Vier Jahre nach dem Streicher-Pathos von ,S&M‘ vollzogen die Herren Metallica rund um James Hetfield eine überraschende Kehrtwendung: Auf ihrem 2003 erschienenen Epos ,St. Anger‘ beschwören sie den brachialen Trash- und Speed-Sound der frühen 80er – und klingen so, als hätte es das legendäre schwarze Album, die 80 Millionen verkaufter Tonträger und den Triumphzug durch die Welt der Fußballstadien nie gegeben. Was dahinter steckt, erfuhr Gitarre & Bass beim Ortstermin in den Metallica-Headquarters. Welcome To St. Anger!
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Mit ihrem ersten „richtigen“ Studio-Album nach fünfjähriger Pause (das ’99er ,S&M‘ nicht mitgerechnet) vollzogen Metallica 2003 eine rasante Kehrtwende – weg von ihrem zuletzt sehr gefälligen Mainstream-Hardrock, hin zu den brachialen Speed- und Trash-Anfängen. Ein Schritt, den Sänger/Gitarrist James Hetfield im G&B-Talk nur zu gerne erklärt – genau wie den puren Luxus des eigenen Studios.
Eure Band-Zentrale ist der Traum eines jeden Musikers …
James Hetfield: Stimmt. Und ich hätte nie gedacht, dass wir irgendwann unser eigenes Studio besitzen würden. Schließlich haben wir darüber jahrelang Witze gerissen. Eben nach dem Motto: „Viel zu teuer. Wir mieten uns einfach was.“ Aber spätestens als das fünfte Album ein ganzes Jahr dauerte, hätten wir gleich drei Studios kaufen können. Von daher machte es Sinn, diese Ausgabe zu tätigen, und wir proben hier ja auch schon seit vier Jahren. Anfangs haben wir es noch gemietet, aber dann sagte der Besitzer: „Wisst ihr was, ich habe keine Lust mehr auf diesen Ort.“ Also haben wir zugeschlagen.
Und jetzt ist es das Clubhaus. Hier können wir tun und lassen, was wir wollen. Zum Beispiel Bilder aufhängen, die wir Zuhause nicht zeigen dürfen, hahaha! Eben alte Tour-Poster, Fotos von Motorrädern oder auch irgendwelchen Mädels, mit denen unsere Frauen nicht so einverstanden sind. Ich kann dir sagen: Es ist unglaublich nett, hier durch die Tür zu kommen und mit den anderen abzuhängen. Was das für ein Luxus ist, wurde uns erst neulich wieder bewusst, als wir eine Bus-Tour mit Fans unternahmen und ihnen die histori- schen Metallica-Lokalitäten zeigten. Dabei kamen wir an diesem Haus vorbei, das Lars und ich mal gemietet hatten. In der Garage entstanden große Teile von ,Ride The Lightning‘ und ,Master Of Puppets‘, und der Raum war so groß wie eine Abstellkammer. Man wollte sie abreißen, und wir sagten uns: „Lass uns die Garage kaufen und hier wieder aufbauen.“ Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen verrückt, zeigt aber den Kontrast zwischen damals und heute. Schließlich spielen wir immer noch dieselbe Musik, aber unter anderen Bedingungen.
Mal ehrlich: Ist das überhaupt möglich? Kann man den Reichtum und das fortschreitende Alter einfach so ausblenden und immer noch denselben harten Stiefel spielen wie früher?
James Hetfield: Also, du kannst schon vor dem fortlaufen, was in dir vorgeht, aber irgendwann holt es dich wieder ein. Und das hier ist zwar purer Luxus – aber genauso haben wir früher auch diese Garage empfunden. Und sei es nur, weil wir sie mit fünf Schichten Teppich ausgelegt hatten. Nicht, dass das neue, schöne Teppiche waren, aber wir hatten sie eben. Und wahrscheinlich haben wir damals jede Menge Asbest eingeatmet. Aber was tut man nicht alles für die Kunst! (lacht)
San Rafael ist ein ruhiger, beschaulicher Ort unweit von San Francisco. Wohnt ihr alle hier in der Nähe?
James Hetfield: Wir wohnen sogar in unmittelbarer Nähe und haben höchstens 30 Minuten An- fahrt. Und wir versuchen, diese privaten Orte genauso geheim wie interessant zu halten. Das ist mit das Wichtigste. Nicht, dass wir gar keine Security hätten, aber es ist eben nicht wie bei Bon Jovi, der nach Hause kommt und von 30 kreischenden Teenagern empfangen wird. Von daher haben wir es hier sehr ruhig.
Und warum verwandelt ihr San Rafael in St. Anger? Ist es nicht unmöglich, an so einem relaxten Ort so wütend zu sein?
James Hetfield: Nein, eigentlich nicht. Sobald wir anfangen, tiefer in unseren Köpfen zu wühlen, kommt dabei so viel Mist zum Vorschein. Das ist schon bemerkenswert. Eben viele Sachen aus der Vergangenheit, viele Probleme untereinander und auch pure Wut. Weißt du, es gab Zeiten, da hatte ich echt Angst, dass ich zu aggressiv werden und einfach jemanden töten könnte. Eben wenn ich es nicht geschafft habe, mich mit meiner wütenden Seite auseinanderzusetzen und sie zu verarbeiten. Ich habe Lars angeschrien und dabei nur fünf Zentimeter vor ihm gestanden. Kirk meinte: „Hör endlich auf, rumzubrüllen.“ Ich fragte mich: „Was sagt er da? Ich schreie doch gar nicht.“ Das ist einfach so passiert – ich hatte richtige Blackouts.
Einfach nur davon, dass ich in diese Stimmung gekommen bin. Wut war ein richtig großes Ding. Und dieses Album setzt sich auf eine gesunde, positive Weise mit ihr auseinander. Eben, indem man sie in der Musik rauslässt. Und für mich ging es eben nur um Extreme. Die kannst du entweder in dich aufsaugen, weil es ja ziemlich uncool ist, Wut zu zeigen, oder aber vor anderen Leuten explodieren. Und für gewöhnlich waren meine Ausbrüche das Ergebnis davon, dass sich zu viel angestaut hatte. Aber zu lernen, wie man mit Sachen, die einen stören, umgeht, ist halt der erste Schritt zur Besserung. Du musst für dich selbst verantwortlich sein, und das war eine Sache, über die bei Metallica eigentlich nie gesprochen wurde. Aus irgendeinem Grund haben wir das immer vermieden.
Aber auf den letzten Platten herrschte doch weniger Wut, als vielmehr eine bluesige Melancholie?
James Hetfield: Sie waren definitiv sehr bluesy. Andererseits aber auch rebellisch. Zum Beispiel unter dem Aspekt, dass wir darauf nicht sonderlich kompliziert sein mussten. Wir wollten etwas ganz Einfaches machen, während diese Platte ja wieder sehr komplex ausfällt. Eben mit vielen unterschiedlichen Parts und zahlreichen Tempo-Wechseln. Gleichzeitig ist sie sehr einfach, was die Form und die Spielweise betrifft. Denn schnell und laut zu spielen, fällt uns nicht wirklich schwer. (lacht)
,St. Anger‘ erweist sich beim Hören als 70 Minuten Thrash-Metal. Ein Sound, der neue Fans schockieren – und die alten begeistern dürfte?
James Hetfield: Ganz und gar nicht. Dieses Album ist das Ergebnis von zwei Jahren schreiben und jammen. Und an einem Punkt hatten wir fast 30 Songs. Also legten wir Listen mit Sachen an, die uns besonders wichtig waren. Denn ich wollte nicht mit einem zweiten ,Load‘ und ,Reload‘ enden. Ich sagte: „Wartet mal ’ne Minute. Stopp! So geht das nicht! Ich kann nicht wieder jede Menge Texte auf einmal schreiben.“ Also setzten wir uns hin, um die Songs aufzuschreiben, die auf jeden Fall aufs Album müssen – bei denen jeder einzelne sauer wäre, wenn sie das nicht sind. Aber letztendlich waren da nur vier, auf die wir uns einigen konnten. Und das war ein ziemlicher Schock.
Aber wieso die Rückkehr zum kompromisslosen Sound der frühen 80er?
James Hetfield: Nun, wir haben 18 Monate drauflos geschrieben, ohne eine bestimmte Richtung zu haben. Und dabei sind ein paar großartige Songs entstanden, die sicher auch irgendwann erscheinen werden. Sie laufen unter dem Titel ,The Presidio Tapes‘. Aber das eigentliche Songwriting begann erst, als Lars mit der Double Bass rumspielte. Und Mann, das fühlte sich richtig gut an. Ich steuerte ein schnelles Riff dazu und von dort aus ging es weiter – mit Pro-Tools und unterschiedlichen Amps. Kirk ist der König der verrückten Sounds, und genau darin besteht sein Beitrag. Denn die Songs verlangen ja keine Soli. Sie sind auch so voller Energie.
Also macht Kirk viel mit Rhythmen und unterschiedlichen Kolorierungen von Sounds. Wir haben da einfach immer mehr reingepackt – wie ein Album, das zu einem Song zusammengeschmolzen ist. Und davon haben wir nicht weniger, als elf Stück. Überhaupt macht dieses Außer-Kontrolle-Sein wahnsinnigen Spaß. Du weißt nie, was als nächstes kommt. Du denkst, der Song ist vorbei, und er geht mit einem neuen Riff weiter. Klar, einige Sounds sind schon etwas frontal, aber in meinen Ohren klingen sie verdammt gut.
Gleichzeitig präsentiert ihr einen Neuzugang: Bassist Robert Trujillo, der durch seine Bands Infectious Grooves und Suicidal Tendencies bekannt ist – und natürlich als Sideman von Ozzy Osbourne. Ein permanenter Ersatz für den ausgestiegenen Jason Newstead?
James Hetfield: Das ist er. Und Mann, das war eine der schlimmsten Sachen seit langem – eben sich für einen neuen Bassisten zu entscheiden. Damals bei Ron McGoveny war das eine ganz andere Voraussetzung. Wir wussten von Anfang an, dass er der Falsche war. Dann sahen wir Cliff – und wussten: Er passt. Also haben wir ihn engagiert. Als er dann starb, kam Jason dazu – eben wie eine neue Freundin, an die man sich nur deshalb klammert, weil es so verdammt weh tut, die alte zu vergessen. Und das sage ich jetzt nicht, um Jason runterzuputzen.
Es ist nur so, dass wir es ihm nicht wirklich leicht gemacht haben. Wir haben unsere Wut, unseren Hass und unsere Launen an ihm ausgelassen, ihn regelrecht bestraft und innerlich zerbrochen. Davon hat er sich nie richtig erholt. Als er sich dann entschloss zu gehen, hatten wir das Gefühl, als müssten wir das ganz schnell und sauber abwickeln. Wie eine Scheidung – wonach man sich anschließend erst mal ein bisschen Zeit nimmt, mit seinen Gefühlen ins Reine zu kommen, seinen Frust abzubauen und zu erkennen, was man wirklich braucht. Wir fragten uns: „Wozu benötigen wir jetzt einen Bassisten? Wir haben doch alle Zeit der Welt und müssen nichts übers Knie brechen.“
Und Produzent Bob Rock füllte diese Position im Studio ja auch perfekt aus – hat aber keine Lust zu touren?
James Hetfield: So ist es. Schließlich hat er inzwischen sieben Kinder und somit auch jede Menge Verpflichtungen. Ich bin mir sicher, dass es sein Traum ist, mal auf Welt-Tournee zu gehen. Er hat ja auch schon zwei Gigs mit uns gespielt – ein Heidenspaß! Auch auf der Platte hat er sich gut gemacht. Er war da, als wir am Boden waren und hat uns durch die schwierigste Zeit geholfen. Und er ist ein brillanter Produzent. Eben viel besser, als er es als tourender Bassist von Metallica jemals sein könnte. Da hat er der Musikwelt einfach mehr zu bieten.
Also habt ihr Auditions abgehalten und Millionen von Bassisten getestet?
James Hetfield: Darauf hatten wir natürlich keine Lust. Zumal wir ja auch als Trio sehr gut waren. Bob half uns bei allem aus, und das war cool. Aber wir wussten eben auch, dass wir bald wieder touren – und noch während der Aufnahmen verschiedene Bassisten ausprobieren mussten. Und mein Gott, der Druck war einfach fürchterlich. Wir hatten Angst davor, dass das den Focus von den Aufnahmen nehmen könnte. Und natürlich auch davor, vielleicht nicht den Richtigen zu finden. Denn wie würde sich das auf unsere Stimmung und Inspiration auswirken? Ich wollte nicht noch mal erleben, was wir mit Jason mitgemacht haben. Wir haben jeden eingeladen, der es mit uns aufnehmen wollte, und bei den meisten habe ich schon in der Aufwärmphase gemerkt: „Der ist es nicht. Sorry, Mann.“
Aber wenn jemand extra aus New York anreist, willst du dich natürlich nicht als Vollarsch geben. Also haben wir die Liste von vornherein auf vier Leute zusammengestrichen, die wir respektieren und die allesamt zur Band gepasst hätten. Eben die lange genug getourt sind, die Songs schreiben, Back-up-Vocals singen und mit deren Personality wir zurechtkommen. Leute, die sich die Hörner abgestoßen haben und nicht auf Heroin sind. Die innerlich stabil sind und wissen, wer Led Zeppelin ist. (lacht) Robert Trujillo war der erste auf der Liste, und wir wussten, dass er spielen kann – und wie. Aber auch bei ihm hatte ich meine Zweifel: „Bin ich nur deshalb so begeistert von ihm, weil wir wieder ein paar alte Songs gespielt haben?“ Ich war ziemlich verwirrt. Also versuchten wir die Vier – und dann noch mal drei weitere, um den Unterschied auszumachen. Es kamen also nur sieben Kandidaten durch unsere Tür.
Darunter Scott Reeder von Kyuss, Twiggy Ramirez von Marylin Manson und Pepper Keenan von C.O.C.
James Hetfield: Richtig.
Und: Gab es irgendwelche merkwürdigen Situationen?
James Hetfield: Du meinst diese Spinal-Tap-Momente? Zum Glück nicht. Es war ja auch kein öffentliches Vorspielen, sondern eine sehr private Angelegenheit. Was sehr respektvoll war – für uns wie für sie.
Ganz im Gegensatz zu dem, was Jason in der Presse von sich gibt. Er nennt eure kommende Tour einen Sell-out, spricht euch jedwede Integrität ab und bezeichnet das Album als eine Entombed-Kopie. Wie stehst du dazu?
James Hetfield: Ich finde das einfach traurig – eben dass er so etwas nach 14 gemeinsamen Jahren überhaupt nötig hat. Schließlich hatten wir eine tolle Zeit. Aber wahrscheinlich hat er die ganzen letzten Monate nur auf den einen Anruf gewartet, mit dem wir ihn bitten, wieder zurückzukommen. Dabei hatten wir nach seinem Ausstieg eine klare Entscheidung getroffen. Eben, uns nicht sofort einen neuen Bassisten zu suchen, sondern die nächste Platte erst einmal mit Bob Rock zu machen. Weil das mit der Platte aber so lan- ge gedauert hat, mehrten sich die Gerüchte, dass Jason vielleicht doch zurückkommt – aber das war eben nie der Plan. Und als er das vor einigen Monaten erkannte, ist er ziemlich sauer geworden …
Wie steht es mit den Tour-Aussichten für dieses Album?
James Hetfield: Wir proben gerade. Und es fühlt sich wirklich wahnsinnig gut an. Es ist wie ein Fitness-Programm, denn die Songs sind so intensiv. Nicht nur musikalisch und textlich, sondern auch rein emotional. Wenn ich sie spiele, bin ich hinterher immer völlig platt. Vielleicht liegt es daran, dass ich ein bisschen aus der Form bin – und wir werden schließ- lich auch nicht jünger (lacht). Aber wir müssen uns noch mal richtig reinknien und Ausdauer entwickeln. Denn diese Songs machen dich fertig. Und es ist interessant, zu sehen, wie sie sich auf der Bühne machen – wie viele wir davon bringen.
Am liebsten würde ich alle spielen. Ganz einfach, weil es sich momentan so gut anfühlt. Aber so bald wir auf die Bühne gehen, bringen wir eben ,Master Of Puppets‘ oder ,For Whom The Bell Tolls‘ – Sachen, die die Leute hören wollen, weil das ansonsten kein Metallica-Konzert für sie ist. Du siehst die Begeisterung in den Gesichtern und weißt, warum du sie spielst.
Wenn die neuen Song so physische Nummern sind – ist es nicht eine erschreckende Vorstellung damit auf eine zweijährige Tour zu gehen?
James Hetfield: Das ist es ganz bestimmt. Und es gibt auch keinen Grund, zwei Jahre zu touren, schon gar nicht am Stück. Ich schätze, wir sind inzwischen sehr realistisch, was unsere Tour-Absichten betrifft. Und da sind wir auch alle einer Meinung. Lars und ich haben Familie. Insofern ist es wichtig, dass auf Tour ein familienmäßiger Vibe herrscht.
Das ist einfach viel gesünder – gerade für mich und meine Alkoholprobleme. Ganz abgesehen davon, dass wir auch nicht mehr fünf Abende hintereinander auftreten müssen. Wir könnten auch einfach nur drei Shows pro Woche spielen – dafür aber richtig die Sau rauslassen. Zu touren ist ja kein Ausdauertest, mit dem wir uns irgendetwas beweisen müssen. Wir wollen auf die Bühne gehen, uns wohlfühlen und eine gute Show abliefern. Mehr nicht.
Da du dein Alkoholproblem selbst angesprochen hast: Wie lange trägst du das schon mit dir herum und wann hast du gemerkt, dass du etwas dagegen tun musst?
James Hetfield: Als ich die absolute Talsohle erreichte – deswegen habe ich etwas dagegen getan. Mein Leben war kurz davor, völlig auseinanderzubrechen. Mein Familie stand vor dem Aus, und ich habe einfach nichts mehr auf die Reihe bekommen. Dabei war ich das, was man gemeinhin als ausdauernden Trinker bezeichnet. Ich habe mich also nicht volllaufen lassen, sondern brauchte immer ein bestimmtes Level – und habe konstant getrunken. In der Zeit, in der ich vollständig aufgehört habe, was ungefähr 18 Monate waren, bekam ich nicht eine einzige der Antworten, die ich mir erhofft hatte.
Und da fragte ich mich, warum ich überhaupt damit aufhöre – und fing wieder von vorne an. Auf die Weise wurde es immer schlimmer. Es war ein besessenes Verhalten – und sehr destruktiv. Ich kam an den Punkt, an dem alles um mich herum zusammenbrach. Ich musste mich meinen Problemen stellen – und zu trinken war eher die Art, sie zu konservieren.
Und jetzt reagierst du dich musikalisch ab?
James Hetfield: (lacht) So schlimm ist es auch wieder nicht. Es geht eher darum, sich mit seinen Ängsten auseinanderzusetzen – mit tonnenweise Ressentiments, die nie in der Band diskutiert wurden. Da haben sich wirklich viele Sachen angestaut, und zu trinken war eine Art damit umzugehen. Das war pure Medizin – genau wie Essen, Computerspiele oder alle anderen Sachen, mit denen du nicht mehr aufhören kannst, wenn du erst einmal anfängst. Ich schätze, dass wohl jeder irgendeine Art von Abhängigkeit hat – das müssen nicht immer die großen Drei sein: Alkohol, Drogen oder Sex.
Essen ist zum Beispiel ein mindestens genauso großes Problem – vor allem in Amerika. Es gibt immer etwas, in das man sich flüchten kann – eben, weil es in dieser Welt so viel Druck gibt, und die Leute auf ganz unterschiedliche Weise damit umgehen. Ich für meinen Teil bin davor weggelaufen – bis ich es leid war zu laufen. Also habe ich mich umgedreht und mich den Problemen gestellt.
Wie steht es mit anderen Abhängigkeiten – Autos, Motorräder, Gitarren?
James Hetfield: Hahaha! Das sind wirklich regelrechte Obsessionen! Eben weil sie schon ein bisschen mehr, als nur ein Hobby sind – wenn auch viel gesünder, als einige andere Sachen, an denen ich mich in der Vergangenheit versucht habe.
Lässt du die meisten deiner Gitarren nicht eh von einem Hot-Rod-Designer lackieren?
James Hetfield: Ja, das ist ein guter Freund von mir – derselbe, der auch meine Autos anmalt. Allerdings nach meinen Entwürfen. Wie du siehst, kann ich all meine Passionen in dieser Band namens Metallica ausleben. Ich kann meine Gitarren in derselben Art designen, wie meine Autos und auch sonst alles tun, was ich liebe. Etwa T-Shirts für die Band entwickeln. Es gab mal eine Zeit, als ich Grafik-Designer werden wollte. Und als Kind habe ich meine eigenen Saxon- und Def-Leppard-Shirts gedruckt. Ich liebe es, Logos zu entwickeln und Sachen zu designen. Das ist ein Riesenspaß.
Und wie hat sich dein Gitarrenspiel über die Jahre entwickelt bzw. verändert?
James Hetfield: Ich schätze, ich bin einfach nicht mehr so pedantisch, was das Spielen betrifft. Ich lasse mich da etwas mehr treiben. Es geht längst nicht mehr darum, perfekt zu sein – auch wenn ich definitiv ein Perfektionist bin. Da brauche ich mich gar nicht zu verstellen. Aber bei den Sessions zu diesem Album zeigte sich, dass es gar nicht so wichtig ist, immer nur bestimmte Sounds, Riffs oder Noten zu spielen, die nur du draufhast. Es sind vielmehr Stimmungen oder auch einfach nur Krach. Folglich sind auch die Tunings anders. Das ganze Album ist auf „Drop C“ getuned (C G C F A D) – also schon ziemlich weit unten. Und das erlaubt es mir, ganz andere Riffs zu spielen und ein anderes Vibrato zu erzeugen. Auch für die Finger ist das einfacher, es geht dir leichter von der Hand.
Und deswegen entwickelst du dann auch ganz neue Dinge, du spielst einfach anders. Was den kreativen Standpunkt betrifft, gibt es da gar kein Ende. Als wir an dem Punkt waren, da wir 30 Songs zusammen hatten, sagten wir uns: „Lasst uns einfach weitermachen, bis uns nichts mehr einfällt.“ Mann, das war so ziemlich die dämlichste Idee aller Zeiten! Denn es bestand ja gar keine Gefahr, dass mir die Ideen ausgehen. Momentan sprudelt es nur so aus mir hervor – und das fühlt sich wahnsinnig gut an. Ich stöpsle mich einfach in einen neuen Amp ein, lasse mich vom Sound inspirieren und entwickle zehn neue Riffs. Die anderen maulen nur. „Stop, halt mal das Band an. Was spielst du da überhaupt?“. Darauf ich: „Kei- ne Ahnung“. Und wenn ich es dann noch mal versuche, ist es plötzlich weg. Aber das ist OK – es ist ja alles auf Tape.
Hast du diesmal nicht auch eine siebensaitige Gitarre benutzt – zum ersten Mal überhaupt?
James Hetfield: Richtig. Bei einem Song habe ich wirklich eine 7-String eingesetzt. Allerdings habe ich die beiden hohen Saiten auf den selben Ton gestimmt.
Dann erachtest du das Ganze also nicht als Mode-Gimmick?
James Hetfield: Das würde ich nicht behaupten. Du kriegst damit einfach viel tiefere Sounds hin, wenn du das möchtest. Aber ich stimme natürlich lieber meine Sechssaitige runter, denn die Art, wie sich eine Saite bewegt, sobald man sie runterstimmt, das hat auch klangliche Konsequenzen. Ganz im Gegensatz zur Baritone-Gitarre mit ihrer längeren Mensur: Wenn du die auf das Tuning hochstimmst, das du brauchst, klingt sie längst nicht so heavy wie eine runtergestimmte Sechssaitige. Das hat einfach mit der Art zu tun, wie sich die Saiten bewegen.
Sie sind loser und vibrieren deshalb auch langsamer und kreieren einen Sound der mehr Heavy-Charakter hat. Deswegen möchte ich mit der 7-Saitigen eigentlich auch nicht weitermachen. Es war ein Versuch – ein reines Tuning-Ding. Ich habe die beiden hohen Saiten gleich gestimmt, konnte also greifen wie gewohnt. Aber das klang einfach viel heavier, und es ergab einen mehr chorusmäßigen Sound durch die Schwebungen der beiden identischen Saiten.
Erinnerst du dich noch an deine allererste Gitarre?
James Hetfield: Das war ein billiger Haufen Scheiße, den mir meine Mutter gekauft hatte. Mit einem einzigen Pickup. Diese Gitarre hat einfach nie die Stimmung gehalten ist. Ich weiß nicht mal mehr, was das für eine Marke war, aber ich habe sie ungefähr 20 Mal angemalt. Natürlich hatte ich auch die Eddie-Van-Halen-Streifen darauf – und allen möglichen Kram. Meine erste richtige Gitarre war eine ’69er SG, die ich für 200 Dollar von einem Typen kaufte, der in der lokalen Schüler-Band spielte. Ich hatte noch viel zu lernen.
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