„Breakthrough Artist Of The Pandemic“

Kritischer Traditionalist: Billy Strings im Interview

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(Bild: Jesse Faatz)

Vor gut neun Jahren begeisterte ein junger Akustikgitarrist das amerikanische Publikum mit traditioneller Bluegrass-Musik. Inzwischen hat der Mann aus Michigan seinen eigenen Stil definiert. Dabei macht er einiges anders als seine traditionsbeflissenen Kollegen. Er verpasst dem Genre neue Sounds und kritische Denkansätze.

Das Rolling Stone Magazine listet Billy Strings in der Top10 der New Country Artists. Das Acoustic Guitar Magazine zählt ihn zur Top10 des Bluegrass-Genres. Und bei den Pollstars Awards 2021 wurde er zum „Breakthrough Artist Of The Pandemic“ gekürt. Es kommt noch besser: der Newcomer aus Lansing, einer kleinen Stadt im US-Staat Michigan, erhielt sogar einen Grammy in der Rubrik „Best Bluegrass Album“ für seinen Longplayer ‚Home‘.

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Als Instrumentalist besticht Mr. Strings (aka William Apostol) mit phänomenal-flottem Flatpicking. Fast immer spielt der 29-Jährige seine Virtuosität in offene Münder hinein. Sicher, Bluegrass lebt wie kaum ein anderes US-Genre von turbulenten, schier unendlichen Melodiefolgen. Von Strings bekommt man sie in unfassbarer Geschwindigkeit auf die Ohren, die der Jungstar mit fast schon aufreizend lässiger Selbstverständlichkeit darbietet.

Haben wir schon erwähnt, dass er dabei auch noch singt und obendrein Bandleader ist? Im Hintergrund hat Strings eine „Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, die seinen Tempo-Tunes bemerkenswerte Wucht für die Überholspur mitgeben. Nicht zuletzt verpasst Strings dem angestaubten Genre mit Distortion und Effekten ordentlich Feuer. Dass das Riesentalent dem als stockkonservativ verschrienen Genre auch noch gesellschaftskritische Gedanken vorträgt, macht ihn für manchen Hillbilly untragbar. Für alle Anderen jedoch umso interessanter.

INTERVIEW

Billy, das Rolling-Stone-Magazin listete dich 2017 in der Top10 der New Country Artists. Was würdest du sagen: wegen welcher Qualitäten?

Meine Stärke ist gewiss mein Flatpicking. Kein Zweifel. Ich bin ein Bluegrass-Player. Ich wuchs mit dieser Musik und dem Gitarrenspiel meines Vaters auf.

Deine Einflüsse heißen Doc Watson, Lester Flat, Bill Monroe, Earl Scruggs und Larry Sparks. Interessant: Deine Mutter hat zuhause Alternative Rock wie Pearl Jam gehört, du traditionelle Bluegrass-Musik.

Stimmt. Klar, habe ich auch andere Musik mitgekriegt, im Radio oder Musikvideos auf MTV. Aber in meiner Kindheit habe ich nur Bluegrass gehört. Das war einfach unsere Musik, unser Lebensstil. Diese Musik war mir auf der einen Seite fast heilig. Auf der anderen Seite war sie nichts Besonderes, weil mein Dad und ich sie zuhause andauernd gemeinsam spielten.

Dein Vater hat dir die ersten Akkorde beigebracht, als du vier Jahre alt warst. Was genau hat er dir gezeigt?

Songs wie ‚Long Journey Home‘, ‚Two Dollar Bill‘, ‚Salt Creek‘ oder ‚How Mountain Girls Can Love‘. Eben all die Bluegrass-Standards, die Klassiker. Und eine Menge Doc Watson! Er hat mir zuerst G, D und C gezeigt. Und es gibt eine Menge Songs, die du mit diesen drei Akkorden spielen kannst. Ich habe nach Gehör gespielt, alles entwickelte sich ganz langsam, ganz natürlich. Mit der Zeit entwickelte ich ein Gefühl, welche Akkorde oder Töne als nächstes passen könnten. Ich kann weder Noten noch Tabulatur lesen. Ich hatte auch nie Unterricht. Meine Lehrstunden waren Bluegrass Music auf Partys zu spielen! (lacht) So habe ich auch ein bisschen Mandoline und Banjo gelernt. Mein Vater kann wirklich jedes Saiteninstrument spielen, das er in die Hände nimmt. Das habe ich wohl von ihm.

Es gibt diese herzergreifende Geschichte, dass dein Vater seine Martin D-93 verkaufen musste, um eure Familie finanziell durchzukriegen. Du hast die Gitarre nach Jahren im Internet wiedergefunden und den Verkäufer angefleht, sie dir zurück zu verkaufen. Du hast dann eine Menge Jobs dafür gemacht.

Ich bin mit dieser Gitarre aufgewachsen. Ich habe vor ihr gesessen und zugeschaut, wie mein Vater darauf spielte, seit ich drei Jahre alt war. Das war unser Familienjuwel, aber Dad hat sie leider verkaufen müssen. Um ehrlich zu sein, war sie das Einzige, das bei uns zuhause überhaupt etwas wert war. Als ich dann eine Akustikgitarre für mich suchte, stieß ich auf genau diese Martin. Ich erkannte sie sofort an den Kratzern und Dellen. Ich dachte: Holy Shit! Ich bekniete den Verkäufer sie mir zurück zu verkaufen und begann alle möglichen Jobs anzunehmen, um die Gitarre zu bezahlen. Ich bekam sie. Eines Abends legte ich meinem Vater den Gitarrenkoffer auf den Küchentisch. Er dachte ich scherze, öffnete das Case, erkannte sie und begann zu spielen. Wir alle mussten weinen.

(Bild: Jesse Faatz)

Ein Moment, den du bestimmt dein Leben lang nicht vergisst! Du spielst, wie im Bluegrass üblich, im Flatpicking. Wie hast du deine beeindruckende Koordination zwischen rechter und linker Hand hinbekommen?

Ich weiß es nicht, ich spiele einfach! (lacht) Das war eine sehr, sehr langsame Entwicklung. Als ich jung war, habe ich jeden Tag geübt als wäre der Teufel hinter mir her. Ich habe nichts anderes als Flatpicking geübt, Doc Watson zugehört oder meinem Vater zugeschaut. Ich habe als Teenager mitunter Nächte durchgemacht und geübt, ohne Ende! Damals habe ich keinen Fortschritt erkannt. Heute sehe ich meine Entwicklung, wenn ich alte Aufnahmen höre. Heute übe ich kaum noch. Wenn ich auf Tour bin, spiele ich dreistündige Shows. Das ist mein tägliches Übungspensum.

Was für Picks benutzt du?

Ich benutze BlueChip-TP48-Picks (Anm. d. Red: 1,22 mm) mit einer ganz normalen Dreiecksform. Ich liebe die, weil sie sich so gut wie nicht abnutzen. Die funktionieren einfach gut für mich. Zu dick dürfen sie auch nicht sein, ein bisschen Flexibilität sollten sie schon haben.

Deine favorisierte Gitarrenform ist die Dreadnought, wie im Bluegrass-Genre üblich.

Ja, ich besitze mehr Dreadnoughts als andere Gitarren. Ich habe auch eine Martin OM-28 und eine 00-28, aber ich denke, die Dreadnought ist einfach das klassische Bluegrass-Instrument. Als Martin die D-28 auf den Markt brachten, war das wie der heilige Gral: Brasilianischer Palisander für Boden und Zargen, dazu eine Fichtendecke und diese Korpusform. Das gibt dir einen großen, lauten Ton! Der ist stark genug, um sich gegen Banjo und Mandoline durchzusetzen. Instrumente, die in einem höheren Register spielen, klingen ja, subjektiv empfunden, lauter. Aber eine Dreadnought schafft es, sich durchzusetzen.

Welche Modelle spielst du?

Mein Hauptinstrument momentan ist eine Preston Thompson D-BA, eine Dreadnought mit brasilianischem Palisander und Adirondack-Fichtendecke. Eine zweite habe ich als Ersatz. Abgesehen davon habe ich auch ein OM-Modell, das ist meine Übungsgitarre für den Tourbus, weil sie ein bisschen kleiner ist. Auch fürs Schreiben mag ich diese Gitarre. Und zuhause habe ich eine 1948er Martin D-28 die ich von Bryan Sutton gekauft habe. Er hat sie Jahre lang gespielt, eine großartige Gitarre!

Martins dieser Ära sagt man eine geradezu mystische Tonqualität nach.

Oh ja! Diese Gitarre klingt, als hättest du ein Klavier auf dem Schoß! (lacht)


EQUIPMENT

    • Gitarren: Preston Thompson DBS-EIA Signature Model, Preston Thompson D-BA (Brazilian Rosewood), Preston Thompson D-BA (Mahogany), Preston Thompson OM, Preston Thompson 00-28, 1948 Martin D-28
    • Amps & Boxen: Grace Design BiX Preamp, Orange Rockerverb 50, Fender Deluxe Reverb
    • Effekte: Chase Bliss Wombtone Phaser, Chase Bliss Analog Gain Stage Boost/Drive/Fuzz-Pedal, Source Audio Nemesis Delay, Ernie Ball 40th Anniversary Volume Pedal, Electro-Harmonix Pitch Fork Pitch Shifter, Electro-Harmonix Freeze, Strymon Lex, Boss GE-7 Equalizer
    • Saiten/Plektren: D’Addario EJ17 Phosphor Bronze .013-.056, BlueChip TP48 Picks, 1,22 mm
    • Recording Equipment: K&K-Pure-Mini-Piezo-Tonabnehmer, K&K-Schallochtonabnehmer, Neumann KM 54

(Bild: Jesse Faatz)

Wie nimmst du deine Gitarren ab, im Studio und Live?

Auf der Bühne benutze ich einen K&K-Pure-Mini-Piezo-Tonabnehmer. Das Signal geht über eine DI-Box direkt ins Pult. Natürlich klingt nichts so authentisch wie eine akustische Gitarre selbst, aber der K&K ist qualitativ schon sehr nahe am Originalton, finde ich. Gerade live geht es auch nicht wirklich um Ton, sondern um Lautstärke. Wenn ich vor 10.000 Leuten spiele, die vor der Bühne abgehen, kann ich meine Gitarre nicht mit einem Mikrofon abnehmen. Die alten Bluegrass-Jungs haben früher so gespielt. Und auch ich habe anfangs mit meiner Gitarre vor einem Mikro gesessen. Aber je mehr Leute zu meinen Shows kamen, desto klarer wurde mir, dass das nicht mehr funktioniert. Mikrofone benutze ich im Studio. Da habe ich zwei Neumann KM 54 auf Hals und Schallloch gerichtet, die dann im Stereopanorama, links und rechts gemischt, einen großen, vollen Sound ergeben.

Live benutzt du auch Amps und Effekte.

Ich spiele aktuell einen Orange Rockerverb 50, mitunter mit einer Menge Verzerrung! (lacht) Ich habe vergessen zu erwähnen, dass ich auch einen K&K-Schalllochtonabnehmer in meiner Gitarre habe. Ich habe einen Schalter, mit dem ich zwischen Piezo- und Magnet-Tonabnehmer hin- und herschalten kann. Der Magnettonabnehmer funktioniert natürlich besser zusammen mit dem Amp. Den Verzerrungsgrad steuere ich über ein Ernie-Ball-Volume-Pedal, an Effekten habe ich einen Chase Bliss Analog Gain Stage, einen Chase Bliss Wombtone Phaser, ein Source Audio Nemesis Delay, ein Electro-Harmonix Pitch Fork, ein Electro-Harmonix Freeze und ein Strymon Lex – ich habe wirklich eine Menge Zeug!

Du bist inzwischen in die „Music City“ Nashville gezogen und hast als Studiomusiker für Dierks Bentley, Larry Keel, The Marcus King Band, David Grisman und einige andere gespielt. Worauf kommt es dir als Sideman an?

Seit ich in Nashville lebe, habe ich eine Menge meiner Helden kennengelernt und mit ihnen zusammen gespielt. Béla Fleck hat mich zuletzt angerufen und bat mich, auf ein paar seiner Songs zu spielen, jeweils mit verschiedenen Konstellationen, alles wirkliche Session-Legenden! Verrückt! Viele dieser Musiker habe ich gehört, als ich klein war! Aber zu deiner Frage: Béla vertraute mir, und so konnte ich spielen, wie ich das für mich selbst tue. Ich versuche so zu sein, wie ich bin. Aber als Sideman möchte ich natürlich das liefern, was zum Beispiel Béla erwartet. Das ist schließlich seine Platte. Sideman zu sein ist cool. Ich bin ja die meiste Zeit Bandleader. Mich mal zurücknehmen zu können, macht wirklich Spaß.

Vielen Dank fürs Gespräch!


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2022)

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