Erst sehr spät wurde das Geheimnis ist gelüftet: Das 9 Metallica-Album sollte den vielsagenden Titel ,Death Magnetic‘ tragen und eine bewusste Rückkehr zum Sound der 80er sein. Also kein bluesiger Mainstream à la ,Load‘ oder ,Reload‘. Kein wütendes Gebolze à la ,St. Anger‘ und auch keine überflüssigen Cover-Versionen. Nach 15 Jahren musikalischer Planlosigkeit waren James Hetfield & Co. mit ‘Death Magnetic’ wieder bei ,Master Of Puppets‘, ,And Justice For All‘ sowie dem legendären ,Black Album‘ 2008 angekommen – zum Glück!
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Dabei ist dem Sänger, Rhythmus-Gitarristen und heimlichen Boss der Bay-Area-Rocker die Erleichterung deutlich anzumerken. Beim Gitarre-&-Bass-Gespräch 2008 im Backstage-Bereich des Nürnberger Easy-Credit-Stadions ist er so aufgeräumt und relaxt, wie schon lange nicht mehr. Sein Gesicht hat einen frischen, gesunden Teint und ist weder aufgedunsen noch vernarbt. Sein Auftreten ist so selbstbewusst wie das eines Holzfällers – mit festem Händedruck, kehligem Lachen samt lauter, tiefer Stimme. Und auch seine Ausführungen kommen heute ohne Stottern, Stammeln und abgerissene Zusammenhänge aus.
Deutliche Indizien dafür, dass der dreifache Familienvater in absoluter Bestform ist. Kein Wunder: Er trinkt nicht mehr, hat seine berüchtigten Wutausbrüche und Stimmungswechsel unter Kontrolle und ist einfach ein viel angenehmerer, ausgeglichenerer Mensch. Als solcher spricht er denn auch ganz offen über die lange Phase der stilistischen Selbstfindung, der kreativen Odyssee nach dem ,Black Album‘ sowie die Rückkehr zu alten Stärken. Die haben sie einerseits Rick Rubin zu verdanken, der das neue Werk betreut hat, andererseits aber auch Bassist und Berufsunikum Robert Trujillo, mit dem der Spaß in die Band zurückkehrte, und nicht zuletzt einem geläuterten, internen Selbstverständnis, das ohne Grabenkämpfe und Konkurrenzdenken auskommt.
Metallica sind wieder auf Kurs, fit wie ein Turnschuh und bereit, die Rock-Welt aus den Angeln zu heben. Nur eins haben sie bislang noch nicht geschafft: Den zehn Songs auf ,Death Magnetic‘ entsprechende Namen zu geben. Wofür sich Hetfield denn auch gleich rechtfertigen muss …
Metallica – Making Of ‘Death Magnetic’:
Interview
G&B: James, sind die Song-Titel noch streng geheim oder ist euch bislang nur nichts Adäquates eingefallen?
James: (lacht) Doch, wir haben welche. Aber wir wollen die Stücke erst noch ein bisschen wachsen lassen. Eben, um zu sehen, ob sich ihr Charakter auf irgendeine Weise verändert – oder sie uns noch etwas anderes sagen, als sie das gerade tun. Wir können sie also jederzeit umbenennen, und uns erst mal auf das Artwork bzw. die Fotos konzentrieren. Denn die Texte sind ja fertig, die Songs auch. Wir mixen sie nur noch. Und wahrscheinlich ist es das erste Mal überhaupt, dass wir schneller sind, als es unser Zeitplan vorsieht. Deshalb sind wir auch hier auf Tour, tun das, was uns am liebsten ist, reden über das neue Album, und versuchen einen Weg zu finden, dass alles auf einmal aufschlägt. Eben konzentriert. Und ich kann nur sagen, dass die Stücke wirklich gut sind. Also nicht so eindimensional wie ,St. Anger‘, sondern sie gehen viel mehr in die Tiefe. Wir haben 24
Songs geschrieben, das Repertoire auf 14 zusammengekürzt, dann noch mal auf zehn oder elf. Sie sind irgendwie lang geraten, aber es gibt auch mehrere Instrumental-Stücke und Balladen, genau wie schnelle, kurze, harte Songs, die richtig knallen. Das Ganze hat also wirklich etwas von ,Master Of Puppets‘, zumindest was die Vielfalt innerhalb des Albums betrifft.
G&B: Warum habt ihr euch für Rick Rubin und damit gegen euren langjährigen Produzenten Bob Rock entschieden bzw. welches Ziel verfolgt ihr mit dieser Umstellung?
James: Nun, die Entscheidung, einen Schritt nach vorne zu machen, war schon da, ehe wir uns für Rick Rubin entschieden haben. Wir hatten das Gefühl, dass ,St. Anger‘ so etwas wie ein großes Reinemachen für uns war – eine Art Frühjahrsputz. Wir hatten so viele Leute um uns herum. Einen richtig aufgeblasenen Hofstab. Da war es einfach Zeit, etwas zu verändern und zu der Essenz und dem Kern von Metallica zurückzukehren. Nämlich wir Vier in einem Studio mit der klaren Ansage: „Kommt, wir schreiben ein paar Stücke!“ Und was Bob betrifft: Es ist nicht so, als hätte er uns an die Vergangenheit erinnert. Aber er war so ein fester, vertrauter Teil von uns, dass es schon fast zu bequem wurde, mit ihm zu arbeiten. Wir mussten das einfach mal wieder ein bisschen aufmischen und auf den Kopf stellen – eben so, wie wir es mögen. Und es war ja auch der perfekte Zeitpunkt: Neuer Bassist, neue Einstellung zum Leben, neue Songs und ein neuer Produzent. Es hat alles Sinn gemacht.
G&B: Zudem habt ihr einen neuen Arbeitsansatz probiert: Sämtliche Stücke wurden gemeinsam geschrieben, aber nicht etwa in eurem Hauptquartier in San Francisco aufgenommen, sondern in einem Studio in Los Angeles. Warum das?
James: Weil unser Hauptquartier super bequem für uns ist. Vielleicht sogar schon eine Spur zu bequem. Jedenfalls fühlte es sich viel produktiver an, nach L.A. zu gehen und näher bei Rick zu sein. Das war auch deutlich billiger. (lacht) Denn er ist ja ein Statussymbol für sich. Wenn er fliegt, dann keine Billig-Airline und keine Holzklasse, sondern es muss schon ein Privatjet sein. Und als wir nach L.A. gingen, hatte ich das Gefühl, dass wir dort viel schneller wären – eben weil wir da an einem Ort sind, an dem wir nicht wirklich sein wollen und schnellstmöglich zurück nach Hause möchten. Es lief wirklich nach dem Motto: Lasst uns das fertig machen, so fix es geht. Genau das ist passiert. Es ging alles sehr schnell – schneller als bei allen bisherigen Platten.
G&B: Bei ,Load‘, ,Reload‘ und ,St. Anger‘ ging es euch vor allem darum, den klassischen Metallica-Sound der 80er abzustreifen. Diesmal scheint das exakte Gegenteil der Fall zu sein – ist ,Death Magnetic‘ eine Rückbesinnung auf genau diese Zeit?
James: Was schon ziemlich verrückt ist, oder? Denn eigentlich ist das unmöglich. Und das wissen wir auch. Wir haben ja nicht versucht, ,Master Of Puppets 2‘ zu schreiben. Auch, wenn viele Fans das gerne von uns hätten. Aber wie heißt es so schön: „Viele Leute wissen einfach nicht, was gut für sie ist.“ Ich eingeschlossen, wie sich in ,Some Kind Of Monster‘, dem Film, nacherleben lässt. Aber ich verstehe auch, dass den Leuten diese Alben gefallen, weil sie sie an was-auch-immer erinnern. Für sie verkörpern sie eine Art Stabilität. Sie können sich daran festklammern und fühlen sich wohl dabei.
Dagegen haben sie Angst vor Veränderungen. Mehr noch: Sie haben richtigen Schiss davor, während wir das regelrecht brauchen. Denn wir müssen uns immer weiter entwickeln und verändern. Und selbst wenn das Ergebnis nicht komplett anders klingt, so ist es doch immer noch Metallica. (lacht) Kann sein, dass das jetzt nicht viel Sinn macht, aber du kannst mir eins glauben: Einfach mal so ein paar Jahre zurückzugehen, ist für Metallica viel schwieriger, als es vielleicht klingt. Und es gibt ja eine Menge Bands, die sehr gut darin sind, einfach nur eine stabile Sache zu machen: Slayer, AC/DC, Bon Jovi. Da weißt du wirklich, was du bekommst, wenn du eines ihrer Alben kaufst.
G&B: Und bei Metallica?
James: Ich schätze, bei uns kannst du unterschiedliche Alben auflegen und sagen: „Wow, die sind schon ziemlich verschieden.“ Aber im nächsten Atemzug wirst du hoffentlich auch sagen: „Hmmm, das ist aber doch Metallica.“ (lacht)
G&B: Das klingt so, als hättet ihr Alben wie ,Load‘ oder ,Reload‘ machen müssen, um an den Punkt zu gelangen, an dem ihr jetzt seid. Eine psychologische Geschichte?
James: Zweifellos! Ich meine, jeder Pfad, den wir genommen haben, musste einfach gegangen werden. Allein schon, um hier zu sitzen und darüber reden zu können. Und dieses neue Album aufzunehmen, war eine lange, schwierige Sache. Aber die Vision die Rick Rubin hatte, als er sich mit uns hingesetzt hat, war eben: „Stellt euch vor, ihr seid eine neue Band!“ – „OK, und?“ (lacht) „Und ihr seid hungrig. Ihr wollt eine Setliste für einen Showcase schreiben, um unter Vertrag genommen zu werden. Ihr wollt ein paar Leute beeindrucken, und zwar richtig.“ – „Klar, klingt gut, aber wie meinst du das? Sollen wir etwa alles vergessen, was wir gelernt haben?“ Ich meine, du kannst ja nur bis zu einem gewissen Punkt zurückgehen: Du kannst dich wieder so anziehen, wie du es mal getan hast, du kannst wieder die Musik von früher hören. Aber ich werde bestimmt nicht noch einmal dieselbe Freundin haben, wie damals – so viel ist sicher. (lacht) Dann meinte er: „Wovon wart ihr damals beeinflusst?“
Und das war es, wohin er mit uns wollte. „Wer hat euch beeinflusst? Was habt ihr gehört? Welchen Vibe hattet ihr Typen?“ Ganz einfach: Damals haben wir alle zusammen im selben Haus gewohnt. Und das war ein fürchterlicher Saustall – aber ein geiler Saustall. Und da mussten wir durch, um hierhin zu gelangen. Eben indem wir all das Materielle und die ganzen Anhängsel von Metallica abgestreift und uns gefragt haben: Was war es, das uns diese Art von Musik hat spielen lassen? Und hoffentlich reflektiert das Album diese Phase unserer Karriere, wenn auch mit einem modernen Sound. Denn daran ist ja nichts falsch.
G&B: ,St. Anger‘, auf dem du schonungslose Selbsttherapie betrieben hast, wurde von der Metal-Presse in Grund und Boden geschrieben. Hast du eine Erklärung dafür?
James: (lacht) Ich lese diesen Kram schon lange nicht mehr. Aber es stimmt schon: Ich habe ein paar Sachen gehört, wo es hieß, es wäre schrecklich und dass es eben kein richtiger Metal wäre. Dabei erschien es mir doch ziemlich rastlos und wütend. OK, ich muss zugeben, dass die Songs vielleicht ein bisschen eindimensional waren, aber sie hatten etwas von einer Katharsis, von einer Reinigung. Und wenn du dich damit nicht identifizieren kannst, dann hast du es auch nicht kapiert. Aber wenn du in dieser Welt warst, in der ich mich befunden habe, dann war es dein Album. (lacht) Und ich für meinen Teil habe es geliebt – ich habe da wirklich alles rausgelassen, was sich in mir angestaut hatte. Und das war eine Menge.
G&B: Wenn du ,St. Anger‘ und ,Death Magnetic‘ vergleichst: Gibt es Unterschiede hinsichtlich des verwendeten Equipments?
James: Eigentlich nicht. Ich spiele immer noch meine ESP-Gitarren und verwende Marshall- und Mesa/Boogie-Amps. Das sind die Sachen, mit denen ich am besten klarkomme und mit denen ich mich am wohlsten fühle. Das einzig Neue sind die Krank-Krankenstein- und -Revolution-1-Verstärker, die ich bei ein paar Sachen ausprobiert habe. Aber eben auch nicht mehr. Wahrscheinlich, weil ich ein ziemliches Gewohnheitstier bin, was mein Equipment betrifft – ich experimentiere da nicht mehr groß herum, sondern verlasse mich auf das, von dem ich weiß, dass es funktioniert. Ich meine, ich mache das ja nicht erst seit gestern … (lacht)
G&B: Geht es nach der Veröffentlichung von ,Death Magnetic‘ gleich wieder auf Tour oder gönnt ihr euch erstmal eine Auszeit?
James: Der Plan ist, das Album Mitte September zu veröffentlichen, und Ende Oktober mit der Tour anzufangen. Erst in den USA, dann Anfang 2009 auch in Europa.
G&B: Euer Auftritt bei Rock Am Ring war jedenfalls schon extrem beeindruckend.
James: Danke! (lacht)
G&B: Es war 15 Minuten nach Mitternacht, als du dich mit den Worten verabschiedet hast: „Deutschland und Metallica gehören einfach zusammen.“
James: Ja! Und das habe ich in dem Moment auch genau so empfunden.
G&B: Besteht da in der Tat so eine besondere Chemie – anders als in den übrigen Ländern der Welt?
James: Also der Gig war schon ziemlich verrückt. Und ich habe hinterher noch darüber nachgedacht, als wir mit dem Auto abgefahren sind. Da dachte ich: „Wow, da habe ich ja wirklich etwas Cooles gesagt.“ Und das ist einfach so passiert. (lacht) Wobei das aber auch stimmt. Deutschland ist unglaublich loyal und leidenschaftlich was Metallica betrifft – selbst in den schwierigeren Zeiten, also bei den ,Loads‘ und ,Reloads‘ unserer Karriere. Oder als es so schien, dass Metal total uncool wäre. Da war Deutschland immer konstant, was unglaublich ist. Die Leute sind mit uns durch Dick und Dünn gegangen.
G&B: Und was machst du mit dem ganzen Adrenalin, das sich während einer zweistündigen Show ansammelt? Wie kompensierst du das?
James: Ganz einfach (lacht): Du springst in einen Wagen und fährst drei Stunden zum nächsten Auftrittsort – mit 240 Stundenkilometern. Und dabei bleibst du natürlich wach. Ich bin zwar nicht selbst gefahren, hatte aber durchaus das Gefühl, als ob ich das täte. Ich habe den Fahrer beobachtet, und das war wie ein Videospiel, deshalb konnte ich auch nicht einschlafen. Aber im Ernst: Was macht man damit? Man genießt es, kostet es regelrecht aus – bis es nach ein paar Stunden von ganz alleine nachlässt.
G&B: Also wirfst du keine Fernseher mehr aus dem Fenster, um Dampf abzulassen?
James: Aber nein. Das ist heutzutage viel zu teuer. (lacht) Bei diesen ganzen Plasmabildschirmen …
G&B: Um zum Ende zu kommen: Kannst du dich noch an das erste Album erinnern, das du je gekauft hast?
G&B: Keine schlechte Wahl – und definitiv keine Jugendsünde.
James: Ich weiß! Aber danach ging es steil bergab. Hahaha!!!
G&B: Wieso? Was ist passiert?
James: Na ja, das Nächste war etwas von der Partridge Family (mit David Cassidy). Und lass mich überlegen, was noch … Ein paar Sachen von Elton John. ,Saturday Night‘s Alright For Fighting‘ war ein ziemlich guter Song. Aber als ich mich dann entschied, noch ein paar andere Stücke von ihm zu hören, waren die eben nicht mehr ganz so gut. Stattdessen habe ich ,Band On The Run‘ von Paul McCartney & The Wings gehört –
und kurz danach Aerosmith. Mann, das war eine wunderbare Zeit! Eben als man noch in Plattenläden gegangen ist und sich durch all das Vinyl gewühlt hat. Ich erinnere mich zum Beispiel noch als ich ,Rocks‘ von Aerosmith bekommen habe. Die hat mir jemand zu Weihnachten geschenkt. Und ich habe sie so geliebt, dass ich zum nächsten Plattenladen bin, um zu sehen, was es sonst noch für Alben von ihnen gibt. Das war wie: „Wow, da ist ja noch ein neues Album, und noch eins!“ Dabei waren das die alten Sachen. Aber ich war völlig begeistert: „Wie denn, man kann auch alten Kram kriegen? Das ist ja toll!“ (lacht) Man konnte also noch Sachen entdecken. Und es war, als ob sich da irgendeine Tür geöffnet hätte – die Tür zu einer anderen Welt. In der lebe ich bis heute, und möchte da eigentlich auch nie wieder weg …
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