Im Interview

Mike Inez & Alice in Chains: Nennt es nicht Grunge

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Mike Inez(Bild: Universal)

Sie haben harte Drogen, lange Schaffenspausen, tote Band-Mitglieder und den Untergang einer Szene überstanden. Doch im 31. Jahr ihres Bestehens, sind Alice In Chains nicht nur Überlebende des Grunge, sondern auch eine Band, die immer noch ehrgeizig und verdammt cool ist. Ihr sechstes Studio-Album ,Rainier Fog‘ setzt Maßstäbe in Sachen Harmonie und Härte. 

Sie sind so etwas wie „Elderly Statesmen of Rock“: Gestandene Musiker, die seit 1987 im Geschäft sind, 20 Millionen Tonträger verkauft haben und mit ,Rainier Fog‘ ihr mittlerweile sechstes Album vorlegen. Ein Werk, für das Jerry Cantrell, Sean Kinney, Mike Inez und William DuVall zu ihren Wurzeln zurückgekehrt sind – in die Bad Animal Studios in Seattle, wo sie 1995 ihr Meisterwerk „Alice In Chains“, zugleich das letzte mit Ex-Sänger Layne Staley, aufgenommen haben.

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Mike Inez, inzwischen 52, war jahrelang Sidekick von Ozzy Osbourne, jammt regelmäßig mit Slash, Duff McKagan oder Zakk Wylde, und entpuppt sich als einer der besten Interview-Partner, die man sich wünschen kann. Gitarre & Bass traf ihn vor dem Auftritt in der Kölner Live Music Hall.

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Mike, mittlerweile habt ihr euer drittes Album mit Sänger William DuVall aufgenommen. Ein typisches AIC-Werk mit ziemlich heftigen, aber auch seltsamen Momenten. Etwa der ersten Single „The One You Know“, die an Bowie erinnert – an eine metallische Version von ,Fame’.

Es hat wirklich etwas davon. Wobei Jerry bestimmt keinen Song in der Manier von David Bowie schreiben wollte, geschweige denn einen Song, der drei Minuten lang ist und das perfekte Radio-Format aufweist. So denkt er nicht. Er achtet vielmehr sehr darauf, dass seine Kunst nicht von geschäftlichen, kommerziellen Interessen vereinnahmt wird. Mehr noch: Das Besondere an dieser Band ist – auch schon bevor ich eingestiegen bin – dass sie sich einen feuchten Dreck um solche Sachen kümmert.

Das einzige, was zählt, ist die Qualität des Songwritings. Eben dass man die Wahrheit schreibt und es dann umso mehr Substanz hat. Ganz im Gegensatz zu dem, was gerade im Radio läuft und an dem 15 verschiedene Autoren herumgebastelt haben. Ich meine, ich bin in den Mittsiebzigern in Pasadena großgeworden und habe erlebt, wie Van Halen den Durchbruch geschafft haben. Ich habe sie zuerst bei Gartenpartys gesehen, als ich noch richtig klein war. Ich bin mit dem Fahrrad zu ihren Auftritten gefahren und habe sie auf Tennisplätzen und bei Highschool-Feiern gesehen. Sie waren umwerfend. So etwas mitzuerleben und zu sehen, wo das hinführen kann und das mit dem zu vergleichen, was heute passiert, ist wie Tag und Nacht. Es scheint wirklich so, als würde es keine Rockszene mehr geben. Wahrscheinlich war die Grunge-Ära wirklich die letzte große Revolution in der Rockmusik. Ich hoffe nicht.

Mike Inez(Bild: Rainier Fog)

Zumindest ist danach nicht mehr viel passiert.

Ich vermisse einfach das Gitarren-orientierte Songwriting. Wo ist das geblieben? Und ich schätze, das Geheimnis der Seattle-Bands war, dass sie geographisch gesehen völlig isoliert von Los Angeles und New York waren. In L.A., wo ich aufgewachsen bin, hat man Bands schon vor ihrem ersten Gig Millionen von Dollars zugesteckt. Nach dem Motto: „Wir brauchen einen blonden Bassisten und einen Gitarristen, der so und so aussieht.“ So haben sie diese Bands zusammengestellt, die keinerlei Substanz hatten und deren Songs folgerichtig keine Bedeutung besaßen. Das ist wiederum der Unterschied zu Alice In Chains, Soundgarden, Nirvana, Mudhoney oder den Screaming Trees – diese Bands waren alle ganz anders, hatten ihren eigenen Sound und haben ihn systematisch vorangetrieben.

Und sich nie selbst als Grunge-Bands bezeichnet …

Nein! Niemals! Es ist egal, wen du fragst – ob Kim Thayil, Eddie Vedder oder Mike McCready. Sie mochten diese Bezeichnung nicht. Sie wurde von der Industrie kreiert und als reiner Marketing-Begriff verwendet. Aber: Es war auch eine aufregende Zeit. Eine, in der wahnsinnig viel passiert ist. Als ich 1993 nach Seattle gezogen bin, herrschte dort eine regelrechte Goldgräberstimmung. Nur: Es waren auch viele Drogen im Spiel, viel Nihilismus und Selbstzerstörung. Aus heutiger Sicht, aus der Perspektive eines erwachsenen, cleanen 52-Jährigen, wünsche ich mir manchmal, ich könnte zurückkehren und etwas ändern bzw. korrigieren. Aber das geht leider nicht. Das ist dasselbe, wie sich zu wünschen, dass man ein Einhorn wäre. Das wird nie passieren… leider! (lacht) Aber nennt es nicht Grunge!

Mike Inez(Bild: Warwick)

Für das neue Album seid ihr ins ehemalige Bad Animal Studio von Heart zurückgekehrt, das jetzt Studio X heißt, und in dem ihr 1995 euer letztes Album mit Layne Staley aufgenommen habt. Wolltet ihr die Geister der Vergangenheit beschwören oder was hat euch veranlasst, dahin zurückzukehren?

Das Studio ist einfach ein Ort, an dem Musikgeschichte geschrieben wurde. Dort ist ,Fly Like An Eagle‘ von der Steve Miller Band entstanden. ,Barracuda‘ von Heart, ,Superunknown‘ von Soundgarden. Hunderte von großartigen Alben legendärer Bands. Weshalb die Räumlichkeiten etwas Besonderes sind. Nur: Das Studio wird demnächst geschlossen, weil es finanziell nicht mehr profitabel ist. Weil sich die Zeiten geändert haben. Und weil auch Seattle heute ganz anders ist. Es sind nur noch Hochhäuser mit schicken, teuren Apartments, mit Subway Sandwiches und Starbucks Kaffee. Es ist langweilig, sauber und herzlos. Die alten Clubs, in denen wir gespielt haben, sind längst verschwunden. Dafür sind da jetzt die Lagerhallen von Amazon und Microsoft. Und die Angestellten müssen ja irgendwo wohnen. Also baut man Hochhäuser für sie.

Ist ,Rainier Fog‘ – nach dem Wahrzeichen von Seattle, dem Mount Rainier – dann eine Hommage an die Stadt und an die guten, alten Zeiten?

Ja, es geht uns um den Vibe und auch um den Geist von damals. Und ich muss zugeben, dass ich wirklich nervös war, nach Seattle zurückzukehren – selbst, wenn es nur für ein paar Wochen war. Ich meine, dass letzte Mal, dass ich dort gearbeitet habe, war als Layne noch lebte – und wir das Album mit dem dreibeinigen Hund auf dem Cover aufgenommen haben. Damit gehen so viele Erinnerungen einher. Und jetzt, kurz bevor wir aufgebrochen sind, starb auch noch Chris Cornell, und ich habe befürchtet, dass ich mich mit einer Menge alter Geister auseinandersetzen muss – also, dass es ziemlich hart werden könnte.

Aber als Jerry und ich das Studio betraten, war das wie weggewischt und mir wurde klar, dass ich wieder etwas über mich selbst gelernt hatte. Nämlich, dass wir nicht diese Typen sind, die der Vergangenheit nachhängen – geschweige denn in ihr leben. Sondern wir stehen mit beiden Beinen im Hier und Jetzt, und wir haben nicht lange in Erinnerungen geschwelgt, sondern einfach angefangen zu arbeiten. Deshalb hatten wir auch eine tolle Zeit bei den Aufnahmen. Was wichtig war. Eben um uns selbst zu beweisen, dass wir das können, dass wir mit der Vergangenheit abgeschlossen haben und sie uns nicht belastet. Was ich nicht einfach nur so sage.

Ich meine, wir haben eine bewegte Geschichte. Wir haben zwei Bandmitglieder und viele gute Freunde verloren, und wir haben erfahren, was es heißt, zu leben – mit allen Höhen und Tiefen. Aber wir sind auch damit klargekommen und haben weiter gemacht. Was wir als die größte Sache verstehen, die uns gelungen ist. Und deshalb ist es immer noch etwas Besonderes für mich, auf einer Bühne in Köln, in Deutschland zu stehen. Auch, wenn der Laden nicht groß und fürchterlich heiß ist. Eben da hoch zu gehen und mir denselben Bass zu greifen, den ich schon 1993 gespielt habe. Das ist verrückt – aber auch wunderbar.

Mike Inez

Derselbe Warwick wie damals?

Ganz genau! Ich bin schon seit 1989 bei Warwick. Und sie haben mir zwischenzeitlich zwar ein paar neue Modelle geschickt, aber ich bleibe bei diesem einen.

Wie kommt’s?

Na ja, natürlich habe ich auch mal andere Sachen probiert. Und ich habe mittlerweile ein ganzes Lagerhaus voller Equipment, das ich einsetzen könnte – wenn ich denn wollte. Also Bässe, Gitarren, Amps, was auch immer. Aber es ist halt dieser eine, der mir wirklich gut in der Hand liegt und mittlerweile schon völlig ramponiert ist. Ich habe noch ein Duplikat davon, das ähnlich gut ist und dass ich immer als Ersatz dabei habe. Das ist mein Ding – dieser Moonburst-Bass, den ich so oft zerlegt habe und den mir Ozzy 1990 gekauft hat. Er hat bereits vier oder fünf neue Köpfe bekommen, und was ihn zusammenhält ist nicht nur der Kleber, sondern auch der Schweiß und das Blut, die da eingeflossen sind. Ich habe damit in 65 Ländern gespielt. Und es ist immer noch der beste Bass, den ich mir vorstellen kann. Die neuen Warwicks sind zwar auch nicht schlecht und ich spiele sie immer wieder mal, aber der Moonburst ist mein Teil.

Also ist ein guter Bass in erster Linie eine Sache des Gefühls – und somit eine sehr individuelle Sache?

Das ist es – und natürlich der Sound. In meinen Ohren klingt nichts so gut, wie dieser eine Bass. Es ist wirklich so, dass einige Gitarren und Bässe für ganz bestimmte Spielertypen gemacht sind. Ich habe zum Beispiel jahrelang nach Alternativen gesucht, einfach um welche zu haben. Und ich habe viele Sachen im Internet gekauft. Aber das ist nicht dasselbe. Einfach weil diese Teile nicht so viel gereist sind. Denn das macht den Unterschied: Es ist wirklich so, dass das Holz die Luft an diesen Orten absorbiert und das einen bestimmten Effekt hat. Kann sein, dass ich mir das einrede, oder dass ich da eine spirituelle Komponente bemühe, die es gar nicht gibt, aber ich bin auch der Meinung, dass der Krach, der vom Publikum ausgeht, seinen Weg in die Pickups findet und dass das ebenfalls den Klang ändert. Aber mit diesem Bass will ich beerdigt werden.

Hattest du jemals das Verlangen, ein Solo-Album aufzunehmen?

Nein. Für mich ist Musik ein Teamsport. Aber wer weiß, vielleicht gehe ich das tatsächlich irgendwann mal an. Das Problem ist nur, dass ich nicht lange alleine rumsitzen kann. Das ist meine Achillesverse. Ich habe ständig Ameisen in der Hose. Und ich kann wirklich nichts anderes als Musik machen – als Rockmusik zu spielen. Das gilt für alle Jungs bei Alice In Chains: Wir können nicht lange rumsitzen, wenn wir von einer Tour nach Hause kommen. Dann drehen wir am Rad und machen auch unsere Frauen verrückt. Von daher ist es für mich einfach wichtig, immer Musik zu spielen – egal mit wem und in welchem Stil und ob mit Ozzy oder mit meiner kleinen Cousine. Das ist dasselbe. Es geht einfach darum, mit jemand anderem in einem Raum zu sein und Krach zu machen. Manchmal ist der Raum riesig, manchmal winzig. Ich würde einfach sagen, dass ich mich glücklich schätze, dass ich das hier machen darf – und gut dafür bezahlt werde. Das ist ein Traum!


Discographie:

Facelift (1990)
Dirt (1992)
Alice In Chains (1995)
Black Gives Way To Blue (2009)
The Devil Put Dinosaurs Here (2013)
Rainier Fog (2018)

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