Vom Blues-Geheimtipp zum Publikumsmagneten

Junge Traditionalisten: The Bluesanovas im Interview

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(Bild: Matthias Mineur)

Vom Blues-Geheimtipp zum Publikumsmagneten: Seit ihren Shows im Vorprogramm von Superstar Eric Clapton sind die Münsteraner Bluesanovas in aller Munde. Ganz unbekannt waren sie allerdings auch schon vorher nicht, wie ihr Sieg bei der German Blues Challenge 2019, dem Gewinn des German Blues Awards 2020 und einem Halbfinaleinzug bei der Internationalen Blues Challenge in Memphis zeigen.

Mittendrin: der junge Gitarrist Filipe de la Torre, ein grandioser Musiker, der den traditionellen Blues offenbar mit jeder Pore ausschwitzt und seiner Band die Extraportion internationale Klasse verabreicht. Nachzuhören auf den zwei bisher erschienenen CDs, vor allem aber bei den zahlreichen Konzerten, die The Bluesanovas bundesweit geben. Wir haben uns mit Filipe de la Torre im Vorfeld eines Open-Air-Gigs in Osnabrück getroffen, haben uns sein Equipment (und das seines nicht minder exzellenten Bass-Kollegen Moritz Oswald) angeschaut und noch vor Beginn der Show mit ihm ein spannendes Interview über seine Band, aber auch über die weiterhin sehr vitale und international vielbeachtete Blues-Szene in Münster und Osnabrück geführt.

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INTERVIEW

Filipe, in welchem Alter hat es bei dir musikalisch geklickt? Gab es eine Art Initialzündung?

Ja, davon gab es sogar gleich mehrere, allerdings mit unterschiedlicher Gewichtung. Ich kann mich noch gut an Queens ‚We Are The Champions‘ als erstes Aha-Erlebnis erinnern. Außerdem hatten wir zuhause eine Ray-Charles-CD, die ich schon mit acht oder neun Jahren oft gehört habe, ohne mich jedoch mit Namen oder Genres auszukennen. Später habe ich zunehmend bewusster Radio gehört und auch in der Vergangenheit geforscht, also mit Bands wie Supertramp oder eben Queen. Irgendwann habe ich erfahren, dass es in meiner Heimatstadt Münster – ebenso wie in Osnabrück – wöchentlich stattfindende Bluesjams gibt. Da bin ich regelmäßig hingefahren. Diese Bluesjams gibt es bis heute. Erst letzte Woche waren Leute aus Boston da, die schon mit den absoluten Legenden gespielt haben. Die Musiker waren gerade auf Deutschlandtournee und tauchten spontan bei den Sessions auf. Sie haben uns erneut bestätigt, dass hier das Niveau absolute Europaliga ist.

Du hast die Bluesjams anfangs nur als Zuschauer besucht, richtig?

Genau. Ich war sofort schockverliebt und bin immer gemeinsam mit einem Kumpel hingefahren. Mich haben die Energie, die Gelassenheit, aber gleichzeitig auch die unfassbare Spielfreude total begeistert.

Wie alt warst du seinerzeit?

So etwa 17 oder 18, es war Ende 2012, ich stand kurz vor dem Abitur und hatte überhaupt keine Ahnung. Zu dem Zeitpunkt habe ich zwar schon ein bisschen Gitarre gespielt, aber erst ab da wusste ich, dass ich so gut spielen können möchte, um mitzumachen. Also bin ich jede Woche hingegangen, habe mich an die Szene drangehängt und mit ihr regelmäßig gejammt. Dort konnte ich den Besten zuhören und mit ihnen spielen. Die Szene ist wie eine große Familie, jeder wird herzlich aufgenommen, man wird nach Hause eingeladen, sie zeigen einem ihre Platten, ihre Instrumente. Für mich war das ein Riesenglück.

Wie lange hat es gedauert, bis du vom Zuhörer zum Mitspieler wurdest?

Knapp sechs Monate. Zu Beginn war ich natürlich nicht gut (lacht), es waren halt meine Anfänge. Aber das ist das Schöne am Blues: Man findet schnell einen Einstieg. Gleichzeitig ist sehr schwer, den Blues wirklich gut zu spielen. Es gibt einen leichten Einstieg, aber später auch den Raum, sehr tief, sehr speziell zu werden. Musikalisch ist im Blues viel rauszuholen.

Welche waren die wichtigsten Lektionen, die du bei den Blues Sessions lernen konntest? Hattest du parallel dazu Gitarrenunterricht?

Früher hatte ich ein paar Stunden Unterricht, aber nichts in Richtung Blues. Später war ich mal bei Kai Strauss zuhause, der mir die Anfänge, die Grundregeln, das Vokabular und die Stichworte gezeigt hat, die bei den Jams herrschen, also: Was ist ein Shuffle, was sind Acht-Takter, Zwölf-Takter, was ist eine lange Eins, ein schneller Wechsel? Auf der Bühne lernt man vor allem Kommunikation, sowohl verbale als auch musikalische. Man lernt, wie man aufmerksam spielt, wie wichtige Sachen angekündigt werden, zum Beispiel Stopps, Wiederholungen des Turnarounds am Schluss, natürlich auch das Improvisieren, wie man sich im Kontext der Musik bewegt, also Aufmerksamkeit, Dynamiken, Unterstützung der Solisten. Solche Dinge sind ja Blues-übergreifend und betreffen alle Genres. Für mich waren die Blues-Sessions in Münster und Osnabrück die beste Schule, die ich mir vorstellen konnte.

Mit welcher Gitarre hast du deine ersten Bluesjams bestritten?

Natürlich mit einer Strat! Die Gitarre habe ich übrigens immer noch, allerdings ist sie mittlerweile komplett auseinandergebaut.

Und der erste Amp?

Die Blues-Sessions sind eine harte Schule, denn da gibt es nur einen Combo und ein Halleffekt, mehr steht einem nicht zur Verfügung. Nur sehr, sehr selten kommt es vor, dass jemand sein Pedalboard mitbringt. Eigentlich gibt es das bei den Sessions nicht. Dadurch ist alles sehr roh, aber zutiefst ehrlich. Der Blues braucht das Organische, Direkte. Man hört dort die tollsten Musiker, sie alle klingen absolut fantastisch, auch ohne Pedale. Das war bei B.B., Albert oder Freddy King ja nicht anders, auch sie waren dafür bekannt, keine großen Pedalboards zu besitzen. Bei diesen Legenden kam alles aus den Fingern. Dieses Mindset begleitet mich bis heute: Man kann alles, was man musikalisch sagen will, aus den Fingern, dem Volume-Poti und dem Amp herausholen.

Fender Stratocaster Custom Shop ‘56 in Sherwood Green, Bau – jahr 2020 mit Kinman-Zero-Hum-Pickups (Bild: Matthias Mineur)

Mit der Stratocaster war es Liebe auf den ersten Blick?

Ja. Gleich meine erste Gitarre war eine Strat. Natürlich spiele ich heutzutage auch mal eine Les Paul oder eine ES-335, aber mit der Strat ist es immer wie nach Hause zu kommen. Außerdem haben alle meine großen Idole Strats gespielt, sei es Anson Funderburgh, Jimmie Vaughan oder Derek O‘Brien, alles Musiker aus der Texas-Schiene, alles Strat-Spieler, und alle spielen direkt in den Amp. Das fasziniert mich.

Deine Combos stammen ausschließlich von Fender, nicht wahr?

Ja, Super Reverb, Twin Reverb, Deluxe Reverb, Bassman.

Fender Deluxe Reverb, mikrofoniert mit Beyerdynamic M160 und Beyer M81
Fender Twin Reverb, mikrofoniert mit Beyerdynamic M160 und Beyer M81

Nach welchen Kriterien wählst du jeweils?

Vor allem nach der Bühnengröße. Lautstärke spielt da eine große Rolle. Heute treten wir draußen auf, da verfliegt der Sound schnell, weshalb ich dann gerne einen möglichst lauten Amp mit einem 12er-Speaker nehme. 12er-Speaker klingen halt viel fetter als 10er, auch wenn man eigentlich leiser spielt. Deshalb bevorzuge ich auf Open-Air-Bühnen den Twin Reverb, in Clubs dagegen – immer abhängig von der jeweiligen Größe – lieber den Deluxe Reverb. Wir sind eine relativ laute Band, unser Organist hat ein Leslie dabei, da kann ich mit einem Super Reverb sowieso nicht mithalten.

Pedal- und Gitarren-Talk auf Seite 2

(Bild: Matthias Mineur)

Deine Sammlung an Effektpedalen ist erwartungsgemäß recht spartanisch.

Stimmt. Ich habe lediglich einen Boss ‘63 Fender Reverb, weil ich damit den Hall besser kontrollieren kann als mit einem im Amp fest verbauten Federhall, der durch die Vibrationen der lauten Kickdrum ständig scheppern würde. Ganz neu bei mir ist ein J. Rockett Archer, um den Lautstärkeunterschied zwischen meiner Paula und der Strat auszugleichen. Der Archer ist eine Art Booster/Zerrer, der aber nur ganz sanft eingreift, selbst wenn man ihn voll aufdreht. Ihn schalte ich dazu, wenn ich mit der Strat etwas mehr Druck erzeugen möchte.

Das Pedalboard mit Boss ‘63 Fender Reverb, J. Rockett Archer und Boss TU-3 Tuner (Bild: Matthias Mineur)

Nach welchen Kriterien entscheidest du, ob du die Les Paul oder die Strat spielst?

Ganz spontan, immer nach Lust und Laune. Heute ist so ein Tag, an dem ich einfach Bock habe, die gesamte Show mit der Strat zu spielen. Eigentlich nehme ich die Paula für diejenigen Songs, die einen etwas dickeren Sound brauchen. Aber heute klingt die Strat so super, dass ich auf die Paula wohl verzichten werde. Das ist das Schöne bei uns: Nichts ist in Stein gemeißelt, weder die jeweilige Gitarre noch die Setlist. Alles wird im Moment entschieden. So etwas geht nur in einer Band, in der die Kommunikation funktioniert und alle aus einer ähnlichen Schule kommen.

Gibson Les Paul 50s Tribute Goldtop mit P90-Pickups, Baujahr 2010 (Bild: Matthias Mineur)

Grenzt ihr euch stilistisch eigentlich bewusst von Blues/Rock-Hybriden wie etwa Joe Bonamassa oder dem verstorbenen Gary Moore ab?

Für mich sind diese Sachen nichts, mir sind sie zu rockig, ich mag eigentlich nur den reinen Blues. Trotzdem haben Bonamassa und andere durchaus eine wichtige Funktion, denn sie haben das Rock-Publikum auch wieder für den Blues interessiert. Sie schlagen eine Brücke, das macht sie so wichtig.

Siehst du das bei Eric Clapton anders? Wie sind da deine Erfahrungen nach den sechs gemeinsamen Shows? Ist für dich auch Clapton mehr Mainstream als Blues?

Man konnte sehen, dass er einige typische Blues-Attitüden hat. Zum Beispiel gab es auch bei ihm keine feste Setlist. Clapton spielt immer nur das, worauf er gerade Lust hat. Es hieß, dass er an Abenden, an denen er weniger Lust hat, ein längeres Akustikset spielt. Für mich waren das die Highlights, da die Akustiksets immer die authentischsten Momente darstellten. Aber man darf solche Legenden nicht auf nur eine Sache festnageln. Clapton ist breit aufgestellt, ‚Tears In Heaven‘ ist sicherlich kein Blues, aber natürlich trotzdem ein großartiger Song.

Welche sind aus deiner Sicht die größten Fortschritte, die du als Gitarrist in den zurückliegenden Jahren gemacht hast?

Ich habe immer schon auf einem sehr hohen Energie-Level gespielt. Ich möchte die Zuschauer festhalten, damit sie nicht weggehen. Ich versuche sie ab dem ersten Ton an mein Spiel zu binden. Am Anfang meiner Karriere habe ich dies über reine Aggressivität versucht, ausschließlich mit Downstrokes, wodurch mein Spiel etwas Maschinen-artiges bekam. Heute versuche ich, das Energie-Level zwar weiterhin hochzuhalten, dabei aber entspannter zu spielen und mehr Farben einzubringen. Früher war ich nach Konzerten komplett durchgeschwitzt und völlig fertig. Heute bin ich zwar immer noch nassgeschwitzt, aber nicht mehr so krass erledigt. Ich habe gelernt, dass man alles das, was man musikalisch sagen möchte, auch mit einer gewissen Coolness und ohne sich festzubeißen schaffen kann. Das ist ja immer ein schmaler Grat, aber wenn einem das gelingt, ist man auf der goldenen Route.

Gibt es für diese goldene Route konkrete Beispiele aus der Blues-Historie?

Albert King ist für mich das perfekte Beispiel. Seine Bendings hatten immer etwas Aggressives, gleichzeitig waren sie stets absolut cool. Albert King war einfach ein cooler Typ, der extrem wenige Töne, extrem wenige Licks spielte, aber trotzdem tierisch viel Power hatte. Irgendjemand hat mal gesagt: „Das ist wie mit einem Lamborghini 50 km/h zu fahren! Die Leute sehen, was der Wagen draufhat, und sie hören es auch am Motor, aber man fährt trotzdem nur 50 km/h. Du bist cool, auch ohne schnell zu fahren.“ Heute nehme ich mir für meine Soli mehr Zeit. Eine Pause kann mindestens genauso viel Spannung und Aufmerksamkeit erzeugen wie ein aggressiver Ton.


(erschienen in Gitarre & Bass 08/2023)

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