„Deshalb klingen Dream Theater so einzigartig, da hier fünf verschiedene Songschreiber und kreative Musiker zusammenkommen.“
John Petrucci & John Myung im Interview: Die Rückkehr von Mike Portnoy
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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(Bild: Mark Maryanovich)
Angesichts der aufsehenerregenden Tatsache, dass Originaldrummer Mike Portnoy zu Dream Theater zurückgekehrt ist, droht die Musik der neuen Studioscheibe ‚Parasomnia‘ fast ein wenig in den Hintergrund zu rücken. Dabei gibt es viel zu erzählen, über das bis dato wohl härteste und düsterste Album der Bandgeschichte, und über eine Gitarrenarbeit, die wieder einmal exzellent ist und mit einer Vielzahl derber Riffs und virtuoser Soli glänzt. Aber natürlich mussten auch wir aus Gründen eines besseren Verständnisses Saitenakrobat John Petrucci zunächst über die spannendste Personalie der Scheibe (s.o.) befragen, auch um zu verstehen, weshalb viele Fans seither in Nostalgie schwelgen.
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(Bild: Mark Maryanovich)
JOHN PETRUCCI
John, ist Dream Theater nach Mike Portnoys Rückkehr eine neue Band geworden oder aber, ganz im Gegenteil, derzeit eher rückwärtsorientiert?
Wie du weißt, blicken wir auf eine lange Karriere zurück. Wir feiern gerade unser 40-jähriges Bestehen mit einer großen Tournee, veröffentlichen in Kürze unser 16. Studioalbum, es gibt also eine Menge Dinge, eine Routine, die über all die Jahre gleichgeblieben ist. Das betrifft auch einen Großteil unserer Mitarbeiter hinter den Kulissen. Neu ist, dass wir mit Mike ein Familienmitglied zurückgewonnen haben. Mike und ich kennen uns nahezu unser gesamtes Leben lang, wir haben uns als 18-Jährige in Berklee getroffen und dadurch eine besonders innige Beziehung. Ihn zurück bei Dream Theater zu haben, fühlt sich natürlich auch ein wenig nostalgisch an, gleichzeitig aber vor allem frisch, neu und aufregend.
Was musste passieren, damit Portnoy zu Dream Theater zurückzukehren konnte? Was hat ihn zum Umdenken bewogen, und was haben deine Bandkollegen dazu gesagt?
Mikes Wunsch deutete sich ja nicht schon seit Monaten oder Jahren an, sondern wurde sehr kurzfristig an uns herangetragen. Wir haben darüber also nicht lange nachgedacht, sondern es spontan entschieden. Es gab zunächst ein Gespräch zwischen Mike und mir und anschließend zwischen der Band und mir, und wir alle waren uns einig, dass angesichts der 40th-Anniversary-Tour der Zeitpunkt und die Umstände perfekt sind, um diese Idee in die Tat umzusetzen. Von dort war der Schritt nur noch kurz, direkt anschließend ins Studio zu gehen und ein neues Album aufzunehmen. Alle in der Band waren einverstanden, daher war es dankenswerterweise ein undramatischer und völlig ungezwungener Wechsel.
Würdest du mir zustimmen, dass ‚Parasomnia‘ das härteste Album in der Dream-Theater-Karriere ist? Und gibt es dafür einen speziellen Grund?
Ja, ich würde dir tatsächlich zustimmen, und die Ursache liegt im Albumtitel ‚Parasomnia‘ begründet. Ich hatte den Begriff schon seit ein paar Jahren im Hinterkopf und fand, dass er gut zu einem Dream-Theater-Album passen würde. Wer das Wort noch nicht kannte: Es handelt sich um den Oberbegriff für unterschiedliche Arten von Schlafstörungen. Für Menschen mit diesen Problemen sind Schlafstörungen eine schwierige und prekäre Angelegenheit, verbunden mit Albträumen, Schlafwandeln, psychischen Problemen, und so weiter. Allein dieser Titel führte automatisch zu einer härteren, dunkleren Ausrichtung der Songs. Hinzu kam natürlich Mikes Rückkehr, die für mich sehr inspirierend und kompositorisch prägend war, und mehr Riffs, mehr harte Rhythmusparts nach sich zog, vergleichbar vielleicht mit Scheiben wie ‚Train Of Thought‘ oder ‚Systematic Chaos‘.
Es war zwar nicht das erste Mal, dass Mike im bandeigenen DTHQ-Studio aufgenommen hat, aber das erste Mal, dass er dort für Dream Theater im Einsatz war.
Stimmt, er hat hier bereits 2020 die Drums für mein Soloalbum ‚Terminal Velocity‘ eingetrommelt, und auch die Aufnahmen für ‚Liquid Tension III‘ ein Jahr später haben hier stattgefunden. Insofern war er mit den Gegebenheiten des Studios vertraut. Aber in gewisser Weise war es für uns alle eine neue Erfahrung, denn vor etwa einem Jahr haben wir den Studiokomplex erweitert und einen neuen großartigen Live-Raum geschaffen, der viel größer ist als die bisherigen Räume. Wir konnten dort erstmals auch einen Konzertflügel unterbringen, was natürlich eine tolle Inspirationsquelle ist. Insofern war die Produktion von ‚Parasomnia‘ für uns alle eine neue Erfahrung.
(Bild: Mark Maryanovich)
Was war vorher in dem neuen Raum?
Es war ein Lagerraum für unser Equipment. Dann wurde in der direkten Nachbarschaft ein weiterer Lagerraum frei, so dass wir unser Gear dorthin bringen und das bisherige Lager zum Studio umgestalten konnten. Der Raum ist riesengroß und hilft uns sehr, man kann ihn in dem Video sehen, das Ernie Ball Music Man angesichts der neuen 10th-Anniversary-Majesty-Gitarre veröffentlicht haben. In diesem Raum ist Platz für alles das, was wir brauchen, inklusive Mikes großem Doublebass-Drumkit.
Wenn man das neue Album aus der Sicht des Rhythmusgitarristen John Petrucci betrachtet: Gibt es etwas Neues, das es vor Mikes Ausstieg noch nicht gab und woran man eine Weiterentwicklung oder Änderung seines Stils erkennen kann?
Ich finde nicht, dass sich etwas Grundlegendes geändert hat. Mike war immer schon ein fantastischer Schlagzeuger, seine Fähigkeiten sind im Laufe der Jahre einfach immer noch besser geworden. Die Zusammenarbeit während des Songwritings fühlte sich ganz ähnlich an wie bei ‚Black Clouds And Silver Linings‘, die letzte Dream Theater-Scheibe, die wir vor 15 Jahren gemeinsam mit ihm geschrieben haben. Es war fast so, als ob wir das Studio zwischenzeitlich gar nicht verlassen hätten. Für mich als Produzent war es einfach eine wahre Freude zu sehen, wie schnell Mike arbeitet. Er benötigte pro Song, zwei, maximal drei Takes, und die Sache war im Kasten. Er ist immer super vorbereitet und weiß genau, was er will. Was mir auffällt ist Mikes Fähigkeit, einen Song atmen zu lassen. Eine Sektion wird hart und schnell getrommelt, die nächste ein wenig laidback und langsamer, wodurch die Stücke an Dynamik und Persönlichkeit gewinnen.
Gleichzeitig bleiben alle Dream-Theater-Songs stets vornehmlich Gitarren-dominiert.
Natürlich bleibt meine Gitarre das wichtigste Songwriting-Instrument der Band. Ich bin also nicht nur der Produzent der Scheibe, sondern steuere auch den Großteil der Ideen bei. Das beginnt schon lange vor der Studiosession, und basiert im Fall von ‚Parasomnia‘ auf meinem Ziel, den Albumtitel als Anlass zu nehmen, um mit unterschiedlichen Scales und Modes zu experimentieren. Ich ging also sehr gut vorbereitet ins Studio, und wenn dann die gesamte Band eingreift, wird aus den Songideen weitaus mehr als nur das Ergebnis eines einzelnen Komponisten. Deshalb klingen Dream Theater so einzigartig, da hier fünf verschiedene Songschreiber und kreative Musiker zusammenkommen. Dream Theater verstehen sich als Progressive-Metal-Band, mit Betonung auf Metal, und daher kommt die Härte und Komplexität schwerpunktmäßig von den Gitarren und den Drums, mit all den Riffs und Hooks, die uns wichtig sind.
Fertigst du vor dem Studiotermin reguläre Demos deiner Ideen an?
Als reguläre Demos würde ich es nicht bezeichnen. Es sind eher Memo-Aufnahmen, teils auf meinem Handy und nur als Erinnerung. Bevor wir uns im Studio treffen, schaue ich die Memos durch, lerne die Riffs und spiele sie dann meinen Bandkollegen live vor. Mitunter fahre ich auch schon vor allen anderen ins Studio, nehme eine Idee auf, allerdings nie in konkreter Song-Form, sondern ohne Bass, Schlagzeug, Keyboards, nur die reine Gitarre, die Riffs, die Akkordbewegung, die Melodie. Meistens ist es aber einfach besser, die Riffs live zu spielen, dann bekommen die anderen ein besseres Gefühl für die gedachte Stimmung.
Mit welchem Equipment hast du ‚Parasomnia‘ eingespielt?
Natürlich sind ausschließlich Music-Man-Majesty-Modelle zum Einsatz gekommen, und zwar Sechs-, Sieben- und Achtsaiter. Für die Rhythmusspuren habe ich meinen Mesa/Boogie-Signature-JP-2C-Amp, für die Soli einen meiner Vintage Mark IIC+ Simul-Class aus den Achtzigern genommen. Bei den cleanen Parts habe ich wegen Mikes Rückkehr etwas Nostalgisches gemacht und einen Roland JC-120 gespielt, diese Chorus-Sounds kommen also aus dem Roland. Effektgeräte kamen nur gelegentlich zum Einsatz, bei einem Song ist es ein MXR-Chorus vor dem Amp, ein anderes Mal war es ein TC Electronic 2290 im Loop des Amps, dazu kam in ‚Midnight Messiah‘ ein MXR-Phaser und den Anfang von ‚Bend The Clock‘ habe ich mit einem Keeley Noble Screamer gespielt. Eine tolle Sache war, dass wir die originalen Neve-Preamps ausfindig machen und kaufen konnten, die wir unter anderem schon bei ‚Images And Words‘, ‚Scenes From A Memory‘, ‚Six Degrees Of Inner Turbulence‘ oder ‚Train Of Thought‘ verwendet haben. Wir nahmen Kontakt zu unserem früheren Toningenieur Doug Oberkircher auf und kauften ihm die Geräte ab. Mit den Neves haben wir einen wunderbar warmen Gitarrensound erzeugt.
(Bild: Music Man)
Also erneut keine Plug-ins, aber dennoch digitales Equipment?
Nicht bei den Gitarrenamps, die eigentlichen Sounds kommen aus richtigen Amps mit richtigen Boxen. Aber für die Delays und ein paar spezielle Effekte waren es Plug-ins. Das Solo in ‚Night Terror‘ kam beispielsweise aus einem TC Electronic Plug-in.
In welchen Tunings hast du die Gitarren gestimmt, welche Tonarten findet man auf ‚Parasomnia‘?
Das neue Album ist inhaltlich sehr vielschichtig, deshalb habe ich bewusst unterschiedliche Tunings und Tonarten verwendet. In der Ouvertüre ‚In The Arms Of Morpheus‘ ist es eine achtsaitige Majesty in Standardtuning, also mit der tiefen Saite in F#. ‚Night Terror‘ ist in Standard, in ‚A Broken Man‘ ist die Gitarre einen Ganzton tiefer auf D gestimmt. Mein Lieblingssong heißt ‚Dead Asleep‘ und ist in Drop-Bb, die gesamte Gitarre ist also in C gestimmt, mit der tiefsten Seite in Bb. Auf die Idee gebracht hat mich Zakk Wylde, der Gast bei einem meiner Camps war und mit dem ich ein paar Black-Label-Society-Nummern gejammt habe. Ein wirklich heavy Tuning, das auch Ozzy sehr liebt. ‚Midnight Messiah‘ ist in C, die Gitarre ist also zwei Ganztöne tiefer gestimmt. ‚Bend The Clock‘ und ‚The Shadowman Incident‘, übrigens der einzige Song mit einer Siebensaitigen, sind in Standard.
Du wirst zu den Shows also eine Reihe Gitarren mitbringen müssen, um alle Tunings abdecken zu können.
Richtig, aber man kann diese Songs auch nur in den originalen Tunings spielen, sonst würden sie völlig anders klingen. Das Tuning bestimmt immer auch den Charakter eines Songs.
Apropos Charakter: Waren die Texte der Songs bereits vor der Musik da? Und wer hat sie verfasst?
Die Texte sind erst nach der Musik entstanden, allerdings stand der Albumtitel schon vorher fest. Die Idee war, sämtliche Songs unter ein bestimmtes Motto zu stellen, Mike sprach sogar von einer Art Konzeptscheibe, in der alle Stücke miteinander verbunden sind, in der Art wie ‚The Dark Side Of The Moon‘. Die Texte sind aber erst ganz am Ende entstanden. Einer stammt von Mike, zwei Texte hat James geschrieben, der Rest ist von mir. Es hat mächtig Spaß gemacht, vor allem ‚The Shadowman Incident‘ zu texten war purer Genuss.
Gib zum Schluss bitte noch einen kurzen Ausblick auf deine Aktivitäten als Endorser in 2025!
Gerne. Ein paar Dinge sind ja bereits angekündigt, wie etwa der 1x12er Combo von Mesa/Boogie und die 10th-Anniversary-Version meiner Majesty-Signature-Gitarre, die erstmals im Video zu ‚Night Terror‘ zu sehen war. Auffällig sind vor allem die tollen Pickup-Kappen von Larry DiMarzio mit dem Majesty-Logo, wirklich sehr cool. In den kommenden Monaten gibt es ein paar neue Produkte meiner eigenen Firma Tonemission, und ich arbeite derzeit an einem wirklich spannenden Thema, über das ich allerdings noch nichts Konkretes sagen darf, außer dass es Musikern dabei helfen wird, einen unfassbar guten Gitarrensound zu bekommen. Ich melde mich bei dir, wenn es darüber mehr zu berichten gibt.
Bassist John Myung im Gespräch auf Seite 2 …
John Myung hat das neue Album wie gewohnt mit seinem Music-Man-Bongo-Signature-Bass eingespielt. (Bild: Mark Maryanovich)
JOHN MYUNG
Welche Bedeutung Mike Portnoys Rückkehr für Myungs Bass-Spiel hat, versuchen wir in einem ausführlichen Gespräch mit dem eher wortkargen Amerikaner herauszufinden.
Guten Morgen, John, du siehst noch etwas müde aus. Bist du ausgeschlafen?
Ich muss gestehen, dass ich gerade erst wachgeworden bin. Wir haben unsere Europatournee gestern Abend beendet, gleich geht es zum Flughafen, von wo aus wir im Laufe des Tages oder morgen früh abreisen werden. Grundsätzlich fühle ich mich aber gut, denn es war eine tolle Europatour.
Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu einem weiteren großartigen Dream-Theater-Album. Kannst du bitte erklären, welche Ambitionen, Ziele und Visionen du für die neue Scheibe hattest, speziell im Vergleich zu den vorherigen Dream-Theater-Alben?
Unser Ziel war es, an die frühere Chemie innerhalb der Band anzuknüpfen beziehungsweise zu ihr zurückzukehren, und zu einer Mentalität zurückzufinden, wie wir sie zu Beginn unserer Karriere hatten. Ich denke, dass uns dies gelungen ist. Es hat sich von Beginn an sehr gut angefühlt, ich kam ins Studio, wir fingen sofort an zu spielen und es war genauso, wie wir in früheren Zeiten an Alben gearbeitet haben. Es hat Spaß gemacht, zu dieser Arbeitsweise zurückzufinden und wieder gemeinsam mit unserem Original-Drummer kreativ zu sein. Eine tolle Erfahrung, ich vermute, dass es unsere Fans genauso sehen werden.
Könntest du beschreiben, welche spielerischen Unterschiede es zwischen Mike Portnoy und seinem Nachfolger bzw. Vorgänger Mike Mangini aus Sicht des Dream-Theater-Bassisten gibt und was dies für dein eigenes Spiel bedeutet?
Generell versuche ich, die Dinge möglichst einfach zu halten, auch wenn ein Part ziemlich kompliziert klingt. Existieren Unterschiede zwischen Mangini und Portnoy? Ich glaube, es gibt eine Komplexität, die man fühlt, aber auch eine Komplexität, die man nicht fühlt. Ich tendiere grundsätzlich zur Einfachheit und versuche deshalb, mich auf ein konkretes Gefühl zu konzentrieren und dieses Feeling musikalisch konsequent wiederzugeben, sprich: Klar identifizierbare Noten zu spielen.
Würdest du sagen, dass die Rückkehr von Mike Portnoy das Songwriting der Band wieder stärker in Richtung eurer früheren Alben beeinflusst hat? Oder hat es nur einen anderen rhythmischen Aspekt bekommen?
Es ist mehr als das. Weißt du: Timing ist alles. Die Geschwindigkeit färbt einen Song auf eine bestimmte Art. Es geht um den Groove und wie man ihn artikuliert und interpretiert. In dieser Hinsicht stimmt bei Dream Theater die Chemie, da Mike, John und ich zusammen aufgewachsen sind. Wir haben in unserer Jugend dieselben Bands gehört und geliebt, allen voran Rush und Iron Maiden. Wenn wir uns also bewusst von unseren Einflüssen inspirieren lassen, hört Mike dasselbe, was ich höre, ohne dass ich es erklären muss. Es ist witzig: Mike hat immer eine Art Tafel dabei, wenn wir Songs schreiben, und auf der sind die unterschiedlichen Teile nach bestimmten Bands benannt. Es gibt dann beispielsweise einen Rush-Part, einen Iron Maiden-Part, einen Tool-Part. Natürlich sind dies nur stilistische Referenzen, um zu verdeutlichen, woran wir jeweils denken. Ich glaube, genau an diesem Punkt geht die Chemie bei Dream Theater tiefer, da niemand von uns seine Inspirationen erklären muss. Das ist wie eine Art Basis, ein tieferes Verständnis, das man nicht mehr explizit in Worte fassen muss. Man fühlt es, man versteht es und begreift es sofort. Und wenn das passiert, funktioniert das Songwriting wie von selbst. Es fließt von ganz allein, wie von Geisterhand geführt.
Hat die komplette Band sämtliche Songs des neuen Albums gemeinsam geschrieben?
Ja.
Ihr habt euch also in eurem Studio getroffen und jeden einzelnen Song mit der gesamten Band entwickelt?
Es wurde so lange an einer Idee herumgedoktert, bis sie sich genau richtig angefühlt hat und jeder damit zufrieden war. Wir haben an einzelnen Parts einfach immer weiter gearbeitet, daraus haben sich dann wiederum neue Ideen entwickelt, ein ganz natürlicher Prozess, der großen Spaß gemacht hat. Mir hilft diese Art zu arbeiten, um zu verstehen, was wir da gerade machen. Da wir solche Prozesse in der Vergangenheit schon oft durchlaufen haben, könnte man denken, dass sie immer automatisch funktionieren. Doch das tun sie nicht, denn es sind Menschen, die an diesen Prozessen beteiligt sind, daher läuft es jedes Mal anders. Jeder einzelne von uns, der bei diesen Prozessen anwesend ist, ist ein wichtiges Puzzleteil. Die aktuelle Konstellation bei Dream Theater besitzt alle notwendigen Einzelteile, was sehr wichtig ist und was man sich immer wieder bewusst machen sollte, wenn man gemeinsam arbeitet. Für mich war dies eine wichtige Erkenntnis.
Hast du für die Aufnahmen von ‚Parasomnia‘ dein Equipment geändert? Welche Bässe, welche Amps, welche Effekte hast du dieses Mal verwendet?
Ich habe natürlich wieder meinen Music-Man-Bongo-Signature gespielt, den es aktuell auch mit einigen neuen Lackierungen gibt. Der Bongo ist die wichtigste Grundlage meines Sounds, zudem verwende ich häufig Neve-Plug-ins, EQs und Kompressoren sowie einen Rupert Neve Shelford Channel, all diese Dinge. Im Grunde genommen ist es einfach nur eine normale Kombination aus Pedalen und Plug-ins.
Hast du über einen Röhrenverstärker oder direkt ins Mischpult gespielt?
Ich habe direkt ins Board gespielt. Live habe ich allerdings schon einige Male mit einem Preamp von Suncoast experimentiert, denn ich mag besonders den Pearce BC-1, den ich schon in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern eingesetzt habe und der damals noch von Dan Pearce gebaut wurde. Mittlerweile wurde die Firma jedoch verkauft, sie heißt jetzt Suncoast und baut Preamps, die vorher von Pearce hergestellt wurden. Für mich liefern sie den besten Solid-State-Sound und den ultimativen Ton für die Bühne. Ich bin sehr glücklich damit, denn ich weiß, dass sich meine Basslinien dadurch sehr gut durchsetzen können.
Welche Tunings hast du auf der neuen Platte gespielt? Hat sich dein Tuning von Petruccis Gitarren unterschieden?
Eine gute Frage, denn ich weiß, dass John verschiedene Tunings ausprobiert hat, was ich allerdings nicht getan habe. Ich habe mich zwar an dem orientiert, was er jeweils gespielt hat, und natürlich mein Spiel daran angepasst, ohne allerdings mein Tuning zu ändern, da es aus meiner Sicht das Feeling zu sehr verändert, wenn die Saitenspannung nicht gleichmäßig bleibt. Wenn die Saitenspannung ungleichmäßig oder zu hoch ist, kann das einen unerwünschten Druck auf den Hals verursachen und fühlt sich dann nicht gut an, da es sich weniger leicht spielt. Ich müsste mir meine Notizen noch einmal genauer anschauen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auf der neuen Platte durchgehend im Standard-Tuning geblieben bin, mit höchstens einer Ausnahme. Mir geht es in erster Linie um die Saitenspannung, denn sobald man mit ihr herumexperimentiert, verändert sich alles.
Du hast sicherlich ausnahmslos mit den Fingern gespielt, oder?
Ja, ausnahmslos alles mit den Fingern.
Manche Metal-Bassisten behaupten, dass der Ton mit einem Plektrum noch konkreter klingt, da man härter anschlagen kann. Wie siehst du das?
Ich spiele gerne mit den Fingern, weil das meiner Meinung nach eine größere Klangvielfalt erlaubt, je nachdem, ob man den Zeige- oder den Mittelfinger benutzt. Je nach Tempo eines Parts kann man es vereinfachen und härter anschlagen, indem man nur den Zeigefinger benutzt. Und wenn es richtig schnell wird, kann man einfach zwei Finger verwenden oder bei Bedarf sogar drei. Das funktioniert für meinen Sound sehr gut, dadurch bekomme ich einen wunderbar klaren Ton. Gleichzeitig kann es eine coole Herausforderung sein, sich nur auf einen Finger zu beschränken, es hat etwas mit der Energie der Hände zu tun. Trotzdem mag ich auch den Sound mit einem Plektrum, bei vielen Bassisten klingt es wirklich sehr gut, wenn sie mit Plektrum spielen.
Gab es Phasen in deiner Karriere, in denen auch du damit experimentiert hast?
Ja, die gab es tatsächlich, aber für mich hat es nicht funktioniert. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, eine Saite mit den Fingern anzuschlagen. Man kann sie zupfen, man kann sie sanft spielen, oder aber hart anschlagen. Die eigenen Hände bieten einem die verschiedensten Möglichkeiten, das ist es, was mir gefällt und weshalb ich dabeibleibe. So kann ich eine größere Bandbreite abdecken. Natürlich mag ich auch den Sound mit einem Plektrum, aber in meiner Karriere kam ich irgendwann an den Punkt, an dem ich mich für die eine oder das andere Spielweise entscheiden musste und mich für die Finger entschieden habe.
Übst du noch immer jeden Tag?
Man muss allein deshalb jeden Tag spielen, um den physischen Aspekt seiner musikalischen Fähigkeiten aufrecht zu erhalten. Es ist sehr wichtig, in Form zu bleiben und die Muskulatur der Hände zu trainieren. Meistens übe ich, indem ich Songs spiele und sie mir dabei gleichzeitig einpräge. Ich versuche, meine Parts so gut wie möglich mit der Struktur eines Songs in Einklang bringen und sie möglichst lebendig klingen zu lassen. Darauf verwende ich den größten Teil meiner Zeit, insbesondere jetzt mit unserem riesigen Back-Katalog und den Unmengen an verfügbarem Material. Mit Dream Theater zu Songs zurückzukehren, die teilweise sehr lang sind und die wir seit zehn, mitunter sogar seit zwanzig Jahre nicht mehr gespielt haben, ist jedes Mal ungeheuer viel Arbeit. Von uns existieren mittlerweile eine Menge Alben, mit unfassbar vielen Songs und noch mehr Details, trotzdem ist es eine Arbeit, die ich sehr gerne mache. Vorbereitungen sind wichtig, erfordern aber viel Einsatz und Zeit.
Spielst du eure älteren Songs genauso, wie du sie damals für die jeweils betreffenden Alben aufgenommen hast?
Zumindest versuche ich es, denn für uns alle ist die Studioversion der gemeinsame Referenzpunkt. Aber natürlich gibt es live schon mal leichte Abweichungen. Manche Dinge entwickeln sich einfach weiter, mitunter fühlt sich eine andere Basslinie, ein anderer Groove besser an, immer abhängig davon, was der Drummer gerade spielt. Es existieren also immer eine Studiofassung und eine Version, die sich live bewährt hat, da wir sie schon so oft gespielt haben, dass sie sich automatisch weiterentwickelt hat. Wir sprechen hier allerdings von keinen allzu großen Unterschieden, meistens handelt es sich nur um Nuancen.
Dream Theater veröffentlichen mit “Parasomnia” ihr 16. Studioalbum, welches gleichzeitig die Rückkehr von Originaldrummer Mike Portnoy markiert. In den Interviews beschreiben John Petrucci und John Myung, wie diese Reunion die Bandchemie und den Sound positiv beeinflusst hat, ohne dass sie zu einer nostalgischen Kopie früherer Werke wurde.
Das neue Album verbindet die progressive Komplexität, für die Dream Theater bekannt sind, mit einer bis dato unerreichten Härte und Dunkelheit. Der thematische Fokus auf Parasomnia – verschiedene Formen von Schlafstörungen – verleiht dem Album eine besonders intensive Atmosphäre, die durch die vielfältigen Gitarrentunings und die regenerierte Chemie zwischen den Bandmitgliedern verstärkt wird.