Die Kieler Leoniden haben in den letzten Jahren eine beeindruckende Erfolgsgeschichte hingelegt: Aus der Indierock-Szene stammend, erspielten sie sich durch zwei Alben voller Hits und hunderten fantastischer Liveshows einen Ruf als eine der aufregendsten jungen Bands des Landes. Und obwohl das Quintett auch auf dem von Markus Ganter (u.a. Casper, Drangsal) produzierten neuen Album ‚Complex Happenings Reduced To A Simple Design‘ Gebrauch von ausufernden Streicher-Arrangements, Ohrwurm-Hooks und ganz viel Tanzbarkeit macht, kommt doch immer mehr der Alternative-Rock-Background zum Vorschein.
Wir sprachen mit Gitarrist Lennart Eicke und Sänger sowie Multiinstrumentalist Jakob Amr über ihre neu entdeckte Liebe zu Fugazi, ihr Triple-Amp-Setup und das beste Zerrpedal aller Zeiten.
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Ich hatte immer das Gefühl, ihr seid im Pop-Zirkus mit so viel zur Schau gestellter Musikalität eine Ausnahmeerscheinung. Spiegelt euer Albumtitel das wider? Komplexe musikalische Geschehnisse in der simplen Form eines Popsongs?
Lennart: Das ist die beste Interpretation bis jetzt! (lacht)
Jakob: Es ging auf thematischer Ebene auch darum, dass wir als Band, deren Songs generell unter fünf Minuten sind, eh immer genau das tun. Wenn wir arroganterweise einen Song ‚L.O.V.E.‘ nennen und versuchen, in drei Minuten das Thema Liebe abzuhandeln … Das ist ja wahrscheinlich eins der komplexesten Themen, dann eben reduziert auf drei Minuten. Auf einer politischen Ebene ist es ja schon sehr simpel und deutlich, eine brennende Welt aufs Cover zu zeichnen, aber die komplexen Zusammenhänge kann das einfach nicht widerspiegeln.
Lennart: Man muss ziemlich viel rumtüfteln, um diese riesigen Themen auf den Punkt zu bringen, über die andere Leute Bücher schreiben oder fünfstündige Vorträge halten. Wenn du das irgendwie in zwei, drei Strophen und einem Refrain hinkriegen willst, muss du ziemlich viel eindampfen. Das ist für uns auch ein bisschen die Kunst an der Sache – gerade, wenn es nicht einfach um Plattitüden geht.
Jakob: Voll. Wo aber dein Punkt wieder total zieht: In unserem Schreibschrank, wo die ganzen Genrekisten stehen, gibt es wirklich alle Zutaten. Der Prozess ist auf jeden Fall immer sehr komplex und voller Sachen, die vielleicht gar nicht zusammengehören.
Ein Song wie ‚Blue Hour‘ behandelt das Thema Depressionen und Angststörung. War es schwierig, auch solche Songs zu machen, wo euer Stil ja eigentlich sehr lebensbejahend und euphorisch ist?
Jakob: Wenn wir mit Leoniden eine Sitcom wären, dann wären wir Scrubs, die es auch schaffen, von einem sehr traurigen auf einen total lustigen Moment zu kommen – ohne, dass man sagt, das eine müsste ohne das andere existieren.
Lennart: Es ist ja eigentlich total cool, dass die Leute unsere Musik als euphorisch empfinden. Ich sehe es aber so, dass immer schon etwas Ernstes und Melancholisches in unserer Musik steckte. Uns war es nur immer wichtig, dass man traurige Inhalte nicht plakativ in eine langsame Ballade verpacken muss. Bei ‚Blue Hour‘ haben wir uns das wirklich das erste Mal getraut.
Neben eher „klassischeren“ Leoniden-Songs wie ‚Love‘ oder ‚Funeral‘ ist jetzt auch ganz viel an rotzigem Indierock und Garage dabei – ich denke da an Songs wie ‚Boring Ideas‘ oder ‚Broken Pieces‘. Vieles klingt einfach rockiger als eure beiden anderen Alben. Wie kam es dazu?
Jakob: Wir haben das Album mit anderen Leuten produziert und gemerkt, dass wir bei den vorherigen Alben auch bewusst einen gewissen Spagat gab zwischen der Album-Produktion und den Livekonzerten. Viele haben damals gesagt: „Live seid ihr ja fast eine Punkband!“ Und das Livespielen war uns auch immer am wichtigsten. Unsere beiden Produzenten Magnus Wichmann und Markus Ganter haben wir dann vor die Aufgabe gestellt, dass die Platte ein bisschen mehr Energie haben soll, damit es ein bisschen näher an das Live-Ding kommt. Außerdem sind wir alle mit Rock, Grunge und Alternative sozialisiert. Und weil das Album jetzt so lang ist, war viel mehr Platz für Experimente. ‚L.O.V.E.‘ war der erste Song. Alles andere haben wir drumherum gesetzt. Auf einmal haben wir dann wieder angefangen, ohne Ende Fugazi zu hören, und das dann ans Ende von ‚Medicine‘ eingebaut.
Lennart: Wir hatten halt echt Bock drauf. Und wir haben auch das Gefühl, dass es für uns besser funktioniert, als uns in die Pop-Richtung weiterzuentwickeln, wo man vielleicht hingetrieben worden wäre, wenn man jetzt externe Berater:innen gefragt hätte. Da hätte man uns gesagt: Macht doch mal weniger experimentell, ein bisschen ruhiger, langsamer und so.
Welche Instrumente kamen auf eurem Album zum Einsatz?
Lennart: Wir haben ganz viele Instrumente aus dem Studio benutzt und uns nachher auch neues Equipment gekauft.
Jakob: Aber konkret zum Einsatz kamen: Die Dusche. Dann gab es den silber-goldenen Vogel. Und, ganz wichtig, Nobelschröder.
Lennart: Die Dusche ist die coolste Gitarre, die wir haben: Eine alte Squier, die ich mir mit 14 gekauft habe, und die wir irgendwann wieder flott gemacht haben. Die ist so bratzig, das glaubst du gar nicht.
Jakob: Die füllt alles aus. Dsssch! Deshalb heißt sie die Dusche.
Lennart: Dann meine amerikanische Tele von 1992. Ich dachte, das wäre eine Schrott-Gitarre und bin damit immer richtig scheiße umgegangen. Dann haben wir erfahren, dass die richtig viel wert ist, und seitdem benutzen wir die immer nur im Studio.
Jakob: Dazu noch eine goldene Jazzmaster von Markus Ganter. Und an Bässen: Precision, Jazz Bass, DDR-Bass und ein alter Höfner. Unser Gitarrensound entsteht außerdem maßgeblich durch den Way Huge Pork & Pickle. Das ist eigentlich ein Bass-Pedal, aber die beste Zerre, die es jemals gab. Alle anderen können einpacken. Der hat einen Clean-Blend mit Filter, man kann also zum Beispiel den Bass noch durchlassen.
Lennart: Am Anfang der Produktion nehmen wir einfach alles mit, was wir kriegen können, und fragen noch Freunde, ob sie uns was leihen. Und dann stehen im Studio 17 Gitarren, und wir probieren einfach aus. An Verstärkern haben wir einfach unsere benutzt. Ich spiele schon immer einen Vox AC30. Der ist langweilig, aber saugeil. Und wir haben einen Roland Jazz Chorus für live, weil es nur eine Gitarre gibt und der permanent diesen Chorus macht, den wir vor der Bühne panorama-mäßig aufziehen, dass es ein bisschen nach zwei Gitarren klingt.
Und jetzt habe ich gebraucht einen richtig traurigen Marshall JCM2000 TSL100 gekauft, den alle loswerden wollen. Alle wollen einen geilen JCM800. Aber der TSL ist halt ein richtig geiler Deppen-Verstärker, den sich wahrscheinlich 2005 alle gekauft haben, die das bei Limp Bizkit gesehen haben … Eigentlich weiß ich noch nicht einmal, wer solche Verstärker überhaupt spielt. Der ergänzt das Duo aus Vox und Jazz Chorus auf jeden Fall, weil der einfach einen geileren Attack hat. Und ich spiele live auch konsequent alle drei gleichzeitig.
Irgendwann haben wir gemerkt, dass wir auf der Bühne mehrere Gitarren mitnehmen müssten, was ich aber irgendwie doof finde – das ist so ein Proll-Move, das schockt gar nicht. Vorher habe ich immer billige Telecasters gespielt, die auch gerne kaputt gehen durften, weil die einfach nicht so viel gekostet haben. Aber dann hat uns unser cooler Kumpel Martin aus Kiel angeboten, dass er uns Gitarren baut. Er hat mir jetzt zwei identische Custom-Gitarren gemacht: Der perfekte Mix aus Tele und Strat. Sieht aus wie eine Strat, hat aber eine feste Brücke und alles herausgenommen außer die drei Pickups und ein Volume-Regler. Die haben auch den Jaguar-Switch, man kann also nicht aus Versehen etwas verdrehen. Der hat ein halbes Jahr an diesen Gitarren herumgewerkelt, die wirklich alles vereinen.
Ich stelle außerdem nie etwas um während des Konzerts, das hasse ich. Ich spiele immer den Neck-Pickup. Wir haben sogar kurz überlegt, ob wir nur den Neck-Pickup einbauen, aber dann gemerkt, wie hässlich die Gitarre dadurch wird. Aber alles, was sich verstellen kann, haben wir ausbauen lassen. Ich habe auch mal gehört, dass Eddie Van Halen früher die Knobs an seinen Effektgeräten abgeflext hat. Damit die einmal eingestellt sind und sich nie wieder verstellen. Würde ich auch gerne machen, aber ich habe keine Flex.
Wie habt ihr euren Bass-Sound geformt?
Jakob: Als Verstärker haben wir nur den Amp unseres Bassisten JP genommen, einen alten Fender Bassman. Unfassbar, da braucht es nichts anderes. An Effekten war, wie gesagt, der Way Huge Pork & Pickle sehr beliebt. Dann der Russlon Fuzz von Orion Effekte, und einen Rat haben wir benutzt, dazu noch einen Kompressor von Empress. Das coole an JPs Amp ist, dass der zwei Channels hat, und die blenden wir dann immer: Bright und Deep. Sein Bass hat es gar nicht auf die Platte geschafft, das ist ein alter Jazz Bass. Sein neuer ist ein Fender DLX, der zwischen aktiven und passiven Pickups geschaltet werden kann. Eigentlich ein Precision, der aber auch Jazz-Bass-Sounds kann.
Wie sieht es mit Akustik-Gitarren aus?
Lennart: Im Studio haben wir eine von Taylor gespielt. Als wir merkten, dass das auch auf der Bühne eine Rolle spielen könnte, haben wir von Fender eine Acoustasonic gekriegt. Die sieht abgefahren aus und ist ein krankes Ding, das hätte ich nie gedacht. Das ist die ideale Akustik-Gitarre für uns. Diese eingebaute Simulation klingt heftig gut, und sie hat einen Feedback-Stopper.
Kamen noch andere Gitarreneffekte auf dem Album zum Einsatz?
Lennart: Der Way Huge und ein Tube Screamer, das ist so meine Standard-Zerre. So langweilig der Tube Screamer auch ist – es ist einfach der geilste Verzerrer. Nach dem Way Huge! Sonst sind da auch gar nicht so viele Effekte drauf. Das Whammy hat es hier und da geschafft …
Jakob: Wir haben Lennarts normales Effektboard aber für Effekt-Dopplungen mitgenommen. Da ist ein Line6 DL4 drauf … Einfach genau das, was man sich vor 15 Jahren gekauft hat, wenn man Post-Rock und Post-Hardcore gut fand. Und der Lehle-Splitter. Das ist zwar kein richtiges Effektgerät, aber damit kannst du die drei Amps gleichzeitig ansteuern. Inklusive, dass du die Gains richtig einstellen kannst.
Habt ihr vor den Aufnahmen zu dieser Platte auch schon mit drei Amps gespielt?
Lennart: Nein, das war die Entwicklung der Platte. Denn wir haben gemerkt: Es muss alles ein bisschen fetter sein, wir brauchen einen Marshall. Und eine neue Gitarre. Das ist so der typische Leoniden-Weg: Wir gehen ins Studio, machen da alles, was der Platte guttut, und müssen uns nachher die Frage gefallen lassen: Wie soll das jetzt live funktionieren? Bei Gitarre und Bass kann man das in der Regel zum Glück mit Equipment lösen. Bei Streicher-Geschichten ist das dann schon eine Frage des Keyboards, und ob sich jemand einen dritten Arm anschrauben kann, weil es einfach zu viele Spuren sind. Denn wir haben uns vor vielen Jahren feierlich geschworen, niemals mit Backing-Track zu spielen. Die gibt es immer noch nicht, null. Alle, die das machen, sollen das machen, aber: Wir machen das nicht.