Das dänische Jazz-Folk-Trio Hvalfugl hat am 25. September 2020 mit ‚Øjeblikke Vi Husker‘ (Moments To Remember) sein bereits drittes Album veröffentlicht. Dieses hat durch seine hinreißende Schönheit die Herzen der Redaktion im Sturm erobert, und einstimmig fiel die Entscheidung, diese noch nicht so bekannte Band genauer vorzustellen. Wir hatten Gelegenheit, mit Jeppe Lavsen, dem Gitarristen von Hvalfugl zu sprechen.
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interview
Jeppe, wann hast du angefangen Gitarre zu spielen?
Meine erste Erfahrung mit der Gitarre hatte ich in der sechsten Klasse, da war ich also zwölf Jahre alt. Unser Lehrer wollte, dass wir ‚Seven Nation Army‘ von The White Stripes spielen. Ich hatte seit meinem sechsten Lebensjahr Klavierunterricht, der mich aber nie so inspiriert hat wie die Gitarre.
Du warst am Det Jyske Konservatorium in Aarhus. Erzähl uns doch was über diese Zeit. Hast du dich auf Jazz konzentriert?
Das Konservatorium in Aarhus ist sehr eigen, weil man sich dort nicht auf ein bestimmtes Genre festlegt. Du entscheidest selbst, was du machen willst, und so habe ich die Zeit genutzt, um verschiedenste Dinge auszuprobieren und verschiedenste Stile zu spielen. Das könnte eine Erklärung dafür sein, dass die meiste Musik, die ich spiele, eine Mischung aus verschiedenen Genres ist, und stilistische Authentizität eine geringere Rolle spielt.
Erinnerst du dich an deine erste Jazz-Gitarren-Platte? Und welche Musiker waren für deine musikalische Entwicklung besonders wichtig?
Meine erste Jazz-Platte war eine Vierfach-CD mit der Musik von Chet Baker. Vorher hatte ich nur Rock und Pop gehört, und ich war total fasziniert von den Melodien, die er spielte, denn sie transzendierten die typischen Pentatonik-Phrasen, die ich kannte. Was ich bei Chet hörte, war zunächst ein Rätsel für mich, und ich entwickelte bald eine Obsession, herauszufinden, wie man so klingen kann.
Danach hörte ich alle Jazz-Platten, die ich bekommen konnte. Ich habe eine lange Liste von Musikern, die ich verehre, nicht nur Gitarristen. Wie viele andere höre ich Charlie Parker, Coltrane, Metheny, die besten halt. Aber in den letzten Jahren interessiere ich mich sehr für jüngere Musiker, am besten gefallen mir die Gitarristen Gilad Hekselman, Mike Moreno, Charles Altura und natürlich Kurt Rosenwinkel.
Hast du so etwas wie einen täglichen Übungsplan?
Nicht wirklich. Früher habe ich mal versucht, mir einen Plan zu machen, aber ich konnte diesem nicht täglich folgen, weil ich abschweifte und dann Sachen übte, die mich mehr interessierten. Ich habe mir aber sehr viele Gedanken darüber gemacht, wie man am besten übt. Für mich liegt der Schlüssel darin, einfach viel Musik zu transkribieren und zu spielen, die dir gefällt. So entwickelt sich deine Technik automatisch mit, und du musst dich nicht durch endlose, sinnfreie Fingerübungen quälen. Du solltest wirklich so viel wie irgend möglich wirklich Musik spielen und keine Etüden.
Hvalfugls Musik ist beeinflusst von skandinavischer Volksmusik. Von der haben die meisten unserer Leser wohl nur wenig Ahnung. Könntest du uns eine kleine Einführung geben?
Ich bin wahrlich kein Experte für skandinavische Volksmusik. Aber für Volksmusik ist generell prägend und typisch, wie sie sich selbst entwickelt hat. Klassische Musik, die andere große Musikform der vergangenen Jahrhunderte, wurde in Notenform konserviert, damit man sich immer an sie erinnert. So kannst du hochkomplexe Musik noch Jahrhunderte später spielen und exakt reproduzieren.
Volksmusik ist da anders. Sie wurde über das Gehör weitergegeben, was bedeutet, dass wir nicht mit Sicherheit sagen können, ob die Melodien heute noch so sind wie im Moment ihrer Entstehung. Daraus folgt, dass Melodien, wie in der Evolution, nur dann „überleben“, wenn sie leicht ins Ohr gehen, wenn sie „catchy“ sind. Und so gibt es sehr lyrische und schöne Melodien, die heute noch in der Kultur der dänischen Volksmusik existieren, auch wenn die Mehrheit des dänischen Volks davon gar nichts weiß. Wenn ich Melodien schreibe, versuche ich, in dieser Tradition zu denken und sie catchy zu gestalten, eben so, dass sie im Gedächtnis des Hörers bleiben.
Die aktuelle Jazz- und Fusion-Musik ist oft hochvirtuos, schon kleine Kinder improvisieren über Coltranes ‚Giant Steps‘, hohe musikalische Dichte und schnelle Tempi dominieren oft. Eure Musik ist fast die Antithese zu dieser Entwicklung. Erklär uns bitte die Philosophie hinter der Musik von Hvalfugl.
Ich denke, hochvirtuose Musik hat definitiv ihre Berechtigung. Gerade im Jazz gibt es seit Charlie Parker einen intensiven Wettbewerb, wenn es darum geht, über schwierige Akkordfolgen zu improvisieren. Aber es ist wichtig, im Kopf zu behalten, dass Jazz mehr ist als nur Wettbewerb. Bei Hvalfugl liegt das Improvisatorische darin, wie wir Melodien phrasieren, und das ist von Gig zu Gig verschieden. Wenn es weniger Noten in einem Arrangement gibt, machen schon wenige Änderungen einen größeren Unterschied aus, und wir legen Wert darauf, mit diesen kleinen Details zu spielen, die Dynamik an verschiedenen Stellen zu ändern, kleine Fills in die Melodien einzufügen und vieles mehr.
Ich glaube auch, dass wir für eine dänische Jazz-Band mehr Publikum erreichen als sonst üblich, weil viele Hörer, die sonst wenig Jazz hören, sich weniger für Virtuosität und spektakuläre Soli interessieren als typische Hardcore-Jazz-Fans. Solche Hörer schreckt zu viel Komplexität eher ab, sie haben das Gefühl, der Musik nicht mehr folgen zu können. Ich persönlich höre komplexe Musik aber sehr gerne.
Wie entstehen eure Stücke? Komponiert ihr im Team? Und notiert ihr eure Musik, bevor sie gespielt wird?
Hier kommt die Kombination von Jazz und Folk dadurch ins Spiel, dass wir die Methoden beider Welten zum Einsatz bringen. Am Anfang zeigen wir uns gegenseitig die Themen, die jeder von uns für sich geschrieben hat. Wir lernen diese Melodien nur über das Gehör, wir notieren nie. Bevor wir ans Arrangieren gehen, ist es sehr wichtig, dass jeder von uns die Melodie verinnerlicht hat. Dann spielen wir die Melodien über verschiedene Akkorde und auf unterschiedlichen Instrumenten. Wir experimentieren also eine Zeit lang mit den Melodien und setzen dann Stück für Stück zusammen, was uns am besten gefällt.
Welche Geschichte steckt hinter ‚Forglemmigej‘? Wer hat das Lied geschrieben? Hier scheint motivische Entwicklung ja eine Schlüsselrolle zu spielen.
‚Forglemmigej‘ habe ich auf dem Piano geschrieben und später auf die Gitarre übertragen. Die Melodie ist auf der Gitarre eher sperrig zu spielen, und auf der Gitarre würden mir solche Themen wahrscheinlich gar nicht einfallen. Wenn ich Melodien schreibe, versuche ich, nicht in technischen Kategorien zu denken. Bevor du die Frage gestellt hast, hatte ich überhaupt nicht an motivische Entwicklung gedacht. Ich glaube definitiv, dass man bei der Analyse unserer Stücke alle möglichen Kompositionstechniken entdecken kann, aber ich versuche nur etwas in meinem Kopf zu hören und dann auf das Instrument zu übertragen. Ich glaube, in allen guten Songs entdeckt man grundlegende musikalische Prinzipien, egal ob der Komponist diese beim Schreiben im Kopf hatte oder nicht.
Wie lange dauerten die Aufnahmen?
Wir haben das Album in drei Tagen eingespielt. Wir haben vier Gastmusiker eingeladen, mit denen wir noch nie vorher zusammengespielt hatten, deshalb war im Vorfeld einige Planung nötig, um alles zu koordinieren. Aber wir wussten, dass wir in den drei Tagen fertig werden mussten, denn nur solange war das Studio gebucht.
Welches Equipment hattest du am Start, um deine Gitarren-Parts einzuspielen?
Die Gitarre wurde über zwei verschiedene Amps verstärkt und mit unterschiedlichen Mikrofonen stereo aufgenommen. Ich spielte über meinen eigenen Egnater Rebel und einen Swart-Spacetone-Amp, abgenommen mit einem Neumann U87 und einem B&O BM5-Bändchen-Mikrofon. Bei Hvalfugl spiele ich ausschließlich meine Gibson ES-335, deren Signal geht durch ein Strymon Reverb und Delay. Im Mix kam dann noch ein Bricasti Hall dazu.
Wie kommst du durch die Pandemie? Bekommst du Unterstützung vom dänischen Staat?
Ich hatte das Glück, einige Konzerte mit begrenzter Zuhörer-Zahl und einige gestreamte Konzerte spielen zu können. Ich habe auch Ausfallgagen für einige angesagte Gigs bekommen. Dann habe ich mich darauf konzentriert, viel Musik zu schreiben und auch mit einigen Formationen, in denen ich spiele, aufzunehmen.
Kommt ihr auch mal nach Deutschland, wenn das wieder möglich ist?
Das hoffe ich sehr. Bis jetzt war es schwierig, in einem für uns neuen Land Aufmerksamkeit und Interesse zu wecken, aber da wendet sich in letzter Zeit einiges zum Guten für uns. Ich mag Deutschland sehr und fände es toll, bei euch mehr zu spielen.
TRANSKRIPTION
‚Forglemmigej‘ ist eines der schönsten Stücke auf ‚Øjeblikke Vi Husker‘. Glasklare, singbare Melodien, angereichert durch zahlreiche kleine Verzierungen, dominieren im A- und B-Teil, in dem die Taktwechsel kaum auffallen. Im C-Teil übernimmt dann die Gitarre mit Drop-2-Voicings für acht Takte die Akkord-Begleitung.
(Die Noten können durch Anklicken vergrößert werden)