Was macht eigentlich ein Gitarrist, wenn sich seine erfolgreiche Indie-Rock-Band auflöst? Johnny Marr (* 31. Oktober 1963) hat mit The Smiths in den 80ern vier erfolgreiche Alben und zahllose Singles veröffentlicht. Zudem galt er in England als einer der innovativsten Gitarristen dieser Zeit, der später zahlreiche Musiker beeinflussen sollte – u.a. seinen Chef-Fan Noel Gallagher. Bekannt war Marr für einen klaren bis angezerrten Gitarrenklang, angereichert mit Effekten wie Hall, Delay oder auch mal verschwurbelten Modulationen in Richtung Phaser/ Chorus.
Charakteristisch sind sein Akkord- Strumming über die ein harmonisches Picking und/oder eine knackige Melodie gelegt wird. In diese weite Harmonie-Landschaft legte sich der kongeniale Frontmann Morrissey mit seiner stets an der Welt leidenden Stimme geradezu hinein.
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1987 war also Schluss damit, und Mr. Marr avancierte zu einem gern gesehenen Studiogast der englischen Alternative-Szene zwischen Pop und Rock. So spielte er u.a. auf Alben von The Talking Heads, The The und Electronic mit Bernard Sumner und Neil Tennant. Um die Jahrtausendwende war es dann soweit: Marr begann, seine eigene Band The Healers zusammenzustellen, prominent besetzt mit Zak Starkey (dr), dem Sohn von Beatle Ringo Starr, und Alonza Bevan (b) von Kula Shaker. Im Frühjahr 2003 erschien ,Boomslang‘, ein passender Name für ein wuchtiges Album. Das eröffnende ,The Last Ride‘ startet mit einem scharfen, derb verzerrten Riff, das getragen wird von funky Drums und einem geraden Tief-Bass. Darüber präsentiert sich Johnny als Frontman mit lässiger und angerauter Stimme.
,Caught Up‘ startet mit einem knackigen Riff und geht über in melodischen Pop, der durchbrochen wird von Rückwärts- Gitarren, Bottleneck-Fills und weiteren abgefahrenen Klangexperimenten. Und dann gelingt ihm ein großartiger Popsong wie ,Down On The Corner‘, der mit Akustikgitarren-Strumming und Piano-Melodie eine Mischung aus Leichtigkeit, Pathos und Melancholie ausstrahlt.
Zudem prägen auch wirklich scharfe Synthesizer-Klänge immer wieder die Musik, wie etwa im hypnotischen ,You Are The Magic‘. Den Kontrast bilden Akustikgitarren oder auch WahWah-Einlagen, insgesamt bleibt der Song sehr „elektrisch“ durch viele sich teils überlappende Sounds und Samples. Und dann gibt Johnny in ,InBetweens‘ den erdigen Slide-Blues-Rocker, der in den 70er-Jahren verwurzelt ist. Doch der monotone und hohe Gesang weist darauf hin, dass dieser Song in den 2000ern entstanden sein muss. Zwar dezent aber nicht zu überhören sind die Beatles-Anteile im geradezu luftigen ,Another Day‘. Und es zeigt wirklich Klasse, wie 60s-mäßig die cleane Gitarre im Zwischenteil rüberkommt. In ,Long Gone‘ wird wieder zeitgemäßer gerockt, und dies mit satt verzerrten Rhythmusgitarren. Großartig ist der Abschluss des Albums mit dem balladesken ,Something To Shout About‘ und dem rockenden ,Bangin‘ On‘.
Die Band tourte in der Folgezeit durch Europa, die USA, Australien und Japan. 2005 begannen die Arbeiten an einem neuen Album, doch zu einer Veröffentlichung sollte es nicht kommen. Marr entschied sich letztlich bei der britischen Band Modest Mouse einzusteigen.
Was bleibt ist ein Album, mit dem sich Johnny Marr erneut als Ausnahmegitarrist zeigte. Dies tat er damals, passend zur teils erdigen Ausrichtung seiner Band, auch mit einer Gibson SG im Anschlag. Zudem ist er bekannt dafür die Fender-Modelle Telecaster, Jaguar and Jazzmaster einzusetzen wie auch Gitarren von Rickenbacker und Gretsch. Zu den favorisierten Amps zählen u.a. ein 65er Fender Deluxe Reverb und ein Fender Super Reverb. Auf dem Album hört man verschiedene Verzerrer-Farben, von leichtem Overdrive bis hin zu derberem Fuzz. Abgesehen von etwas Hall, Delay und Kompression gab es damals für Johnny Marr kaum Bedarf an Effekt-Sounds. Heute ist Marr bekannt dafür, Pedale der Hersteller Boss und Carl Martin einzusetzen.
Zurück in die Vergangenheit: Persönlich wichtig war für Marr, dass er sich damals als Frontman profilieren konnte. Und dies mit Alternative-Rock, der nur wenig die eigene Smiths-Vergangenheit reflektierte, sondern vielmehr Bezug auf die späten 80er- und 90er-Jahre nahm, vom psychedelischen Madchester-Sound bis hin zum Beatles-affinen BritRock. Und es gibt eben auch diesen Hang zu Electronica, eben zu Sounds die füllen und so – zwischen Gitarre, Bass und Drums – eine Unschärfe erzeugen oder knackige Akzente setzen. Ein Wiederhören von ,Boomslang‘ führt unmittelbar zu Genuss-Erleben und Inspirationsschüben.