„Deshalb klingen Dream Theater so einzigartig, da hier fünf verschiedene Songschreiber und kreative Musiker zusammenkommen.“

John Petrucci & John Myung im Interview: Die Rückkehr von Mike Portnoy

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John Myung hat das neue Album wie gewohnt mit seinem Music-Man-Bongo-Signature-Bass eingespielt. (Bild: Mark Maryanovich)

JOHN MYUNG

Welche Bedeutung Mike Portnoys Rückkehr für Myungs Bass-Spiel hat, versuchen wir in einem ausführlichen Gespräch mit dem eher wortkargen Amerikaner herauszufinden.

Guten Morgen, John, du siehst noch etwas müde aus. Bist du ausgeschlafen?

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Ich muss gestehen, dass ich gerade erst wachgeworden bin. Wir haben unsere Europatournee gestern Abend beendet, gleich geht es zum Flughafen, von wo aus wir im Laufe des Tages oder morgen früh abreisen werden. Grundsätzlich fühle ich mich aber gut, denn es war eine tolle Europatour.

Zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu einem weiteren großartigen Dream-Theater-Album. Kannst du bitte erklären, welche Ambitionen, Ziele und Visionen du für die neue Scheibe hattest, speziell im Vergleich zu den vorherigen Dream-Theater-Alben?

Unser Ziel war es, an die frühere Chemie innerhalb der Band anzuknüpfen beziehungsweise zu ihr zurückzukehren, und zu einer Mentalität zurückzufinden, wie wir sie zu Beginn unserer Karriere hatten. Ich denke, dass uns dies gelungen ist. Es hat sich von Beginn an sehr gut angefühlt, ich kam ins Studio, wir fingen sofort an zu spielen und es war genauso, wie wir in früheren Zeiten an Alben gearbeitet haben. Es hat Spaß gemacht, zu dieser Arbeitsweise zurückzufinden und wieder gemeinsam mit unserem Original-Drummer kreativ zu sein. Eine tolle Erfahrung, ich vermute, dass es unsere Fans genauso sehen werden.

Könntest du beschreiben, welche spielerischen Unterschiede es zwischen Mike Portnoy und seinem Nachfolger bzw. Vorgänger Mike Mangini aus Sicht des Dream-Theater-Bassisten gibt und was dies für dein eigenes Spiel bedeutet?

Generell versuche ich, die Dinge möglichst einfach zu halten, auch wenn ein Part ziemlich kompliziert klingt. Existieren Unterschiede zwischen Mangini und Portnoy? Ich glaube, es gibt eine Komplexität, die man fühlt, aber auch eine Komplexität, die man nicht fühlt. Ich tendiere grundsätzlich zur Einfachheit und versuche deshalb, mich auf ein konkretes Gefühl zu konzentrieren und dieses Feeling musikalisch konsequent wiederzugeben, sprich: Klar identifizierbare Noten zu spielen.

Würdest du sagen, dass die Rückkehr von Mike Portnoy das Songwriting der Band wieder stärker in Richtung eurer früheren Alben beeinflusst hat? Oder hat es nur einen anderen rhythmischen Aspekt bekommen?

Es ist mehr als das. Weißt du: Timing ist alles. Die Geschwindigkeit färbt einen Song auf eine bestimmte Art. Es geht um den Groove und wie man ihn artikuliert und interpretiert. In dieser Hinsicht stimmt bei Dream Theater die Chemie, da Mike, John und ich zusammen aufgewachsen sind. Wir haben in unserer Jugend dieselben Bands gehört und geliebt, allen voran Rush und Iron Maiden. Wenn wir uns also bewusst von unseren Einflüssen inspirieren lassen, hört Mike dasselbe, was ich höre, ohne dass ich es erklären muss. Es ist witzig: Mike hat immer eine Art Tafel dabei, wenn wir Songs schreiben, und auf der sind die unterschiedlichen Teile nach bestimmten Bands benannt. Es gibt dann beispielsweise einen Rush-Part, einen Iron Maiden-Part, einen Tool-Part. Natürlich sind dies nur stilistische Referenzen, um zu verdeutlichen, woran wir jeweils denken. Ich glaube, genau an diesem Punkt geht die Chemie bei Dream Theater tiefer, da niemand von uns seine Inspirationen erklären muss. Das ist wie eine Art Basis, ein tieferes Verständnis, das man nicht mehr explizit in Worte fassen muss. Man fühlt es, man versteht es und begreift es sofort. Und wenn das passiert, funktioniert das Songwriting wie von selbst. Es fließt von ganz allein, wie von Geisterhand geführt.

Hat die komplette Band sämtliche Songs des neuen Albums gemeinsam geschrieben?

Ja.

Ihr habt euch also in eurem Studio getroffen und jeden einzelnen Song mit der gesamten Band entwickelt?

Es wurde so lange an einer Idee herumgedoktert, bis sie sich genau richtig angefühlt hat und jeder damit zufrieden war. Wir haben an einzelnen Parts einfach immer weiter gearbeitet, daraus haben sich dann wiederum neue Ideen entwickelt, ein ganz natürlicher Prozess, der großen Spaß gemacht hat. Mir hilft diese Art zu arbeiten, um zu verstehen, was wir da gerade machen. Da wir solche Prozesse in der Vergangenheit schon oft durchlaufen haben, könnte man denken, dass sie immer automatisch funktionieren. Doch das tun sie nicht, denn es sind Menschen, die an diesen Prozessen beteiligt sind, daher läuft es jedes Mal anders. Jeder einzelne von uns, der bei diesen Prozessen anwesend ist, ist ein wichtiges Puzzleteil. Die aktuelle Konstellation bei Dream Theater besitzt alle notwendigen Einzelteile, was sehr wichtig ist und was man sich immer wieder bewusst machen sollte, wenn man gemeinsam arbeitet. Für mich war dies eine wichtige Erkenntnis.

Hast du für die Aufnahmen von ‚Parasomnia‘ dein Equipment geändert? Welche Bässe, welche Amps, welche Effekte hast du dieses Mal verwendet?

Ich habe natürlich wieder meinen Music-Man-Bongo-Signature gespielt, den es aktuell auch mit einigen neuen Lackierungen gibt. Der Bongo ist die wichtigste Grundlage meines Sounds, zudem verwende ich häufig Neve-Plug-ins, EQs und Kompressoren sowie einen Rupert Neve Shelford Channel, all diese Dinge. Im Grunde genommen ist es einfach nur eine normale Kombination aus Pedalen und Plug-ins.

Hast du über einen Röhrenverstärker oder direkt ins Mischpult gespielt?

Ich habe direkt ins Board gespielt. Live habe ich allerdings schon einige Male mit einem Preamp von Suncoast experimentiert, denn ich mag besonders den Pearce BC-1, den ich schon in den späten Achtzigern und frühen Neunzigern eingesetzt habe und der damals noch von Dan Pearce gebaut wurde. Mittlerweile wurde die Firma jedoch verkauft, sie heißt jetzt Suncoast und baut Preamps, die vorher von Pearce hergestellt wurden. Für mich liefern sie den besten Solid-State-Sound und den ultimativen Ton für die Bühne. Ich bin sehr glücklich damit, denn ich weiß, dass sich meine Basslinien dadurch sehr gut durchsetzen können.

Welche Tunings hast du auf der neuen Platte gespielt? Hat sich dein Tuning von Petruccis Gitarren unterschieden?

Eine gute Frage, denn ich weiß, dass John verschiedene Tunings ausprobiert hat, was ich allerdings nicht getan habe. Ich habe mich zwar an dem orientiert, was er jeweils gespielt hat, und natürlich mein Spiel daran angepasst, ohne allerdings mein Tuning zu ändern, da es aus meiner Sicht das Feeling zu sehr verändert, wenn die Saitenspannung nicht gleichmäßig bleibt. Wenn die Saitenspannung ungleichmäßig oder zu hoch ist, kann das einen unerwünschten Druck auf den Hals verursachen und fühlt sich dann nicht gut an, da es sich weniger leicht spielt. Ich müsste mir meine Notizen noch einmal genauer anschauen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich auf der neuen Platte durchgehend im Standard-Tuning geblieben bin, mit höchstens einer Ausnahme. Mir geht es in erster Linie um die Saitenspannung, denn sobald man mit ihr herumexperimentiert, verändert sich alles.

Du hast sicherlich ausnahmslos mit den Fingern gespielt, oder?

Ja, ausnahmslos alles mit den Fingern.

Manche Metal-Bassisten behaupten, dass der Ton mit einem Plektrum noch konkreter klingt, da man härter anschlagen kann. Wie siehst du das?

Ich spiele gerne mit den Fingern, weil das meiner Meinung nach eine größere Klangvielfalt erlaubt, je nachdem, ob man den Zeige- oder den Mittelfinger benutzt. Je nach Tempo eines Parts kann man es vereinfachen und härter anschlagen, indem man nur den Zeigefinger benutzt. Und wenn es richtig schnell wird, kann man einfach zwei Finger verwenden oder bei Bedarf sogar drei. Das funktioniert für meinen Sound sehr gut, dadurch bekomme ich einen wunderbar klaren Ton. Gleichzeitig kann es eine coole Herausforderung sein, sich nur auf einen Finger zu beschränken, es hat etwas mit der Energie der Hände zu tun. Trotzdem mag ich auch den Sound mit einem Plektrum, bei vielen Bassisten klingt es wirklich sehr gut, wenn sie mit Plektrum spielen.

Gab es Phasen in deiner Karriere, in denen auch du damit experimentiert hast?

Ja, die gab es tatsächlich, aber für mich hat es nicht funktioniert. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, eine Saite mit den Fingern anzuschlagen. Man kann sie zupfen, man kann sie sanft spielen, oder aber hart anschlagen. Die eigenen Hände bieten einem die verschiedensten Möglichkeiten, das ist es, was mir gefällt und weshalb ich dabeibleibe. So kann ich eine größere Bandbreite abdecken. Natürlich mag ich auch den Sound mit einem Plektrum, aber in meiner Karriere kam ich irgendwann an den Punkt, an dem ich mich für die eine oder das andere Spielweise entscheiden musste und mich für die Finger entschieden habe.

Übst du noch immer jeden Tag?

Man muss allein deshalb jeden Tag spielen, um den physischen Aspekt seiner musikalischen Fähigkeiten aufrecht zu erhalten. Es ist sehr wichtig, in Form zu bleiben und die Muskulatur der Hände zu trainieren. Meistens übe ich, indem ich Songs spiele und sie mir dabei gleichzeitig einpräge. Ich versuche, meine Parts so gut wie möglich mit der Struktur eines Songs in Einklang bringen und sie möglichst lebendig klingen zu lassen. Darauf verwende ich den größten Teil meiner Zeit, insbesondere jetzt mit unserem riesigen Back-Katalog und den Unmengen an verfügbarem Material. Mit Dream Theater zu Songs zurückzukehren, die teilweise sehr lang sind und die wir seit zehn, mitunter sogar seit zwanzig Jahre nicht mehr gespielt haben, ist jedes Mal ungeheuer viel Arbeit. Von uns existieren mittlerweile eine Menge Alben, mit unfassbar vielen Songs und noch mehr Details, trotzdem ist es eine Arbeit, die ich sehr gerne mache. Vorbereitungen sind wichtig, erfordern aber viel Einsatz und Zeit.

Spielst du eure älteren Songs genauso, wie du sie damals für die jeweils betreffenden Alben aufgenommen hast?

Zumindest versuche ich es, denn für uns alle ist die Studioversion der gemeinsame Referenzpunkt. Aber natürlich gibt es live schon mal leichte Abweichungen. Manche Dinge entwickeln sich einfach weiter, mitunter fühlt sich eine andere Basslinie, ein anderer Groove besser an, immer abhängig davon, was der Drummer gerade spielt. Es existieren also immer eine Studiofassung und eine Version, die sich live bewährt hat, da wir sie schon so oft gespielt haben, dass sie sich automatisch weiterentwickelt hat. Wir sprechen hier allerdings von keinen allzu großen Unterschieden, meistens handelt es sich nur um Nuancen.

Dream Theater veröffentlichen mit “Parasomnia” ihr 16. Studioalbum, welches gleichzeitig die Rückkehr von Originaldrummer Mike Portnoy markiert. In den Interviews beschreiben John Petrucci und John Myung, wie diese Reunion die Bandchemie und den Sound positiv beeinflusst hat, ohne dass sie zu einer nostalgischen Kopie früherer Werke wurde.

Das neue Album verbindet die progressive Komplexität, für die Dream Theater bekannt sind, mit einer bis dato unerreichten Härte und Dunkelheit. Der thematische Fokus auf Parasomnia – verschiedene Formen von Schlafstörungen – verleiht dem Album eine besonders intensive Atmosphäre, die durch die vielfältigen Gitarrentunings und die regenerierte Chemie zwischen den Bandmitgliedern verstärkt wird.


(erschienen in Gitarre & Bass 03/2025)

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