Meilenstein 1971
“Johnny Winter And”: Live
von Anrd Müller, Artikel aus dem Archiv
,Johnny Winter And Live‘ zählt zu den wichtigsten und spannendsten Longplayern des texanischen Blues-Rockers.
Winter, geboren am 23. Februar 1944, veröffentlichte 1969 sein Debüt-Album und avancierte dank seiner virtuosen Spielweise zum neuen Gitarrenstar. Anfangs noch in Trio-Besetzung unterwegs – ganz zu Beginn mit dem späteren Stevie-Ray-Vaughan-Begleiter Tommy Shannon am Bass – erweiterte Johnny seine Band zu Beginn der 70er Jahre: Das Projekt hieß nun „Johnny Winter And“. Zur Formation gehörte auch Gitarrist Rick Derringer, der bereits im Teenager-Alter mit den McCoys den Hit ,Hang On Sloopy‘ landen konnte.
1970 wurde mit ,Johnny Winter And‘ ein Studio-Album herausgebracht, ein Jahr später kam dann ,Johnny Winter And Live‘ auf den Markt – und das mit durchschlagendem Erfolg, denn diese Platte erreichte Goldstatus. Dabei war das Programm, das Winter damals bot, von der Song-Auswahl selbst aus damaliger Sicht schon recht antiquiert. Das Besondere war die Art und Weise, mit welcher Power dieses Repertoire vorgetragen wurde. Gleich die erste Nummer ,Good Morning Little School Girl‘, an sich ein klassischer Blues, wird von Drummer Bobby Caldwell mit einem furiosen und schnellen Rock-Beat eingeleitet. Dann steigt Winter mit einem coolen Blues-Lick ein, und schließlich fegt die Band – vierter im Bunde war Bassist Randy Jo Hobbs, der wie Derringer ebenfalls bei den McCoys gespielt hatte – rockig durch diese Uptempo-Nummer, in der sich Derringer und Winter später ein Gitarrenduell liefern.
Es folgt ,My Own Fault‘, ein Slow-Blues, von fast 12 Minuten Länge! Gerade in dieser Nummer glänzt der schmächtige Albino als stimmgewaltiger Sänger mit einer wirklich eigenwilligen Stimme. Dann folgt sicher ein Höhepunkt des Albums, der Rolling-Stones-Klassiker ,Jumpin’ Jack Flash‘. Winter beginnt das Stück mit dem bekannten Riff, das ziemlich dreckig rüberkommt, da seine Gitarre einigermaßen verstimmt klingt – ganz im Gegensatz zu der von Kollege Derringer. Aber das macht alles gar nichts, auch nicht ein grober Schnitzer im Solo (bei 2:02) – denn dieses Stück hat einfach Power. Genauso wie das folgende ,Rock And Roll Medley‘, bestehend aus ,Great Balls Of Fire‘, ,Long Tall Sally‘ und ,Whole Lotta Shakin’ Goin’ On‘. Die einzige Eigenkomposition von Johnny Winter heißt ,Mean Town Blues‘, eine scharfe Rock-Nummer, gewürzt mit Country-artigen Licks und einem langen, fantastischen Slide-Solo, auch hier wieder mit ganz vielen Ecken & Kanten. Den Abschluss bildet der Chuck-Berry-Gassenhauer ,Johnny B. Goode‘ in der Hard-Rock-&-Roll-Version, mit richtig schnellen Hi-Speed-Gitarren-Soli.
,Johnny Winter And Live’ strahlt viel Atmosphäre aus und kommt einfach lebendig rüber: durch den kompakten Gesamt-Sound, die Zwischenansagen der Musiker und die zahlreichen Reaktionen aus dem Publikum. Und das alles macht eben ein echtes Live-Album aus. Winter war nie ein Blues-Purist, der punktgenau nachspielte, für ihn stand die eigene, oft rockige Interpretation im Vordergrund – zumindest in dieser Phase seiner Karriere. Auch sein Gitarren-Sound war nie glatt oder antiquiert, sondern rockig, schön angezerrt und fett. Zu Beginn der 70er spielte Winter meist seine Gibson Firebird über drei Fender Twin Reverbs mit JBL-Speakern.
Mit diesem Arbeitsgerät und seinen Fingern erzielte er einen wirklich knackigen Sound. Rick Derringer blieb noch bis 1974 bei Johnny Winter, anschließend startete er eine Solokarriere. Vor allem wurde er als Sideman bekannt, u. a. in der Band von Johnnys Bruder Edgar. Außerdem arbeitete Derringer Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre als Produzent, u. a. für Kiss, Meat Loaf, Bette Midler und Barbara Streisand. Die weitere Karriere von Johnny Winter ist hinlänglich bekannt.
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