed! Und das war ein Kampf, bis das alles so passierte, wie ich es haben wollte. Aber nun ist es ein ganz wunderschöner Bass geworden.“ An Verstärkern setzte Lemmy im Studio Marshall-Amps (JMP Super Bass II, 100 Watt) und 4x 12″-Boxen ein; aufgenommen wurden Mikrofonsignale und D.I., letztere Möglichkeit fiel dann aber beim Mix unter den Tisch.

Lemmy braucht den puren Live-Sound. „Ich mag keine D.I.-Spuren. D.I. ist Müll. Es soll wirklich live klingen. Das gilt auch für die Acoustic-Gitarre.“ Gitarrist Phil Campbell spielt nach Lemmys Angabe heute hauptsächlich eine Gibson Explorer. Seine schöne, Air-Brush-verzierte Les Paul ist irgendwann verschwunden. Außerdem spielt er noch Gitarren von Pro-Gression, Lag, Brian Moore und Eastwood über ein Shure-Wireless-System in Gallien-Krueger Amps. Bei den Aufnahmen wurden zuerst die Drums eingespielt, dann die Rhythmusgitarren, anschließend der Bass und zuletzt Gesang und instrumentale Overdubs. Lemmy: „Insgesamt haben wir drei Wochen geprobt und dann drei Wochen im Studio gearbeitet. Wichtig war, die Kosten niedrig zu halten. Und das funktionierte; ich bin zufrieden.“

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