Hier erfährst du alles über den legendären Gitarristen Jim Hall, der mit seiner klassischen Jazz-Gitarre Musiker wie John Scofield oder Pat Metheny maßgeblich beeinflusst hat.
Jim Hall wurde am 4. Dezember 1930 geboren. Nach seinem Studienabschluss am Cleveland Institute of Music machte sich der Gitarrist in Bands von Schlagzeuger Chico Hamilton, Saxophonist/Klarinettist Jimmy Giuffre, der Sängerin Ella Fitzgerald oder Posaunist Bob Brookmeyer einen Namen. Zusammen mit dem Saxophonisten Sonny Rollins spielte Hall die Meilensteine ‚The Bridge‘ und ‚What’s New‘ ein.
In den 60er Jahren arbeitete er eher als Studiomusiker, bevor Jim seit Anfang der 70er Jahre wieder weltweit auf der Bühne stand. Am liebsten spielt der Gitarrist in Kleinformationen, was eine Reihe von Duo-Einspielungen belegt. Herausragend sind Halls Platten mit Pianist Bill Evans, die Veröffentlichungen ‚Alone Together‘ und ‚Telephone‘ mit Kontrabassist Ron Carter oder die Aufnahme ‚Dialogues‘ mit Gitarristen der nächsten Generation wie Mike Stern oder Bill Frisell. „Die Jungs lassen mich anders denken“ sagt Jim Hall. „Vor allem Bill Frisell, bei dem man nie weiß, was als nächstes kommt, hält einen wach und aufmerksam!“
Doch nicht nur als Gitarrist ist Jim Hall epochal, einen ebenso großen Stellenwert hat sein kompositorisches Schaffen. 1997 gewann Hall den New York Jazz Critics Circle Award als bester Jazz-Komponist und -Arrangeur.
Vor allem die Aufnahmen ‚Textures‘ und ‚By Arrangement‘ belegen seine originellen Ideen oder aber seine Komposition ‚Quartet Plus Four‘. Dieses Stück für das mit dem Zapolski-Streichquartett erweiterten Jazz-Quartetts wurde in Dänemark uraufgeführt, wo Jim Hall den renommierten Jazzpar-Preis entgegennehmen durfte.
Gemeinsam mit dem Pianisten Tommy Flanagan, den seit den frühen 1960ern kannte, spielte er dessen Song “My One and nly Love“ 1976 in New York ein:
2004 schrieb Jim Hall ein Konzert für Gitarre und Orchester, das für den ersten Weltgitarrenkongress in Auftrag gegeben wurde. Titel des Stückes ist ‚Peace Movement‘, und Hall sieht Musik als einen guten Weg, Leute zusammenzubringen und Grenzen zwischen Religionen und Rassen und daraus resultierende Diskriminierungen zu überwinden.
Am 10. Dezember 2013 starb Jim Hall schlafend in seinem New Yorker Apartment – drei Tage nach seinem 83. Geburtstag.
Pat Metheny fand die richtige Worte für Halls Hinterlassenschaft: „Jim Hall war einer der wichtigsten improvisierenden Jazz-Gitarristen in der Geschichte des Jazz“.
Doch sich auf Lorbeeren ausruhen, war dem Gitarristen immer fremd. Sogar die Effektgeräte, die er jahrelang komplett weggelassen hatte, tauchten wieder auf. „Die paar Fußpedale, die ich habe, befördern mein Gehirn in eine andere Sphäre.“
Und in Sachen Equipment ist der New Yorker wirklich unorthodox. Über sein Equipment weiß er wenig, seiner Meinung nach kommt der Sound sowieso direkt vom Spieler. Gitarrenbauer Roger Sadowsky hat ihm vor einiger Zeit ein Jim-Hall-Signature-Modell auf den Leib geschneidert, das an die jahrelang von Hall gespielten D’Aquisto-Gitarren angelehnt ist.
Beim Jazzbaltica Festival 2005 in der Holsteinischen Schweiz, wo Hall in Bands mit Joe Lovano (Saxophon) und Don Friedman (Klavier) spielte, wurden ab und an wieder ein Harmonizer und ein Octaver zugeschaltet, um den Sound etwas dicker zu machen. Fast noch beeindruckender war es aber, wenn Hall den Volume-Regler ganz weit zurückdrehte und sehr intime Intros spielte – in der 900 Leute fassenden Konzertscheune hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Im Moment spiele ich eine Gitarre, die Roger Sadowsky für mich gebaut hat. Gut daran und auch der Grund warum ich diese Gitarre endorse, ist, dass sie nicht so teuer ist. Sie kostet zwischen 2.000 und 3.000 Dollar.
Eigentlich sind richtig gute Gitarren heutzutage auch richtig teuer. Davor habe ich jahrelang D’Aquisto-Gitarren gespielt. Jimmy D’Aquisto ist aber vor ein paar Jahren gestorben und ich wurde wegen meiner Instrumente etwas nervös. Deshalb hat Roger diese Gitarre gebaut, die den D’Aquistos ein bisschen ähnelt.
Meine anderen Gitarren sind von D‘Aquisto, aber ich muss ehrlich sagen, der Sound kommt sowieso mehr vom Spieler als vom Instrument. Du findest ein Instrument und einen Verstärker, der dir liegt, du machst damit rum, und du hast ziemlich schnell deinen Sound, der ist nämlich in deinen Fingern. Und in deinem Herzen, deinem Kopf und in deiner Erfahrung.
… seine Lieblingsaufnahmen
Ich liebe alles von Béla Bartok, von seinen Streichquartetten bis hin zu den Klavierwerken. Ich habe die Partituren von den Stücken zu Hause, die er für Kinderstimmen geschrieben hat. Ganz kurze Stücke, die wie Volkslieder klingen, ganz einfach gehalten, aber brillant geschrieben. Ich mag klassische Komponisten, die halten mein Gehirn fit und lebendig. Ich habe einen guten Freund, Donald Erb, der sehr moderne Kompositionen schreibt, die ich ebenfalls sehr schätze.
Jazz ist gar nicht so viel anders als klassische Musik, finde ich. Da mag ich die Aufnahme ‚The Bridge‘, die ich mit dem Saxophonisten Sonny Rollins gemacht habe, sehr gerne. Aber auch die Duo-Aufnahmen mit dem Pianisten Bill Evans, ‚Undercurrent‘ und ‚Intermodulation‘, nehmen einen besonderen Stellenwert in meiner Discografie ein. Erst kürzlich habe ich im Trio aufgenommen, mit dem Schlagzeuger Lewis Nash und dem Bassisten Scott Colley. Die Aufnahme heißt ‚Magic Meeting‘. Es ist eine Live-Aufnahme aus dem New Yorker Village Vanguard. Ich mag die Atmosphäre der Aufnahme, die ist sehr locker und frei.
Ich habe eine Menge Aufnahmen für das Label Telarc gemacht, und dieses Label war sehr gut zu mir. Zum Beispiel das Album ‚Textures‘, für das ich Streicher und Bläserstimmen dazugenommen habe. Eine andere hieß ‚By Arrangement‘, die war mit Stimmen und Streichern. Schreiben und arrangieren ist mir sehr wichtig. Klassische Komponisten wie Igor Strawinsky, aber auch Jazz-Komponisten wie Duke Ellington sind große Einflüsse für mich.
Man muss die Saiten nur sauber treffen! Der Sound kommt aus meiner Vorstellung und ich arbeite noch immer daran, den Sound eines Saxophonisten wie Ben Webster, Coleman Hawkins oder Lester Young auf der Gitarre umzusetzen. Heute nachmittag habe ich zusammen mit dem Saxophonisten Joe Lovano gespielt, und ich liebe seine Art zu spielen.
Technisch gesehen heißt das, dass ich sehr dünne Flatwound-Saiten verwende. Das ermöglicht es mir, meine Gitarre wie ein Saxophon klingen zu lassen. Das ganze Perkussive fällt dann weg, es sei denn, ich will, dass meine Gitarre perkussiv klingt. Sie klingt glatt und warm. Deshalb hört man das Plektrum nicht, höchstens wenn ich Rhythmus spiele. Aber wenn ich melodisch mit einem Tenorsaxophon-Sound spiele, kommt nur der warme Ton rüber. Deshalb spiele ich ohne viel Bending, und ich lasse eine Menge Arbeit in der rechten Hand weg.
(Der Klarinettist) Jimmy Giuffre hat mich für musikalisches Phrasieren trainiert, deshalb war ich nie so für typische Gitarristen-Sachen und auch nicht für den typischen Anschlag, den Attack zu haben. Das sind Dinge, die ich auch nicht spielen kann. Ich bin ein Komponist, der zufälligerweise Gitarre spielt!
Jimmy Giuffre hatte mir damals immer kleine Begleit-Parts aufgeschrieben. Ich habe mir die Stücke gut angehört und ausprobiert, was am besten dazu passen könnte. Ich liebe es, Rhythmusgitarre zu spielen, und Freddie Green (Gitarrist des Count Basie Orchestras, der wohl der perfekteste Timekeeper als Rhythmusgitarrist war) war mein absoluter Held. Dann drehe ich das Volumen ganz runter und versuche, dem Bassisten aus dem Weg zu gehen.
Ron Carter zum Beispiel habe ich für ‚Alone Together‘ Akkorde über seine Bassnoten im oberen Register gespielt. Bei langen Soli – und Joe Lovano ist jemand, der lange Soli spielt – gehen mir irgendwann die Ideen aus. Dann mache ich eine Pause, weil ich mich selber langweile. Das frustriert mich, aber nach einer Pause kann ich meist wieder mit frischen Ideen einsteigen.
… seine Philosophie für Begleitungen und das Solospiel
Ich habe keine nostalgischen Gefühle für die Vergangenheit, ich habe eine Nostalgie für die Zukunft. Ich befinde mich in der Gegenwart und in der Zukunft, aber es gab auch eine Menge Musik in der Vergangenheit, die ich sehr liebe, wie die Musik von Duke Ellington. Deshalb liebe ich auch Balladen und Standards wie ‚In A Sentimental Mood‘. Die spiele ich schon so lange, finde aber immer wieder neue Wege für Arrangements und Solospiel.
Ich freue ich mich, Musiker wie den Pianisten Geoffrey Keezer in meiner Band zu haben. Er schubst mein Hirn immer wieder an. Das ist meine Einstellung zum Spielen und zum Leben. Wenn man es nicht schafft, in der Zukunft zu leben, sollte man es wenigstens mit der Gegenwart probieren! Die Vergangenheit ist eine nette Zeit, die man besuchen kann, aber leben wollte ich da nicht. Wie finden Sie das als Philosophie?
Wir hatten natürlich keinen Click-Track damals! Wir haben das einfach nur so gespielt! „Hör zu und reagiere!“, würde ich sagen. Hören ist sowieso der Schlüssel. Mit Bill Evans zu spielen, war sehr erstaunlich. Es fühlte sich an, als ob er Teil meines Gehirns gewesen wäre. Wenn ich während meines Solos in Schwierigkeiten kam, hat er mich immer rausgeboxt und zum nächsten Teil hinbefördert. Das sind seltene magische Momente.
Die Dokumentation gibt einen Einblick in das Wirken von Jim Hall und seine Zusammenarbeit mit anderen Musikern:
Interview: Angela Ballhorn (erschienen in Gitarre & Bass 10/2005)