Handwerk & Neuland

John Taylor von Duran Duran im Interview: „Wir Bassisten sind eine gefährdete Spezies.“

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(Bild: Stephanie Pistel)

Kaum eine Band hat über Jahrzehnte konsequent Sounds und Technologien, Kunst und Mode zu einem eigenständigen Stil entwickelt wie Duran Duran. Mit ihrem aktuellen Album ‚Future Past‘ werden die Wave-Pop-Ikonen erneut ihrem Ruf gerecht – mit einem Longplayer, der in vielerlei Hinsicht State Of The Art ist.

2018 begannen Sänger Simon Le Bon, Keyboarder Nick Rhodes, Bassist John Taylor und Schlagzeuger Roger Taylor mit den Aufnahmen für ihren Nachfolger von ‚Paper Gods‘. Und erneut dachten die Briten ziemlich groß: Mit Erol Alkan, Mark Ronson und Giorgio Moroder engagierte man gleich drei Produzenten. Man lud Gastmusiker wie Sängerin Lykke Li, DavidBowie-Keyboarder Mike Garson und Blur-Gitarrist Graham Coxon ins Studio.

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Das Musikvideo der ersten Single ‚Invisible‘ entstand mit Hilfe einer künstlichen Intelligenz namens „Huxley“. Und natürlich wird es ‚Future Past‘ auch in Zusammenarbeit mit Sony 360 Reality Audio geben, die die zwölf Songs mit 360-Grad-Mixen bearbeiten wird. Keyboarder Rhodes beschreibt das Album gegenüber dem britischen NME so:

„Es ist einfach anders als alles, was ich zuvor von uns oder von irgendjemand anderem gehört habe. Die Konstruktion, der melodische Inhalt, die Texte, einige der Sounds – sie sind sehr neu und anders für uns.“

Reden wir mit Bassist John Taylor über seinen Part.

INTERVIEW

John, ihr habt im November 2018 im Londoner Assault & Battery Studio begonnen an ‚Future Past‘ zu arbeiten. Das Resultat klingt sehr konzeptionell, arrangiert und durchdacht.

Das geht auf unseren Produzenten Erol Alkan zurück. Er hat bei den ersten Treffen den Klang des Albums definiert. Erol hat starke Bezüge zur Dance-Music-Szene. Er ist ein Pendler zwischen DJing und Musikproduktion. Ich war ziemlich überrascht, wie viel Wissen er in Sachen Sounds hat. Seit den Achtzigerjahren haben wir nicht mehr so viel Zeit verwendet, um Bass-Sounds zu suchen, Drum-Sounds festzulegen und Keyboard-Sounds zu programmieren. Ich dachte: Hier ist jemand wirklich interessiert daran, etwas Neues zu schaffen. Und jemand, der sich für den Bass interessiert!

War das denn sonst nicht so?

Ich sage gerne, wir Bassisten sind eine gefährdete Spezies. Wir müssen aufpassen, im Studio nicht ersetzt zu werden. Ich sehe die Rolle des elektrischen Basses heutzutage wirklich gefährdet. Denn es ist nicht mehr üblich, eine Platte mit Bass und Schlagzeug zu beginnen. Die heutige Studiotechnik schreit nach Modernität! Und ich habe auch Produzenten erlebt, die meinten: Okay John, spiel mal ein paar Takte, ich loope das dann und mache den Rest.

Ich gestehe, dass es Zeiten in meiner Karriere gab, in denen ich dachte: Großartig! Da komm ich heute früher raus zum Essen! Mit ‚Future Past‘ sind wir jedoch auf eine Ebene des gewissenhaften Handwerks zurückgekehrt, das ich lange nicht mehr erlebt habe. Diese Arbeitsweise hat auch unser Verständnis von Live-Performances neu geschärft. Seien wir ehrlich: Nach 40 Jahren im Musikgeschäft macht man es sich mitunter gerne mal bequem. Aber hier gab’s keine Ausreden! Erol war sehr rigoros! (lacht)

Duran-Duran-Songs haben viele Spuren mit Keyboard-Melodien und Sequenzer-Parts. Wie findest du da deinen Platz?

Gute Frage! Ich muss mich da auf den Produzenten verlassen. Und ansonsten um meinen Platz kämpfen! (lacht) Es ist ein Kampf um Präsenz! Als wir begannen, arbeiteten wir mit 24 Spuren. Heute mit Pro Tools … (rechnet im Kopf) oh mein Gott – mitunter sind es 124 Spuren! Aber nur eine Bassspur! Wenn ich Glück habe, dann bekomme ich eine zweite, um eine Oktave draufzuspielen. (lacht) Ein Album ist ein Prozess voller Diskussionen. Duran Duran sind eine Gruppe von Künstlern, Musikern, Kreativköpfen und Expressionisten. Besonders Simon, Nick und ich. Wir sind sehr daran interessiert uns selbst darzustellen! (lacht) Und das muss eben arrangiert und kontrolliert werden. Ich muss unserem Produzenten danken, der da stets drangeblieben ist. Das ist bei uns nicht einfach.

Ihr habt prominente Gäste wie Sängerin Lykke Li, David-Bowie-Keyboarder Mike Garson und die japanische All-Woman-Band Chai. Mich interessiert vor allem eure Zusammenarbeit mit Blur-Gitarrist Graham Coxon, mit dem ihr auch schon aufgetreten seid.

Nick hat Graham vor einer Weile kennengelernt. Sie hatten irgendwas mit David Bowies Musik zu tun. Nick schwärmte, wie nett Graham und was für ein toller Gitarrist er sei. Ich will ganz ehrlich sein: Ich habe Blur nie besonders gemocht. Ich schätzte Graham als Gitarrist, aber das war es auch schon. Als wir jetzt mit Erol arbeiteten, fragte er, was wir von Graham halten würden. Ich erzählte ihm, dass Nick ihn gerade getroffen habe. Und Erol erwiderte, dass Graham sein Nachbar wäre, sie gut befreundet seien und er ihn gerne ins Spiel bringen wolle. Und da Graham für Nick okay war, wusste ich, dass er auch für mich okay ist.

Schon vom ersten Tag, als Graham bei uns im Studio war, war es total inspirierend! Er war der Typ im Raum, zu dem alle fasziniert aufschauten. Jemand dieses Kalibers im Raum zu haben, war klasse. Graham arbeitet gerade mit einer Stooges-Coverband und hatte diese total überdrehten Distortion-Sounds am Start, wie du sie jetzt in ‚Anniversary‘ hörst. Wir haben ihn angefeuert und versucht seine Energie im Studio einzufangen. Wir haben ihn einfach abgehen lassen! Was er zu diesem Album beigetragen hat ist Wahnsinn. Jeder, der auf modernes, elektrisches Gitarrenspiel steht, sollte dieses Album hören!

(Bild: John Swannell)

In der Vergangenheit haben wir dich zumeist mit Peavey-Cirrus-Bässen gesehen. Was hast du diesmal benutzt?

Fast ausschließlich meinen Dingwall Combustion. Ich habe mich wieder in diesen Bass verliebt. Das erste Mal habe ich ihn, glaube ich, vor vier Jahren auf Tour gespielt. In meiner Karriere war ich sehr eng mit den Leuten von Peavey verbunden, ich war lange Zeit nicht bereit für diesen Wechsel. Aber auf diesem Album habe ich den Dingwall sehr viel benutzt. Auch bei den Shows, die wir in den vergangenen Wochen gespielt haben. Meine Peaveys sind wie ein BMW: absolut zuverlässig, fantastischer Service, sie haben mich nie im Stich gelassen. Aber der Dingwall ist wie ein Bentley! (lacht) Seine dynamische Reichweite ist unfassbar, ich habe wirklich Spaß mit diesem Bass. Es gibt dieses Sprichwort: Der Lehrer kommt, wenn der Schüler bereit ist. Soll heißen: Wenn ein Musiker soweit ist, kommt das passende Instrument zu ihm.

Die Fanned Frets des Combustion passen zu deinem Hang nach Perfektion und Intonation.

Um ehrlich zu sein, habe ich nicht viel drüber nachgedacht. Sie machen sich wirklich nur ganz subtil beim Spielen bemerkbar. Man braucht dafür keine spezielle Befähigung oder Ausbildung, alles funktioniert intuitiv.

Du besitzt auch einen Music Man Stingray, den dir dein Idol Bernard Edward von Chic geschenkt hat. Eine großartige Geste.

Ja! Er hatte den Bass dabei, als wir an ‚A View To A Kill‘ für den James-Bond-Soundtrack arbeiteten. Oder war es eine Produktion für Power Station? Ich erinnere mich an die genaue Übergabe nicht mehr. Ich weiß aber, dass dieses Geschenk eine fast spirituelle Bedeutung für mich hatte. Es ist der Bass, den Bernard auf ‚Good Times‘ gespielt hat! Ich hatte den Bass auch diesmal im Studio dabei. Und vielleicht ist von ihm auch die eine oder andere Note auf dem Album. Der Bass ist perfekt. Er braucht überhaupt kein EQ-ing! Das Einzige, was ich bereue, ist, dass mein Bass-Tech damals gleich die Saiten gewechselt hat! Was für ein Fehler!

Bernard folgt wie ich der alten James-Jamerson-Schule, niemals die Saiten zu wechseln. Je älter, klebriger und abgespielter sie sind, desto besser! Dieser knallige, obertonreiche Sound kam ja erst Mitte der Achtzigerjahre auf. Bis dahin sollten Bässe eher matt und warm klingen. Ich erinnere mich noch gut daran, wie wir früher Stücke aus Schaumstoff ausschnitten und unter die Bridge klemmten, damit der Bass nicht so scharf klang. Tja, so gingen die Saiten dahin. Ich erinnere mich noch, wie enttäuscht ich war. (lacht)

Du warst in den letzten Monaten sehr aktiv und hast deine ‚Stone Love Bass Odyssey‘ mit verschiedenen Videos produziert. Du erklärst in jeder Episode einen Duran-Duran-Song aus deiner Sicht, erklärst aber nicht nur Song-Struktur und Spieltechniken, sondern auch die Einflüsse des Songs. Schönes Konzept.

Danke! Nun, zunächst mal bin ich kein wirklich technisch toller Bassist. Wenn ich Tutorials mache, haben die eher den Vibe eines Geschichtenerzählers und nicht den eines Virtuosen. Bei Duran Duran war es nie so, dass jemand mit einer akustischen Gitarre in den Proberaum kam und zu den Anderen sagte: Ich habe hier einen fertigen Song und den spiel ich euch jetzt mal vor! Jedes Lied hat sich Stück für Stück entwickelt. Das begann mitunter ganz rudimentär. Schnell? Mittel? Oder langsam? Was für ein Gefühl soll der Song transportieren? So suchten wir nach einem passenden Beat und einem harmonischen Konzept, entwickelten Akkorde und Melodien. Und wenn sich auch Simon damit wohl fühlte, entstand daraus etwas, womit alle zufrieden waren. Ein paar dieser Geschichten wollte ich erzählen.

Dazu muss man wissen, dass du 1976 begonnen hast Musik zu machen – übrigens als Gitarrist – in der Zeit des Punk-Rock in England. Wie hat sich dein Bass-Spiel vom anfänglichen D.I.Y. bis heute rückblickend entwickelt?

Zunächst mal wollte ich wirklich Gitarrist werden! Im Punk-Rock ging es nur um Gitarren-Riffs. Ich stand allerdings auch auf Paul Simonon, den Bassisten von The Clash, dessen Stil ich cool fand. Aber ich dachte zunächst keine Sekunde daran, Bass zu spielen! Jeder wollte Gitarre spielen und das nächste ‚Anarchy In The U.K.‘ schreiben. Ich habe mein Spiel auch nie in eine Form gebracht oder bewusst entwickelt. Ich hab einfach drauflos gespielt. Als ich das erste Mal Roger traf, spielte ich also Gitarre, er Schlagzeug. Wir probten in einem besetzten Haus in Birmingham. Da lag ein Bass herum, also hab ich mir den mal geschnappt.

Und das bisschen, was ich auf der Gitarre konnte, wirkte auf dem Bass viel mächtiger! Roger war damals schon ein richtig guter Schlagzeuger. Und wenn mein Bassspiel zusammen mit seinem Schlagzeug einen Groove ergab, liebte ich das Gefühl! So bin ich dabei geblieben. Wir haben jeden Tag geprobt, haben endlos Breaks geübt, stundenlang! Wir wussten nicht viel von Musik. Aber wir hörten uns genau die Rhythmusgruppen von David Bowie und Roxy Music an. Diese Typen waren sehr gebildet und elegant. Roger und ich standen eigentlich gar nicht auf britischen Punk-Rock, sondern auf amerikanische Bass-Schlagzeug-Grooves und versuchten irgendwie unsere eigene Version davon hinzukriegen. (lacht)

Wenn wir das ins Hier und Jetzt transportieren und neue Songs wie ‚Hammerhead‘, ‚All Of You‘ oder den stoischen Beat von ‚Anniversary‘ als Beispiel nehmen – wie arbeitest du heute mit Roger?

Unsere Herangehensweise hat sich nicht geändert. Wir versuchen sehr intensiv, groovig und rockig zu spielen. Im Grunde spielen wir Rock, der swingt. Wir pushen uns gegenseitig, aber diesmal hat uns unser Produzent angeschoben immer neue Takes einzuspielen. Nimm unseren Groove von ‚Hammerhead‘: Erol hat uns im Studio völlig irre angefeuert, so wie der australische Trainer seine Schwimmerin bei Olympia! Total irre! Ich war froh, dass Erol uns so motiviert hat, denn manchmal rutscht man als Musiker in seine Komfortzone.

Vielen Dank fürs Gespräch!


EQUIPMENT

    • Bässe: Dingwall Combustion, Peavey Cirrus 4- und 5-String, Aria Pro SB-1000JT, Aria Pro II SB-700, 1977 Music Man Stingray
    • Amps & Boxen: Peavey MiniMEGA Bass Head, Peavey Pro Bass 500, Peavey Pro 810 Bass Cabinet
    • Effekte: TC Electronic G-System, TC Electronic NDR-1 Nova Drive
    • Saiten: Rotosound RS99LDG
    • Sonstiges Equipment: Shure Wireless System

(erschienen in Gitarre & Bass 01/2022)

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