Ob als Gitarrist, Songwriter oder Performer: Matthew Bellamy, der spindeldürre Mastermind von Muse, ist jemand, der nach immer neuen Mitteln, Wegen und Ausdrucksformen sucht. Was auch eines der Erfolgsgeheimnisse seiner Band sein dürfte, die – genau wie er selbst – nie stehen bleibt, und mit ,Drones‘ einen weiteren, mutigen stilistischen Haken schlägt. Eben weg von den allzu elektronischen Klängen der jüngsten Vergangenheit, hin zu einem eher bodenständigem Rock-Sound, der jedoch mit einem anspruchsvollen Konzept und einer abenteuerlichen Show einhergeht. Thema: Drohnen zur anonymen Kriegsführung wie zur privaten Unterhaltung. Ein wundersamer Widerspruch …
Den der 37-Jährige beim Interview-Termin im feudalen Berliner Hotel de Rom erklären soll – in einer opulenten 80-Quadratmeter- Suite, in der der 1,70-Meter-Mann aus dem britischen Provinzkaff Teignmouth geradezu verloren wirkt, und von dem Rummel um seine Person (Bodyguard und wartende Journalisten vor der Tür) mindestens so irritiert ist, wie der Verfasser dieser Zeilen von den Auflagen, die kurz vor dem Gespräch vom Management der Band ausgegeben werden: Keine privaten Fragen und nicht mehr als 15 Minuten Gesprächszeit.
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Doch der sympathische Künstler winkt ab: „Wir machen hier so lange, wie du brauchst – und wir können über alles reden – fast alles…“ Eine Ansage, die gleich für eine viel bessere, gelöste Stimmung sorgt. Und einmal mehr Matts Position als absoluter Ausnahmekünstler im modernen Rock’n’Roll-Zirkus unterstreicht: Trotz 20 Millionen verkaufter CDs, Tourneen durch die größten Stadien wie Mehrzweckhallen der Welt sowie prominenter Ex-Freundin (Schauspielerin Kate Hudson) hat er immer noch mehr von einem Nerd als von einem Rock-Star, und ist zudem wahnsinnig nett und redselig. Was eine unschlagbare Mischung ist und dieses Treffen zu einem wunderbaren Erlebnis macht.
Matt, euer neues Album vermittelt den Eindruck, als wären wir alle Drohnen, die von Drohnen gelenkt werden, die wiederum von anderen Drohnen kontrolliert werden…
Matthew Bellamy: (lacht) Das könnte man so sagen.
Womit ihr an das „1984“-Konzept von ,The Resistance‘ anknüpft?
Matthew Bellamy: Totalitäre Kontrolle war schon immer ein wichtiges Thema für mich. Wobei ich nicht genau sagen kann, wo das herkommt. Vielleicht liegt es daran, dass sich meine Eltern getrennt haben, als ich ein Teenager war, und ich eine Phase hatte, in der mein Leben völlig aus dem Ruder gelaufen ist – ohne, dass ich etwas dagegen tun konnte. Mir wurde einfach die familiäre Geborgenheit und Sicherheit entzogen. Weshalb die Gründung einer Band nichts anderes als eine Flucht war – und ein Mittel, um selbst Herr über mein Schicksal zu werden. Genau diese Gedanken hatte ich auch, als es an dieses Album ging. Wobei der Titel, also ,Drones‘, daher rührt, dass ich viel über diese Waffen gelesen habe.
Zum Beispiel?
Matthew Bellamy: Ein Buch namens „Predator Drones: Die verdeckte Kriegsführung der CIA“, das die verschiedenen Drohnen-Operationen dokumentiert, die in West-Pakistan und Afghanistan stattgefunden haben. Ich war wirklich geschockt, wie viele es davon gab und wie fortgeschritten die Technik war. Noch schlimmer fand ich allerdings den Begriff „kill decision“ – also wie die Entscheidungen für einen Drohnen-Angriff getroffen werden und von wem. Manchmal ist es sogar Obama, der nach dem Frühstück ein paar dieser Entscheidungen abnickt, ehe er sich seinem Tagesgeschäft widmet.
Wobei das Erschreckende ist, welche Distanz da kreiert wird: Die Technik sorgt für eine gewaltige Entfernung zwischen dem Auftraggeber und dem Ziel – auch emotional. Und die wird immer größer. Wobei das, was die USA gerade entwickeln, auf völlig autarke Drohnen hinausläuft. Drohnen, die ihre eigenen Entscheidungen zum Töten treffen, ohne dass irgendein Mensch involviert wäre. Was zeigt, wie das menschliche Mitgefühl bei dieser Entwicklung auf der Strecke bleibt.
Also bequemes Töten aus sicherer Entfernung und das ohne schlechtes Gewissen?
Matthew Bellamy: Richtig. Das ist das Thema dieses Albums: Der Verlust von Menschlichkeit und Mitgefühl, und wie leicht es ist, in der modernen Welt zum Psychopathen zu werden. Eben mit Hilfe der Technik.
Und das alles macht ,Drones‘ dann zu einem klassischen Konzept-Album?
Matthew Bellamy: Na ja, da ist eine Geschichte, die sich durch das gesamte Album zieht … Anschließend ergänze ich die übergeordnete Idee noch um eine Person, die alle Hoffnung und alles Vertrauen in sich selbst verliert und dadurch zum leichten Spielball für andere wird, deren Befehle sie ausübt.
Ein Aufruf zu mehr Menschlichkeit und Vernunft?
Matthew Bellamy: Es ist ein Aufruf zu mehr Individualität, zu mehr freiheitlichem Denken und mehr menschlichem Einfühlungsvermögen – gerade im Hinblick auf die Effizienz der Technik.
Soll heißen: Wir haben uns mit der vorbehaltlosen Akzeptanz der Technik nur selbst geschadet?
Matthew Bellamy: Ja! Und für mich sind Drohnen der Punkt, den man nicht überschreiten darf – an dem wir sagen müssen: „So etwas wie kill decisions darf es nicht geben. Und sie dürfen erst recht nicht von einem Computer ausgehen.“
Was ist dann mit der geballten Technik, die Muse auf ihren letzten Alben aufgefahren haben?
Matthew Bellamy: Hahaha!!!
Habt ihr es da übertrieben?
Matthew Bellamy: Das ist Geschmackssache … Und wir sind ohnehin die Art von Band, die einige Leute lieben und andere hassen. Was sich wahrscheinlich auch nie ändern wird, egal was wir tun. Aber es ist auf jeden Fall so, dass die elektronischen Einflüsse von Album zu Album stärker wurden. Und mit ,The 2nd Law‘ hatten wir den Ansatz so weit ausgereizt, wie wir nur konnten – ohne eine rein elektronische Band zu werden. Deshalb ist es so: Wenn ich von „reduziert“ rede, meine ich einfach die Rückkehr zu mehr Gitarre, Bass und Schlagzeug.
Warum habt ihr für das Album ausgerechnet Robert „Mutt“ Lange verpflichtet, der ja für klassische Rock- Alben der 70er und 80er steht – für AC/DC und Def Leppard?
Matthew Bellamy: Oh, wir lieben AC/DC! Und ,Back In Black‘ ist eines der besten Rock-Alben aller Zeiten. Aber der Grund, warum wir Mutt wollten, war der: Wir hatten schon bei ,The 2nd Law‘ vor, mit einem Produzenten wie ihm zu arbeiten. Aber alle, mit denen wir geredet haben, waren nicht verfügbar. Also haben wir die Aufnahmen einfach alleine begonnen – und beendet. Deswegen war die Zielsetzung diesmal, jemanden zu engagieren, damit wir uns auf Sachen wie das Zusammenspiel konzentrieren konnten. Denn wenn du deine Alben selbst produzierst, bedeutet das auch, dass du mehr Zeit im Kontroll- als im Live-Raum verbringst.
Was OK ist, aber als Band ist es auch nicht schlecht, einfach sein Instrument in der Hand zu haben und sich aufs Spielen zu beschränken. Wobei wir diesmal einen einheitlichen Sound wollten. Und zwar von Anfang bis Ende, gerade was Schlagzeug und Bass betrifft. Das ist eine der Sachen, die Mutt richtig gut hinbekommen hat. Und er hat ja nicht umsonst ein paar tolle Alben aufgenommen, die einen ganz bestimmten Charakter und Sound aufweisen.
Wie bringt ihr das live auf die Bühne – und wie viele Drohnen werden da zum Einsatz kommen?
Matthew Bellamy: Wir werden zumindest versuchen, welche einzubauen. Aber da gibt es natürlich Auflagen und Vorschriften, die von Land zu Land verschieden sind, und nach denen wir uns richten müssen. Nach dem Motto: Was gesteht man uns zu? Wie weit können wir den Bogen spannen? Denn natürlich gibt es Bedenken, wenn etwas über die Köpfe des Publikums fliegen soll und es womöglich verletzen könnte. Was davon abhängt, wo man das umzusetzen versucht.
Im Londoner Wembley Stadium ist das z.B. unmöglich. Da darf man fast gar nichts. (lacht) Aber: Wir suchen schon seit Jahren etwas, das diese Ballons ersetzt, die wir immer so toll fanden und die ja auch übers Publikum gesegelt sind. Da ist uns nie etwas Vergleichbares eingefallen. Und deshalb werden wir alles geben, um da ein fliegendes Element einzubauen, das auch das Album repräsentiert.