Die Grunge-Ikone Pearl Jam veröffentlicht am 27. März mit ,Gigaton‘ ein neues Album. Bereits im Januar kam die erste Single ,Dance Of The Clairvoyants‘, die recht minimalistisch ausfiel. Getragen wird sie von einem reduzierten geraden Drumbeat und einer funky Basslinie, darüber legen sich Keyboard-artige Sounds. Die pathetische Stimme von Eddie Vedder verbindet alles miteinander. Schließlich nimmt der Song Fahrt auf mit knackigen Gitarren-Riffs im angezerrten Sound. Nach längerer Albumpause ist der Song mit seinem Disco-Feel ein cooles Lebenszeichen. Und eines, das so ganz anders klingt als Pearl Jam in den 90ern.
Legt man etwa ,Vs.‘ ein, könnte der Kontrast nicht größer sein. ,Go‘ startet mit einem ruhigen Intro, schließlich krachen fette Gitarren rein, die dann mit Bass und Drums nach vorne treiben. Auch ,Animal‘ ist so ein Groove-Monster – der damals neue Drummer Dave Abbruzzese haute hier ordentlich rein nach dem Motto „Ich habe viele Becken und spiele sie gerne!“ (seit ’98 ist Soundgarden-Drummer Matt Cameron dabei).
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Scharf kommt das Gitarren-Solo mit 70er-Jahre-Einschlag. Diese Retro-Vibes ziehen sich durch das gesamt Album, wenn etwa im balladesken ,Daughter‘ Neil Young durchschimmert. Diese Rückbesinnung auf klassische Bands half Pearl Jam bei der Suche nach interessanten Akkord-Changes und dynamischen Wechseln, die das Klischee vermeiden sollten. So atmet die schöne Gitarren-Melodie in ,Dissident‘ dank der klassischen Bendings viel Southern-Rock-Feeling, bevor der Song dann mit akzentuierten Drums und Bässen doch eine andere Richtung einschlägt.
Überhaupt wurde in dieser Hinsicht viel experimentiert, so in ,W.M.A.‘ mit den afrikanisch bis funky anmutenden Rhythmen. Genug Besinnlichkeit, in ,Blood‘ treffen Punk-Ausbrüche auf knackige Funk-Gitarren mit WahWah. Mit dem stets auftauchenden Funk-Bezug wird dann doch noch eine Parallele zum neuen ,Dance Of The Clairvoyants‘ sichtbar.
Die teils rau intonierten Gitarren – wie etwa in der Melodie aus ,Glorified G‘ – demonstrierten, das Haltung und Emotionalität eindeutig vor allzu viel Schönklang kamen. Letztlich schlug man – wie auch Soundgarden und Nirvana – eine ganz andere musikalische Richtung ein, entgegengesetzt zum US-Heavy-Rock der 80er, eben mit Hairmetal-Bands der Marke Great White, Mötley Crüe oder Poison.
Dies spiegelten auch die erdigen Gitarren-Sounds wieder. In Live-Mitschnitten der Zeit sieht man Stone Gossard (g) und Mike McCready (g) vor allem mit Klassikern wie Fender Stratocaster, Fender Telecaster oder Gibson Les Paul. Eddie Vedder, der auf ,Vs.‘ auch Gitarre spielt, hat live u. a. eine Fender Telecaster oder eine Gibson SG umhängen. Im Background stehen Topteile u. a. von Marshall und 4x12er-Marshall-Boxen.
Jeff Ament stand für den neuen Rock-Bassist-Typus der 90er. Mit offensiver Spielweise und einem fetten Sound drückte er der Musik ganz klar seinen Stempel auf, anstatt nur zu begleiten. Jeff spielte und spielt einige ausgefallene Bässe, darunter ein Modell mit Warmoth-Jazz-Body und ESP-Hals, einen Hamer-12-String-Bass und einen semiakustischen Gibson-ES-335-Bass. Weiterhin benutzte er Ampeg-Röhrentopteile mit SWR-Goliath-II-4x10er-Bass-Cabinets. Zur Klangfärbung kamen verschiedene Pedale zum Einsatz, wie ein Amptweaker Bass TightDrive.
Waren Pearl Jam bereits mit dem Debüt ,Ten‘ und Hits wie ,Even Flow‘ und ,Alive‘ erfolgreich, ging ,Vs.‘ durch die Decke. Dabei waren die Alben in musikalischer Hinsicht durchaus unterschiedlich. Wirkten die Songs des Erstling insgesamt kompakter, und wenn man so will kontrollierter, agierten Vedder & Co nun freier. Vieles war möglich, so auch das monotone wie psychedelische ,Indifference‘, in dem Hammond-Orgel und cleane verhallte Gitarren wieder ganz andere Stimmungen erzeugten.
Egal, an welcher Stelle man reinhört, jeder Ton auf ,Vs.‘ atmet den Spirit der frühen 90er. All dies wird man sicherlich auf der im März beginnenden Tour – übrigens zum 30-jährigen Band-Jubiläum – erleben können, die im Juni auch nach Frankfurt (Festhalle) und Berlin (Waldbühne) führt.