„Deshalb klingen Dream Theater so einzigartig, da hier fünf verschiedene Songschreiber und kreative Musiker zusammenkommen.“

John Petrucci & John Myung im Interview: Die Rückkehr von Mike Portnoy

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(Bild: Mark Maryanovich)

Angesichts der aufsehenerregenden Tatsache, dass Originaldrummer Mike Portnoy zu Dream Theater zurückgekehrt ist, droht die Musik der neuen Studioscheibe ‚Parasomnia‘ fast ein wenig in den Hintergrund zu rücken. Dabei gibt es viel zu erzählen, über das bis dato wohl härteste und düsterste Album der Bandgeschichte, und über eine Gitarrenarbeit, die wieder einmal exzellent ist und mit einer Vielzahl derber Riffs und virtuoser Soli glänzt. Aber natürlich mussten auch wir aus Gründen eines besseren Verständnisses Saitenakrobat John Petrucci zunächst über die spannendste Personalie der Scheibe (s.o.) befragen, auch um zu verstehen, weshalb viele Fans seither in Nostalgie schwelgen.

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(Bild: Mark Maryanovich)

JOHN PETRUCCI

John, ist Dream Theater nach Mike Portnoys Rückkehr eine neue Band geworden oder aber, ganz im Gegenteil, derzeit eher rückwärtsorientiert?

Wie du weißt, blicken wir auf eine lange Karriere zurück. Wir feiern gerade unser 40-jähriges Bestehen mit einer großen Tournee, veröffentlichen in Kürze unser 16. Studioalbum, es gibt also eine Menge Dinge, eine Routine, die über all die Jahre gleichgeblieben ist. Das betrifft auch einen Großteil unserer Mitarbeiter hinter den Kulissen. Neu ist, dass wir mit Mike ein Familienmitglied zurückgewonnen haben. Mike und ich kennen uns nahezu unser gesamtes Leben lang, wir haben uns als 18-Jährige in Berklee getroffen und dadurch eine besonders innige Beziehung. Ihn zurück bei Dream Theater zu haben, fühlt sich natürlich auch ein wenig nostalgisch an, gleichzeitig aber vor allem frisch, neu und aufregend.

Was musste passieren, damit Portnoy zu Dream Theater zurückzukehren konnte? Was hat ihn zum Umdenken bewogen, und was haben deine Bandkollegen dazu gesagt?

Mikes Wunsch deutete sich ja nicht schon seit Monaten oder Jahren an, sondern wurde sehr kurzfristig an uns herangetragen. Wir haben darüber also nicht lange nachgedacht, sondern es spontan entschieden. Es gab zunächst ein Gespräch zwischen Mike und mir und anschließend zwischen der Band und mir, und wir alle waren uns einig, dass angesichts der 40th-Anniversary-Tour der Zeitpunkt und die Umstände perfekt sind, um diese Idee in die Tat umzusetzen. Von dort war der Schritt nur noch kurz, direkt anschließend ins Studio zu gehen und ein neues Album aufzunehmen. Alle in der Band waren einverstanden, daher war es dankenswerterweise ein undramatischer und völlig ungezwungener Wechsel.

Würdest du mir zustimmen, dass ‚Parasomnia‘ das härteste Album in der Dream-Theater-Karriere ist? Und gibt es dafür einen speziellen Grund?

Ja, ich würde dir tatsächlich zustimmen, und die Ursache liegt im Albumtitel ‚Parasomnia‘ begründet. Ich hatte den Begriff schon seit ein paar Jahren im Hinterkopf und fand, dass er gut zu einem Dream-Theater-Album passen würde. Wer das Wort noch nicht kannte: Es handelt sich um den Oberbegriff für unterschiedliche Arten von Schlafstörungen. Für Menschen mit diesen Problemen sind Schlafstörungen eine schwierige und prekäre Angelegenheit, verbunden mit Albträumen, Schlafwandeln, psychischen Problemen, und so weiter. Allein dieser Titel führte automatisch zu einer härteren, dunkleren Ausrichtung der Songs. Hinzu kam natürlich Mikes Rückkehr, die für mich sehr inspirierend und kompositorisch prägend war, und mehr Riffs, mehr harte Rhythmusparts nach sich zog, vergleichbar vielleicht mit Scheiben wie ‚Train Of Thought‘ oder ‚Systematic Chaos‘.

Es war zwar nicht das erste Mal, dass Mike im bandeigenen DTHQ-Studio aufgenommen hat, aber das erste Mal, dass er dort für Dream Theater im Einsatz war.

Stimmt, er hat hier bereits 2020 die Drums für mein Soloalbum ‚Terminal Velocity‘ eingetrommelt, und auch die Aufnahmen für ‚Liquid Tension III‘ ein Jahr später haben hier stattgefunden. Insofern war er mit den Gegebenheiten des Studios vertraut. Aber in gewisser Weise war es für uns alle eine neue Erfahrung, denn vor etwa einem Jahr haben wir den Studiokomplex erweitert und einen neuen großartigen Live-Raum geschaffen, der viel größer ist als die bisherigen Räume. Wir konnten dort erstmals auch einen Konzertflügel unterbringen, was natürlich eine tolle Inspirationsquelle ist. Insofern war die Produktion von ‚Parasomnia‘ für uns alle eine neue Erfahrung.

(Bild: Mark Maryanovich)

Was war vorher in dem neuen Raum?

Es war ein Lagerraum für unser Equipment. Dann wurde in der direkten Nachbarschaft ein weiterer Lagerraum frei, so dass wir unser Gear dorthin bringen und das bisherige Lager zum Studio umgestalten konnten. Der Raum ist riesengroß und hilft uns sehr, man kann ihn in dem Video sehen, das Ernie Ball Music Man angesichts der neuen 10th-Anniversary-Majesty-Gitarre veröffentlicht haben. In diesem Raum ist Platz für alles das, was wir brauchen, inklusive Mikes großem Doublebass-Drumkit.

Wenn man das neue Album aus der Sicht des Rhythmusgitarristen John Petrucci betrachtet: Gibt es etwas Neues, das es vor Mikes Ausstieg noch nicht gab und woran man eine Weiterentwicklung oder Änderung seines Stils erkennen kann?

Ich finde nicht, dass sich etwas Grundlegendes geändert hat. Mike war immer schon ein fantastischer Schlagzeuger, seine Fähigkeiten sind im Laufe der Jahre einfach immer noch besser geworden. Die Zusammenarbeit während des Songwritings fühlte sich ganz ähnlich an wie bei ‚Black Clouds And Silver Linings‘, die letzte Dream Theater-Scheibe, die wir vor 15 Jahren gemeinsam mit ihm geschrieben haben. Es war fast so, als ob wir das Studio zwischenzeitlich gar nicht verlassen hätten. Für mich als Produzent war es einfach eine wahre Freude zu sehen, wie schnell Mike arbeitet. Er benötigte pro Song, zwei, maximal drei Takes, und die Sache war im Kasten. Er ist immer super vorbereitet und weiß genau, was er will. Was mir auffällt ist Mikes Fähigkeit, einen Song atmen zu lassen. Eine Sektion wird hart und schnell getrommelt, die nächste ein wenig laidback und langsamer, wodurch die Stücke an Dynamik und Persönlichkeit gewinnen.

Gleichzeitig bleiben alle Dream-Theater-Songs stets vornehmlich Gitarren-dominiert.

Natürlich bleibt meine Gitarre das wichtigste Songwriting-Instrument der Band. Ich bin also nicht nur der Produzent der Scheibe, sondern steuere auch den Großteil der Ideen bei. Das beginnt schon lange vor der Studiosession, und basiert im Fall von ‚Parasomnia‘ auf meinem Ziel, den Albumtitel als Anlass zu nehmen, um mit unterschiedlichen Scales und Modes zu experimentieren. Ich ging also sehr gut vorbereitet ins Studio, und wenn dann die gesamte Band eingreift, wird aus den Songideen weitaus mehr als nur das Ergebnis eines einzelnen Komponisten. Deshalb klingen Dream Theater so einzigartig, da hier fünf verschiedene Songschreiber und kreative Musiker zusammenkommen. Dream Theater verstehen sich als Progressive-Metal-Band, mit Betonung auf Metal, und daher kommt die Härte und Komplexität schwerpunktmäßig von den Gitarren und den Drums, mit all den Riffs und Hooks, die uns wichtig sind.

Fertigst du vor dem Studiotermin reguläre Demos deiner Ideen an?

Als reguläre Demos würde ich es nicht bezeichnen. Es sind eher Memo-Aufnahmen, teils auf meinem Handy und nur als Erinnerung. Bevor wir uns im Studio treffen, schaue ich die Memos durch, lerne die Riffs und spiele sie dann meinen Bandkollegen live vor. Mitunter fahre ich auch schon vor allen anderen ins Studio, nehme eine Idee auf, allerdings nie in konkreter Song-Form, sondern ohne Bass, Schlagzeug, Keyboards, nur die reine Gitarre, die Riffs, die Akkordbewegung, die Melodie. Meistens ist es aber einfach besser, die Riffs live zu spielen, dann bekommen die anderen ein besseres Gefühl für die gedachte Stimmung.

Mit welchem Equipment hast du ‚Parasomnia‘ eingespielt?

Natürlich sind ausschließlich Music-Man-Majesty-Modelle zum Einsatz gekommen, und zwar Sechs-, Sieben- und Achtsaiter. Für die Rhythmusspuren habe ich meinen Mesa/Boogie-Signature-JP-2C-Amp, für die Soli einen meiner Vintage Mark IIC+ Simul-Class aus den Achtzigern genommen. Bei den cleanen Parts habe ich wegen Mikes Rückkehr etwas Nostalgisches gemacht und einen Roland JC-120 gespielt, diese Chorus-Sounds kommen also aus dem Roland. Effektgeräte kamen nur gelegentlich zum Einsatz, bei einem Song ist es ein MXR-Chorus vor dem Amp, ein anderes Mal war es ein TC Electronic 2290 im Loop des Amps, dazu kam in ‚Midnight Messiah‘ ein MXR-Phaser und den Anfang von ‚Bend The Clock‘ habe ich mit einem Keeley Noble Screamer gespielt. Eine tolle Sache war, dass wir die originalen Neve-Preamps ausfindig machen und kaufen konnten, die wir unter anderem schon bei ‚Images And Words‘, ‚Scenes From A Memory‘, ‚Six Degrees Of Inner Turbulence‘ oder ‚Train Of Thought‘ verwendet haben. Wir nahmen Kontakt zu unserem früheren Toningenieur Doug Oberkircher auf und kauften ihm die Geräte ab. Mit den Neves haben wir einen wunderbar warmen Gitarrensound erzeugt.

(Bild: Music Man)

Also erneut keine Plug-ins, aber dennoch digitales Equipment?

Nicht bei den Gitarrenamps, die eigentlichen Sounds kommen aus richtigen Amps mit richtigen Boxen. Aber für die Delays und ein paar spezielle Effekte waren es Plug-ins. Das Solo in ‚Night Terror‘ kam beispielsweise aus einem TC Electronic Plug-in.

In welchen Tunings hast du die Gitarren gestimmt, welche Tonarten findet man auf ‚Parasomnia‘?

Das neue Album ist inhaltlich sehr vielschichtig, deshalb habe ich bewusst unterschiedliche Tunings und Tonarten verwendet. In der Ouvertüre ‚In The Arms Of Morpheus‘ ist es eine achtsaitige Majesty in Standardtuning, also mit der tiefen Saite in F#. ‚Night Terror‘ ist in Standard, in ‚A Broken Man‘ ist die Gitarre einen Ganzton tiefer auf D gestimmt. Mein Lieblingssong heißt ‚Dead Asleep‘ und ist in Drop-Bb, die gesamte Gitarre ist also in C gestimmt, mit der tiefsten Seite in Bb. Auf die Idee gebracht hat mich Zakk Wylde, der Gast bei einem meiner Camps war und mit dem ich ein paar Black-Label-Society-Nummern gejammt habe. Ein wirklich heavy Tuning, das auch Ozzy sehr liebt. ‚Midnight Messiah‘ ist in C, die Gitarre ist also zwei Ganztöne tiefer gestimmt. ‚Bend The Clock‘ und ‚The Shadowman Incident‘, übrigens der einzige Song mit einer Siebensaitigen, sind in Standard.

Du wirst zu den Shows also eine Reihe Gitarren mitbringen müssen, um alle Tunings abdecken zu können.

Richtig, aber man kann diese Songs auch nur in den originalen Tunings spielen, sonst würden sie völlig anders klingen. Das Tuning bestimmt immer auch den Charakter eines Songs.

Apropos Charakter: Waren die Texte der Songs bereits vor der Musik da? Und wer hat sie verfasst?

Die Texte sind erst nach der Musik entstanden, allerdings stand der Albumtitel schon vorher fest. Die Idee war, sämtliche Songs unter ein bestimmtes Motto zu stellen, Mike sprach sogar von einer Art Konzeptscheibe, in der alle Stücke miteinander verbunden sind, in der Art wie ‚The Dark Side Of The Moon‘. Die Texte sind aber erst ganz am Ende entstanden. Einer stammt von Mike, zwei Texte hat James geschrieben, der Rest ist von mir. Es hat mächtig Spaß gemacht, vor allem ‚The Shadowman Incident‘ zu texten war purer Genuss.

Gib zum Schluss bitte noch einen kurzen Ausblick auf deine Aktivitäten als Endorser in 2025!

Gerne. Ein paar Dinge sind ja bereits angekündigt, wie etwa der 1x12er Combo von Mesa/Boogie und die 10th-Anniversary-Version meiner Majesty-Signature-Gitarre, die erstmals im Video zu ‚Night Terror‘ zu sehen war. Auffällig sind vor allem die tollen Pickup-Kappen von Larry DiMarzio mit dem Majesty-Logo, wirklich sehr cool. In den kommenden Monaten gibt es ein paar neue Produkte meiner eigenen Firma Tonemission, und ich arbeite derzeit an einem wirklich spannenden Thema, über das ich allerdings noch nichts Konkretes sagen darf, außer dass es Musikern dabei helfen wird, einen unfassbar guten Gitarrensound zu bekommen. Ich melde mich bei dir, wenn es darüber mehr zu berichten gibt.

Bassist John Myung im Gespräch auf Seite 2

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