Die Fingerstyle-Legende im Gespräch

Jon Gomm Interview: Der Alleinunterhalter

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Jon Gomm, ich wäre gerne deine Freundin! Du bist klug, eloquent, vielseitig interessiert und ein toller Songwriter und Sänger noch dazu. Und ein Wahnsinnsgitarrist sowieso. Geht natürlich nicht, aber wenigstens durfte ich eine Stunde mit dir telefonieren und damit meiner Arbeit nachgehen. Da gibt es sicherlich Schlechteres…

Jon Gomm Fingerstyle

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Der vor 39 Jahren in Blackpool, England geborene Jon Gomm versteht es im Gespräch wahrlich, einen für sich einzunehmen. Nicht nur, dass er sich wirklich Zeit nimmt, um die gestellten Fragen zu beantworten, er stellt auch selber welche, geht ins Detail, lacht an den richtigen Stellen, erklärt einem englische Wörter, von denen er meint, dass sie einem Deutschen nicht unbedingt geläufig sind und geht entwaffnend ehrlich mit den eigenen Schwächen um. In unserem Telefonat bezeichnet er sich mehrfach als „eigenartigen“ oder „schwierigen“ Zeitgenossen, auch wenn man ihm das auf den ersten Eindruck so gar nicht abkaufen mag.

Trotzdem wird sofort klar, dass es hierbei keineswegs um Koketterie geht, sondern dass es sich bei ihm wirklich um einen Künstler handelt, der mit seiner eigenen Kunst hadert, der weiß, was er kann und dem das selbst nicht immer genug ist. Dabei kann er so viel. Jon Gomm wäre wohl nur einer von vielen dieser melancholischen Songwriter mit Gitarre, wie es sie zuhauf gibt und die jedes noch so argwöhnische Indie-Publikum in Verzückung versetzen können, wäre da nicht sein unglaublich virtuoses Gitarrenspiel. Und er wäre vielleicht nur einer von vielen dieser Gitarren-Sportler, die mit ihrer Klopferei die Klampfen-Nerds bei YouTube aufmischen, wäre er nicht ein so geschmackvoller Songwriter. Jon Gomm ist beides gleichermaßen: Song-Poet und Akustik-Akrobat und hätte deswegen ein noch viel größeres Publikum verdient.

Wobei, schlecht laufen tut es bei ihm nicht gerade, obschon er mit seiner Musik nach wie vor eine Nische beackert. Doch seit 2014 der bekannte Comedian und Schauspieler Stephen Fry seine Musik bei Twitter anpries – was einige Artikel in verbreitungsstarken, englischen Printmedien nach sich zog – ist seine Popularität nicht nur auf der Insel stark angestiegen. Nachdem er uns im September beim Guitar Summit in Mannheim besucht, kommt er Anfang nächsten Jahres mit einer ClubTour zurück nach Deutschland.

Doch hier erstmal das Interview, in dem wir uns mit ihm über das Musikmachen als Einzelkämpfer, die Gitarre als Percussion-Instrument, sein Lowden-Signature-Modell und eben über Twitter unterhalten konnten.

Interview

Jon, in einem deiner vielen Twitter-Einträge sagst du: „Leute, die meine Posts über die Welt lesen und sagen, ich solle mich lieber auf die Musik konzentrieren, haben keine Ahnung, um was es in meiner Musik geht.“ Worum geht es denn in deiner Musik?

Sowas kommt tatsächlich immer wieder vor. Wann immer ich auf Facebook oder Twitter etwas über Politik, das Leben oder die Welt poste, sagt immer irgendjemand, dass er das nicht hören will und ich lieber Gitarre spielen solle. Aber das ist für mich nichts anderes, als wenn man Frauen zu einem Sexobjekt degradiert, denn das bedeutet ja, dass es mir nicht erlaubt ist zu sprechen, nur weil ich Musiker bin und nichts anderes zu tun habe, als Musik zu machen. Das ist sehr dumm, da ein Großteil meiner Musik eine Aussage hat, die mir wichtig ist.

Die Musik, die ich schreibe, drückt aus, was ich über die Welt denke. Und für mich ist Twitter sehr wichtig, weil oft ein neuer Song entsteht, wenn ich dort etwas gepostet habe. Einfach weil ich etwas sage und direkt sehen kann, wie die Leute darauf reagieren. Diese Reaktionen lassen mich wiederum besser verstehen, was ich da eigentlich gesagt habe. Ich bin jemand, dessen Meinungen nicht in Stein gemeißelt sind. Ich möchte die Wahrheit kennen lernen und das kann man am besten, indem man versucht herauszufinden, wie die eigene Meinung in diese Welt passt. Für mich ist Twitter wie Graffiti. Wenn jemand eine Botschaft an eine Hauswand schreibt, wirkt sie nur so wichtig, weil sie viele Leute lesen und darauf reagieren. Naja, aber das ist sehr kompliziert. (lacht) Ich hatte einfachere Fragen erwartet, wie zum Beispiel was für eine Gitarre ich spiele.

Das kommt noch.

Gottseidank! (lacht)

Dann lass uns doch in der Geschichte ein wenig zurückgehen: Ich habe gelesen, dass du mit zwei Jahren angefangen hast Ukulele zu spielen…

Ja, aber ich konnte damals natürlich noch nicht spielen. Wahrscheinlich habe ich sie eher zerstört. Aber ich habe mit vier Jahren angefangen, Unterricht zu bekommen. Was auch sehr früh ist… Ja, das stimmt. Aber es war Klassik-Gitarren-Unterricht und in der Welt der Klassik ist das gar nicht so ungewöhnlich und es bedeutet, dass Musik immer ein Teil deines Lebens ist. Außerdem habe ich ja nicht mit vier Jahren beschlossen, dass ich Musiker werden will. Musik war einfach immer da, und als ich älter wurde, wurde die Musik eben immer wichtiger, bis ich dann irgendwann entschieden habe, Musiker sein zu wollen. Manchmal bereue ich das, manchmal nicht. (lacht)

Deine Technik auf der Gitarre ist recht ungewöhnlich im Vergleich zu den meisten anderen Akustikgitarristen. Wann hast du gemerkt, dass dir die Möglichkeiten des normalen Gitarrespielens nicht genug sind?

Sehr früh. Zuerst habe ich ja klassische Gitarre gelernt, mich aber auch bald für Blues- und Rock-Gitarre interessiert. Als ich dann zum ersten Mal sah, wie jemand Schlagzeug auf der Gitarre spielte, was schon in frühen Blues-Aufnahmen gemacht wurde, war es um mich geschehen. Jemand wie Bukka White hat das ja schon in den 30er-Jahren gemacht…

Die Gitarre war bis dahin immer Teil meines Lebens gewesen, aber als ich mit ihm dann jemanden kennen lernte, der es total anders machte, war das sehr aufregend für mich. Jedes Mal, wenn ich sah wie jemand die Gitarre „falsch“ einsetzte, wollte ich das auch so machen. Joe Satriani war auch so einer: Als ich zum ersten Mal ,Midnight‘ von ,Surfing With The Alien‘ hörte, das komplett getappt ist, musste ich das sofort lernen. Diese Art zu spielen, bei der man nicht nur Einzeltöne spielt, macht süchtig und befriedigt dich gleichermaßen. Ich habe mir in der Folge all die unterschiedlichen Techniken angeeignet und heute, in meinem eigenen Spiel, verbinde ich sie alle miteinander.

Dein Stil besteht ja neben Gitarrenmelodien und Akkorden auch aus Basslinien und Drumgrooves. Was können Bassisten und Schlagzeuger von dir in Sachen Groove und Zusammenspiel lernen?

Das weiß ich nicht. Ich habe sie nie gefragt. Aber sie könnten meine Grooves interessant finden, weil ich so limitiert bin. Ich kann nicht jeden Groove oder jede Basslinie spielen, die ich möchte. Trotzdem versuche ich, simple Backbeats zu vermeiden, weil ich das langweilig finde. Meine Grooves sind simpel, aber ich gebe mir Mühe, trotzdem originell und kreativ zu sein. Für mich ist die Gitarre das, was für viele Singer/Songwriter das Studio ist. Wenn sie ins Studio gehen, erschaffen sie dort den Sound für ihre Songs. Ich hingegen mache das mit der Gitarre. Wenn ich möchte, dass ein Song einen bestimmten Sound haben soll oder ich eine bestimmte Art von Basslinie oder Percussion-Effekt integrieren will, dann mache ich das einfach mit meiner Gitarre.

Du hast früher ja auch in Bands gespielt. Mochtest du das?

Hm. Ich bin ein eigenartiger Mensch. Für mich ist es sehr schwierig in einer Band zu spielen, weil ich nicht sehr gut in der Kommunikation mit anderen Leuten bin. Ich weiß genau, was ich hören möchte, schaffe es aber nicht, höflich zu bleiben. Ich sage immer, was ich denke und stoße die Leute damit vor den Kopf. Deswegen arbeite ich lieber alleine, um nicht das Arschloch zu sein, wegen dem sich alle schlecht fühlen. Wenn ich mal mit anderen Musikern zusammenarbeite, müssen es welche sein, die mich kennen und wissen, wie emotional ich bin.

Was kommt zuerst, wenn du Songs schreibst? Ein Groove, eine Melodie, eine Technik?

Das ist die Frage, die mir am häufigsten gestellt wird und ich verstehe gut, warum ich das gefragt werde, aber tatsächlich läuft das bei mir ganz anders. Nichts kommt zuerst. Musik zu schreiben ist für mich ein zweigeteilter Prozess. Der erste Teil ist das Komponieren der Musik, was allein in meinem Kopf passiert. Ich entwickle ein Konzept für das, was später ein Song wird. Ich denke über das Gefühl nach, das ich ausdrücken will und entwickle dazu Melodien, Basslinien und den Text in meinem Kopf. Und erst, wenn das Grundgerüst steht, nehme ich zum ersten Mal eine Gitarre in die Hand. Das Instrument kommt also erst sehr spät ins Spiel. Ich möchte, dass die Musik einen Grund und eine Existenzberechtigung hat, bevor sie fertig ist.

Schaffst du es denn immer, das erdachte Konzept später auch auf die Gitarre zu übertragen?

Nein, nie. Am Ende muss ich das Konzept immer etwas anpassen, weil ich mir natürlich nicht ein komplettes Stück im Kopf ausdenken kann. Aber die Eckpunkte bleiben und dadurch entgehe ich der Gefahr, Musik zu schreiben, die rein technisch ist oder nur zur Präsentation von Virtuosität dient, weil die Musik ja schon da war, bevor ich sie auf das Instrument übertragen habe.

Was auffällt ist, dass du immer wieder unterschiedliche, ungewöhnliche Tunings verwendest. Hast du da bestimmte Favoriten?

Ich benutze bestimmt 25 verschiedene Tunings, sodass fast jeder Song, den ich schreibe, in einem anderen Tuning ist. Als ich 15 Jahre alt war, spielte ich in einer Band und war auch schon ziemlich gut. Ich konnte einige Steve-Vai-Licks spielen und kannte mich hervorragend in Musiktheorie aus. Mein bester Freund Michael spielte auch Gitarre in der Band, aber er konnte nichts. Er konnte nicht einmal seine Gitarre richtig stimmen, geschweige denn sauber anschlagen oder greifen. Wenn es dann aber ans Komponieren ging, mussten wir beide uns die Riffs zu den Ideen unseres Sängers ausdenken. Für mich war das natürlich sehr einfach, weil ich wusste, was zu tun war. Aber meine Ideen klangen auch meistens eher langweilig und vorhersehbar, weil ich immer aus meinem enormen Hintergrundwissen geschöpft habe und dadurch zu verkopft an die Sache heranging.

Michaels Riffs hingegen waren immer besser als meine, denn er hatte zwar keine Ahnung, aber probierte einfach so lange auf der Gitarre herum, bis er etwas gefunden hatte, das gut klang. Er war damit viel freier beim Komponieren. Dasselbe versuche ich heute, indem ich meine Gitarre so eigenartig umstimme, dass ich mich nicht mehr auf dem Griffbrett zurechtfinde. Und das Schöne ist: Ich kenne mich in der Theorie aus, sie ist in meinem Kopf – schließlich habe ich Jazz-Gitarre studiert – aber ich kann selbst entscheiden, wann ich auf sie zurückgreife.

Um den Bogen zurück zu Twitter zu schlagen: Du sagst da auch, du hörst nur die Musik, die du hören musst. Was meinst du damit?

Ich kann mir nur in den seltensten Fällen Musik zum Vergnügen anhören. Für mich ist Musikhören eine andauernde Inspirationsquelle. Wenn ich sie höre, denke ich die ganze Zeit darüber nach, wie sie gemacht wurde, wie sie funktioniert und analysiere, wie ich das auf meine eigenen Songs übertragen könnte. Das kann ich nur selten abschalten. Deswegen höre ich mir kaum etwas an und habe auch keine Ahnung, wer gerade berühmt oder wer ein angesagter Produzent ist. Wenn ich dann mal neue Musik suche, um bewusst neue Inspirationen zu bekommen, bitte ich einen meiner Freunde, mir etwas zu empfehlen.

Warum nennst du deine Gitarre Wilma?

Wilma ist eine Figur aus Buck Rogers, einem alten amerikanischen ScienceFiction-Comic-Buch. Buck selber geriet immer in Schwierigkeiten und die Pilotin seines Raumschiffs hieß Wilma. Sie hat ihm überall immer wieder herausgeholfen. Sie war meine Heldin und ich mochte sie immer mehr als ihn. Deswegen nenne ich alle meine Gitarren Wilma.

Du hast ja ein Signature-Modell von Lowden. Wie wichtig ist dir der Drum-Sound des Holzes bei deiner Gitarre?

Das ist natürlich wichtig, aber er hat mit der Art des Holzes nichts zu tun. Gitarristen legen ja immer ein großes Augenmerk darauf, ob sie Fichten-, Zedern- oder Palisanderholz oder was auch immer in ihrer Gitarre verbaut haben. Aber das macht nach meiner Erfahrung in Sachen Percussion-Sounds keinen Unterschied. Was viel mehr ins Gewicht fällt, ist das Bracing der Gitarre. In Martin-Gitarren oder ähnlichen, wird meistens ein X-Bracing verwendet, das recht schwer ist und das Holz ziemlich steif macht. Und wenn du dann auf das Holz schlägst, klingt es, als würdest du an eine Tür klopfen. Eine Martin-Gitarre mag ein längeres Sustain beim normalen Spielen haben, aber die Percussion-Sounds haben keine Farbe. Auf Flamenco-Gitarren hingegen, bei denen das leichteste Bracing verwendet wird, klingt es fantastisch, weil das Holz besser schwingen kann. Bei Lowden Guitars wird dieses magische Bracing-System verwendet, das George Lowden erfunden hat, um für Stahlsaiten-Gitarren ein ähnliches Schwingverhalten wie das von klassischen Gitarren zu ermöglichen.

In deinen Videos sieht man, dass du auch mit Pedalen arbeitest, vornehmlich von Boss aber auch Line 6.

Ja, aber ich habe gerade ein komplett neues Pedal-Setup bekommen. Das ist so neu, dass ich noch gar nicht viel darüber sagen kann. Aber ich kann dir erzählen, wie ich die Effekte einsetze. In meiner Gitarre habe ich das Fishman-Rare-Earth-Mic-Blend-System, das aus zwei Tonabnehmern besteht: einem magnetischen Pickup und einem Mikrofon. Darüber hinaus habe ich mit dem alten Fishman BP100, den ersten Kontrabass-Tonabnehmer, den Larry Fishman jemals entwickelt hat. Es führen also drei Kabel von der Gitarre zu meinem Pedalboard, was sehr praktisch ist, da ich so nur den magnetischen Pickup durch verschiedene Effekte wie Overdrive oder Octaver schicken, und den Sound dann mit dem cleanen Signal mischen kann. Das funktioniert so gut, dass es für mich einfach keinen Grund gibt, jemals eine E-Gitarre in die Hand zu nehmen.

Interpret: jongomm.com

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