Im Interview

Michael Schenker: Die fliegende Untertasse landet wieder

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(Bild: earmusic / Tallee Savage)

Wir schreiben das Jahr 1973. Die Musikgazetten in Deutschland und England sind randvoll mit Nachrichten über „The German Wunderkind“, das soeben bei der britischen Rockband UFO angeheuert habe. Michael Schenker ist sein Name, der Ausnahmegitarrist stammt aus Hannover und hat zusammen mit seinem Bruder Rudolf bis dato bei den Scorpions gespielt.

Mit UFO erlebt der gerade erst 18-jährige Schenker sechs turbulente, überaus erfolgreiche Jahre. Mit dem jugendlichen Deutschen und die durch ihn inszenierten Hits wie ‚Doctor, Doctor‘, ‚Lights Out‘, ‚Rock Bottom‘ oder ‚Too Hard To Handle‘ werden aus UFO weltweite Superstars, während Schenker zu einem der einflussreichsten und charismatischsten Gitarristen der Siebziger avanciert.

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Gut 50 Jahre später, es ist Frühjahr 2024, haben sich UFO soeben aufgelöst und Schenker – als mittlerweile Endsechziger – arbeitet im Studio an seinem neuen Album ‚My Years With UFO‘, mit dem er noch einmal das größte Abenteuer seiner Musikerlaufbahn reanimiert.

Dabei unterstützen ihn so illustre Stars wie Axl Rose, Slash, Roger Glover, Joey Tempest, Biff Byford, John Norum, Joel Hoekstra, Adrian Vandenberg, Dee Snider, Derek Sherinian oder Brian Tichy. Wir haben Michael Schenker zu seiner vergleichsweise kurzen aber überaus prägenden UFO-Phase und natürlich auch zur neuen Scheibe befragt.

Michael, über deinen Einstieg bei UFO vor 50 Jahren gibt es einige unterschiedliche Erzählweisen. Was ist denn dran am Narrativ, dass du zuerst nur als Notnagel eingesprungen bist?

Wie so vieles in meinem Leben war es reiner Zufall: Wir waren mit den Scorpions auf Tournee und sollten in England im Vorprogramm von UFO spielen. Als wir ankamen, hockten nur drei der vier UFO-Mitglieder in der Garderobe, ihr Gitarrist Bernie Marsden war verschollen, keiner wusste, wo er steckte.

Eine Anlage für den Gig existierte auch nicht. Es gab also nur zwei Möglichkeiten: Entweder die komplette Show canceln, oder mit mir als Aushilfe und der Scorpions-Anlage den Abend irgendwie durchziehen. Also verschanzte ich mich mit ihrem Bassisten Pete Way in der Garderobe und lernte, so gut es ging, die vorgesehenen Songs.

Die meisten davon waren seinerzeit noch Coverversionen, und da ich voll im Saft stand, war es nicht sonderlich schwer für mich, sie  zu lernen. Währenddessen wurde die ScorpionsAnlage aufgebaut, abends spielte ich dann beide Shows: Zuerst 45 Minuten mit den Scorpions und dann 60 Minuten mit UFO.

Die Chance deines Lebens!

Die Scorpions wussten, dass ich diese Gelegenheit nutzen würde, denn schon als 15-Jähriger hatte ich meinem Bruder Rudolf und den anderen Bandmitgliedern erklärt, dass ich sofort wechseln werde, wenn ich das Angebot einer englischen Band bekomme.

England war für mich das Mekka der Rockmusik, von hier kamen all jene Bands, die ich bewunderte, aus England stammten meine Idole wie Rory Gallagher oder Jimmy Page. In dem Augenblick, als ich mit UFO auf die Bühne ging und die Chance bekam, mich zu zeigen, fing mein Leben erst so richtig an. Bis dahin waren UFO eine psychedelische Space-Rock-Band, mit mir wurde aus ihnen innerhalb weniger Monate eine Hardrock- und Metal-Band.

Warst du nicht total aufgeregt, quasi aus dem nichts mit UFO auf die Bühne zu gehen?

Nein, wenn man in eine solche Situation kommt, ist man im Tunnel. Man vergisst alles um sich herum und konzentriert sich ausschließlich auf die Show und aufs Publikum. Da hat man keine Schmerzen.

Treuer Begleiter seit 50 Jahren: Die Flying V (früher Dean, mittlerweile Gibson)

 

Wer hatte denn diese Hinwendung vom Space- zum Hardrock zu verantworten: du oder UFO?

Das ergab sich von allein. Ich bin und war immer schon so, wie ich  sein wollte, und habe mich nie verstellt. Du musst bedenken: Ich sprach damals kein Wort Englisch, konnte mich daher kaum artikulieren, redete also nicht viel, sondern: „let the music do the talking!“ “Ich feiere nicht nur die 50 Jahre seit meiner UFO-Mitgliedschaft, sondern auch 50 Jahre, in denen ich privat keine Musik mehr höre und ausschließlich die Flying V spiele.”

Gleich mit deinem ersten UFO-Album ‚Phenomenon‘ und den Hits ‚Doctor, Doctor‘, ‚Rock Bottom‘ oder ‚Too Young To Know‘ ging die Band durch die Decke. Hat dich dieser enorme Popularitätsschub überrascht?

Ich hatte damals überhaupt keine Vergleiche. Ich war erst kurz zuvor von zuhause ausgezogen und noch völlig unerfahren. Insofern wertete ich alles das, was um mich herum passierte, als völlig normal. Ein paar Jahre lang ging es steil bergauf, das Album ‚Lights Out‘ wurde 1977 ein Riesenhit, aber für mich stand trotzdem bald fest: Ich kann da zukünftig nicht mehr mitmachen!

Weshalb nicht?

Weil plötzlich von überall Druck auf mich ausgeübt wurde, weil es anfing, nur noch ums Business und ums Geld zu gehen. In meinem Leben ist es immer wieder passiert, dass ich in solchen Momenten denke: Ich bin jetzt am liebsten mal weg! Ich konnte das damals nicht so gut formulieren, ich bin Musiker, der sich über sein Instrument artikuliert. Einfach wegzulaufen war für mich damals die einzige Möglichkeit.

Hast du mit UFO im Studio immer sofort gespürt, wenn ein neuer Song das Zeug zum Hit hatte?

Nein, beim Komponieren denke ich nie in solchen Kategorien, für mich waren Begriffe wie „Durchbruch“ oder „Hit“ quasi Fremdwörter. Mir haben immer die Momente des Erfindens auf der Gitarre den größten Spaß gemacht. Der fertige Song war am Ende dann immer nur die entsprechende Belohnung. Viele große UFO-Klassiker wurden von mir als reine Instrumentalversionen entworfen:

‚Doctor Doctor‘, ‚Rock Bottom‘, ‚Only You Can Rock Me‘. Ich spielte Phil Mogg und den anderen die Sachen vor, und Phil sagte dann zu mir: „Könntest du bitte mal auf alle Schnörkel verzichten und nur das reine Grundgerüst vorspielen?“ Daraus sind dann anschließend die erfolgreichsten Songs entstanden.

Die meisten von ihnen findet man nun auch auf ‚My Years With UFO‘ wieder. Stammt die Auswahl der Stücke von dir?

Letztlich hat sich die Playlist von allein aufgestellt. Unser 79er Live-Album ‚Strangers In The Night‘ war ja eine Art Best-Of-Scheibe, die meisten Stücke darauf stammen von mir, bis auf ‚Too Hot To Handle‘, an dem ich kompositorisch nicht beteiligt war. 50 Jahre nach dieser Ära möchte ich mit diesem Anniversary-Album ein für alle Mal klarstellen, wie alles zustande gekommen ist.

Die Remaster-Versionen der Alben haben diesbezüglich ja keine zusätzlichen Infos über die Entstehungsgeschichte geliefert. Dieses Versäumnis hole ich jetzt nach. Die Idee von ‚My Years With UFO‘ lautet: Langjährige Anhänger, aber auch neue Fans über die wahren Hintergründe zu informieren.

Ich möchte erklären, woher alles kommt, es ist eine Art „Re-Education“. Ich feiere nicht nur die 50 Jahre seit meiner UFO-Mitgliedschaft, sondern auch 50 Jahre, in denen ich privat keine Musik mehr höre und ausschließlich die Flying V spiele.

Marshall JCM 800
Eigen: Kopfüber stehende Marshall-Boxen für einen weniger direkten Sound.
Minimalistisches Pedalboard mit 2x Boss DD-3 Digital Delay, Boss CH-1 Super Chorus und Boss TU-3 Chromatic Tuner

 

Man munkelt, dass dies nur der Auftakt für insgesamt drei Alben mit ähnlichem Konzept ist.

Ich habe im Juni drei Master bei der Plattenfirma abgeliefert und alles weitere meinem Rechtsanwalt übergeben. Davor bin ich zu Michael Voss ins Studio gefahren und habe dort meine sämtlichen Gitarren aufgenommen. Gleichzeitig haben wir Ideen entwickelt, welche Gastmusiker zu welchen Songs passen könnten.

Und dann hast du dich persönlich ans Telefon gesetzt und alle abtelefoniert?

Nein, einige von ihnen habe ich vorher rein zufällig getroffen. Auf der ‚Monsters Of Rock Cruise 2023‘ lief mir eines Abends Stephen Pearcy über den Weg und erklärte, welch großer Fan er von mir sei. Also habe ich ihn sofort gefragt, ob er an ‚My Years With UFO‘ teilnehmen möchte.

Dee Snider wiederum habe ich in Wales bei einer Award-Veranstaltung getroffen. Er erzählte mir ganz begeistert, dass er vor vielen Jahren bei der UFO-Reunion-Show in New York im Publikum anwesend war. Natürlich habe ich auch ihn gleich gefragt, ob er mitmacht.

Wie kommt man an jemanden wie Axl Rose heran?

Das lief über Slash, als er in Frankfurt im Studio auftauchte, um auf meinem Album zu spielen. Slash verkündete mir: „Michael, ich habe Axl von deinem Projekt erzählt, er würde auch gerne dabei sein.“ Wir haben Axl drei Songs singen lassen, ‚Too Hot To Handle‘, ‚Only You Can Rock Me‘ und ‚Love To Love‘. Bei zwei von ihnen war er mit seinem Gesang unzufrieden, aber für ‚Love To Love‘ hat er mir die Freigabe erteilt. Ich finde, er hat einen super Job gemacht, der Song könnte in Amerika ein richtiger Hit werden.

Wie läuft so etwas eigentlich vertraglich ab? Hast du deinen Gastmusikern regulär Gage bezahlt?

Davon habe ich keine Ahnung. Ich halte mich da raus.

Solche Dinge regelt also ausschließlich dein Management?

Keine Ahnung, mit diesem Teil der Produktion habe ich rein gar nichts zu tun.

Wie darf man sich die Aufnahmen deiner Gäste vorstellen? Du hast ihnen mitgeteilt, an welcher Stelle sie spielen oder singen sollen?

Man muss ‚My Years With UFO‘ als Feierlichkeit begreifen. Man jammt zusammen, teilt sich die Soli auf und schaut, was am Ende dabei herauskommt. Beim Song ‚Natural Thing‘ beispielsweise hat Joel Hoekstra das Solo übernommen.

Joels Sound klingt wie ein Saxofon, er spielt völlig anders als ich, aber er sagte: „Ich muss unbedingt dabei sein, es ist eine Ehre für mich.“ Also hat er das Solo in der Mitte des Songs übernommen, während ich – wegen des Harmoniewechsels am Schluss – das finale Solo gespielt habe.

Und wie lief es mit Slash ab?

Für ihn habe ich in ‚Mother Mary‘ Lücken gelassen. Das erste Solo im Song stammt von mir, das zweite von ihm, bevor ich wieder übernehme, dann erneut an Slash abgebe und anschließend das Ende des Songs spiele. Mit John Norum in ‚Lights Out‘ war es ähnlich wie mit Joel, auch er spielt völlig anders als ich.

Der Einzige, der meinem Spiel sehr ähnelt, ist Adrian Vandenberg. Er hat sich bei seinem Solo in ‚Too Hot To Handle‘ von meinem Originalsolo in ‚Rock Bottom‘ inspirieren lassen und dann dieses kleine Lick in sein Solo eingebaut. Ganz ähnlich habe ich es damals auch bei ‚Theme Of An Imaginary Western‘ gemacht, als ich ein typisches Lick meines großen Vorbilds Leslie West in ein Solo einfließen lassen habe.

Hat John Norum auch Joey Tempest mit ins Spiel gebracht?Europe sind allesamt große UFO-Fans. Sie haben mir immer wieder erzählt, wie sehr sie von UFO inspiriert sind. Europe haben mich vor Jahren zu einer Show in Schweden eingeladen, damit ich mit ihnen ‚Lights Out‘ spiele.

Apropos Tour: Wirst du mit ‚My Years With UFO‘ auf Tournee gehen?

Ja, Wacken 2025 ist sogar schon bestätigt, ebenso Alcatraz, außerdem gibt es bereits eine Reihe Termine in den USA. Ich hoffe, dass kurzfristig auch noch Konzerte in Europa hinzukommen.

Mit welchem Sänger bzw. welchen Sängern wirst du die Shows bestreiten?

Als Frontmann habe ich Erik Grönwall dabei. Wer weiß, vielleicht stößt bei der einen oder anderen Show ja auch einer der Gastsänger dazu. Mal schauen, wie deren Terminkalender aussieht. Aber auch ohne Gäste wird Erik in der Lage sein, sämtliche Songs perfekt zu singen.

Und wann erscheinen die beiden weiteren Scheiben deines Drei-Alben-Deals?

Als nächstes kommt das Michael-Schenker-Group-Werk ‚Don‘t Sell Your Soul‘ auf den Markt, und für 2026 ist die Veröffentlichung von ‚Freedom Of Expression‘ vorgesehen.

(erschienen in Gitarre & Bass 11/2024)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Sehr enttäuscht stellen wir fest,daß Michael Schenker diesjährig leider kein einziges Live-Concert in der Hauptstadt Berlin gibt! Liegt dies nun hauptsächlich am Veranstalter/Management,daß Berlin als Live-Event 2025 einfach mal ausgelassen wird? Vielleicht weiß die G&B-Redaktion mehr darüber?

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