(Bild: Nuclear Blast)
Als im Frühjahr 2017 die schwedischen Progressive-Rocker Opeth im legendären Red Rocks Amphitheatre in Denver, Colorado gastierten, ahnten Fachleute bereits, dass es ein historischer Abend werden könnte. Jetzt liegt die dort aufgezeichnete DVD ‚Garden Of The Titans‘ vor und bestätigt die Hoffnung: Am Rande der Rocky Mountains haben die Musiker etwas Magisches erschaffen. Wie und weshalb – wir erzählen es euch und lassen dazu Opeth-Boss Mikael Åkerfeldt zu Wort kommen.
die location
Mag sein, dass die Legendenbildung sogar noch etwas größer ist als die Realität, aber grandios ist es schon, was die Freilichtbühne am östlichen Fuß der Rocky Mountains zu bieten hat. Sie gilt als akustisch nahezu perfektes, von der Natur weitestgehend eigenmächtig erschaffenes Open-Air-Amphitheater mit einer sagenhaften Historie. Auf der legendären Bühne, etwa 15 Kilometer westlich vor den Toren der Stadt Denver gelegen, sind bereits weltberühmte Künstler wie The Beatles, Bruce Springsteen, U2, Rush, Eric Clapton, Grateful Dead, Joe Bonamassa oder U2 aufgetreten.
Wer thematisch tiefer in die Materie einsteigen möchte, findet in einem Besucherzentrum unter anderem auch die Performers Hall Of Fame, in der die Namen der wichtigsten Künstler der zurückliegenden 70 Jahre aufgeführt sind.
das ergebnis
Den 11. Mai 2017 haben sich die fünf Opeth-Musiker Mikael Åkerfeldt (Gesang/ Gitarre), Fredrik Åkesson (Lead-Gitarre), Martin Mendez (Bass), Martin Axenrot (Schlagzeug) und Joakim Svalberg (Keyboards) in ihrem privaten Tagebuch sicherlich rot angestrichen. Denn an diesem Abend spielte die skandinavische Gruppe im Red Rocks Amphitheatre. Für die Bandmitglieder war nicht nur der Auftritt ein herausragendes Ereignis, auch das Ergebnis in Form der vor wenigen Monaten veröffentlichten DVD/Doppel-CD ‚Garden Of The Titans‘ ist ein Meilenstein in der Karriere aller Beteiligten.
Vor allem aber zeigt die Show allen Kritikern, dass Opeth mit ihrem aktuellen Live-Album die auf den Studioscheiben ‚Heritage‘ (2011)‚ ‚Pale Communion‘ (2014) und ‚Sorceress‘ (2016) eingeschlagene Richtung fortsetzen. ‚Garden Of The Titans‘ erweist sich als überaus komplexe Prog-Rock-Wundertüte, die dem derben Death-Metal früherer Opeth-Tage abgeschworen hat, einem unvorbereiteten Zuhörer aber dennoch vollen Genuss bietet. Für Prog-Rock-Gourmets und Opeth-Liebhaber ist ‚Garden Of The Titans‘ schon jetzt ein Monument grandioser Spielfreude.
Zur Veröffentlichung von ‚Garden Of The Titans‘ und der weiteren Vorgehensweise seiner Band erklärte der Opeth-Boss: „Natürlich gibt es in Konzerten bei den älteren Songs immer noch die bekannten Growls. Auf einer neuen Scheibe würde ich es jedoch nur machen, wenn es ein Song unbedingt erfordert. Ich sage zwar niemals nie, aber tief in mir drin habe ich deutlich mehr Interesse an klaren Gesängen und moderater Härte. Derbe Gesänge habe ich als 15-Jähriger entwickelt und mehr als 20 Jahre daran festgehalten. Jetzt bin ich 43 und Sichtweisen ändern sich nun einmal im Laufe der Zeit. Eine ganz natürliche Entwicklung, die auch für mich gilt.“
Auch deshalb klingen auf ‚Garden Of The Titans‘ insbesondere die Songs von ‚Sorceress‘ noch zukunftsweisender als in der Studioversion. Das Titelstück mit seinen jazzigen Harmonien und einer Hinwendung zu deftigem, fast schon doomig stampfendem Rock beispielsweise, ist schon jetzt ein absoluter Liebling beinharter Opeth-Fans. Ähnliches gilt auch für ‚The Wilde Flowers‘, ebenfalls ein kraftvoll schleppender Rocksong, in dem Opeth geschickt Tempo und Stimmung variieren und ihre Zuhörer mit faszinierender Komplexität fesseln. Gegen Ende des Red-Rocks-Gigs demonstrieren Opeth mit ‚Era‘, einer wunderbar facettenreichen Nummer, Åkerfeldts Faible für die britischen Prog-Rocker Camel und ihr Meisterwerk ‚Moonmadness‘ (1976).
(Bild: Nuclear Blast)
der macher
Mikael, ich vermute, dass die Show im Red Rocks Amphitheatre zu den herausragenden Höhepunkten deiner Laufbahn gehört, oder?
Ja, das könnte man so sagen. Es waren zwar auch tolle Abende in der Londoner Royal Albert Hall, außergewöhnliche Shows in der New Yorker Radio City Music Hall oder in der Massey Hall in Toronto, aber der Gig in Red Rocks war in seiner Art sicherlich einzigartig. Der Blick von der Bühne ins Publikum war natürlich atemberaubend, aber so richtig genießen konnte ich den Abend zu Beginn nicht. Manche Leute sind für die Bühne geboren, ich dagegen bin bei Show-Beginn immer sehr aufgeregt und nervös.
Zumal du dir nicht sicher sein konntest, ob immer noch einige ältere Opeth-Fans lieber die Metal-lastigeren Songs der frühen Opeth-Phase gehört hätten.
Auf der ‚Heritage‘-Tour war dies ja auch noch der Fall. Damals waren die Fans sauer und schimpften mit mir. Doch mittlerweile hat sich herumgesprochen, dass ich nur eine Art von Musik machen kann. Nämlich die, die intuitiv aus mir herauskommt. Ich könnte niemals etwas gegen mein Bauchgefühl machen. Das galt für die Zeit, als ich noch stärker im Death Metal verwurzelt war, und das gilt auch heute noch. Ich habe mein Leben lang nur auf mein Bauchgefühl gehört.
(Bild: Mineur)
Von wem stammen eigentlich die mitunter durchschimmernden Jazz-Einflüsse der neueren Songs?
Von mir, oder nein, falsch: Eigentlich stammen sie von meiner Freundin. Sie ist ein riesiger Jazz-Fan und hat mir einige Klassiker vorgestellt. Ehrlich gesagt gefiel mir Charles Mingus nicht sonderlich, aber John Coltrane hat mich auf Anhieb begeistert.
Außerdem scheinst du auch ein Faible für den deutschen Krautrock der Siebziger zu haben?
Deutsche Journalisten grinsen oft, wenn ich Bands wie Amon Düül oder Can erwähne. Aber diese Ära der deutschen Rockmusik hat unglaublich viele einflussreiche Formationen hervorgebracht, auf die ich mich beziehe.
Gibt es eine konkrete Vorlage deines Sounds? Irgendwie entdeckt man ständig Ähnlichkeiten zu früheren Werken von Camel.
Eine konkrete Vorlage gibt es nicht, auch wenn man meine Vorliebe für Bands wie Camel oder King Crimson sicherlich hört. Ich als Songschreiber bin natürlich wie jeder andere Komponist auch ein Produkt meiner Einflüsse. Wenn ich nicht totaler Fan der Musik der 60er- und 70er-Jahre wäre, könnte ich als Song-Schreiber gar nicht arbeiten. Zu dieser Ära gehören nun einmal Camel – sogar bei unseren härteren Nummern – und speziell King Crimson.
Wichtig für mich und meine musikalische Entwicklung waren auch Magma aus Frankreich. Ehrlich gesagt sind Magma der Hauptgrund, weshalb ich über den Sound nachzudenken begann, denn ich kaufte mir eine Live-DVD, die sie in einem Pariser Café aufgenommen haben und deren Sound vor allem durch einen super heavy Bass gekennzeichnet ist. Ich mag das, es ist genau das, was ich in der heutigen Metal-Szene vermisse. Selbst wenn du an deiner Stereoanlage die Bässe voll rein drehst, bekommst du nicht diesen warmen, organischen Sound. Die Bässe im Metal haben kein eigenes Leben, und genau das wollten wir ab ‚Heritage‘ ändern. Wir stellen seither einen fetten Bass-Sound in den Mittelpunkt, verbunden mit der Herausforderung, dass dennoch auch alle anderen Instrumente zu hören sein sollen.
(Bild: Nuclear Blast)
Welche der Songs haben euch auf der letzten Tournee als Band am stärksten gefordert, die kleinen Folk-Stücke oder die komplexeren Prog-Rock-Nummern?
Ganz eindeutig die kleinen Folk-Tunes. Denn in diesen folkigen Stücken zählt jede einzelne Note, jeder Ton besitzt eine besondere Bedeutung. Bei härteren Songs und generell im Heavy Metal zählt oftmals nur die Härte an sich, nicht aber der Ausdruck. Deswegen sind Metal-Songs vergleichsweise leicht zu spielen. Und daher mag ich auch ganz besonders die kleinen, ruhigen Perlen.
Auch auf ‚Garden Of The Titans‘ ist deine ungewöhnliche Technik zu erkennen. Wie würdest du sie beschreiben? Auffallend ist dein sehr gutes Fingerpicking.
Ich habe niemals gezielt an meiner Technik gearbeitet. Alles was ich mache, ist aus der Idee entstanden, es möglichst einfach spielen zu können. Mein Fingerpicking ist ganz OK, weil ich damit recht früh angefangen habe. Ich habe vor vielen Jahren eine Zeit lang in einem Gitarrenladen gearbeitet und dort meine Technik verbessert. Es war nicht viel los in dem Shop, so hatte ich viel Zeit zum Üben.
Trotzdem habe ich keine besonders überragende Technik, sondern versuche immer, die Sache möglichst simpel zu halten und dennoch das zu kreieren, was ich hören möchte. Meine Plektrum-Haltung ist, glaube ich, auch etwas ungewöhnlich. Ich schlage nicht aus dem Handgelenk heraus an, sondern mache die Bewegung nur mit der Fingerkuppe. Es sieht ungewöhnlich aus, aber es funktioniert.
Du hast offensichtlich keinen besonders harten Anschlag, oder?
Nein, ich glaube, mein Anschlag ist für einen Rockgitarristen eher soft. Aber es klingt trotzdem kraftvoll, weil ich den Verstärker auf meine Anschlagsdynamik ausgerichtet habe.
Dein Sound ist also nicht übermäßig verzerrt?
Ich mag einen möglichst natürlichen Sound. Ich möchte heavy und klar klingen, das Feedback kontrollieren können. Das macht die Sache auch auf der Bühne deutlich einfacher. Wenn man zu viel Verzerrung verwendet, klingt der Sound nur noch matschig und kratzig. Das will ich vermeiden.
(Bild: Nuclear Blast)
Letzte Frage: Wohin werden sich Opeth entwickeln? Ich hörte, dass du schon wieder zwölf neue Songs geschrieben hast. In welche Richtung tendieren sie stilistisch und wann ist mit der nächsten Opeth-Studioscheibe zu rechnen?
Es sind bereits mehr als zwölf neue Stücke, so viele, dass man fast schon zwei CDs damit bestücken könnte. Ich hatte im Frühjahr 2018 eine sehr produktive Phase und konnte eine Menge Songs schreiben, die mich total zufrieden machen. Kürzlich hatte ich einen Weinabend mit meiner Freundin und wir sprachen über die neuen Stücke. Dabei fiel der Begriff „Masterpiece“, und genau das ist es, was ich angesichts des neuen Materials empfinde. Es ist weit mehr als nur Musik, die Songs sind für mein Empfinden brillant, superb! Ich finde, dass sie große Emotionen hervorrufen können, und genau darum geht es mir.
Danke für das Gespräch und alles Gute für die kommende Scheibe!
(erschienen in Gitarre & Bass 02/2019)