(Bild: Mark Maryanovich)
Nicht in einem High-Tech-Studio in Manhattan, sondern in einer ehemaligen Scheune im Upstate New York, nur einen Steinwurf entfernt vom Gelände des legendären Woodstock Festivals, entstand der neue Longplayer des US-Progressive-Rock-Fünfers. Dort lernen wir Gitarrist John Petrucci auch von einer anderen Seite kennen.
In den Catskill‘s Mountains, unweit des legendär gewordenen Örtchens Bethel, liegt eine zum Studio umgebaute Scheune, die den Namen „Yonderbarn“ trägt. Dort quartierten sich im vergangenen Sommer Dream Theater für ihren neuen Longplayer ein. Arbeitsziel: Zurück zu den Anfängen.
Soll heißen: Gemeinsames Schreiben und Aufnehmen als Band in einem Raum, anstatt separates Songwriting der Herren Rudess und Petrucci und anschließendem Track-by-Track-Recording. Das Ganze inklusive gemeinsamem Abhängen, Kochen, Essen und Trinken. Das Ergebnis hört auf den Namen ‚Distance Over Time‘.
interview
John, wie kam es, dass ihr euch für diese Arbeitsweise entschieden habt?
Wir waren extrem lange auf Tour, zuerst mit ‚The Astonishing‘, dann mit der ‚Images, Words & Beyond‘-Anniversary-Tour, insgesamt mehr als zwei Jahre. Das letzte Studioalbum haben Jordan und ich deshalb alleine geschrieben. Das hat uns viel Zeit gekostet und fühlte sich am Ende ein wenig isoliert an.
Wir wollten deshalb wieder die ganze Band dabei haben, wollten zusammen schreiben, proben und einfach mehr Zeit miteinander verbringen. Wenn wir in unserem Proberaum in New York sind, ist das in der Regel so: Du wirst dauernd gestört, es gibt ständig Unterbrechungen, familiäre Termine, und es sind meist nicht alle dabei.
Deshalb beschlossen wir, zusammen aufs Land zu fahren, abgeschottet von allen Terminen, Verpflichtungen und Ablenkungen, nur auf das gemeinsame Musikmachen ausgerichtet. Wir fanden dann diese wundervolle Scheune, ein ehemaliges Studio in den Catskill‘s Mountains und das war wundervoll. Es liegt mitten im Wald, direkt an einem See, es gibt dort Rehe, Enten und Waschbären. Die Landschaft ist atemberaubend schön. Wir hatten unheimlich viel Spaß.
Der Schreibprozess als gesamte Band beinhaltet auch schon mal Auseinandersetzungen und Diskussionen. War die Entstehung von ‚Distance Over Time‘ ein einfacher Prozess?
Ja, das ist bei uns recht einfach, weil wir uns sehr gut kennen. Und selbst wenn jemand anderer Meinung ist, ist das keine große Sache. Am Ende hängt es oft davon ab, wie gut du den Kollegen deine Idee verkaufen kannst. Wir sind nicht immer der gleichen Meinung, aber am Ende sind alle mit einem fertigen Song zufrieden. Darauf legen wir großen Wert. Wir verfolgen auch grundsätzlich jede Idee, lernen ein Riff, probieren es zusammen aus und wenn es funktioniert wird ein Song daraus.
Der Opener ‚Unethered Angel‘ hat geradezu brachiale Energie. War das Absicht, um gleich mal die Richtung des Albums vorzugeben?
Ja, genau. Das war der vierte Song den wir bei den Sessions geschrieben hatten und alle waren sich einig, dass dies ein perfekter Opener wäre! Wir warteten noch ab, weil wir noch einige Songs schreiben würden, aber am Ende war der Song ideal, um das Album zu eröffnen. Er beginnt geheimnisvoll, lockt dich langsam an – und knallt dir dann voll vor den Kopf! (lacht) Ein wirklich starker Start!
‚Barstool Warrior‘ und ‚Wit’s End‘ sind mal wieder exzellente Beispiele für komplex verwobenes Melodiespiel.
Cool. Das sind halt unsere Einflüsse von Bands wie Yes, Genesis und Marillion, das ist genau unser Stil – starke Melodien, große Refrains – das macht für mich Progressive Rock aus.
Wie lange haben Songwriting und Recording gedauert?
Der Schreibprozess hat vier Wochen gedauert. Ursprünglich wollten wir im Yonderbarn das Album nur schreiben, und es in New York aufnehmen. Das Yonderbarn war zwar mal ein Studio, stand aber zuletzt leer. Doch dann haben wir uns dort so wohlgefühlt, der Live-Raum klang toll und die Umgebung hat uns so gut gefallen, dass wir umdisponiert haben. Wir haben also unser gesamtes Aufnahme-Equipment ankarren lassen – Mikrofone, Preamps, Monitore, alles was man braucht, haben in drei Tagen das Studio technisch komplett aufgebaut und dort aufgenommen. Abgesehen von James, der seine Vocals im Anschluss mit Richard Chyki in dessen Studio in Toronto aufgenommen hat, weil James lieber Ruhe zum Einsingen hat.
Das Album klingt deutlich härter als eure letzten. Was bedeutete das für dich und deine Sound-Settings, beziehungsweise Amps und Gitarren?
Wir haben unser gesamtes Live-Equipment angekarrt. Die wichtigste Komponente ist mein Mesa Boogie JP 2C Signature Amp. Das ist mein Amp, das ist mein Sound. Das Einzige, was dort anders war: Da der Aufnahmeraum so geil klang, haben wir für die Gitarre ein Raummikro aufgestellt, und beim Mix ein bisschen von der Charakteristik des Raums dazugegeben.
Wie stehst du aktuell zum Thema Overdrive/ Fuzz vs. Gain?
Ich habe meinen Sound mit dem Mesa Boogie gefunden. Das Gain meines Amps bietet mir eine Menge Power. Ich muss da überhaupt nichts mehr hinzufügen. Dazu kommt der Gain Boost meines Majesty Signature Modells, wenn ich mal ein gewisses Extra an Schub will. Aber das ist Geschmackssache.
Wenn du einen cleanen Amp gut findest und einen Overdrive oder Fuzz davor schaltest, ergibt das auch einen großartigen Sound. Klasse, aber anders. Nicht so direkt und punchy, eher etwas cremiger mit mehr Kompression. Aber das hängt davon ab, was für einen Stil du spielen willst. Natürlich habe ich ein paar Overdrive/Fuzz-Treter auf meinem Board für ein bisschen Spaß hier und da. Aber ich brauche sie eigentlich nicht. Ich habe mich für das Gain meines Amps entschieden.
Was nutzt du denn aktuell, um deinen Sound zu kolorieren?
Ich habe nur ein paar Pedale, meist von TC Electronic. Für Clean-Sounds benutze ich den HyperGravity Kompressor, den Sound mag ich sehr. Dann den Viscous Vibe und mein Dreamscape Modulation Signature Pedal. Nicht zu vergessen mein Dunlop Signature Cry Baby Wah. Dann habe ich noch ein Fractal Audio Axe-FX III für Delay-Sounds.
(Bild: Mark Maryanovich)
Du hast inzwischen dein achtes Signature-Modell am Start. Ist das Ausdruck für die musikalischen Veränderungen oder spieltechnischen Anforderungen im Laufe der Zeit?
Die Majesty ist ein ganz eigenes Ding. Am Design hat sich nichts geändert, aber an den Details. Auf der kommenden NAMM Show werden wir ein neues Modell vorstellen. Das Einzige, das wir ändern, sind Holzkombination und Lackierungen. Und auch die DiMarzio-Pickups sind dezent unterschiedlich. Aber das Design ist unverrückbar, denn diese Gitarre ist aus meiner Sicht einfach perfekt. Als ich vor 18 Jahren meine Zusammenarbeit mit Music Man begann, waren die ersten Bodies aus Linde. Ich kam von Ibanez und war Linde-Korpusse gewohnt. Das machte Sinn.
Dann hat sich meine Signature im Laufe der Jahre geändert. Wir haben die Korpusform etwas angepasst, haben die BFR eingeführt, die ein bisschen größer und traditioneller ausgerichtet ist. Erst mit der Majesty kam eine deutliche Veränderung des Designs, was der Neck-thru-Konstruktion geschuldet ist, während die anderen Signatures geschraubte Hälse hatten.
Die Entwicklung meiner Signature-Modelle beruht auf meiner Suche nach Sound, meiner Liebe für Gitarren und die Gitarrenbaukunst generell. Jede meiner Signatures könnte ich aus dem Stand in jeder Dream-Theater-Show spielen und wäre absolut zufrieden. Sie sind alle ein wenig unterschiedlich, was Shaping und Hölzer angeht, aber sie sind alle auf ihre Art großartig.
Wie sieht das mit Vintage-Instrumenten aus?
Das Thema hat mich nie gereizt. Ich besitze keine alte Stratocaster, keine Les Paul, SG oder ES-335. Ich war ziemlich jung, als ich mit Dream Theater das Angebot bekam mit Ibanez zu arbeiten. Dadurch habe ich früh ein Signature-Instrument gespielt. Und jetzt, nach 18 Jahren bei Music Man, habe ich mit meinen Signature-Modellen alles, was ich mir erträumt habe.
Und was spielst du zu Hause, auf dem Sofa, gerade was Acoustics angeht?
Ich besitze einige Taylors. Die habe ich vor Jahren für mich entdeckt und schätzen gelernt. Auf dem neuen Album habe ich ein brandneues Modell mit ihrem neuen Bracing-System ausprobieren können. Und weißt du was: Ich habe mir unlängst eine Akustik-Gitarre bei euch in Deutschland gekauft. Ich habe vor einiger Zeit den Gypsy-Jazz für mich entdeckt, durch Joscho Stephan. Kennst du ihn?
Aber sicher!
Ich habe mir seine Gitarre angeschaut und mir auch eine Gitarre im Selmer-Maccaferri-Stil von Gitarrenbauer Jürgen Volkert gekauft. Die Gitarre habe ich übrigens im Mittelpart von ‚Fall Into The Light‘ gespielt.
Du hast also den Gypsy Swing für dich entdeckt?
Ja, absolut! Das ist wirklich heißer Scheiß! Ich weiß auch nicht, warum ich das jetzt erst entdeckt habe. Warum ist diese großartige Musik so lange an mir vorbeigegangen? Ich habe mir neulich einen Gig von Stochelo Rosenberg mit Al Di Meola angeschaut. Das war unfassbar cool. Joscho Stephan ist auch unglaublich gut. Ich glaube Joscho bietet Online-Workshops an. Ich muss mich da unbedingt anmelden. (lacht)
Würde dich diese Herausforderung ernsthaft reizen?
Auf jeden Fall! Es ist im Grunde Shredding auf der akustischen Gitarre – nur als Jazz! (lacht) Und ich bin ganz flott, glaube ich, was den Anschlag meiner rechten Hand angeht. Ich würde das gerne mal probieren.
Vielen Dank für das Gespräch!
www.dreamtheater.net
www.johnpetrucci.com
Der gute John wird sich wundern, welche Herausforderung da auf ihn warten, wenn er wirklich mit Joscho eine Übungsstunde macht. Johns Spielweise und die von Joscho auf einer Akustikgitarre ist wie der Unterschied zwischen einem Glühwürmchen und ein Sommergewitter.