(Bild: Patrick Kenawy)
Immer wieder schön, einen neuen, jungen, spannenden Musiker zu entdecken, der mit unserem Lieblings-Instrument ganz eigene künstlerische Wege geht: Der Isländer Mikael Máni ist so ein Glücksfall.
MUSIK
Ein warmer Gitarrenton mit feiner, akustischer Brillanz in einem offenen Hallraum. Eine einfache, folkloristisch angehauchte Melodie, ein paar sparsame Harmonien, musikalische Idylle. Und dann, in der Mitte von ‚She‘ll Arrive Between 10 & 11‘, kippt der Song in geräuschhafte, rauhe Chords, wird düster, bedrohlich, fast ausweglos … und kehrt zurück zum Thema.
Es geht um den Gitarristen Mikael Máni, einen Meister der Kontraste – und der musikalischen Überraschungen. Und so wundert es nicht, dass der o.g. Opener seines neuen Albums auch noch ein weiteres Mal in die Dunkelheit zurückfällt und dann auch dort endet.
Und wenn Mikael einen Track weiter gutgelaunt von ‚Katie, not Klara‘ singt, von seiner Gitarre singen lässt, überzeugt er in ‚What Once Was‘ mit einer nachdenklichen, fast klassischen Jazz-Ballade, der er aber dann wieder ein paar eigenwillig, roughe Chords mit auf den Weg gibt, die kurz an rudimentäre Liedbegleitung erinnern, dann aber, von vielen virtuosen Details veredelt, klar machen: Dieser junge Gitarrist hat eine ganz eigene Handschrift.
Und ja, irgendwie sind es Songs, die Mikael Máni hier zwar instrumental interpretiert, die aber immer eine extrem vokale und erzählerische Qualität haben. SoloJazz-Gitarre mit Human Factor – ja, das geht.
LEBEN
Mikael Máni Ásmundsson wird 1995 in Reykjavík, Island, in eine Familie von Musikern und Musikliebhabern hineingeboren: Sein Vater betreibt ein Label und einen Schallplattenladen, seine Mutter organisiert für ihn und seine beiden Schwestern früh eine solide Musikausbildung, die Mikael dann ab seinem 16. Lebensjahr zu einigen isländischen Jazz-Musikern führt. Anschließend studiert er am Conservatorium van Amsterdam bei Gitarrist Jesse van Ruller.
Ein Jahr nach seinem Abschluss erscheint 2019 das mit Bassist Skúli Sverisson und Magnús Trygvason Elíassen an Schlagzeug und Vibraphon eingespielte Trio-Album ‚Bobby‘. Es folgen ‚Nostalgia Machine‘ (2021), ‚Innermost‘ (2023) – und jetzt ‚Guitar Poetry‘ (2024), ein Solo-Album, das einen wirklich unkonventionellen Gitarristen präsentiert, dem Ausdruck und Emotion über allem zu stehen scheinen.
Interessant: In seinem Live-Projekt „Lyrics Through Music“ interpretiert Mikael Máni Songs von Bob Dylan, rein instrumental, solo. Dabei geht es ihm aber darum, auch Dylans Texte über sein Gitarrenspiel zu interpretieren. Dazu gehören feste Arrangements und Improvisationen, immer mit dem Ziel, die Emotionen der Lyrics klanglich zum Leben zu erwecken.
Bei Konzerten verteilt er daher Booklets mit den zugehörigen Song-Texten, und so kann sein Publikum das individuelle Musikerlebnis über die reine Rezeption des Klanglichen hinaus erweitern, steuern, kreieren. Ein Angebot, kein Muss. Es soll ja auch Menschen geben, die Bob Dylan als gitarristisch-vokales-Sound-Phänomen schätzen, ohne tiefer in seine literarische Welt eintauchen zu wollen. Warum dann nicht auch Instrumentalversionen rekontextualisieren? Mikaels auf YouTube zu findende Interpretation des Dylan-Klassikers ‚Ballad Of A Thin Man‘ ist ein Erlebnis. So wie sein neues Album ‚Guitar Poetry‘.
(Bild: Patrick Kenawy)
INTERVIEW
Mikael, wurde dein neues Album komplett live eingespielt, oder hast du auch ein paar Loops produziert, um mit dir selbst zu spielen? Ich habe zum Beispiel in ‚Next Time‘ so etwas gehört …
Alle Songs des Albums basieren auf einer einzigen Gitarrenspur, bis auf ‚Next Time‘ und ‚Arachne‘s Magical Weaving‘. Als ich versuchte, die richtige Titel-Zusammenstellung zu finden, fehlte mir etwas. Also beschloss ich, ‚Next Time‘ aufzunehmen, um die Setlist noch etwas abzurunden – und am Ende war das vielleicht mein Lieblingssong dieses Albums, auch wenn er eigentlich gar nicht dafür vorgesehen war. Ich mag Songs, die auf Klanglandschaften basieren, aber das ist mit einer einzelnen Gitarre fast unmöglich hinzukriegen. ‚Next Time‘ besteht aus neun Gitarrenspuren, von denen die meisten aber nur sehr subtile Texturen hinzufügen.
Welche Instrumente hast du eingesetzt?
Ich habe alles mit einer Gitarre aufgenommen: einer Gibson ES-175 von 1973. Ich liebe diese Gitarre absolut und sie ist die beste, die ich in meinem Leben gespielt habe. Leute, die mehr über die Gibson-Geschichte wissen, sagten mir, dass die 70erJahre nicht gerade die goldene Ära dieser Gitarrenmodelle waren. Aber diese hier ist absolut fantastisch.
Hast du direkt während des Spielens Effekte verwendet, oder wurde dieser Raumklang erst später im Mix erzeugt?
Alle Effekte werden live mit Pedalen erzeugt, sodass der größte Teil des Mixings nur aus dem EQing bestand, um die richtige Komprimierung und Balance zwischen den eingesetzten Mikrofonen zu finden, was dem isländischen Mixing-Engineer Birgr Jón Birgirsson meisterhaft gelungen ist. Er ist vor allem für seine Arbeit mit der isländischen Post-RockGruppe Sigur Rós bekannt. Ich mochte schon immer das Feeling der Alben, also wollte ich ihn unbedingt dabei haben.
Spielst du mit Plektrum?
Schon in jungen Jahren habe ich es vorgezogen, mit einem Plektrum zu spielen, vielleicht weil ich besser darin war. Während ich die Musik für das neue Album schrieb, wurde ich bei vielen Songs gebeten, auch mal mit den Fingern zu spielen – also musste ich mich darauf einlassen. Ich spiele aber hauptsächlich mit Plektrum und einer Kombination aus Plektrum und Fingerpicking.
Erinnerst du dich an das erste Solo-Gitarrenalbum, das du gehört hast?
Mit 15 hörte ich Alain Planes Einspielung der Debussy-Suite ‚Children‘s Corner‘ – da berührte mich Instrumentalmusik zum ersten Mal so sehr wie sonst nur Musik mit Texten. Denn ich liebe Musik mit Texten und für einige der Songs auf dem Album habe ich sogar Texte geschrieben, über die ich beim Spielen nachdenke. Die Worte in meinem Kopf bestimmen dann die Phrasierung der Melodie, was mir gefällt, weil es der Musik eine poetische und lyrische Qualität verleiht. Es gibt einige solistische Gitarren-Parts, die ich absolut liebe.
Jimi Hendrix‘ Intro zu ‚Little Wing‘ ist mein liebstes Gitarrenintro aller Zeiten, Kurt Rosenwinkels Intro auf ‚Reflection‘ ist auch so ein wunderschönes Musikstück und Bill Frisells Soloauftritt mit Beatles-Songs bei Tiny Desk ist fantastisch. Die Gitarristen, die ich am häufigsten gehört habe, sind Jimmy Page und Jimi Hendrix, den ich auch für einen großartigen Songwriter halte. In meinen späten Teenagerjahren hatte ich eine ProgMetal-Phase, in der ich Dream Theater und John Petrucci wirklich mochte. Zuletzt habe ich dann Jim Hall, Pat Metheny, Kurt Rosenwinkel, Bill Frisell, Julian Lage und den niederländischen Jazz-Musiker Reinier Baas gehört.
Du magst Bob Dylan sehr. Wer war dein Lieblingsgitarrist seiner Bands?
Robbie Robertson. Seine letzte Soundtrack- und Gitarrenarbeit für Scorseses ‚Killer of the Flower Moon‘ ist erstaunlich. Ich kann mich an keinen Soundtrack erinnern, in einem Film mit großem Budget, der so gitarrenlastig war wie dieser. Als ich den Film sah, dachte ich ständig: „Wer hat das geschrieben? Es klingt so gut!“ Und dann war ich angenehm überrascht, dass es Robbie Robertson war. Auch seine Arbeit an Dylans Album ‚Blonde On Blonde‘ (1966) gefällt mir sehr gut. Ich muss aber sagen, dass mir auch Bob Dylans akustisches Spiel sehr gefällt. Es sorgte immer dafür, dass die Songs sehr gut klingen und sich gut anfühlen.
(erschienen in Gitarre & Bass 07/2024)
Habe ihn mir gleich angehört – einen superben Sound holt er aus seiner ES 175 raus! Musikalisch sagt er mir nicht so viel, und mal ehrlich, “Ballad of a Thin Man” ohne Text ist wie Fußball ohne Ball..