Es ist sicherlich nicht an der Tagesordnung und daher umso bemerkenswerter, dass eine deutsche (!) Glam-Rock- (!!) Band auf Platz 1 (!!!) der hiesigen Albumcharts landet. Die Schwaben Kissin’ Dynamite mit ihrem großartigen Frontmann/Produzenten Johannes Braun ist dieses Kunststück mit der neuesten Scheibe ‚Back With A Bang!’ gelungen, nachdem das Vorgängeralbum ‚Not The End Of The Road’ (2022) bereits auf Rang 2 gelandet war.
Man sollte sich dieses Phänomen also unbedingt mal etwas genauer anschauen, finden wir, weshalb wir uns mit Leadgitarrist Jim Müller (JM) und Bassist Steffen Haile (SH) bei einem Festival in Bremen zum Plausch getroffen und auch gleichzeitig ihr Equipment in Augenschein genommen haben. Das Resultat seht und lest ihr hier!
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Hier ist der Text mit fett geschriebenen Fragen und ebenfalls fett geschriebenen Namensabkürzungen (SH und JM):
Man sollte sich dieses Phänomen also unbedingt mal etwas genauer anschauen, finden wir, weshalb wir uns mit Leadgitarrist Jim Müller (JM) und Bassist Steffen Haile (SH) bei einem Festival in Bremen zum Plausch getroffen und auch gleichzeitig ihr Equipment in Augenschein genommen haben. Das Resultat seht und lest ihr hier!
Jim und Steffen, Hand aufs Herz: Gab es nach eurem Platz-2-Album jetzt die Prämisse „Diesmal muss es Rang 1 werden”?
SH: Nein, die gab es nicht, eher das Gefühl: Na, schaffen wir diesmal überhaupt noch einmal Rang 2? Denn auch die zweitbeste Platzierung war natürlich schon ein riesiger Erfolg.
JM: Wir waren uns bereits bei ‚Not The End Of The Road’ nicht sicher, inwieweit wir die Erfolge der Vorgänger wiederholen können. Und einen zweiten Platz übertrifft man ja nicht einfach mal so. Aber von Anfang an lief es super, Hannes brachte wirklich tolle Songs mit in den Proberaum.
SH: ‚Not The End Of The Road’ ist bekanntlich während der Pandemie entstanden und davon auch ein wenig geprägt. Jetzt ist die Pandemie vorüber, das Musikbusiness ist wieder im Aufschwung, und dieses Lebensgefühl kann man auf ‚Back With A Bang!’ hören.
Bassist Steffen Haile (Bild: Mineur)
Wie groß war die Sorge, dass ihr euch mit eurem achten Studioalbum kompositorisch wiederholen könntet?
JM: Damit sind wir schon beim Thema „Gitarren”, passend zu diesem Interview: Ich beschäftige mich in der Phase vor einer neuen Produktion immer mit drei, vier Gitarristen, die ich bislang noch nicht so genau auf dem Schirm hatte, und suche nach Riffs und Licks, die zu uns passen könnten.
Welche Gitarristen waren dies bei ‚Back With A Bang!’ konkret?
JM: In diesem Fall war es vor allem Steve Lukather, einem der geschmackvollsten Gitarristen überhaupt. Seinen Einfluss kann man auf ‚Back With A Bang!’ in fast jedem Song hören.
SH: Wenn ich mich mal einmischen darf: Ich denke, vor allem bei ‚Queen Of The Night’ hört man es besonders deutlich heraus.
JM: Okay, dem würde ich zustimmen.
Geht es dir dabei um Lukathers Spielweise oder um seinen Sound?
JM: Um den Sound geht es mir überhaupt nicht. Zumal es sowieso immer automatisch nach mir klingt, egal was ich spiele. Bei Lukather schaue ich mir lediglich einige spielerische Kniffs ab. Kopieren funktioniert eh nicht. Selbst wenn man beim Axe-FX ein Slash-Preset hat, klingt es trotzdem nicht nach Slash, wenn ich spiele. Eine Les Paul habe ich ja auch zuhause. Es sind meine Finger, vor allem aber ist es mein Anschlag, denn der ist das Wichtigste für meinen Sound. Ich erinnere mich noch gut an die Zeit, als ich als Studiomusiker auf diversen Pop-Scheiben gespielt habe und der Produzent häufig meinte: „Jim, es rockt zu arg!” Dabei hatte ich die Saiten nur ganz sanft berührt.
Wie habt ihr an ‚Back With A Bang!’ gearbeitet? Gemeinsam im Studio, oder jeder für sich allein zuhause?
SH: Hannes besitzt ein professionell ausgestattetes Studio, dort produziert er auch andere Künstler. Ich habe meine Bass-Parts bei ihm aufgenommen, Jim dagegen war nur einmal für Akustikgitarren und Chorgesänge da und hat alles andere bei sich zuhause eingespielt. Unser Schlagzeuger Sebastian hat sich alle Mühe gegeben, dass sein eigenes Homestudio rechtzeitig zu den Aufnahmen fertig wird. Mir fehlt ehrlich gesagt die technische Begeisterung für ein eigenes Studio, außerdem wohnt Hannes nur 30 Minuten von mir entfernt.
Jim, hast du einen Engineer an deiner Seite, wenn du deine Gitarren aufnimmst?
JM: Nein, ich mache alles allein. Meistens spiele ich an einem Tag so viel wie möglich ein und sortiere dann am nächsten Tag als Engineer die 100 Spuren. Das Beste an dieser Arbeitsweise: Man hält sich quasi selbst den Spiegel vor. Motto: Es groovt nicht? Scheiße, weshalb groovt es denn nicht?
SH: Ich werde beim Aufnehmen von Hannes engineered. Er bewertet dann gleichzeitig mein Spiel und gibt mir Anweisungen wie „hier, hör mal, der Schlag da war offtime” oder „an dieser Stelle klingst du etwas zu aggressiv”. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese Qualität auch bei mir zuhause abliefern könnte.
JM: Für die Aufnahmen von ‚Back With A Bang!’ hatte ich stets meinen Rucksack mit Laptop und Interface dabei, so dass ich überall aufnehmen konnte, wann immer ich Lust dazu hatte.
Leadgitarrist Jim Müller (Bild: Mineur)
Wie konkret sind Hannes’ Ideen bereits ausgearbeitet, wenn ihr sie bekommt?
JM: Die Demos sind schon ziemlich weit fortgeschritten, da Hannes sich beim Komponieren extrem viele Gedanken macht und auch schon so manche Gitarrenmelodie anliefert, die essentiell für den Song und den Gesangspart ist. Ich tippe, dass etwa 70% bis 80% des Songs bereits fertig ausgearbeitet sind. Zumal Hannes mittlerweile auch ein verdammt guter Gitarrist geworden ist. Ich habe zwar seine sämtlichen Parts nachgespielt, aber manchmal hat er trotzdem seine eigene Demo-Version genommen. Ich bin da komplett Ego-befreit.
SH: Nur das Endergebnis zählt!
JM: Solange Hannes nicht so gut wie ich solieren kann, bleibe ich entspannt. (lacht)
Mit welchen Instrumenten habt ihr die neue Scheibe aufgenommen?
SH: Ich spiele schon seit 15 Jahren einen Music Man Stingray, und zwar genau den, den ich auch heute für die Show dabeihabe. Er hat einen Dreiband-EQ und einen sehr aggressiven Ton, der in Verbindung mit meinen Fingern perfekt zu Kissin’ Dynamite passt.
Bild: Mineur
Ibanez EGEN18 in D-Standard-Tuning
Bild: Mineur
Ibanez AZ2407 in Eb-Standardtuning
Bild: Mineur
Ibanez AZ47P in D-Standard
Bild: Mineur
Ibanez LA Custom Shop, Einzelstück, Hybrid aus RGA und ARZ
Bild: Mineur
Music Man Stingray in Fireleaf Red mit Hipshot-Tuner, Baujahr 1999
Bild: Mineur
Als Ersatz sein Music Man Stingray in Firemist Purple, Baujahr 2016
Bild: Mineur
Müllers Headrush Pedalboard mit den beiden Two Notes Torpedos
Du spielst ausschließlich mit Fingern?
SH: Ja, ausnahmslos. Da ich sehr hart anschlage, klingt es fast wie mit Plektrum.
Ausschließlich Viersaiter?
SH: Ausnahmslos. Mein Stingray hat allerdings einen Hipshot für die Drop-C-Parts.
Spielst du im Studio direkt ins Pult?
SH: Nein, es ist immer ein Darkglass-Preamp zwischengeschaltet. Keine Effekte, trocken, mit nur ganz leichter Verzerrung durch den Preamp. In einem älteren Song namens ‚Flying Colours’ habe ich mal mit einem Phaser experimentiert, was uns aber nicht gefallen hat, da es nicht zu unserer Musik passt.
Wie war es bei dir, Jim?
JM: Ich bin Ibanez-Endorser und habe ‚Back With A Bang!’ hauptsächlich mit Ibanez-Gitarren eingespielt. Seit zehn Jahren spiele ich überwiegend auf meiner EGEN18 mit Herman-Li-Pickups, im Studio sind es zudem zwei AZ-Modelle mit der Classic Bridge, eine Premium und eine Prestige, dazu eine Uppercut ARZ, also in Les Paul-Form. Die ARZ spiele ich nur deshalb nicht live, weil sie kein Locking-Tremolo hat und ich auf der Bühne viele Divebombs mache. Bei den Akustikgitarren habe ich lange herumexperimentiert und bin schließlich bei einer Martin gelandet.
Sind deine Ibanez-Modelle modifiziert?
JM: Lediglich bei ein oder zwei Modellen habe ich Evolution-Pickups verbaut, da ich etwas mehr Dampf haben wollte.
Aber allesamt passive Tonabnehmer!
JM: Ich spiele keine aktiven PUs. Früher habe ich häufig EMGs gespielt, aber da mittlerweile meine Finger das gewünschte Resultat abliefern, sind es ausnahmslos passive Pickups. Es passt ja auch besser zu unserer Musik. Mit aktiven Tonabnehmern wird es schnell zu Metal-lastig. Unser Sound darf gerne crunchy, etwas AC/DC-mäßig klingen.
Hast du auf dem Album über Röhren-Amps gespielt?
JM: Nein, fast ausschließlich über das Axe-FX, das ich schon seit 2014 oder 2015 besitze. Als ich das Gerät bekam, habe ich sofort tagelang einen deep dive gemacht und einen guten Sound gesucht. Zusätzlich zu einem DI-Signal, das Hannes reampen kann, schicke ich ihm das Axe-FX-Signal immer mit, und in 90% der Fälle wird es dann genau dieser Sound, weil der gründlich ausgecheckt und Frequenz-mäßig genau da ist, wo er hingehört, und sich gut durchsetzt. Live spiele ich ein Headrush-Pedalboard, grundsätzlich mit Two Notes Torpedo. Diese Konstellation habe ich schon seit 2012 und bin immer wieder hellauf begeistert.
Steffen, hast du den Darkglass auch live dabei?
SH: Ja, der Darkglass ist in ein Rack eingebaut, inklusive DI-Box und Tuner. Dieses Prinzip ist sehr Mischer-freundlich, denn je weniger Lautstärke von der Bühne kommt, umso mehr kann man am Gesamtsound justieren. Wir spielen schon seit mehr als zehn Jahren über ein mittlerweile gut ausgechecktes In-Ear, so dass es – egal, wo man gerade auftritt – immer zumindest solide klingt und man nur marginal nachregeln muss.
JM: Das alles ist Midi-programmiert, so dass ich automatisch lauter werde, wenn ich von der Rhythmusgitarre zu einem Solopart wechsle.
Ihr spielt also das komplette Set nach Clicktrack?
JM: Die gesamte Show läuft mit Timecode, ausgerichtet auf Licht, Nebel, LED-Wall-Content und so weiter.
Spielt ihr die Songs auf der Bühne im exakt gleichen Tempo wie auf den Studioaufnahmen?
JM: Ja, denn Hannes hat vorher im Studio das exakt richtige Tempo ausgecheckt, sogar bis hinterm Komma genau – na ja, ganz so schlimm ist es nicht. (lacht) Er verändert das Tempo kurzfristig auch gerne noch mal, nachdem ich meine Gitarren bereits eingespielt habe. Das finale Tempo wird dann live übernommen.
Das bezieht sich auch auf die grundsätzlichen Arrangements?
JM: Im Studio werden mitunter drei oder vier Rhythmusgitarren pro Song eingespielt, also muss man anschließend herausfinden, wie man diese Parts mit nur zwei Gitarristen spielt und der Song trotzdem noch Sinn ergibt. So etwas entscheiden wir dann immer bei den Bandproben.
„Not the End of the Road“ bei Kissin’ Dynamite klingt fast identisch mit dem einstigen KISS Tour-Slogan „The End of the Road Tour“.
Mir gefallen „Kissin‘ Dynamite“ sehr gut! Wollte man sie musikalisch explizit einordnen müssen,so kämen „The Order“ oder auch „Winger“ zweifelsfrei in Betracht.
„Not the End of the Road“ bei Kissin’ Dynamite klingt fast identisch mit dem einstigen KISS Tour-Slogan „The End of the Road Tour“.
Mir gefallen „Kissin‘ Dynamite“ sehr gut! Wollte man sie musikalisch explizit einordnen müssen,so kämen „The Order“ oder auch „Winger“ zweifelsfrei in Betracht.
Kissin‘ Dynamite ist eine solide Rockband!