Jeroen Paul Thesseling: Ich will mein Instrument in allen Facetten kennenlernen
von Marie Haacks, Artikel aus dem Archiv
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Bei Death-Metal-Größen wie Obscura und Pestilence hat sich der niederländische Bassist Jeroen Paul Thesseling seinen Ruf als Fretless-Bass-Virtuoso erarbeitet. Heute ist er abseits seiner einstigen Metal-Pfade unterwegs und beweist in Jazz-, Klassik- und Weltmusik-Gefilden, dass er einen weiten Fokus auf Musik und auch sein Instrument hat.
Thesseling spielte in seiner Kindheit zunächst klassische Violine und hat sich später als Teenager in einer 180°-Wende dem Metal zugewandt. Im Laufe seiner Karriere hat er nicht nur an Lebenserfahrung gewonnen, sondern auch bemerkenswerte technische Skills entwickelt. Mit dem wachsenden Repertoire vergrößerte sich auch die Anzahl seiner Basssaiten – an die Zeiten des Viersaiters kann er sich kaum erinnern. Mit seinem siebensaitigen (!) Fretless-Bass ist er das beste Beispiel dafür, dass Bünde manchmal genauso überbewertet sind wie das Badboy-Image im Metal-Gewerbe.
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Warum eigentlich ein Fretless Bass?
Das wurde irgendwann zu meinem Markenzeichen. Ich habe zwar zuerst auf einem Bass mit Bünden gelernt, davor jedoch, seit meinem siebten Lebensjahr, Violine gespielt. Irgendwann kam ich dann an einen Punkt, an dem ich mich zwischen klassischer Musik und dem Spiel in einer Band entscheiden musste – da hab ich also meine Violine gegen ein bandtaugliches Instrument eingetauscht: den Bass!
Das war ein großer Schritt, aber Saiten bleiben Saiten. Ich liebäugelte immer mit einem Fretles-Bass, doch wenn man Metal und Rock spielt, ist das nicht unbedingt gefragt. 2005 habe ich in einem Flamenco-Ensemble mit dem Namen ‚Ensemble Salazhar‘ gespielt, und da kam ich an den Punkt an dem ich dachte: „Fretless? Könnte man ja mal machen!“ Und siehe da, der Bass hat perfekt die Band unterstützt. Seitdem habe ich nie wieder einen bundierten Bass angefasst. Ich finde Instrumente ohne Bünde einfach inspirierender.
Du spielst meistens Sechs- oder Siebensaiter-Bässe. Wäre ein Viersaiter eine Option für dich?
Nein. Schaut man sich mal meine Instrumente an, dann fällt das auch sofort auf: Ich spiele mehrere Warwick Thumb Bässe mit vielen Saiten und durchgehenden Hälsen. Ich glaube, sie haben so um 1988 das klassische Model rausgebracht – seitdem bin ich ein begeisterter Sammler! Ich habe fünf Sechssaiter und drei Siebensaiter.
Würdest du dich unwohl fühlen, wenn dein Instrument weniger als sechs Saiten hätte?
Nein, das würde ich so nicht sagen. Mir kommt es auf den Klang an. Das einzigartige und besondere an meinen Bässen ist ihre organische Form, wie gut sie sich anfühlen und natürlich der runde, saftige Klang. Ich habe mit diesen Bässen viel Bühnenerfahrung gesammelt und ich würde sie nicht missen wollen, für mich sind sie perfekt. 2011 bin ich zu einem tieferen Tuning übergegangen und zu dieser Zeit hat mir Warwick auch meinen ersten Bass mit sieben Saiten gebaut. Zu Beginn war das auch für mich ein Experiment, mittlerweile ist es zum Standard geworden. Ich brauche irgendwie nichts anderes.
Das ist sehr speziell. Wurdest du in dieser Richtung von jemandem inspiriert?
Ja, am meisten inspirierte mich Carles Benavent. Er hat mit dem Gitarristen Paco de Lucía gespielt. Was ich an Flamenco und Carles Spiel so gut finde ist, dass er groovende, solide Basslines spielt und trotzdem in der Lage ist, melodisch zu agieren, ohne sich durch ein Solo in den Vordergrund zu drängen. So sollte eine gesunde Musik-Mischung aussehen. Man lernt durch seine Musik, dynamischer zu denken. Ich finde, das ist das Wichtigste! Du musst eine Balance finden, erst dann kannst du die Geschichte, die hinter einem Song steht richtig erzählen. Ich glaube das hat mich seine Musik gelehrt. Ich war jedoch nie einer dieser Schüler, die unbedingt genauso spielen wollen, wie ihr Vorbild. Das hatte immer einen einfachen Grund: Ich hatte Angst, keinen eigenen Stil zu entwickeln und nur eine Kopie einer bereits existierenden Bassgröße zu sein.
Das war auch einer der Gründe, warum ich früher mit der Schule aufgehört habe. Ich hatte immer die Angst, zu einem unselbstständigen Produkt zu werden – das wirkliche Lernen besteht nämlich aus dem Sammeln von eigenen Erfahrungen! Für viele ist es nach einem Musikstudium oder ähnlichem schwer, sich selbst zu finden. Ich habe durch Carles vielleicht nicht mich als Musiker gefunden, er hat aber meinen Weg entscheidend geprägt.
Du hast gerade über die Selbstfindung in der Musik gesprochen. Denkst du, man muss sich als Musiker immer neu definieren oder verändert man sich im Kern nicht?
Ich bin kein Fan davon, eine Richtung einzuschlagen und den Rest komplett hinter mir zu lassen. Man nimmt besser sein ganzes Wissen mit und kann dann vielleicht zwei oder drei Jahre später davon profitieren.
Es gibt viele Musiker, die das Genre wechseln in dem sie aktiv sind. Ich habe beispielsweise mit Death Metal angefangen und bin über die Jahre in Weltmusik und Jazz hineingewachsen. Trotzdem liebe und spiele ich auch Metal. Man sollte sich selbst nicht in eine Schublade stecken. Das ist auch nicht gut für den Job. Nachdem ich mit Obscura gespielt habe, habe ich verschiedene Projekte gestartet. Das waren unterschiedliche Kapitel – jedes war anders. Vielleicht hat das etwas mit dem Alter, dem Kennenlernen neuer Leute und dem Sammeln von Erfahrungen zu tun. Ich hätte mit 20 niemals zu träumen gewagt, dass ich mal einen so großen technischen Wissensstand habe würde.
Du bist zurück zur klassischen Musik gegangen. Wie passt ein E-Bass dazu?
Erstmal muss man sehen, dass Menschen, die nur mit akustischen Instrumenten arbeiten, einen ganz anderen Blickwinkel auf elektrische Instrumente haben. Ich habe mich mit zeitgenössischen Stücken auseinandergesetzt und an ihnen experimentell gearbeitet. Ich wollte zeigen, dass ein elektrischer Bass ein so ernstzunehmendes Instrument ist, dass man ihn ohne weiteres auch bei der Arbeit mit einem Orchester einsetzen kann. John Patitucci hat auch mal ein Stück komplett für einen Sechssaiter geschrieben. Das fand ich schon extrem mutig und ausgefallen.
Für mich ist die Zeit gekommen, Musik zu machen, die mehr Platz für Improvisation lässt. Wenn man mit einem Trio spielt gibt es so viel mehr Raum, die Frage ist nur, wie man ihn nutzt. Das ist eine echte Herausforderung. Ich muss sagen, dass mir das Komponieren meistens mehr Spaß macht als das Spielen an sich. Es ist, als würde man ein Bild malen. In meiner Metal-Zeit habe ich in groben Zügen mit Grundfarben gearbeitet und jetzt sind es eher detaillierte Aquarellbilder. Ich bin sehr glücklich über diese Veränderung und über die, die noch kommen werden. Ich will mein Instrument in allen Facetten kennenlernen. Ich bin, was das angeht, irgendwie rastlos.
War es eigentlich ein langer Weg zurück zur Klassik oder eher ein Nachhausekommen?
Die Klassik war irgendwie immer da. Am schwierigsten war es, vom melodischen Violinen-Spiel auf den Bass umzusteigen. Und trotzdem blieb von der Violine vieles in meinem Spiel hängen. Mein Instrument hat sich halt ein wenig verändert. Geholfen hat mir meine Zeit bei Obscura: Es war zwar Death Metal, der jedoch auf klassischer Musik basierte. Es war deshalb nicht so schwer sich dort einzufinden. Ich habe über die Zeit quasi ein eigenes Musik-Lexikon aufgebaut. Ich kann auch verstehen, wenn jemand seinen Stil gefunden hat und bei diesem bleibt. Es gibt viele unterschiedliche Wege ein guter Musiker zu werden!
Wie würdest du deine Musik heute nennen?
World-Fusion-Jazz. Ich würde mich aber niemals als Jazz-, Fusion- oder Metal-Bassisten bezeichnen. Man muss sich nicht in eine Schublade zwengen, nur weil man in einer XY-Band spielt. [3545]