Joe Satriani: Ich merkte, dass ich wieder zu mir selbst finden wollte
von Matthias Mineur, Artikel aus dem Archiv
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Auch wenn man es Joe Satriani äußerlich nicht ansehen konnte: Die zurückliegenden fünf Jahre waren vergleichsweise schwierig für ihn, denn der New Yorker Ausnahmegitarrist befand sich in einer schleichenden Sinnkrise. Aus der hat er sich mit seinem neuen, betont rockigen Album ,What Happens Next‘ unüberhörbar befreit. „Schuld“ an der Gesundung mögen auch seine beiden renommierten Begleitmusiker gewesen sein: Glenn Hughes und Chad Smith, nachweislich Persönlichkeiten, denen nichts Menschliches fremd ist. Wir haben mit Satriani über seinen mentalen Befreiungsakt gesprochen und ihm dabei auch gleich ein paar hochspannende Zukunftsplanungen entlockt. Aber lest selbst!
interview
Dein neues Album ,What Happens Next‘ zeigt einen neuen, spürbar geerdeten Joe Satriani. Was ist passiert seit ,Shockwave Supernova‘?
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Joe Satriani: Um eine lange Geschichte kurz zu halten: Mit ,Shockwave Supernova‘ hatte ich ein Alter Ego erschaffen, das über einen Zeitraum von zehn Jahren immer stärker wurde und drohte, irgendwann Besitz von meiner wirklichen Persönlichkeit zu ergreifen. Die fiktive Story handelte von Ruhm und Privilegien eines außergewöhnlichen Musikers und stand damit im krassen Widerspruch zu meiner wahren Natur. Auf ,Shockwave Supernova‘ und der anschließenden Tour entwickelte sich eine Situation, in der das Leben die wahre Kunst nur noch zu imitieren schien.
Am Ende der Tour war ich an einem Punkt angekommen, an dem ich diesen Charakter töten wollte, obwohl ich ihn mir ja selbst ausgedacht hatte. Zusätzlich gefördert wurde dieser Wunsch dadurch, dass mein Sohn für etwa sechs Monate mit auf Tournee war, um für eine Dokumentation mich und mein Leben auf und hinter der Bühne zu filmen. Ich merkte, dass ich wieder zu mir selbst finden und mich stärker als zuletzt an meiner musikalischen Vergangenheit orientieren wollte. Das führt dazu, dass ,What Happens Next‘ sowohl ein Neuanfang als auch eine Rückkehr zu den frühesten Tagen meines Musikerlebens ist. Das Album reflektiert eine Zeit, in der ich das Gitarrenspielen lernte und mich als Jugendlicher von der Musik der frühen Siebziger habe inspirieren lassen. Ich konfrontierte mich sozusagen selbst mit den Dämonen von ,Shockwave Supernova‘ und habe den Schritt zurück in die Freiheit gewagt.
Du hast dir für das Album mit Glenn Hughes einen Musiker geholt, der als schwierig, eigenwillig und Diven-haft gilt. Wie sind deine Erfahrungen mit ihm nach dieser Produktion? Hast du dir darüber im Vorfeld Gedanken gemacht?
Joe Satriani: Ja. Alles fing damit an, dass ich unbedingt Chad Smith auf dem Album haben wollte. Ich hatte unglaublich viel Spaß mit ihm bei den zwei Chickenfoot-Shows, die zwischen meinen beiden letzten Tourneen stattfanden. Ich wusste aber natürlich nicht, ob Chad auf einem Instrumentalalbum spielen würde. Also überlegte ich, bevor ich ihn frage: Welchen Bassisten soll ich ihm vorschlagen? Wer wäre die perfekte Ergänzung, sodass Chad entspannt sein und die Performance abrufen kann, die ich mir von ihm wünsche?
Einer der möglichen Kandidaten auf meiner Liste war Glenn Hughes, mit dem ich außer bei einem Song auf dem 50-jährigen Marshall-Jubiläum noch nie zusammengespielt hatte. Ich bin seit Jahrzehnten ein Riesenfan von Glenn und fragte mich, ob er wohl auf einem Instrumentalalbum spielen würde. Ich wusste, dass er so etwas noch nie getan hat, zumal Glenn nicht nur Bassist, sondern auch Sänger ist. Also schickte ich zunächst eine Mail an Chad, mit den Worten: „Verrückte Idee: Was hältst du von dir, mir und Glenn Hughes auf einem gemeinsamen Instrumentalalbum, das wir innerhalb von sieben Tagen zusammen einspielen?“ Seine Antwort kam sofort: „Yes! Let‘s do it!“ Diese Antwort gab mir den Mut, Glenn anzusprechen und ihn zu fragen, ob er dabei ist. Auch Glenn war sofort Feuer und Flamme. Aber ich schätze, dass er mich mindestens 100 Mal gefragt hat: „Bist du dir sicher, dass ich nicht auch singen soll?“ (lacht)
Bist du bei dieser Frage nicht schwach geworden?
Joe Satriani: Nun, sagen wir es mal so: Ich möchte diese beiden Dinge separat behandeln. Glenn und ich werden eines Tages ein Album mit Gesangsnummern aufnehmen, aber zurzeit hat er Black Country Communion, ich habe Chickenfoot, und wir beide haben überdies unsere Solokarrieren. Also muss man darüber noch einmal gesondert nachdenken.
Hab ich das jetzt richtig verstanden? Du wirst irgendwann ein Gesangsalbum mit Glenn Hughes aufnehmen? Die Frage ist also nicht ob, sondern nur wann?
Joe Satriani: Ja. Ich denke, es gibt eine starke kreative Verbindung zwischen uns, sodass wir zusammen garantiert eine coole Scheibe schreiben könnten. Aber dafür brauchen wir natürlich Zeit. Gegenwärtig sind wir ja mit anderen Dingen beschäftigt. Ich habe das Gefühl, dass wir einen guten Draht zueinander haben, den man einfach nicht ignorieren darf.
Und war es für dich undenkbar, für ,What Happens Next‘ zumindest eine Gesangsnummer mit Glenn zu schreiben und aufzunehmen? Es muss dich doch innerlich zerrissen haben, einen solchen Ausnahmesänger nicht wenigstens einen Song singen zu lassen.
Joe Satriani: Die Schwierigkeit ist folgende: Wenn man ein Instrumentalalbum aufnimmt und darauf eine Gesangsnummer platziert, setzt man sich selbst unter Druck. Denn man muss sich mal vorstellen, was passieren würde, gäbe es auf ,What Happens Next‘ eine Gesangsnummer. Was würde das Radio spielen? Die Gesangsnummer! Worüber würde die Presse schreiben? Über die Gesangsnummer! Worauf würden die Fans auf den kommenden Tourneen warten? Auf die Gesangsnummer! Alle übrigen Instrumentalstücke würden automatisch in den Hintergrund gedrängt. Hinzu kommt die Frage, ob man einem Sänger gerecht wird, wenn man ihn auf einer Scheibe nur einen Song singen lässt. Wenn du zehn Songs aufnimmst, und der Sänger kann unterschiedliche Versionen seiner Stimme und seiner Seele abliefern, nur dann wird man ihm gerecht. Deswegen halte ich es für die bessere Idee, meine Alben ausnahmslos mit Instrumentalnummern zu bestücken, und ansonsten bei Chickenfoot mit Sammy Hagar oder bei Gastbeiträgen gezielt mit anderen Sängern zu arbeiten.
Stimmst du mir zu, dass Glenn Hughes vor allem einen großartigen Bass-Ton hat? Ist es das, was du von ihm erwartet hast?
Joe Satriani: Ehrlich gesagt habe ich ihm völlig freie Hand gelassen. Glenn und Chad bekamen eine Woche vor dem Studiotermin Demoaufnahmen der Songs, und beide waren zu dem Zeitpunkt schwer beschäftigt. Chad tourte mit den Red Hot Chili Peppers, Glenn befand sich gerade mit Black Country Communion im Studio. Ich wusste also, dass sie nur wenige Tage haben, sich auf unsere gemeinsame Studiosession vorzubereiten. Ich sagte zu Glenn: „Du kannst spielen, was du möchtest, ich werde alles aufnehmen. Ich gebe dir keinerlei Anweisungen, außer vielleicht die richtigen Akkorde.“ (lacht)
Glenn kam ins Studio und ich war mit allem einverstanden, was er anbot. Er bekam die Blankovollmacht, alles zu spielen, was er wollte. Ich muss zugeben, dass wir sehr schnell gearbeitet haben, aber Glenn hatte immer sofort ein ganz natürliches Gefühl zu den Gitarrenmelodien und -Soli. Was wirklich lustig war: Immer wenn wir zusammenhockten und uns die Resultate unserer Aufnahmen anhörten, sang er leise irgendwelche Melodien dazu. Unter ihnen waren einige wirklich interessante Ideen, die ich mir sofort aufschrieb. Als wir die Drum-Tracks im Kasten hatten und gezielt an den Bass-Parts arbeiteten, zeigte ich ihm, was er vorher gesummt hatte. Ich fragte: „Könntest du das auf dem Bass spielen?“ Ich sang ihm vor, was er vorher leise gesungen hatte, und Glenn spielte diese Melodien sofort auf dem Bass nach. Es klang tatsächlich wie eine Bass-Version von Glenns Gesang. Es ist wirklich interessant, wie intuitiv Glenn einer Melodie oder einem Rhythmus eine weitere Stimme hinzufügt, die den Song besser macht. Wir haben versucht, auf dem Album so viel Glenn wie möglich festzuhalten.
Hast du Chad und Glenn auch gefragt, ob sie mit dir auf die G3-Tour kommen?
Joe Satriani: Nein, denn ich wusste, dass dies unmöglich ist. Es gab eine kleine Chance, dass Glenn verfügbar ist, aber für ihn hat Black Country Communion momentan natürlich die Präferenz. Es war ähnlich wie damals bei ,Unstoppable Momentum‘, als ich auch wusste, dass Vinnie Colaiuta und Chris Chaney nicht mit auf Tournee gehen können. Damals wie heute war meine Haltung: Wir nehmen jetzt das bestmögliche Album auf und machen uns erst anschließend Gedanken darüber, wie man das alles auf die Bühne bringt. Bei Chad wusste ich sowieso, dass er für eine gemeinsame Tour kein Zeitfenster frei hat.
equipment
Lass uns bitte über die Gitarren sprechen, die du auf ,What Happens Next‘ gespielt hast. Man munkelt von einem neuen Ibanez-Signature-Modell, das allerdings wohl noch nicht zum Einsatz gekommen ist.
Joe Satriani: Es gibt in der Tat zwei neue Modelle, die im Januar 2018 auf den Markt kommen, die ich aber auf diesem Album noch nicht gespielt habe. Eines davon ist eine Chrom-Gitarre, die zum Zeitpunkt des Studiotermins noch nicht fertig war. Allerdings hatte ich bereits den Prototyp der roten MCR-Gitarre, die ebenfalls im Januar in die Läden kommt. Insgesamt sind auf ,What Happens Next‘ nur wenige verschiedene Gitarren zu hören. Die Hauptgitarre war meine orangefarbene 2011er MCO, dazu kam mein lilafarbenes Signature-Modell, dann die beiden ersten MCP-Modelle, die ich vor drei Jahren bekommen habe, und ein 2014er ART-Modell, das ich selbst illustriert habe. Mit diesen Gitarren wurden 99,9% aller Gitarrenparts aufgenommen. Für das, was ich „Extra-Colour-Guitars“ nenne, habe ich auf eine Fender Custom Shop Stratocaster, zwei Gibsons (Les Paul und Flying V) und den Prototyp einer Ibanez Telecaster zurückgegriffen. Obwohl wir an die 100 Gitarren mit ins Studio genommen hatten (lacht), wurden schwerpunktmäßig nur die fünf erstgenannten Ibanez-Modelle eingesetzt.
Bild: Matthias Mineur
Bild: Matthias Mineur
Bild: Matthias Mineur
Als Amp vermute ich dein Marshall Signature Modell.
Joe Satriani: Richtig, etwa zu 80%. Hinzu kamen ein paar Vintage Fender und Marshalls sowie ein KSR, die dann und wann zum Einsatz kamen. Außerdem Software von Native Instruments.
Gab es auch Guitar-Plug-Ins?
Joe Satriani: Eines meiner Lieblings-Plug-Ins ist das von SansAmp, das wir in kurzen Sequenzen hier und da verwendet haben, um eine weitere Klangfarbe hinzuzufügen. Mitunter haben wir dafür aber auch einen 1963er Fender Deluxe oder einen 1959er Fender Twin genommen. Das wurde, wie gesagt, immer von Fall zu Fall entschieden.
Letzte Frage: Im März 2018 kommst du wieder einmal mit deiner G3-Tour nach Deutschland. Diesmal begleiten dich John Petrucci von Dream Theater und Uli Jon Roth. Kannst du kurz etwas zu dieser interessanten Konstellation sagen?
Joe Satriani: Die Idee des G3-Konzepts funktioniert immer auf zwei Ebenen: Einerseits möchte ich Musiker an Bord haben, deren Wurzeln ähnliche sind wie meine. Gleichzeitig sollte jemand dabei sein, der einen völlig anderen Aspekt des Gitarrenspielens mitbringt. John Petrucci und ich kommen aus der gleichen Ecke von New York und sind beide mit Uli Jon Roth aufgewachsen, auch wenn wir nicht so spielen wie er. Mit Uli habe ich schon einmal eine G3-Tour bestritten und John Petrucci war bereits auf mehreren G3-Tourneen dabei. Das Spannende daran: John hat noch nie mit Uli gespielt, deswegen gefiel mir die Idee, die beiden zusammenzubringen. Für vieles von dem, was John und ich spielen, war Uli der Pionier. Für mich stellt er eine Art Brücke zwischen den Musikern dar, mit denen ich in den späten Sechzigern aufgewachsen bin, also Jimi Hendrix, Jimmy Page, Eric Clapton, Jeff Beck. Bevor John und ich unsere Profilaufbahn begannen, war Uli bereits eine feste Größe in der Rockszene. Mit Uli verbindet mich die Liebe zur Musik von Jimi Hendrix, eine einzigartige Verbindung zwischen zwei Musikern.