Meilenstein 1994: Primal Scream – Give Out But Don’t Give Up
von Arnd Müller, Artikel aus dem Archiv
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In den späten 80ern begann sich die britische Rockmusik von Manchester ausgehend zu wandeln. Zunehmend zeigten sich Bands wie u. a. The Stone Roses, Happy Mondays oder New Order beeinflusst von den fett produzierten pulsierenden Techno-Beats der Zeit. Doch eines der wichtigsten Alben der sogenannten „Madchester“-Szene kam von einer schottischen Band. Primal Scream hatten mit ,Screamadelica‘ (1991) eine psychedelische Symbiose aus Electronica, Soul und dezenten Rock-Wurzeln geschaffen.
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Die Platte erreichte Rang 8 der britischen Charts. Zusammen mit Produzent/DJ Andrew Weatherall hatte die Band die Tore weit geöffnet für die britische Szene zwischen elektronischer Musik und Indie-Rock. Die Erwartungen an den Nachfolger waren entsprechend hoch, doch was drei Jahre später folgte, hätte vom Kontrast her kaum größer sein können.
1993 verzogen sich der extravagante Frontmann Bobby Gillespie, Robert Young (g), Andrew Innes (g), Martin Duffy (keys), Toby Tomanov (dr) und Henry Olsen (b) in die Ardent Studios/Memphis, um mit Produzentenlegende Tom Dowd (u. a. Cream, Rod Stewart, und The Allman Brothers Band) an neuen Ideen zu arbeiten. Später wurden die Songs von Produzent George Drakoulias überarbeitet.
,Give Out But Don’t Give Up‘ erschien schließlich 1994, und schon der Blick auf die Südstaaten-Fahne des Covers – ein Ausschnitt der William-Eggleston-Fotografie ‚Troubled Waters‘ – ließ einen Richtungswechsel erahnen. Tatsächlich erinnerte ,Jailbird‘ mit einem satten Gitarren-Riff, Bläsern, Hammond-Orgel und den treibenden Drums an den Retro-Rock der Black Crowes. Ähnlich klassisch kam auch ,Rocks‘ mit knackigen Riffs und Klavierbegleitung im Stile von Rolling-Stones-Pianist Nicky Hopkins.
Die vorab im März erschienene Single landete auf Rang 7, die bis dahin höchste Chart-Platzierung für die Band, wurde dann aber mit einem Platz 2 des Albums noch getoppt. Und dies trotz weiterer Southern-Rock-Einflüsse wie akustischen Slide-Einlagen und Harp, was weit entfernt war vom Sound der vorherigen Hits ,Higher Than The Sun‘ und seinen Synth-Pop-Anleihen oder dem groovigen ,Don’t Fight It, Feel It‘.
Doch Tanzbares gab’s auch auf dem neuen Album, etwa im hypnotischen ,Funky Jam‘, hier übrigens mit Denise Johnson und P-Funk-Präsident George Clinton. Dessen emotionalen Ausbrüchen steht die soulige Stimme von Miss Johnson gegenüber. Und da ist noch der experimentelle Titel-Track, in dem sich scharfe Bassläufe, Bläser, richtig schräge Gitarren-Effekte plus Denise Johnson und die hier unterkühlten sprechartigen Vocals von Clinton zu einem chilligen Groove vereinen – das hat auch einiges von Prince.
,Give Out But Don’t Give Up‘ war und ist für Gitarrenfans eine spannende Platte. Robert „Throb“ Young, der innerhalb der Band den Typus des klassischen Rockers verkörperte, war bekannt dafür, Gibson-Les-Paul-Modelle zu spielen, darunter eine 1989er Les Paul Standard. Als Young am 9. September 2014 starb, bemerkte The-Smiths-Gitarrist Johnny Marr: „Throb mit einer Les Paul Goldtop – unschlagbar!“
Andrew Innes erwähnte 2009 gegenüber Ultimate Guitar, dass er live eine 1956er Gibson Les Paul Junior, einen Marshall-Amp sowie ein Roland Space Echo, ein Fuzz-Pedal und ein WahWah spiele. Bei Aufnahmen setzte er normalerweise kleine Fender-Verstärker ein. Zur Begründung sagte er: „Ich habe herausgefunden, dass kleinere Amps einen größeren Sound machen. Zwar kannst du sie im Studio kaum hören, doch sind sie erst einmal mikrofoniert, können sie so klingen wie AC/DC.“
Außerdem sagte Innes dem britischen Independent, dass er bei Konzerten ein Electro-Harmonix Super Space Drum einsetze. Innes: „Es steht auf meinem Amp und wenn mir langweilig ist, schlage ich drauf.“ Auch der damalige Bassist Henry Olsen setzte auf bewährtes Equipment. So sieht man ihn im Video-Clip zu ,Rocks‘ mit einem schwarzen Fender Precision Bass.
2018 war der Stilwechsel von 1994 immer noch ein Thema. Sänger Gillespie erklärte damals im Q Magazine: „Wir mochten es als Rock’n’Roll-Band auf Tour zu sein. Und als wir begannen neue Songs zu schreiben, war es sehr schnell klar, dass sie in Richtung Country-Soul und Rock’n’Roll gehen würden, und dass wir mit Weatherall nicht an solcher Musik arbeiten könnten. Darum entschieden wir uns mit Tom Dowd zu arbeiten, aber niemand sagte: ,Oh, das könnte den Leuten nicht gefallen‘. Wir folgten unseren Herzen und machten einfach die Platte.“
Aus heutiger Sicht bezieht ,Give Out But Don’t Give Up‘ seine Kraft und seine Coolness aus dem guten Songwriting und dem starken Gesamt-Sound. Und sicher sticht das Album in stilistischer Hinsicht aus dem Gesamtkatalog von Primal Scream hervor. Das wird auch an den 2018 veröffentlichten ,The Original Memphis Recordings‘ deutlich, die die Songs als pur produzierten Rock’n’Roll zeigen. Auch gut!