Les Paul & die Gold Top: Ein Musiker und (s)ein Goldstück
von Carlo May, Artikel aus dem Archiv
Anzeige
Les Paul hat sehr früh angefangen, Gitarre zu spielen. Schon mit neun Jahren trat er auf. Er nahm seine billige Gitarre für $ 4,95 aus dem Versandhaus, baute sich eine Umhängevorrichtung für seine Mundharmonika aus einem Kleiderbügel, übte ein paar Songs und turnte als Straßenmusiker durch seine Heimatstadt Waukesha in Wisconsin …
Später, als seine pubertierenden Kumpels in erster Linie Probleme mit sich selbst und den Verabredungen zum Tanzen hatten, hatte der 13jährige Red Hot Red – so nannte er sich in den frühen Tagen seiner Karriere – in erster Linie Probleme mit seiner Gitarre. Sie war einfach nicht laut genug. Mit Hilfe einer Plattenspielernadel und eines Radios baute er sich damals den ersten Tonabnehmer samt Verstärker. Les Paul wurde einer der berühmtesten und erfolgreichsten amerikanischen Musiker des 20. Jahrhunderts.
Anzeige
Seine Aufnahmen aus den 40ern und 50ern wurden allesamt Hits und verkauften sich millionenfach. Trotzdem war er ständig beschäftigt, sein Handwerkszeug zu perfektionieren, und das bedeutete für ihn, eine brauchbare elektrische Gitarre zu konstruieren. Ein vernünftiger Tonabnehmer war bereits erfunden. Spätestens seit Mitte der 30er Jahre gab es gute, brauchbare elektromagnetische Systeme samt Verstärker. Aber Les Paul störte das leidige Problem der Rückkopplung. Kein Wunder, ein Star wie er trat vor großen Auditorien auf und musste mit, zumindest für damalige Verhältnisse, großer Lautstärke spielen. Seine Gitarren mit hohlem Korpus und Tonabnehmer dürften dabei mehr Feedback als Musik produziert haben.
The Log
1941 hatte er die Nase endgültig voll – er griff zu radikalen Maßnahmen und baute „The Log“. Er nahm sich eine Ahornplanke mit quadratischem Querschnitt, ca. 50 cm lang, schraubte Saitenhalter, Steg und Tonabnehmer daran fest und verleimte diesen Klotz (engl. „log“) mit einem ganz normalen Gitarrenhals von Gibson. Dann sägte er eine seiner Epiphone-Gitarren der Länge nach durch und befestigte an den Seiten seines Klotzes je eine Korpushälfte. Von weitem sah das gute Stück wie eine handelsübliche Gitarre jener Tage aus, in Wirklichkeit handelte es sich aber um eine – zugegeben recht simple – Solidbody, die der Optik wegen (noch) mit zwei hohlen Korpushälften „getarnt“ war.
Dieses Instrument spielte Les Paul fortan regelmäßig, denn nun war er nicht nur das leidige Feedback los, sein neues Instrument hatte auch einen brillanteren Klang. Er hatte eine ganz einfache Überlegung angestellt: „Wenn man eine schwingende Decke und eine schwingende Saite hat, gibt’s Probleme. Eins von den beiden muss aufhören zu schwingen, aber die Saite kann’s nicht sein, sie produziert den Klang.“ Ted McCarty, der Chef in Kalamazoo, trieb die Gibson-Entwicklungsabteilung zur Eile an. Der Zug mit den neuen Solidbody-Gitarren sollte nicht so schnell ins Rollen kommen, dass man nicht mehr aufspringen konnte. Und man begann der Zeit nachzutrauern, die verstrichen war, seit Les Paul ihnen sein Solidbody-Konzept vorgestellt und sie es hochmütig abgelehnt hatten. Zwei Dinge waren von vornherein klar.
Das Konkurrenzmodell zu Fenders Broadcaster musste sich deutlich unterscheiden, und es brauchte einen prominenten Taufpaten. Wer wäre besser geeignet gewesen als Les Paul, der erfolgreichste Gitarrist, den die Welt bis dahin erlebt hatte. McCarty reiste dem Star extra nach Pennsylvania hinterher, wo Les Paul Aufnahmen machte, um den Vertrag so schnell wie möglich unter Dach und Fach bringen zu können. Les-Paul bekam bei den Verhandlungen einen Prototyp gezeigt und verpflichtete sich, in Zukunft nur noch mit der neuen Gibson-Gitarre aufzutreten. Dafür gab es Tantiemen von jedem verkauften Exemplar, und alle fünf Jahre sollte der Vertrag verlängert werden. „Les Paul Model“ – unter diesem Etikett sollte das Instrument auf den Markt gebracht werden. Aber, man höre und staune, ohne den Firmennamen Gibson. Die Chefs trauten der Sache immer noch nicht und hatten immer noch Angst um ihren guten Namen.
Goldrush
Les Paul sah die Dinge etwas pragmatischer. Er schlug vor, die Gitarre mit einer speziellen einteiligen Steg/Saitenhalter-Kombination auszustatten, die er entwickelt hatte. Außerdem präferierte er eine goldene Lackierung, um dem Instrument ein edles, wertvolles Erscheinungsbild zu geben. McCarty akzeptierte beides, wohl auch, um die Verhandlungen nicht zu verzögern. Das mit der Farbe leuchtete ihm sicher ein, das mit dem Steg sollte allerdings sehr bald für Ärger sorgen.
Na ja, und dann war da noch der Konkurrent in Kalifornien. Um ihm die Lust am Kopieren von vornherein zu verderben, sollte die Gitarre eine geschnitzte, gewölbte Decke bekommen. Zu solchen Handwerksleistungen wäre Fender kaum in der Lage gewesen. Außerdem bekam die Les Paul dadurch ein konventionelles Aussehen. Wer weiß, vielleicht war das Design ja doch zu gewagt … Gibsons Manager waren in jenen Tagen nicht sehr mutig. Bei der Konstruktion wurden allerdings keine halben Sachen gemacht. Die Form der Gitarre war klar. Es war ein Styling, das sich an einer „normalen“ Arch-Top-Gitarre orientierte, allerdings mit einem wesentlich kleineren Korpus und einem Cutaway, das den Musikern bereits auf der ES-175 viel Freude machte.
Bei der Holzauswahl hätten die Entwicklungsingenieure sich am liebsten auf Ahorn für den Korpus beschränkt. Ahorn war für seinen hellen, brillanten Klang und sein gutes Sustain bekannt. Allerdings wäre der Korpus wahrscheinlich zu schwer geworden. Mahagoni oder Esche, letzteres verwendete Fender, hatte nicht genug Sustain, und Sustain war für den Musiker Les Paul der entscheidende Vorteil einer Solidbody. Monatelang wurde in Kalamazoo mit unterschiedlichen Hölzern und Kombinationen experimentiert. Der beste Kompromiss schien eine Kombination aus Ahorn und Mahagoni zu sein. Also baute man den Korpus aus einem einteiligen Mahagoni-Fundament und leimte die geschnitzte Ahorndecke auf. Für den Hals wurde ebenfalls ein einteiliges Stück Mahagoni gewählt.
Das Palisandergriffbrett bekam 22 Bünde, dank des Cutaways gut zu erreichen. Bei der Auswahl der Tonabnehmer gab es kaum Probleme, Gibson hatte damals nur ein Modell. Allerdings bekam der P-90 eine neue Montage. Seine „Befestigungs-Ohren“ wurden abgeschnitten, stattdessen wurde er mit zwei Schrauben zwischen den Polen der Spulen im Korpus fest verankert. Bei frühen Exemplaren wurde der Steg-Pickup mit zusätzlichen Schrauben an zwei gegenüberliegenden Kappen-Ecken gesichert.
Ein Klassiker mit Problemen
Im Frühjahr 1952 kamen die ersten Les-Paul Modelle in den Handel, zusammen mit einem 12-Watt-Verstärker, der die Initialen L und P auf der Lautsprecher-Bespannung hatte. Im letzten Moment vor der Veröffentlichung mussten die Gibson-Manager ihre Vorbehalte wohl noch überwunden haben, denn auf den Kopfplatten der Gitarren fand sich nun doch das Gibson-Logo in Perlmutt eingelegt. Das Goldstück kostete damals $ 210, während zur selben Zeit die Broadcaster (sie hieß allerdings inzwischen Telecaster) schon $ 189 kostete. Bedenkt man den handwerklichen Mehraufwand, den die Gibson verursachte, kann man davon ausgehen, dass die Firmenleitung eher vorsichtig an den Markt herangehen wollte und den Preis bewusst niedrig kalkulierte.
Das Konzept ging offenbar auf, denn 1952 wurden 1716 Exemplare gebaut, 1953 sogar 2243. Bis 1961, dem vorläufigen Ende der Les-Paul-Reihe wurden nie wieder derartige Stückzahlen produziert. Trotz des unzweifelhaften Erfolgs der ersten Monate gingen McCarty und seine Mitarbeiter sofort an die Verbesserung des Modells, denn der Saitenhalter war alles andere als optimal. Die Saiten wurden nach der Befestigung um den zylinderförmigen Steg geführt, allerdings unter dem Steg hindurch. Es gab für den Musiker keine Möglichkeit, die Saiten durch Auflegen der rechten Hand zu dämpfen. Außerdem war der Abstand zwischen der rechten Hand und den Saiten recht groß.
Hätte man die Saiten über den Steg geführt, wäre die Saitenlage unspielbar geworden. Wie konnte solch eine gravierende Panne bei der Konstruktion überhaupt passieren? Heute, ein halbes Jahrhundert später, kann man nur vermuten und versuchen, der Wahrheit durch die Aussagen der Beteiligten auf die Spur zu kommen. Natürlich, das TrapezeTailpiece war Les Pauls Idee. Die Patenturkunde ist auf seinen Taufnamen, Lester W. Polfus ausgestellt. Auf der Patentzeichnung ist deutlich zu sehen, dass die Saiten über den Steg geführt werden sollen. Selbstverständlich. Les Paul wusste genau, was er tat, als er dieses so sinnvoll und praktisch erscheinende Teil entwickelte.
Aber warum funktionierte es auf den ersten Exemplaren der Les Paul nicht? Vermutlich liegt die Ursache in der Schwierigkeit, die Vorstellungen des Musikers, der Geschäftsleitung und der Instrumentenbauer bei Gibson zu koordinieren, vor allen Dingen auch unter dem Zeitdruck, den die Gibson-Verantwortlichen auf einmal diesem Thema auferlegten. Les Paul hatte Gibson seine Vorstellungen von der Konstruktion klar gemacht. Seine wichtigsten Forderungen, neben der Wahl der Lackierung, waren Sustain, sein patentierter Saitenhalter und eine flache(!) Ahorndecke.
Auf Fotos aus den 50er Jahren sieht man Les Paul häufig mit Gitarren, die er sich von Gibson speziell für den Eigenbedarf auf der Bühne und im Studio hat bauen lassen und diese Les Pauls haben eine flache Decke. Aber Ted McCarty, der Mann, der in Kalamazoo das Sagen hatte, wollte eine gewölbte Ahorndecke, um der Konkurrenz das Kopieren zu erschweren. Und bei der Wölbung der Decke liegt die eigentliche Ursache des Problems. Der Steg, der auf zwei Metallkegeln ruht, steht aufgrund dieser Wölbung zu hoch über der Decke. Das Dilemma war perfekt.
Les Paul war ständig irgendwo in den USA unterwegs und nicht in der Lage, jeden Entwicklungsschritt bei Gibson zu begleiten und gegebenenfalls zu korrigieren. Ted McCarty hatte seine Vorstellungen von einem erfolgreichen Marketing der Gitarre, und die Arbeiter im Werk mussten sehen, wie aus den differierenden Vorstellungen ein brauchbares Instrument wurde. Und dann kam der Faktor Zeit ins Spiel. Gibson arbeitete bereits zu lange an der Les Paul, sie musste auf den Markt, damit Fender nicht noch mehr Vorsprung bekam.
Eine gründliche Neukonstruktion kam nicht in Frage, eine Veränderung des Halswinkels, der das Problem hätte lösen können, auch nicht. Also wurde eine simpel erscheinende Variante gewählt, die weder Zeit noch Aufwand kostete: die Saiten wurden falsch herum um den Steg geführt, die Les Paul war damit spielbar und konnte endlich erscheinen. Zweifellos wussten alle, dass hier ein im wahrsten Sinne fauler Kompromiss gewählt worden war. Aber man hatte Zeit gewonnen, man konnte beobachten, ob der Markt das neue Instrument akzeptierte, um dann über Modifikationen nachzudenken.
Les Paul hat sofort gemerkt, was hier nicht stimmte. Auf Promotion-Fotos sieht man ihn mit der nach ihm benannten Gitarre und bei genauem Hinsehen stellt man fest, dass die Saiten über den Steg geführt sind. Ob er die Instrumente auf den Fotos auch selbst gespielt hat, ist eine andere Frage. Jedenfalls war auch McCarty klar, dass der Steg verändert werden musste, um eine vernünftige Saitenlage bei korrekter Saitenführung zu bekommen. Zuerst schien die Lösung denkbar einfach. Man müsste nur die beiden Kegel, auf denen der Steg ruht, entfernen. Ging in der Realität aber nicht, denn dann wurden die Schenkel des Trapezes in die Decke gedrückt – die Wölbung war schon wieder im Weg. Also half nur eine radikale Lösung: Das Trapeze musste weichen. Der Zylinder, gleichzeitig Saitenhalter und Steg, brauchte nur noch anders befestigt zu werden. Das besorgten fortan zwei massive Bolzen, die in die Decke geschraubt wurden.
Im Januar 1953, also nur rund ein halbes Jahr nach dem Debüt der Les Paul, meldete McCarty diesen Steg/Saitenhalter auf seinen Namen zum Patent an. Die Verantwortlichen hatten zügig gehandelt. Es dauerte allerdings noch bis weit ins Jahr 1953 hinein, bis Musiker die neue, zweite Generation der Les Paul kaufen konnten. Heute kennen wir diesen Steg unter dem Namen Stud-Tailpiece. Es wird häufig erzählt, Gibson habe mit dem neuen McCartySteg auch den Halswinkel erhöht. Das ist ein Mythos, denn es stimmt nicht. Eine Les Paul mit Stud hat den gleichen Halswinkel, wie eine frühe mit Trapeze. Deutlich größer wurde der Halswinkel erst 1955, mit der Einführung des neuen Tune-o-matic-Stegs. Diese Neukonstruktion, 1954 schon auf der Les Paul Custom verwendet, bot die präzisesten Einstellmöglichkeiten von Saitenlage und Intonation, die sich ein Gitarrist damals wünschen konnte. Allerdings war nun endgültig ein größerer Halswinkel nötig.
Ob gewünschter Nebeneffekt oder Zufall, durch den neuen Halswinkel erhöhte sich der Druck der Saiten auf den Steg und ein noch besseres Sustain war die Folge Trotz aller Probleme schien das Les-Paul-Modell in der ersten Hälfte der 50er Jahre ein Erfolg zu werden. Gibsons Manager wurden mutiger und erweiterten kontinuierlich die Modell-Palette zum Quartett: Les Paul Junior, Les Paul Special, Les Paul Custom. Ab 1955 gab es zwei Klassen Les Pauls: die Custom und das Les Paul Model (Standard hieß es noch nicht) mit Tune-o-matic und gewölbter Decke sowie Junior und Special ohne Ahorndecke und mit Stud-Tailpiece.
Neue(r) Standard
1957 schließlich bekam die Les Paul anstelle der beiden P-90 zwei Humbucker, und damit hatte sie einen Entwicklungsstandard erreicht, der nicht mehr zu verbessern war. Ab 1958 hieß sie dann auch Les Paul Standard und die Goldfarbe war einem attraktiven Sunburst gewichen. Ironie des Schicksals, die Musiker der damaligen Zeit schienen von der Qualität der ständig verbesserten Les Paul nicht überzeugt zu sein, denn die Verkaufszahlen gingen kontinuierlich zurück. 1961 wurde die klassische Les Paul aus dem Programm gestrichen und durch ein neues Design ersetzt – wir kennen dieses Modell heute unter dem schlichten Namen SG.
Kurze Zeit lang hieß diese Reihe ebenfalls noch Les Paul, denn Gibson hatte ja einen Vertrag mit dem Gitarristen. Dieser Vertrag wurde letztendlich Ende 1961 gelöst, nachdem zum zweiten Mal fünf Jahre verstrichen waren. Les Paul sagt heute, er sei damals froh gewesen, aus dem Vertrag heraus zu kommen, das neue Design hätte zu wenig mit seinen Vorstellungen von einer E-Gitarre zu tun gehabt. Außerdem lief die Scheidung von seiner Frau und Duo-Partnerin Mary Ford. Er wollte ihren Anwälten die Möglichkeit nehmen, Anteile an Gibsons regelmäßigen Tantiemen Zahlungen einzuklagen.
In der zweiten Hälfte der 60er Jahre hatten die Musiker gemerkt, wie gut Gibsons erste Solidbody-Konstruktion gewesen war. Die Nachfrage nach gebrauchten Les Pauls stieg stetig. Mike Bloomfield in den USA und Eric Clapton in England hatten maßgeblichen Anteil an der Neuentdeckung der alten Les Paul, und Gibson entschloss sich 1968, die Reihe wieder ins Programm zu nehmen. Und seitdem wird dieser Klassiker ohne Unterbrechung wieder gebaut und ist zusammen mit der Fender Stratocaster die erfolgreichste E-Gitarre der Geschichte.
Mehr zur Thema Gibson Les Paul und anderen Gibson Gitarren findest du in unserer Gibson Sonderausgabe!
“Les Paul, der erfolgreichste Gitarrist, den die Welt bis dahin erlebt hatte” – Was für ein hanebüchener Unsinn! Schon mal was von Django gehört?
Ja, Django Unchained