Bach, Balkan & Beatles

Milos Karadaglic im Interview

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Beatles-Songs covern? Nichts Ungewöhnliches. Die Beach Boys und Count Basie taten es, die Foo Fighters und Aerosmith tun es, selbst Marilyn Manson. Und tausend andere Country-Jazz-Rock-Punk-Prog-Pop-Acts. Ungewöhnlich jedoch, wenn ein Klassikgitarrist die Fab Four interpretiert.

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(Bild: MERCURY CLASSICS)

Ausgebildet an der renommierten Londoner Royal Academy Of Music, hat der junge Montegriner Milos Karadaglic so ziemlich alle relevanten Klassikgitarrenwettbewerbe abgeräumt – um in diesem Fall eben nicht „gerockt“ zu sagen. Nach Abschluss seines Studiums wird der smarte Sologitarrist zum Senkrechtstarter und konzertiert mit so ziemlich allen renommierten Orchestern dieser Welt. Auf dem Spielplan stehen die klassischen Werke von Sor, Albeníz, Rodrigo, Bach … Überhaupt liest sich die Vita des 32-Jährigen wie ein Märchen. Mit 14 spielt er bereits in den größten Konzerthäusern seiner Heimat. Bei einem Besuch in Paris opferten die Eltern ihre Ersparnisse für eine Ramírez-Gitarre.

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Und schon beim ersten Meisterkurs rät ihm Altmeister David Russell zum Studium an der Royal Academy of Music. Mit einer Wohnzimmeraufnahme eines profunden Übungsstückes erhält Milos mit 17 Jahren tatsächlich einen Studienplatz bei Michael Lewin, dem Leiter der Gitarrenabteilung. Und ein Stipendium obendrauf. Drei Studio-Alben mit klassischem Repertoire hat Milos bisher aufgenommen – ‚Mediterraneo‘, ‚Latino‘ und ‚Aranjuez‘. Doch nun führt ihn sein Weg fort, vom klassischen Pfaden: Er veröffentlicht mit ‚Blackbird‘ ein Album mit Pop-Klassikern der Beatles. Und so manchem Purist im Elfenbeinturm gefällt dieser Blick hinter den Horizont gar nicht.

 

Milos, was bedeuten die Beatles für dich?

Milos Karadaglic: Zuerst mal waren sie für mich schon immer ein fester Bestandteil des GitarrenRepertoires. Denn wenn du einen Schritt aus den Kernthemen der klassischen Welt machst, ist das erste, was dich empfängt, die Musik der Beatles. Ich empfinde es heute fast als symbolisch, dass mir mein Professor damals als Student die Aufgabe gab, ein Stück der Beatles zu interpretieren. Und damals fand ich das befremdlich! Ich spielte zu der Zeit die komplexesten, anspruchsvollsten und schwierigsten klassischen Werke und dachte mir: Ich studiere doch nicht an dieser Akademie, um Pop-Liedchen zu lernen! (lacht)

Heute denkst du anders …

Milos Karadaglic: Ja. Denn als ich mich darauf eingelassen habe, eröffnete sich mir eine neue Welt. Ich habe gelernt, dass es eine Menge toller Musik gibt, die es Wert ist ergründet und gespielt zu werden. Dazu kommt, dass die Stücke der Beatles nach teils mehr als 50 Jahren den Test der Zeit überstanden haben. Das ist eine große Leistung.

Welche Stücke, welche Alben haben dich fasziniert?

Milos Karadaglic: Ich kannte anfangs nur wenige Stücke, vor allem klassische Bearbeitungen wie Göran Söllschers ‚Here, There And Everywhere‘ oder Manuel Barruecos Album ‚Lennon And McCartney‘. Aber nach meinem Geschmack haben beide versucht, etwas aus diesen Stücken zu machen, was sie nicht sind. In diese Falle wollte ich mit ‚Blackbird‘ nicht tappen. Die Stücke der Beatles sind einfach, aber dennoch komplex. Und sie sind, was sie sind. Man darf nicht versuchen sie neu zu erfinden. Das wäre arrogant.

Unabhängig von der Komplexität eines Stückes sind doch seine Schönheit und Ausstrahlung ein essentielles Kriterium bei der Gunst des Publikums.

Milos Karadaglic: Richtig. Ein perfektes Beispiel dafür ist ‚And I Love Her‘. Es sind nur zwei Akkorde die kontinuierlich wiederholt werden. Und dann folgt eine Modulation mit einem Halbtonschritt. Ich habe eine Variation dieses Mittelteils arrangiert, die mehr Arbeit gemacht hat, als das gesamte Stück. Letztlich war das Arrangement auf der Gitarre recht komplex. Aber ich wollte der Musik gerecht werden und nicht das Stück in die klassische Welt übertragen.

Stimmt die Anekdote, du hättest Paul McCartney ein Demo deiner Bearbeitung von ‚Yesterday‘ in den Briefkasten geworfen?

Milos Karadaglic: Stimmt! (lacht) Ich hatte gerade mein Studium abgeschlossen und begann als Privatdozent zu arbeiten. Da kam die Mutter eines Studenten auf mich zu, sie habe in einer Londoner Tageszeitung gelesen, dass Paul McCartney an einem klassischen Gitarrenkonzert arbeite. Der Tenor des Artikels war, dass er jedoch keinen Klassikgitarristen sähe, den er für geeignet hielte, dieses Material spielen zu können. Ich dachte: Das ist meine Chance dieses Konzert zu spielen, wenn es denn veröffentlich würde! Nach meinem Studiumabschluss war ich voller Elan und Energie, meine Technik war superb, ich war auf dem Höhepunkt meines Könnens. Also fand eine Freundin die Adresse von Sir Paul heraus, ich fuhr hin, warf ihm eine Demo-CD meiner Version von ‚Yesterday‘ in den Briefkasten und einen Brief dazu, warum ich der richtige sei, sein Konzert zu spielen. Vermutlich auf sehr arrogante, dumme Art und Weise.

Und?

Milos Karadaglic: Ich bekam nie eine Antwort! (lacht) Aber ich habe es versucht.

Du sagst, als junger Gitarrist müsse man offen sein und sich in alle Richtungen ausprobieren. Klingt ketzerisch für konservative Klassiker, die auch ‚Blackbird‘ als profan bewerten.

Milos Karadaglic: Das ist aber nicht mein Problem, sondern ihres! Ich mag die Beatles. Und das ist mir genug. Ich habe mich schon immer eher als Musiker betrachtet, denn als reiner Klassikgitarrist. Wir sind heute sowieso viel zu besessen, wenn es um Genres geht. Dabei ist dem Publikum nur die Musik wichtig, egal wie man sie nennt. Und wenn du gut bist, in dem was du tust, egal, in welchem Stil, wirst du damit vielleicht Erfolg haben. Das Wichtigste ist, dass du authentisch bist.

Du hast ‚Blackbird‘ in den Abbey Road Studios eingespielt, also da, wo auch schon die Beatles-Alben entstanden.

Milos Karadaglic: Genau. Ich hatte schon mein Soloalbum ‚Aranjuez‘ im Studio 1 eingespielt wo damals die Orchesteraufnahmen entstanden. Alles war unheimlich aufregend und die Aufnahmen mit dem London Philharmonic Orchestra das Größte, was ich bis dahin gemacht hatte. Aber was die Aufnahmen der Beatles-Stücke angeht, gab’s keinen Zweifel, dass wir dafür das legendäre Studio 2 nehmen mussten, wo die Fab Four damals aufgenommen haben. Ich wollte die Energie spüren, den Geist der Vergangenheit einfangen.

Und welchen Klang wolltest du einfangen? Einige deiner Interpretationen wie ‚Yesterday‘ klingen – vorsichtig gesagt – seltsam verhallt?

Milos Karadaglic: Finde ich nicht. ‚Yesterday‘ ist ein sehr lyrisches Stück, eine Ballade, die verträgt das. Ich wollte eine passende Atmosphäre für diese gefälligen Akkordfolgen. Für mich macht es also Sinn, dass es da auch schwelgerisch klingt. Ich habe mich diesmal intensiv mit der Klangqualität beschäftigt. Wir haben allein einen Tag darauf verwendet, den Grund-Sound meiner Gitarre zu justieren. Wir haben mit zwölf Mikrofonen gearbeitet, die wir zugeschaltet oder weggelassen haben. Darunter waren neue Mikros, originale aus den Sechzigern, selbst ein paar Prototypen, die es nirgends woanders gibt. Wir haben alles ausprobiert. Denn mir war klar, dass die Klangqualität auf diesem Album sehr groß, pur und rein sein musste. Anders, als bei einem klassischen Album.

Du hast jetzt auch mit Sängern gearbeitet. Fangen wir mit Gregory Porter an – mit im hast du ‚Let It Be‘ eingespielt.

Milos Karadaglic: Seien wir ehrlich: Er hätte es gar nicht nötig, mit mir zu arbeiten, denn Gregory ist in seinem Genre ein Weltstar! Es hat mich überrascht, als er zusagte. Ich schrieb ihm, dass ‚Let It Be‘ für mich einer der wichtigsten Hits der Beatles ist und ich nicht einfach nur eine weitere Version machen wolle. Deswegen wollte ich, dass er den Song in seiner einfachsten und reinsten Form singt, sodass man automisch Lust verspürt zuzuhören. Und Gregory vermittelt mit seinem Gesang das Gefühl, dass die Welt ein bisschen erträglicher und schöner geworden ist. Für mich ist seine Version eine Hommage an die Welt und die furchtbare und unsichere Zeit in der wir leben.

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(Bild: MERCURY CLASSICS)

‚She’s Leaving Home‘ hast du mit Tori Amos eingespielt. Auch sie hat wie du eine klassische Ausbildung genossen.

Milos Karadaglic: Das war die unkomplizierteste Zusammenarbeit die ich je hatte. Ich habe noch nie eine sensiblere Musikerin getroffen, die dir das Gefühl vermittelt, was es bedeutet mit jemand anderem Musik zu machen. Ich bewundere sie sehr!

,Lucy In The Sky With Diamonds‘ hast du mit Anoushka Shankar an der Sitar eingespielt. Eine Referenz an die Beatles in Indien?

Milos Karadaglic: Ja, ein direkter Verweis auf George Harrison und Ravi Shankar – eine der interessantesten Kooperationen überhaupt, was die traditionelle indische Musik dem westlichen Publikum geöffnet hat. ‚Lucy In The Sky‘ wollte ich unbedingt mit Anoushka machen, denn was den Sound angeht, hat das Stück viele Schichten, fast wie ein expressionistisches Gemälde. Ich liebe das Stück und habe das Gefühl, das es die östliche und westliche Musik zusammenbringt.

Hast du Ambitionen die klassische Gitarre zurück in den Mainstream zu bringen, so wie es die großen Instrumentalisten Andres Segovia und Julian Bream einst geschafft haben – um nicht nur in den klassischen Konzertsälen gehört zu werden?

Milos Karadaglic: Ich halte das tatsächlich für möglich. Ich lebe in England und ich sehe, wie sich die klassische Gitarrenszene in den vergangenen Jahren verändert hat. Es findet ein Wandel statt. Ich sehe den Effekt, in den Stücken, den Veröffentlichungen und letztlich auch in der TV-Präsenz. Auch das Publikum hat sich verändert, in der Art wie es die klassische Gitarre heute betrachtet. Ich erlebe immer öfter, dass mir Besucher sagen, sie seien nie zuvor in einem klassischen Konzert gewesen. Und großen Anteil an dieser Betrachtung hat eben die Gitarre, da sie nicht zwingend als klassisches Instrument gesehen wird, sondern als das, was sie ist: ein populäres Instrument.

Das führt uns zurück zur Diskussion über Genres.

Milos Karadaglic: Genau. Diese Katalogisierung braucht eigentlich niemand. Denn es gibt nur gute und schlechte Musik. Ich spiele Konzerte und mache Platten nur aus einem Grund: Weil ich Musik und das Gitarrespielen liebe! Und ich möchte so spannend und abwechslungsreich wie möglich arbeiten. Ich mag es, Menschen und Musiker zu treffen, die ganz unterschiedliche Vorstellungen haben. Und ich möchte die Musik mit ihnen teilen! Denn Musik hat mein Leben verändert und mir dermaßen viel Freude und tiefe Befriedigung geschenkt, dass ich andere Leute dazu ermutigen möchte, auch Gitarre zu lernen. Wenn ich, der kleine Junge aus Montenegro, ohne musikalischen Hintergrund und ohne Förderung, mich in die klassische Musik verliebt und es mit etwas Fleiß geschafft habe, dann kann das jeder andere Jugendliche auch.

Vielen Dank fürs Gespräch!

 

 

EQUIPMENT

Milos spielt seit 2007 eine handgebaute Nylonstring des australischen Custom-Luthiers Greg Smallman (www.gregsmallmanguitar.com). Die klangliche Qualität seiner Konzertgitarren genießt bei Klassikgitarristen einen fast schon mythisch überhöhten Ruf. In Esperance, Western Australia, baut Smallman mit seinen Söhnen Damon und Kym nur wenige Instrumente pro Jahr, und erreicht eine ganz eigene Klangästhetik, eine sehr dynamische und laute Ansprache mit ausgesuchten Hölzern – meist Palisander und Zeder – und innovativen Details in Sachen Verbalkung (lattice bracing) durch eine Deckenunterkonstruktion mit einem Verbund aus Balsaholz und Carbonfiber was es ihm erlaubt seine Decken extrem dünn auszuarbeiten. Smallmans Einzelstücke werden je nach Ausführung schon mal zu Preisen zwischen € 15.000-25.000 gehandelt. Zu seinen Kunden gehören Meistergitarristen wie John Williams und eben Milos Karadaglic.

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