Die Musik sei für ihn pure Therapie, erklärt der amerikanische Gitarrist und Sänger Marcus King, Sohn des Blues-Gitarristen Marvin King und Enkel von Bill King. Nach eigenem Bekunden hatte der gerade mal 28-Jährige nicht nur eine bisweilen schwierige Jugend mit vielen verdrängten Kindheitstraumata zu bewältigen, sondern später auch unter massiven Alkohol- und Drogenproblemen inklusive eines exzessiven Konsums von Stimmungsaufhellern und Antipsychotika zu leiden.
Sein neuestes, insgesamt drittes Soloalbum ‚Mood Wings‘ – seit 2015 veröffentlicht er auch Scheiben der eigenen Marcus King Band – wurde vom legendären Rick Rubin (Johnny Cash, Santana, Red Hot Chili Peppers, ZZ Top) produziert und beinhaltet schwerpunktmäßig Soul-Rock, gemischt mit Elementen von Blues, Southern Rock, Country und Americana.
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Wie es zu dieser bemerkenswerten Scheibe kam und inwieweit der sensible Musiker darauf seine persönlichen Probleme verarbeitet hat, erklärt King in einem offenen, sehr ehrlichen Gespräch.
Marcus, wie war es für dich, als Kind in einem Musikerhaushalt aufzuwachsen? Hattest du eine normale Jugend? Oder stand die Musik über allem?
Musik ist in meinem Leben die einzig wirkliche Konstante. Ich wünschte, es gäbe mehr davon. Musik war für mich mein bester Freund, mein Babysitter, meine Sicherheitsdecke, aber auch eine Möglichkeit, den Problemen entfliehen zu können. Ich weiß nicht, wie ich es formulieren soll: Ich habe Musik immer gepriesen und gefeiert. In meinem Leben gab es Musik an jeder nur erdenklichen Ecke.
Wovor musstest du fliehen?
In meiner frühesten Kindheit gab es dramatische Ereignisse und Verluste, aus denen viele Depressionen und Angstzustände resultieren. Es war eine schwierige Zeit für mich, und Musik hatte da eine wichtige therapeutische Funktion.
Von einer glücklichen Kindheit kann man also kaum sprechen, oder?
Nun, es gab natürlich auch sehr glückliche Zeiten. Mein Dad war ein großartiger Vater, und meine Großeltern lebten direkt Tür an Tür mit uns. Mein Opa war ja auch selbst ein erfolgreicher Musiker, meine Oma stammt ursprünglich aus München. Sie war sehr liebevoll und hat immer tolles Essen gekocht. Insofern gab es bei uns zuhause sehr viel Liebe und Musik.
Ich habe die meiste Zeit meiner Jugend bei meinem Großvater verbracht. Mein Vater musste hart arbeiten, um die Familie durchzubringen. Aber wenn er nach Hause kam, wurde auch mit ihm gemeinsam sehr viel Musik gemacht. Ich würde also nicht behaupten, dass in meiner Kindheit alles schlecht und dunkel war, aber die schönen Momente wurden halt immer wieder von viel Tragik überschattet. Ich habe trotzdem versucht, die positiven Seiten zu sehen, die Musik, die große familiäre Zuneigung.
(Bild: JMC Collective)
Stand für dich nie außer Frage, auch selbst Berufsmusiker zu werden?
Eigentlich hatte ich keine andere Wahl, denn die Gitarre war für mich immer schon wie ein verlängerter Arm, sie ging mir von ganz allein in Fleisch und Blut über. Überall im Haus standen Instrumente herum, insofern gehörte das Spielen für mich zum ganz normalen Alltag dazu, etwas, das man in meiner Familie automatisch macht.
Das Gleiche gilt auch für den Bass, und am meisten fürs Schlagzeug. Drums haben mich als Kind eine Zeitlang noch stärker fasziniert als Gitarren. Aber mit Gitarren hat alles angefangen, erst danach kamen Bass, Schlagzeug und Klavier hinzu.
Inwiefern hat das Schlagzeug dein Gitarrenspiel beeinflusst?
Für jeden Gitarristen ist der rhythmische Aspekt des Spielens ein wichtiger Faktor, und da hilft es natürlich enorm, wenn man auch Drums spielen kann. Außerdem konnte ich mich als Jugendlicher am Schlagzeug in unserer Garage total abreagieren. Ich lernte die Patterns von Drummern wie Dennis Chambers oder David Garibaldi und tobte mich nach Herzenslust aus.
Meine Leidenschaft fürs Schlagzeug besteht bis heute, und wenn ich zuhause bin, setze ich mich immer noch regelmäßig hinters Drumkit und trommle beispielsweise auch auf meinen Demos. Der rhythmische Aspekt von Musik hat mich immer schon besonders fasziniert.
Hast du mit E- oder Akustikgitarren angefangen?
Mit einer E-Gitarre, wobei für mich die Unterschiede zur Akustikgitarre nicht allzu groß sind, zumal ich die E-Gitarre oft auch unplugged gespielt habe. Ich sah, dass mein Großvater häufig Akustikgitarre spielte, aber in erster Linie als Begleitung, wenn er dazu singen wollte. Für mein Empfinden war die Akustikgitarre zunächst also ein reines Begleitinstrument. Wer solistisch spielen wollte, brauchte in meinen Augen eine E-Gitarre.
Hattest du Unterrichtsstunden?
Während meiner Highschool-Zeit besuchte ich nachmittags immer die Kunsthochschule ‚Fine Arts Center‘ in Greenville, dort gab es Tänzer, Schriftsteller und auch einen Jazz-Kurs, in dem ich zwei Jahre lang Jazztheorie studiert habe. Ich liebte die Schule, denn sie zeigte mir faszinierende Dinge und erlaubte mir, mich selbst auszuprobieren. Der Schulleiter war übrigens Steve Watson, den einige G&B-Leser möglicherweise noch von der Bruce Hornsby Band kennen.
Du hast einige Alben mit deiner Marcus King Band, aber auch als Solomusiker veröffentlicht. Worin bestehen für dich die Unterschiede?
Mein Band ist und bleibt meine Band. Mit meinem Soloscheiben kümmere ich mich um eine andere Kategorie von Songs. Geholfen haben mir unter anderem Pianist Bobby Wood und Schlagzeuger Gene Chrisman von den Memphis Boys und der leider verstorbenen Bassist Dave Roe, der zur Band von David Reid gehört hat. Auch Billy Stafford hat einiges beigesteuert. Sie alle haben Musikgeschichte geatmet und verkörpern quasi den typischen Nashville-Sound.
Es ist immer etwas anderes, wenn man mit reinen Studiomusikern arbeitet. Auf gewisse Weise stellen sie auch eine Art Marcus King Band dar, ich fühle mich in ihrer Nähe sehr wohl. Aber es ist dennoch eine andere Herangehensweise als mit der eigentlichen Marcus King Band.
Wann und mit welchem Ziel hast du die Arbeiten an ‚Mood Wings‘ begonnen?
Ich wollte diesmal eine Art Erlösung spüren, wollte genau das sagen, was ich schon immer mitteilen wollte, über die großen Herausforderungen des Lebens, über psychische Gesundheit, über Depressionen, und all die Dinge, die mich bis zu diesem Zeitpunkt behindert haben. Ich habe versucht, meine Gefühle in Worte zu fassen, sie als meinen Songwriting-Partner und meine Werkzeuge zu nutzen und darüber zu schreiben, wie mir bestimmte Dinge im Leben geholfen haben.
Die Musik hilft mir dabei, meine Gefühle direkt zu artikulieren. Ich glaube, dass mir dies mit ‚Mood Wings‘ gelungen ist und dass ich möglicherweise anderen Menschen mit ähnlichen Problemen bei der Bewältigung von Einsamkeitsgefühlen helfen kann.
Die Texte waren also immer der Beginn eines neuen Songs, nicht die Musik?
Manchmal fing es mit einem Text an, manchmal kamen Text und Musik auch gleichzeitig.
Dabei hilft dir vermutlich auch deine Fähigkeit als außergewöhnlicher Sänger, nicht wahr?
Als ich zehn Jahre alt war, musste ich einen schlimmen Verlust hinnehmen und fiel in eine tiefe Krise. Ich war damals emotional sehr nah am Wasser gebaut, auch wenn man das vielleicht nicht immer sofort bemerken konnte. Ich war in mich gekehrt und habe viele Probleme mit mir selbst ausgetragen. Ich wusste nicht, dass man über so etwa sprechen muss, sondern fraß alles in mich hinein.
Ich hatte zwar meine Gitarre, aber ich merkte, dass sie allein mir nicht aus meinem Schmerz heraushelfen können würde. Ich spürte, dass ich ein weiteres Medium brauche, um mich und meine Gefühle zu artikulieren. So fing ich an zu singen. In den Jahren zuvor hatte ich auf der Gitarre zwar nicht alles gelernt, was ich lernen wollte, mir aber sehr viel von Stevie Ray Vaughan, Jimi Hendrix und Duane Allman abschauen können.
Ich wollte aber nicht wie eine Kopie von ihnen klingen, ich wollte, dass meine Gitarre wie Tina Turner, Aretha Franklin oder Janis Joplin klingt. Deren Stimme hatte ich im Hinterkopf, als ich anfing zu singen. Damals war ich 13, und das anschließende Jahrzehnt mit viel Zigaretten und Whisky half dabei, dass sich mein eigenes Timbre entwickelt hat.
Hast du den Eindruck, dass sich seit deinem Solodebüt ‚El Dorado‘ und dem nachfolgenden ‚Young Blood‘ nicht nur deine Stimme, sondern auch dein Gitarrenspiel und dein Songwriting spürbar weiterentwickelt haben?
Als ich 2018 in Nashville die Arbeiten an ‚El Dorado‘ anfing, lernte ich die Bedeutsamkeit des Co-Komponierens kennen, und auch wie wichtig es ist, ein Album in einem Umfeld zu produzieren, das zu meinem bevorzugten Spielstil passt. Denn dadurch entwickelten sich die Dinge unfassbar schnell, ein Arbeitstempo, das mir enorm viel Spaß bereitet hat.
Dan Auerbach, mein Produzent, stellte mich der dortigen Szene vor und sorgte dafür, dass ich Teil von ihr werde. Darauf aufbauend lief auch die Zusammenarbeit zwischen Dan und mir auf ‚Young Blood‘ absolut großartig. Für mich schien diese Periode wie ein Aufbruch zu sein, in dieser Zeit konnte mich scheinbar nichts nach unten ziehen, es ging mir offensichtlich gut und ich konnte mich wieder mehr auf meine bekannte Sicherheitsdecke, die Gitarre, konzentrieren. Ich nahm einfach eine Les Paul und spielte sie durch einen alten Amp, ohne mich allzu sehr auf den Gesang zu fokussieren.
Das Songwriting reflektiert viel von meiner guten Verfassung seinerzeit. Wenn man den Song ‚Rescue Me‘ anhört, schaut man wie durch kleines Fenster hindurch in das, was mich damals beschäftigt hat. Aber ich habe das Gefühl, dass ich nicht 100%ig ehrlich zu meinem Publikum war.
Das wiederum bringt mich zur Zusammenarbeit mit meinem Produzenten Rick Rubin, von dem ich lernen konnte, wie wichtig es ist, immer bei sich selbst zu bleiben und Dinge nur für sich selbst zu tun. Und dass ich das Zutrauen in meine Zuhörerschaft haben kann, die diese Offenheit mögen und zu schätzen wissen. Anstatt Dinge deshalb zu tun, weil man hofft, dass sie von anderen gemocht werden. Verstehst du, was ich meine?
Absolut. Da geht es sicherlich auch um Selbstvertrauen und darum, intuitiv zu arbeiten, anstatt mit Kalkül.
Exakt. Ich habe das Gefühl, dass ich mit ‚Young Blood‘ versucht habe, nach außen hin stark zu wirken und meine Probleme zu verstecken. So ist etwa ‚Hard Working Man‘ entstanden, Stücke, die eigentlich nur vorgetäuscht haben, wie es mir angeblich geht, während die Wahrheit ganz anders aussah. Diesen Fehler habe ich bei ‚Mood Wings‘ kein zweites Mal begangen, diesmal bin ich wieder absolut ehrlich mit meinem Publikum. Und ich spüre jetzt die große Akzeptanz, die mir dadurch entgegengebracht wird.
Ist ‚Mood Wings‘ so gesehen dein Therapie-Album?
Ja, das beschreibt es genau. Ich meine: Auch die gängigen Therapien helfen einem, aber dieses Album trägt ein Stück weit dazu bei.
Mit welchem Equipment wurde ‚Mood Wings‘ eingespielt?
Wie gewohnt vor allem mit meiner roten Gibson ES-345, genannt „Big Red“, und einigen Effektpedale, darunter ein Tru-Fi-Colordriver-9V-Fuzz, ein MXR Phase 100, ein MXR Booster Mini und ein Tru-Fi Ultra Tremolo.
Letzte Frage: Wirst du, wie gewohnt, auch die Songs von ‚Mood Wings‘ auf der Bühne verändern? Werden die Live-Versionen andere sein als die Studiofassungen?
Für mich sind Studio und Bühne zwei unterschiedliche Paar Schuhe. In meinen Konzerten lasse ich immer sehr viel Raum für Improvisationen und unterschiedliche Interpretationen. Für mich ist es in etwa so, als wenn aus einem Buch ein Kinofilm entsteht. Es ist dann lebendiger, action-reicher, mehrdimensionaler.
Dennoch wird kein Zuschauer von meinen Shows enttäuscht sein, die Grundlage sind immer die Ideen der Studioversion. Manchmal sind die Bühnenfassungen etwas schneller als die aus dem Studio, aber das geschieht unabsichtlich, eher aus der Euphorie eines Live-Konzertes heraus. Wir spielen ohne Clicktrack und reagieren einfach aufs Publikum. Jedes unserer Konzerte hat seine eigene, einzigartige Dynamik!