„Du hast den ganzen Nu-Metal-Blödsinn losgetreten. Tue gefälligst etwas dagegen.“

Krach mit Köpfchen: Page Hamilton von Helmet im Interview

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(Bild: Earmusic – Jacob Blickenstaff)

Page Hamilton ist ein unscheinbarer Typ. Dabei verbirgt sich hinter dem 63-Jährigen eine der wichtigsten Musiker-Persönlichkeiten der frühen 90er: Mit Helmet hat er einen Sound zwischen Hardrock, Noise-Rock und Hardcore erschaffen, der zur Blaupause der Nu-Metal-Bewegung wurde. Neben Meilensteinen wie ‚Strap It On‘ oder ‚Meantime‘ hat er sich einen Namen als Produzent wie Soundtrack-Komponist gemacht. Jetzt veröffentlicht er ‚Left‘ − ein Album, das durch Power und Wut überrascht.

Man könnte es sich leicht machen und Helmet als Relikt der 90er abtun: Einfach, weil es die erfolgreichste Phase der Band um Mastermind Page Hamilton war. Das Album ‚Meantime‘ verkaufte sich 1992 über zwei Millionen Mal – der brachiale Alternative-Rock ebnete den Weg für das Nu-Metal-Genre um Korn und Limp Bizkit. Dass Helmet auch 2023 etwas zu sagen hat, verdeutlicht das neue Album ‚Left‘, das sich ungewohnt politisch gibt.

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Das neue Helmet-Album: ‚Left‘

 

Aus gutem Grund, wie Hamilton verrät: „Aktuell ist es unvermeidbar, Stellung zu beziehen − wegen des Wandels, den dieses Land erlebt hat. Ich selbst würde mir wünschen, dass alle Menschen friedlich miteinander auskommen. Aber im Gegensatz zu ‚One Love‘ von Bob Marley, ist mein Ansatz eher: Fickt euch, weil ihr komplett falsch liegt!“

Merke: Hamilton trägt sein Herz auf der Zunge und nutzt seine Musik als Ventil zum Dampfablassen und Wachrütteln. „To rattle the cages“, wie er es formuliert.

INTERVIEW

Page, ‚Left‘ hat etwas von einer Abrechnung mit den letzten sieben Jahren USA – bitterböse, zynisch und frontal. Ist das ein großes Dampfablassen?

Das ist es definitiv. Der Vorgänger ‚Dead To The World‘ von 2016 hatte es ja bereits angedeutet. Einfach, weil es spürbar war. Und es ist wirklich erschreckend, wie viel Rassismus, Hass und Homophobie mit Trump ans Tageslicht gekommen sind. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass es in diesem Land 75 Millionen Menschen geben könnte, die so fühlen. Die überhaupt kein Interesse an einem friedlichen Miteinander haben. Ich werde nie verstehen, warum jemand denkt, es wäre seine Pflicht oder gar sein Recht, Leute runterzuputzen oder sogar zu töten – nur weil sie eine andere Hautfarbe haben, einer anderen Religion folgen, oder schwul, lesbisch bzw. trans sind. Das ist mir zu hoch. Ich habe ein Patenkind, das trans ist, und einen schwulen Bruder, mit dem ich mir als Kind ein Zimmer geteilt habe – ohne, dass es in irgendeiner Weise auf mich abgefärbt hätte. Also: Was soll der Scheiß?

Du selbst giltst als Pionier in Sachen tiefergestimmte Gitarrensaiten. Spielst du noch in Drop-D-Tuning, was mal dein Markenzeichen war, oder verfolgst du heute einen anderen Ansatz?

Ich bin mittlerweile bei Drop C angelangt. Mit dem Tuning habe ich 2004, zur Zeit von ‚Seize Matters‘, angefangen. Auf dem Album waren es Drop-C und C-Sharp. Aus irgendeinem Grund scheint dieses Tuning besser zu meinem Gesang zu passen. Und alles, was früher in D-Moll war, ist jetzt in C-Moll. Auf dem neuen Album habe ich es tatsächlich geschafft, mit Akkorden aufzuwarten, die ich noch nie zuvor verwendet habe. Zum Beispiel in der Bridge von ‚Bombastic‘. Da heißt es: „why do you care where I come from? Nobody‘s business who I love or why. It doesn‘t matter to me what you do because I‘m not you.” Die gesamte Sektion besteht aus völlig neuen Akkorden, über die ich irgendwie gestolpert bin, und ich singe eine pentatonische Melodie darüber. Es sind verrückte, verwurstelte Akkorde. Ich bin noch nicht dazu gekommen, sie schriftlich festzuhalten, aber das werde ich. Einfach, weil ich solche Sachen liebe.

Wie bist du überhaupt auf Drop D gekommen – und macht dich das zum geistigen Ziehvater der Nu-Metal-Bewegung?

Das ist zumindest das, was alle behaupten. Und Leute wie Trent Reznor von Nine Inch Nails ziehen mich damit schon seit Jahren auf. Als ich mal in seinem Studio aufgenommen habe – was schon ewig her ist – hat er mich mit den Worten begrüßt: „Du hast den ganzen Nu-Metal-Blödsinn losgetreten. Tue gefälligst etwas dagegen.“ Dabei ist die Geschichte dahinter folgende: Ich hatte eines Abends, als ich noch im New Yorker East Village gelebt habe, dieses Riff im Kopf und mir war sofort klar: „Mist, das kann ich nicht im Standard-Tuning spielen.“ Also habe ich die Saite runtergestimmt und schon funktionierte es.

Mein erste Reaktion war: „So kriege ich keine AC/DC-Riffs mehr hin.“ Aber gleichzeitig ist dabei auch eine ganz andere Form von Song entstanden und ich fing an, beim Schreiben mehr auf meine Ohren zu setzen statt einfach auf der Gitarre rumzunudeln. Es hat mich also auf gewisse Weise befreit – von all meinen bisherigen Gitarren-Gewohnheiten. Deshalb versuche ich meine Schüler zu ermutigen: „Schreibt nicht alles auf euren Instrumenten – fühlt zuerst die Musik und schaut dann, wie ihr sie umsetzen könnt.“

Was war das für ein Gefühl, den Erfolg von Bands wie Korn oder Limp Bizkit zu erleben? Hat dich das nicht frustriert?

Ganz ehrlich: Ich habe erst von ihnen gehört, als ich gemeinsame Shows mit ihnen bestritten habe. Da standen sie plötzlich vor mir und haben mir den roten Teppich ausgerollt. Chino von Deftones meinte: „Mann, du hast so einen großen Einfluss auf meine Texte.“ Und die Jungs von Korn, mit denen ich zum ersten Mal im letzten Sommer aufgetreten bin, kamen direkt in meine Garderobe und meinten: „Danke für alles, was du getan hast. Ohne dich wären wir nicht hier.“ Darauf ich: „Doch Jonathan, das wärt ihr – aber ihr hättet wahrscheinlich einen anderen Sound.“ Und natürlich fühle ich mich geschmeichelt.

Dasselbe gilt übrigens für die Jungs von System Of A Down. Serge und die anderen sind einfach toll – und sie machen kein Geheimnis daraus, wie sehr sie Helmet lieben. Das haben sie mir mehrfach gesagt. Genau wie die Linkin-Park-Typen, mit denen ich schon auf der Bühne wie im Studio gespielt habe, was ein Riesenspaß war und mir ebenfalls sehr geschmeichelt hat. Ich denke zwar, dass wir ein bisschen was anderes machen, aber wenn all diese Bands von uns inspiriert oder beeinflusst wurden, dann dahingehend, ebenfalls ihr eigenes Ding zu machen. Sie nutzen Elemente aus unserer Musik auf ihre ureigene Weise – und das ist OK. Aber: Ich mag unser eigenes Ding immer noch am liebsten. (lacht)

Warst du denn der erste, der Drop-D verwendet hat oder waren da noch andere, die nicht so viel Aufmerksamkeit dafür bekommen?

Ich war definitiv nicht der Erste. Wire – meine Freunde aus England – machen das schon ewig. Aber ich war lange zu faul, es auch zu versuchen. Bruce Gilbert meinte ein paar Mal zu mir: „Wir spielen in Drop-D, Page. Das ist so easy, das kriegst du bestimmt hin.“ Und ich: „Mag schon sein. Aber ich brauche nichts Neues – also lasse ich es.“ Auch Black Sabbath haben Drop-Tuning verwendet. Aber Helmet stand eher für einen minimalistischen Ansatz. Im Sinne von: Das ist das Riff, die Gitarre ist super-trocken und hier ist der Song.“

Außerdem experimentiere ich mit Polyrhythmik. Ich spiele quasi sieben gegen vier oder fünf gegen vier, drei gegen vier. Das ist es, woher dieses interessante Gefühl kommt. Ich sitze in der New Yorker U-Bahn und trommle auf meinen Oberschenkeln, wobei ich mich frage: „Wie funktioniert wohl drei gegen vier?“ Also probiere ich es einfach aus. Und daraus resultiert dieses Gefühl einer ständigen, konstanten Vorwärtsbewegung. Nämlich auf Drop-Tuning und den ganzen verrückten Jazz-Akkorden, die ich entwickle und in Nicht-Jazz-Akkorde verwandle. Auf die Weise werden sie zu Helmet-Akkorden.

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Helmet auf dem Wacken Open Air (Bild: Frank Schwichtenberg)

Du interessiert dich aber auch für Jazz. Wie kommt es, dass du bislang noch kein Jazz-Album aufgenommen hast, sondern nur eine Kollaboration mit Caspar Brötzmann?

Stimmt, ich habe noch kein Album in der Richtung gemacht. Dabei habe ich einen Freund in San Francisco, mit dem ich lange ein Projekt namens Jazz Wannabes hatte. Wir haben ein paar Gigs gespielt, aber er ist ein Vollzeit-Lehrer und schafft es rein zeitlich nicht, sich intensiv mit Jazz-Musik zu beschäftigen. Wir haben auch ein paar Stücke aufgenommen aber so richtig gefallen haben sie mir nicht. Einfach, weil sie sich nicht natürlich anfühlten. Und Jazz ist eine Sprache, die man nicht faken kann. Ich würde mich selbst auch nie als Jazzer bezeichnen. Doch wenn ich nach Hause komme, ist es das Erste, was ich tue, an Jazz zu arbeiten. Und ich lerne ihn durch reine Wiederholung – das ist mein Ansatz; schon immer gewesen. Als ich 1999 mit Bowie gespielt habe, musste ich 30 Songs in zwei Wochen lernen und hatte meine Feuertaufe im Wembley Stadion.

Wie war das? Bist du nicht vor Nervosität gestorben?

Nein, es war so eine große Show − nämlich dieses NetAid-Konzert, das für Millionen von Menschen rund um den Globus übertragen wurde −, dass Bowie noch viel nervöser war als ich. Und das zu beobachten, hat mich auf eine seltsame Weise beruhigt. Er war quasi so aufregt, dass es mich beruhigt hat. Bevor wir auf die Bühne gingen, stand ich mit ihm zusammen und es war offensichtlich, wie sehr ihn der Auftritt beschäftigt hat – was ich nie für möglich gehalten hätte. Ich dachte, er wäre die personifizierte Routine. Wir haben zusammen eine Zigarette geraucht, während das gesamte Stadion zu Abba vom Band mitgesungen hat. Ich habe versucht, ihn ein bisschen aufzuheitern: „Mann, wir müssen nach Abba auftreten? Da können wir nur verlieren.“ Da hat er laut gelacht. Und ihn dann zu begleiten und zu spüren, wie wichtig der Gig für ihn war, war schon irre.

Was für Gitarren spielst du heutzutage?

Vorwiegend ESPs – auch auf dem Album kommt fast nichts anderes zum Einsatz.

Aber hattest du nicht jahrelang ein Signature-Modell von PRS?

Leider nein. Sie haben mir zwar zwei wirklich wunderbare Gitarren gebaut, aber meine Signature-Modelle waren immer von ESP. Und das sind nach wie vor meine Hauptgitarren, ich verwende auch LTDs. Außerdem spiele ich auf dem Album noch eine 12-saitige Gitarre, die man zum Beispiel in dem Coltrane-Cover hört. Es ist eine Fender, die ich von John Entwistle von The Who habe. Ich benutze sie auf jedem unserer Alben.

Darf man fragen, wie du zu Entwistles Gitarre gekommen bist?

Mein Freund Nicky Skopelitis, der auf ‚Album‘ von Public Image Ltd gespielt hat und mit Bill Laswell arbeitet, dealt nebenher mit Gitarren. Er meinte zu mir: „Ich habe diese hier von John Entwistle.“ Und ich ganz spontan: „Her damit!“ Das war vor 35 Jahren und seitdem ist sie eines meiner Babys. Ein unglaubliches Instrument. Dieser klirrende Glocken-Sound im Coltrane-Cover stammt z.B. von ihr. Das Intro und das Feedback auf ‚Pure‘, dem ersten Song auf ‚Aftertaste‘, waren ebenfalls diese Gitarre.

Wie sieht es mit Amps aus? Was verwendest du da?

Ist alles Fryette. Auf dem neuen Album spiele ich den Ultra-Lead. Also für alle heftigen, aber auch für die melodischen Parts. Ich war erst vor ein paar Tagen wieder in der Werkstatt von Steve Fryette in Chatsworth. Er hat einen meiner Verstärker mit neuen Röhren ausgestattet und ein paar Schalter und andere Kleinigkeiten ausgewechselt. Ich habe die Amps auch in meiner Bowie-Zeit verwendet – und sie auf jedem Album eingesetzt, seitdem ich sie bekommen habe. Das war 1996. Sie sind umwerfend, richtig tolle Amps – und ich liebe sie. Aber für die Coltrane-Nummer habe ich meinen alten Verstärker aus College-Tagen hervorgekramt, einen Polytone Mini Brute. Ein ganz billiges Schätzchen, das aber Charme hat. George Benson hat auch so einen benutzt. Für Jazz sind die Dinger richtig klasse.


(erschienen in Gitarre & Bass 02/2024)

Kommentar zu diesem Artikel

  1. Korrekt. Page Hamilton & HELMET bekommen die von euch überreichten Lorbeeren absolut zu Recht. Bitte jedoch nicht vergessen, dass Tommy Victor & PRONG ebenfalls einen immensen Einfluss auf die musikalische Entwicklung der Hartwurst Musikszene in den 90s & frühen 2000er gehabt haben.

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